BGH-Entscheidung: Rail&Fly als Eigenleistung des Reiseunternehmens

Ist im Reiseprospekt bei der Beschreibung einer Flugpauschalreise der Bahntransfer zum Flughafen ohne Hinweis auf ein zusätzliches Entgelt als „Vorteil“ aufgeführt, ist dies aus Kundensicht in der Regel dahingehend zu verstehen, dass es sich um eine vom Reiseunternehmen angebotene Leistung handelt, die vom genannten Pauschalpreis umfasst ist. So sieht es der Bundesgerichtshof (BGH).

Dies gelte, obwohl der Prospekt, dessen Angaben die Vertragsgrundlage bilden, den Bahntransfer nicht bei den Leistungen aufführt, die unter dem Stichwort „Inklusivleistungen“ genannt sind. Entscheidend sei hier, dass ein Bahntransfer 2. Klasse unter Nutzung des ICE als „Vorteil“ genannt sei. Der BGH: Die Formulierung „Ihr Vorteil“ lasse vor diesem Hintergrund nicht erkennen, dass es sich um eine Zusatzleistung handelt, die die Beklagte nur vermittelt. Eine Zusatzleistung ist typischerweise mit einem zusätzlichen Entgelt verbunden. Wenn das Reiseunternehmen einen „Vorteil“ benennt, der vom angebotenen Preis umfasst ist, liegt deshalb die Annahme nahe, dass es sich um einen Teil der angebotenen Leistung handelt. (BGH, Urteil vom 29.6.2021, X ZR 29/20)

Berufshaftplichtversicherung: Haftung bei fehlender Warnung eines Heilpraktikers vor Therapieabbruch

Die gesetzlichen Pflichten beim Behandlungsvertrag gelten auch für Heilpraktiker. Der Patient kann daher Schadenersatzansprüche aus einem Behandlungsfehler geltend machen. Hierauf hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) München hingewiesen.

Das OLG: Widerspricht im Fall einer todbringenden Krankheit (hier: Zervixkarzinom) ein Heilpraktiker seinem Patienten bei dessen Entscheidung zum Abbruch der schulmedizinisch indizierten Therapie (hier: Strahlentherapie) zugunsten einer nicht evidenzbasierten Maßnahme der Alternativmedizin (hier: Horvi-Schlangengift-Therapie) nicht mit Nachdruck, gilt: Hierin kann auch dann ein Behandlungsfehler des Heilpraktikers in Gestalt einer Fehlers der therapeutischen Aufklärung liegen, wenn die behandelnden Ärzte den Patienten über die Wahrscheinlichkeit des Todes im Falle des Abbruchs der schulmedizinischen Behandlung aufgeklärt haben.

Das OLG äußerte sich in der Entscheidung auch zur Beweislastumkehr wegen eines groben Behandlungsfehlers. Diese greift grundsätzlich auch in Fällen einer fehlerhaften therapeutischen Aufklärung.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. (OLG München, Urteil vom 25.3.2021, 1 U 1831/18)

Sturz von Rettungstrage: Kein Fehler, kein Schadenersatz

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Braunschweig bestätigt. Ein Patient hatte sich bei einem Sturz von einer rollbaren Rettungstrage verletzt. Daraufhin hatte er gegen einen Landkreis auf Schadenersatz geklagt.

Die Sanitäter hatten den Patienten auf eine Trage gelegt. Eines der Räder dieser Trage brach. Die Trage geriet in Schieflage. Sie kippte mit dem Patienten um.

Der Patient verlor die Schadenersatzklage bereits in erster Instanz beim Landgericht (LG). Doch er gab nicht auf. Dennoch hatte auch seine hiergegen eingelegte Berufung zum OLG keinen Erfolg. Das OLG begründete dies wie folgt: Der Patient habe weder Fehler bei der Handhabung der Trage durch die Sanitäter noch Wartungsfehler beweisen können. Die Trage habe die regelmäßigen technischen Prüfungen bestanden und sei am Unfalltag von den Rettungssanitätern bei Dienstbeginn auf Sicht überprüft worden.

Das genüge. Denn ein vollständiger und tiefgreifender Funktionstest vor jedem Einsatz könne nicht verlangt werden. Das würde den Rettungsanforderungen nicht gerecht, führe realistisch nicht zu mehr Sicherheit und übersteige überdies, beispielsweise im Fall von nicht erkennbaren Materialfehlern, die Möglichkeiten eines Rettungsdienstes. Dieser Begründung des OLG hat sich der BGH angeschlossen. (BGH, Urteil vom 27.5.2021, III ZR 329/20; OLG Braunschweig, Beschluss vom 28.10.2020, 9 U 27/20, PM vom 26.7.2021)

Soforthilfe „Hochwasser“: Soforthilfegelder sind pfändungsfrei

Das Amtsgericht (AG) Euskirchen hat jetzt entschieden, dass im Rahmen der Soforthilfe „Hochwasser“ auf sogenannte Pfändungsschutzkonten ausgezahlte Beträge auf entsprechenden Antrag über den Sockelbetrag hinaus pfandfrei zu stellen sind.

Hierfür spreche die mit der Soforthilfe verbundene Zweckbindung, erste finanzielle Belastungen zu mildern, die durch die Unwetterkatastrophe vom 14./15.7.2021 erlittenen Schäden verursacht wurden. Die vom Bundesgerichtshof (BGH) für die Corona-Soforthilfe aufgestellten Grundsätze müssten auch für den Fall der Soforthilfe „Hochwasser“ gelten.

Das AG war von der Unwetterkatastrophe am 14./15.7.2021 ebenfalls schwer betroffen und musste bis zum 28.7.2021 geschlossen bleiben. Zwischenzeitlich konnte der Dienstbetrieb wieder aufgenommen werden. (AG Euskirchen, Beschluss vom 2.8.2021, 11 M 1030/11, 11 M 3132/11, 11 M 1262/17, PM vom 5.8.2021)

BGH-Entscheidung: Keine Reservierungsgebühr für die Zeit vor dem Einzug in ein Pflegeheim

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über die Frage entschieden, ob eine Platz-/Reservierungsgebühr, die einem privatversicherten Pflegebedürftigen für die Zeit vor dem tatsächlichen Einzug in das Pflegeheim berechnet wurde, zurückerstattet werden muss. Er hat dies bejaht.

Das war geschehen

Für die inzwischen verstorbene Mutter des Klägers bestand eine private Pflegepflichtversicherung. Sie war ab dem 4.1.2016 pflegebedürftig und wurde zunächst in einem anderen Alten- und Pflegeheim vollstationär untergebracht. In der Folgezeit schlossen der Kläger als Vertreter seiner Mutter und die Beklagte als Einrichtungsträgerin am 12.2.2016 einen schriftlichen „Vertrag für vollstationäre Pflegeeinrichtungen“ mit Wirkung zum 15.2.2016. Der Einzug der Bewohnerin in das Pflegeheim der Beklagten erfolgte am 29.2.2016.

Der Pflegevertrag sieht vor, dass die (künftige) Bewohnerin vom Vertragsbeginn bis zum Einzugstermin eine Platzgebühr in Höhe von 75 Prozent der Pflegevergütung, der Entgelte für Unterkunft und Verpflegung sowie des Umlagebetrags nach der Altenpflegeausbildungsausgleichsverordnung (AltPflAusglVO) zu entrichten hat. Dementsprechend stellte die Beklagte der Mutter des Klägers am 22.3.2016 für die Reservierung eines Zimmers in ihrem Pflegeheim im Zeitraum vom 15. bis 28.2.2016 eine Platzgebühr in Höhe von über 1.100 Euro in Rechnung. Der Kläger bezahlte zunächst den Betrag. 2018 forderte er die Beklagte erfolglos auf, ihn zurückzuzahlen.

Der Kläger hat geltend gemacht, es habe erst ab dem tatsächlichen Einzug seiner Mutter in das Pflegeheim eine Vergütungspflicht bestanden. Abweichende Vereinbarungen seien unwirksam.

Prozessverlauf

Das Amtsgericht (AG) hat die Beklagte verurteilt, den geforderten Betrag nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht (LG) das erstinstanzliche Urteil dahingehend geändert, dass die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von 209,30 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt worden ist.

So sieht es der Bundesgerichtshof

Der BGH hat auf die Revision des Klägers das Urteil des LG aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, soweit die Klage abgewiesen worden ist. Denn die Vereinbarung einer Platz-/Reservierungsgebühr ist mit geltendem Recht unvereinbar und daher unwirksam.

Er betont: Es ist insbesondere unzulässig, eine Platz- oder Reservierungsgebühr auf der Basis des vertraglichen Leistungsentgelts gegebenenfalls vermindert um pauschalierte ersparte Aufwendungen für die Zeit vor der Aufnahme des Pflegebedürftigen in das Pflegeheim bis zum tatsächlichen Einzugstermin vertraglich festzulegen. Dies widerspräche nicht nur dem Prinzip der Abrechnung der tatsächlichen Leistungserbringung auf Tagesbasis, sondern begründete auch die (naheliegende) Gefahr, dass Leerstände im Anschluss an einen Auszug oder das Versterben eines Heimbewohners doppelt berücksichtigt würden, nämlich zum einen über die in die Pflegesätze eingeflossene Auslastungskalkulation und/oder etwaige Wagnis- und Risikozuschläge und zum anderen über die zusätzliche Inrechnungstellung eines Leistungsentgelts ohne tatsächliche Leistungserbringung gegenüber einem zukünftigen Heimbewohner.

Die Beklagte ist daher verpflichtet, weitere 918,54 Euro zurückzuerstatten. Der BGH konnte jedoch nicht abschließend entscheiden, weil Feststellungen dazu nachzuholen sind, ob der Kläger für den geltend gemachten Anspruch berechtigt ist, den Prozess für seine Mutter zu führen. (BGH, Urteil vom 15.7.2021, III ZR 225/20, PM 133/2021)

Corona-Pandemie: Behördliche Schließung: Fitnessstudiobeiträge zurückzuzahlen?

Viele Sportbegeisterte kennen das: Während der Corona-Pandemie mussten Fitnessstudios zeitweise schließen. Doch sie zogen häufig die Mitgliedsbeiträge einfach weiter ein. War das korrekt? Oder muss der Studiobetreiber die Beiträge erstatten? Das hat nun das Landgericht (LG) Osnabrück geklärt.

Sachverhalt

Der Kläger hatte mit dem beklagten Fitnessstudio einen Mitgliedsvertrag über 24 Monate geschlossen. Aufgrund behördlicher Anordnung schloss das Studio (Beklagte) vom 16.3.2020 bis zum 4.6.2020. Noch während der Schließung kündigte der Kläger seine Mitgliedschaft zum 8.12.2021.

Keine Studionutzung, aber Beträge wurden abgebucht

Ärgerlich: Die Mitgliedsbeiträge zog der Studiobetreiber auch für den Zeitraum weiter ein, in dem er geschlossen hatte. Obwohl der Kläger ihn aufforderte, die Beiträge für den Schließungszeitraum zu erstatten, geschah nichts.

Erste und zweite Instanz: Gelder sind zurückzuzahlen

Das Amtsgericht (AG) Papenburg gab dem Kläger Recht. Es verurteilte das Fitnessstudio, die Beträge zurückzuzahlen. Dagegen legte das Fitnessstudio Berufung ein. Denn die von ihm geschuldete Leistung Zurverfügungstellung des Studios könne es jederzeit nachholen. Der Vertrag sei dahingehend anzupassen, dass sich die Vertragslaufzeit um die behördlich angeordnete Schließungszeit verlängere.

Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg: Das Fitnessstudio muss dem Kläger die Beträge erstatten.

Leistung kann nicht nachgeholt werden

Dem Fitnessstudio sei die geschuldete Leistung aufgrund der Schließung unmöglich geworden, sodass sein Anspruch auf die Monatsbeträge für den Zeitraum der Schließung entfalle. Die geschuldete Leistung könne nicht nachgeholt werden.

Ein Anspruch auf Anpassen des Vertrags bestehe nicht: Der Schließungszeitraum kann nicht an das Ende der Vertragslaufzeit (kostenfrei) angehängt werden.

Beachten Sie | Der Gesetzgeber sieht für Miet- und Pachtverhältnisse ausdrücklich eine Anpassung der Verträge für die Zeit der Corona-bedingten Schließung vor. Für Freizeiteinrichtungen sei eine solche Regelung dagegen nicht getroffen worden. Vielmehr sei lediglich eine sog. Gutscheinlösung vorgesehen.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Die Revision ist zugelassen. (LG Osnabrück, Urteil vom 9.7.2021, 2 S 35/21, PM 29/21 vom 12.7.2021)

Corona-Pandemie: Stornierung von Hotelzimmern: hälftige Kostenteilung

Müssen vor Ausbruch der Covid19-Pandemie gebuchte Hotelzimmer pandemiebedingt storniert werden, kann dies eine hälftige Teilung der Buchungskosten rechtfertigen. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden.

Geklagt hatte die deutsche Vertriebsgesellschaft eines taiwanesischen Fitnesskonzerns. Sie wollte mit ihren Mitarbeitern aus Taiwan an einer für April 2020 geplanten Messe teilnehmen. Aus diesem Grund hatte sie bei der beklagten Hotelkette Zimmer gebucht. Sie zahlte die anfallenden Kosten vollständig im Voraus. Als die Messe im Februar 2020 pandemiebedingt abgesagt wurde, stornierte die Klägerin Anfang März alle Zimmer. Die Hotelkette zahlte nur zehn Prozent der Anzahlung und hielt den Rest als sog. Servicegebühr ein. Dabei berief sie sich auf die vertragliche Vereinbarung der Parteien. Die Klägerin begehrt, auch den Restbetrag zurückgezahlt zu bekommen. Beim Landgericht (LG) Köln hatte sie damit keinen Erfolg.

Ihre Berufung brachte ihr aber zumindest einen Teilerfolg. Das OLG sah einen Anspruch auf hälftige Teilung der Buchungskosten. Die Messe sei pandemiebedingt abgesagt worden. Der Klägerin sei daher ein unverändertes Festhalten am Vertrag unzumutbar geworden. Beide Parteien hätten sich bei Abschluss des Vertrags nicht vorgestellt, dass es zu einer weltweiten Pandemie mit weitgehender Stilllegung des öffentlichen Lebens kommen werde. Diese Vorstellung sei Vertragsgrundlage geworden.

Die dann pandemiebedingten weitreichenden staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und soziale Leben änderten die für die Vertragsabwicklung vorgestellten Umstände gravierend. Sowohl die Absage der Messe als auch die späteren Beherbergungsverbote beruhten ebenfalls auf der Pandemie. Dem OLG erschien es daher auch nicht gerecht, die Kostentragung vom zufälligen Umstand abhängig zu machen, dass die Klägerin den Vertrag bereits storniert hatte, bevor die Leistung für die Beklagte durch den zwischenzeitlichen Ausspruch eines Beherbergungsverbots in Köln unmöglich werden konnte. Das durch die Corona-Pandemie verwirklichte Risiko der Absage der Messe gehe über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Nachfragers deutlich hinaus. Es stehe außerdem in gleichem Maß außerhalb des Risikobereichs von Anbieter und Nachfrager. Dass die Klägerin dieses Risiko allein trage, sei ihr nicht zuzumuten.

Das OLG hat die Revision nicht zugelassen. (OLG Köln, Urteil vom 14.5.2021, 1 U 9/21, PM vom 15.6.2021)

Urkundenfälschung: Beweislast zur Verwirkung des Makleranspruchs

Die Beweislast für die Fälschung einer Urkunde, aus der sich eine Verwirkung des Makleranspruchs ergeben soll, liegt nach den allgemeinen Grundsätzen bei dem, der sich auf die Verwirkung beruft, also dem Maklerkunden. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Hamm.

Werden Unterschriften gefälscht, liegt darin eine schwerwiegende Treupflichtverletzung, die zur Verwirkung des Anspruchs führt. Hier hatten die Käufer behauptet, dass ihre Unterschrift auf der Reservierungsvereinbarung gefälscht worden sei. Allerdings konnte sich das Gericht auch nach Einholen eines Sachverständigengutachtens hiervon nicht mit hinreichender Sicherheit überzeugen. Eine leicht überwiegende Wahrscheinlichkeit genügte dazu nicht. (OLG Hamm, Urteil vom 29.3.2021, 18 U 18/20)

Unfallversicherung: Versicherungsschutz im Homeoffice verbessert

Der Unfallversicherungsschutz bei der Heimarbeit beschränkt sich künftig nicht mehr auf sog. Betriebswege, etwa zum Drucker in einem anderen Raum, sondern wird auf Wege im eigenen Haushalt zur Nahrungsaufnahme oder zum Toilettengang ausgeweitet. Das stellt das neue Betriebsrätemodernisierungsgesetz (BMG) klar.

Darüber hinaus wird er bei Home-Office-Tätigkeit auch auf Wege ausgedehnt, die die Beschäftigten zur Betreuung ihrer Kinder außer Haus zurücklegen. (BMG, Bundesgesetzblatt 2021 I, S. 1762)

Verkehrssicherungsplicht: Keine Haftung für Sturz auf Treppe zum Watt

Auf die typischen Gefahren des Meeresstrandes müssen sich Badegäste einstellen. An die Rutschfestigkeit außendeichs am Meer gelegener Badetreppen sind deshalb nicht die gleichen Anforderungen zu stellen, die für Treppen in Sport- und Arbeitsstätten gelten. So sieht es das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG).

Treppensturz mit Folgen

Die Klägerin beanspruchte Schadenersatz wegen eines Sturzes auf einer Treppe der „Familienlagune Perlebucht“ in Büsum. Dabei handelt es sich um eine lagunenartig angelegte künstliche Aufschüttung mit zwei Innenbecken, von deren Außenbereich mehrere Treppen je nach Tidenhub ins Watt bzw. in die Nordsee führen. Hier war u. a. eine breite Treppenanlage errichtet mit in der Mitte geführtem doppelten Handlauf und einem Mittelpodest. Die Klägerin stürzte bei der Benutzung einer der Treppen, als sie die erste im Wasser befindliche Stufe erreichte. Durch den Sturz erlitt sie einen Oberschenkeltrümmerbruch oberhalb des Gelenkkopfes und musste am Folgetag operiert werden. Den Sturz führte die Klägerin darauf zurück, dass sie aufgrund des zu glatten Materials der Stufen sowie erheblicher Moos- und Materialablagerungen ausgerutscht sei. Das Landgericht (LG) Itzehoe hat die Klage abgewiesen.

Nachdem das Schleswig-Holsteinische OLG die Klägerin Anfang Juni diesen Jahres darauf hingewiesen hatte, dass ihre gegen die Abweisung der Klage gerichtete Berufung keine Aussicht auf Erfolg habe, nahm die Klägerin die Berufung zurück.

Es müssen nicht alle Gefahren beseitigt werden

Der Verkehrssicherungspflichtige muss nicht allen denkbaren Gefahren vorbeugen, sondern es kann Schutz nur vor solchen Gefahren verlangt werden, die über das übliche Risiko bei der Anlagenbenutzung hinausgehen und vom Benutzer nicht vorhersehbar und nicht ohne Weiteres erkennbar sind. Treppen mit Betonstufen an Badestellen am Wattenmeer können üblicherweise durch Ablagerungen von Schwebstoffen schon innerhalb einer einzigen Tide rutschig werden. Aus diesem Grund sind diese Treppen im Regelfall während der Badesaison wie auch hier mit Handläufen versehen.

Nutzer haben Eigenverantwortung

Für die Nutzer der Badestellen ist offenkundig, dass mit typischen Gefahren des Meeresstrandes, also Sturzgefahr durch Schlick, Schafskot, Treibgut, Meerestiere, Wellen und Strömungen zu rechnen ist. Diesen Gefahren können die Nutzer eigenverantwortlich begegnen, indem sie die Treppen vorsichtig benutzen und sich am Handlauf festhalten. Über die Errichtung eines Handlaufs und die Verwendung geeigneten Betonmaterials, gegen das hier nichts einzuwenden war, sind keine zusätzlichen Sicherungen gegen das Ausrutschen angezeigt. Regelungen, die Bodenbeläge in Barfußbereichen in Bädern, Krankenhäusern oder Umkleide-, Wasch- und Duschräumen von Sport und Arbeitsstätten betreffen, gelten nicht für außendeichs gelegene Treppenanlagen im Watt, die dem dauerhaften Einfluss der Gezeiten, starkem Wellenschlag, Eisgang, Frost und Schlickablagerungen ausgesetzt sind. (Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 2.6.2021, 11 U 31/21, PM 6/21)