Schadenersatz: Ersatzfähigkeit der Kosten für die Verwahrung eines privat abgeschleppten KFZ

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Zu den erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs gehören auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen.

Das war geschehen

Der Kläger ist Halter und Eigentümer eines Pkw, den er an seine Schwester verliehen hatte. Diese stellte das Fahrzeug unbefugt auf einem Privatgrundstück ab, das von der Streithelferin der Beklagten für die Grundstückseigentümerin verwaltet wird. Im Auftrag der Streithelferin schleppte die Beklagte, die ein Abschleppunternehmen betreibt, das Fahrzeug ab und verbrachte es auf ihr Firmengelände. Auf das nach fünf Tagen geäußerte Herausgabeverlangen des Klägers reagierte die Beklagte nicht.

So sahen es die Vorinstanzen

Der Kläger hat von der Beklagten erstinstanzlich die Herausgabe des Fahrzeugs verlangt. Die Parteien haben den Rechtsstreit insoweit zwischenzeitlich übereinstimmend für erledigt erklärt. Nicht mehr im Streit steht auch der mit der Widerklage verlangte Ersatz der Abschleppkosten. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Teil, mit dem die Beklagte den Kläger auf Ersatz der Verwahrkosten in Höhe von knapp 5.000 Euro aus abgetretenem Recht der Streithelferin in Anspruch nimmt (15 Euro pro Tag der Verwahrung). Das Landgericht (LG) hat dem stattgegeben. Das Oberlandesgericht (OLG) hat das landgerichtliche Urteil dahingehend geändert, dass die Beklagte Ersatz der Verwahrkosten nur in Höhe von 75 Euro für fünf Tage verlangen kann. Mit der Revision zum BGH will die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen. Der Kläger verfolgt demgegenüber die vollständige Abweisung der Widerklage.

So sieht es der Bundesgerichtshof

Der BGH hat die Ansprüche beider Parteien zurückgewiesen. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagten stehe aus abgetretenem Recht der Streithelferin (nur) ein Anspruch auf Ersatz der in den ersten fünf Tagen der Verwahrung angefallenen Verwahrkosten zu, sei frei von Rechtsfehlern.

Kosten der Verwahrung gehören zum Abschleppvorgang

Zu den nach den Vorschriften der sog. berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der anschließenden Verwahrung des Fahrzeugs entstehen. Diese Kosten dienen noch der Abwicklung des Abschleppvorgangs. Der Grundstücksbesitzer nimmt mit dem Abschleppen ein Selbsthilferecht wahr, das einfach handhabbar sein muss und nicht mit Haftungsrisiken behaftet sein darf. Deshalb ist er nicht gehalten, einen Parkplatz im öffentlichen Parkraum ausfindig zu machen, sondern er darf das Fahrzeug in sichere Verwahrung geben.

Fahrzeughalter ist zu informieren

Der Grundstücksbesitzer ist allerdings gehalten, den Halter des abgeschleppten Fahrzeugs unmittelbar im Anschluss über den Abschleppvorgang zu unterrichten. Eine Verletzung dieser Pflicht kann zu einer Anspruchskürzung führen, wenn sie zur Folge hat, dass der Halter die Herausgabe seines Fahrzeugs anders als es hier der Fall war erst mit einer zeitlichen Verzögerung verlangen kann.

Der Erstattungsanspruch ist zudem zeitlich bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters begrenzt. Nachfolgend anfallende Verwahrkosten dienen nicht mehr der Abwicklung des Abschleppvorgangs, sondern sind nur noch auf eine Herausgabeverweigerung und die damit bezweckte Durchsetzung des entstandenen Kostenerstattungsanspruchs wegen der Besitzstörung zurückzuführen. Da der Kläger hier nach fünf Tagen sein Fahrzeug von der Beklagten herausverlangt hat, hat die Beklagte aus abgetretenem Recht der Streithelferin einen Anspruch auf Ersatz der bis zu dem Herausgabeverlangen angefallenen Verwahrkosten in Höhe von insgesamt 75 Euro.

Auch für die Zeit nach dem Herausgabeverlangen kommt grundsätzlich ein Anspruch auf Ersatz von weiteren Verwahrkosten in Betracht, nämlich dann, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die bisherige Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, sodass der Halter in Annahmeverzug gerät. Dennoch blieb die Beklagte vor dem BGH erfolglos, weil sie auf das Herausgabeverlangen des Klägers diesem die Herausgabe des Fahrzeugs nicht ordnungsgemäß in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten hat.

Quelle: BGH, Urteil vom 17.11.2023, V ZR 192/22, PM 190/23

Schadensregulierung: Versicherungsnehmer muss bei Gutachtenauftrag auf Vorschäden hinweisen

Der Versicherungsnehmer muss den Versicherer bei der Regulierung eines Kasko-Schadens auf ihm bekannte Vorschäden des versicherten Fahrzeugs hinweisen. Diese Obliegenheit besteht auch, wenn der Versicherungsnehmer selbst davon ausgeht, dass ein vollständig fachgerecht reparierter Vorschaden vorliegt. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Bremen entschieden.

Das OLG machte aber auch deutlich, dass diese Hinweispflicht nicht nur gegenüber dem Versicherer besteht. Sie greift auch, wenn der Versicherungsnehmer ein privates Gutachten erstellen lässt, das Grundlage der Schadensregulierung in der Kfz-Vollkaskoversicherung sein soll.

Sind dem Versicherungsnehmer die Vorschäden bekannt, muss er sie gegenüber dem von ihm beauftragten Gutachter offenlegen. Unterlässt er dies und lässt der Gutachter unstreitig vorhandene Vorschäden bei der Ermittlung der Schadenshöhe unberücksichtigt, ist das Gutachten für den geplanten Zweck unbrauchbar. Es ist unvollständig und zur Ermittlung der Schadenshöhe ungeeignet.

Hinzu kommt: Durch die Vorlage dieses unbrauchbaren Gutachtens kommt der Versicherungs-nehmer der ihm obliegenden Darlegungs- und Beweislast zum Schadensumfang bereits nicht nach.

Quelle: OLG Bremen, Beschluss vom 14.6.2023, 3 U 41/22

Eilantrag: „Kiezblocks“ nur bei erhöhter Gefahrenlage zulässig

Straßensperrungen zur Reduzierung des motorisierten Kraftfahrzeugverkehrs auf Durchgangsstraßen dürfen nur bei besonderen Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs angeordnet werden. Mit dieser Begründung hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin einem Eilantrag stattgegeben, der sich u.a. gegen die Sperrung einer Straße mittels Sperrpfosten, der Einrichtung eines sog. „Kiezblocks“, auf einer Straße in Berlin-Pankow gewandt hatte.

Maßnahmen zur Reduzierung des Durchgangsverkehrs

Im Juni 2021 hatte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) des Bezirks Pankow von Berlin das Bezirksamt aufgefordert, Maßnahmen zur wirksamen Reduzierung des Durchgangsverkehrs in einer bestimmten Straße zu treffen. Dort sei ein zunehmender Durchgangsverkehr zu verzeichnen, wobei die zulässige Höchstgeschwindigkeit regelmäßig deutlich überschritten werde. Außerdem würden oft die schmalen Gehwege befahren, die sich in einem beklagenswerten Zustand befänden. Dadurch komme es häufig zu gefährlichen Situationen zwischen Verkehrsteilnehmern, insbesondere für Kinder auf dem Weg zur Kindertagesstätte oder zur Schule.

Das Bezirksamt erließ im Februar 2023 eine verkehrsrechtliche Anordnung, mit der u.a. mittels Sperrpfosten die Durchfahrt für Kraftfahrzeuge untersagt wurde. Zur Begründung verwies das Bezirksamt auf den Beschluss der BVV Pankow.

Keine außerordentlichen Straßenschäden

Der Eilantrag hatte Erfolg. Nach Auffassung des VG bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Aufstellung der Sperrpfosten und sonstiger Verkehrsschilder. Die nach der Straßenverkehrsordnung einzuhaltenden Vorgaben seien nicht erfüllt. Zwar könnten spezielle Verkehrsregelungen zur Verhütung außerordentlicher Schäden an der Straße getroffen werden; hier sei aber nicht ersichtlich, dass in der betreffenden Straße Schäden bestünden, die über gewöhnliche Verschleißerscheinungen hinausgingen. Ein erhöhtes Risiko der Beeinträchtigung der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen sei ebenso wenig ersichtlich.

In der betreffenden Straße gelte bereits jetzt eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h, die bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 22 km/h weitgehend eingehalten werde. Messungen zur Lärm- und Abgasbelastung habe der Antragsgegner nicht durchgeführt.

Keine erhöhte Gefahrenlage

Schließlich habe das Bezirksamt auch im Übrigen eine erhöhte Gefahrenlage nicht dargelegt. Soweit es sich auf Gefahren wegen des erhöhten Verkehrsaufkommens oder des Verhaltens der Verkehrsteilnehmer berufe, hätte die Behörde zumindest Angaben über aktuelle Verkehrs- und/oder Unfallzahlen sowie Ordnungswidrigkeitenverfahren machen müssen. Daran fehle es hier. Im Gegenteil habe nicht nur die Polizei Berlin erhebliche Bedenken gegen die verkehrliche Anordnung gehabt, sondern auch ein Mitarbeiter des Bezirksamts selbst habe bei einer Ortsbegehung im Januar 2022 keine Verkehrsgefährdungen festgestellt. Infolge der Entscheidung muss das Bezirksamt die Sperrung aufheben und die zu ihrer Umsetzung getroffenen Verkehrszeichen und -einrichtungen vorerst entfernen.

Quelle: VG Berlin, Beschluss vom 15.12.2023, VG 11 L 316/23, PM 1/24

Schadenersatzklage: Haftung bei Unfall mit E-Bike an Baustelle

Im Streit um Schadenersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Sturzes mit einem E-Bike an einer Baustelle wies das Amtsgericht (AG) München die Klage einer Münchnerin auf Zahlung von 1.172,70 Euro sowie 2.000 Euro Schmerzensgeld gegen eine Baufirma und deren Haftpflichtversicherung ab.

Das war geschehen

An der Straße in München wurde der Fahrradweg im Juni 2021 aufgrund einer Baustelle auf die Straße abgeleitet, dort innerhalb von Schrankenzäunen an der Baustelle entlanggeführt und der Behelfsradweg anschließend wieder auf den Radweg zurückgeführt. Die beklagte Baufirma war für die Baustelle verkehrssicherungspflichtig. Im Juni 2021 fuhr die Klägerin gegen 23:45 Uhr mit dem E-Bike auf dem Radweg im Bereich der Baustelle. Sie stürzte beim Auffahren auf den Radweg am Ende der Umleitung. Die Klägerin erlitt u.a. eine schwere Weichteilprellung, eine Brustkorbprellung sowie eine Prellung des linken Knies. Ihr entstanden Behandlungskosten in Höhe von 621 Euro und Kosten für die Reparatur des E-Bikes in Höhe von insgesamt 551,70 Euro.

Die zwischen den Parteien insbesondere streitige Frage, ob zum Unfallzeitpunkt zur Sicherung des Radwegs eine Anrampung vorhanden war, konnte im Rahmen der Beweisaufnahme aufgrund sich widersprechender Zeugenangaben nicht geklärt werden.

Die Klägerin behauptete, der Behelfsradweg auf der Straße sei zum Unfallzeitpunkt ohne Anrampung wieder auf den eigentlichen Radweg zurückgeführt worden. Sie sei an dieser Stelle der Aufleitung gestürzt. Außerdem seien zum Unfallzeitpunkt die Warnleuchten an den Schrankenzäunen nicht in Betrieb gewesen.

Amtsgericht wies Klage ab

Das Gericht wies die Klage ab und begründete dies wie folgt: Der Klägerin sei es nicht gelungen, nachzuweisen, dass eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten kausal zu dem Sturz der Klägerin geführt hat.

Zwar war die Beklagte unstreitig für die Sicherung des umgeleiteten Radwegs zuständig. Ihr war auch mit der verkehrsrechtlichen Erlaubnis der Stadt München aufgegeben worden, zur Ermöglichung einer sicheren Benutzung in Übergangsbereichen des umgeleiteten Radwegs, sofern nicht bereits Absenkungen vorhanden sind, geeignete verkehrssichere Anrampungen zu schaffen.

Rampe vorhanden oder nicht keine gerichtliche Klärung möglich

Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme konnte sich das Gericht jedoch nicht die Überzeugung bilden, dass die Beklagte dieser Anordnung nicht nachgekommen ist, bzw. ein Verstoß hiergegen kausal zu dem Sturz der Klägerin geführt hat. Es hätten, so das AG, einander widersprechende Angaben dazu vorgelegen, ob zum Unfallzeitpunkt eine Anrampung vorhanden gewesen ist oder nicht. Keine der Angaben erschien dem Gericht glaubwürdiger und glaubhafter.

Auch aus den in Augenschein genommenen Lichtbildern lasse sich kein beweissicherer Rückschluss auf die Situation zum Unfallzeitpunkt ziehen. Lichtbilder direkt vom Unfalltag lagen nicht vor. Eine Verkehrspflichtverletzung der Beklagten im Hinblick auf die Höhe der Bordsteinkante hätte die Klägerin daher nicht nachweisen können.

Auch ein möglicherweise falsches Aufstellen der Schrankenzäune habe nicht zur Überzeugung des Gerichts kausal zum Sturz der Klägerin geführt. Aus oben genannten Gründen konnte es nicht beweissicher feststellen, dass die Klägerin allein deshalb zu Fall gekommen ist, weil die aufgestellten Schrankenzäune den Radweg so geführt haben, dass sie über einen erhöhten Bordstein fahren musste.

Die Beleuchtung der Warnbaken/Schrankenzäune hat nach Auffassung des Gerichts nicht die Funktion, die Fahrbahn selbst zu beleuchten. Sinn und Zweck der Beleuchtung sei es lediglich, den Verlauf des Weges anzuzeigen. Damit falle eine eventuelle unterbliebene Beleuchtung nicht in den Schutzzweck der Norm für die von der Klägerin geltend gemachten Schäden und Schmerzensgeld.

Quelle: AG München, Urteil vom 9.1.2023, 159 C 1797/22, PM 35/23

Verkehrsgefährdung: Mithaftung nach Unfall beim Überholen einer Fahrzeugkolonne

Überholen darf nur, wer eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vollständig ausschließen kann. Das ist beim Überholen einer Kolonne (hier hinter einem Traktor) oft nicht einfach. Wenn es in dieser Situation zum Unfall durch zwei ausscherende Fahrzeuge kommt, zahlen in der Regel beide Unfallbeteiligte, sagt das Landgericht (LG) Lübeck.

Staubildung auf Landstraße Unfall beim Überholen

Auf einer Landstraße hatte sich hinter einem Traktor eine Kolonne gebildet. Ganz am Ende der Kolonne fuhr der Kläger und vor ihm noch zwei weitere Autos. Nachdem ein Überholverbot endete, begann der Kläger, die Kolonne von hinten links zu überholen. Als er schon auf der Höhe des Wagens direkt hinter dem Traktor war, scherte dessen Fahrerin ebenfalls zum Überholen aus. Der Kläger versuchte noch, auszuweichen und schrammte letztlich aufgrund des Manövers am Traktor entlang. Es entstanden erhebliche Schäden.

Gefährdung anderer ausgeschlossen?

Das Gericht legte seiner Entscheidung zugrunde, dass die ausscherende Fahrerin nur hätte überholen dürften, wenn die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen gewesen wäre. Die Fahrerin habe dies aber nicht beweisen können, denn bereits der Umstand, dass es zu dem Unfall gekommen sei, spräche dafür, dass sie gerade nicht gut genug aufgepasst habe.

Der Kläger hingegen habe die Kolonne grundsätzlich überholen dürfen. Zwar gelte die Regel, dass bei „unklarer Verkehrslage“ nicht überholt werden dürfe. Von einer unklaren Verkehrslage sei aber nur auszugehen, wenn sich für den nachfolgenden Fahrer nicht sicher beurteilen lasse, was der Vorausfahrende jetzt gleich tun werde. Hier sei jedoch nichts unklar gewesen. Nicht jede Kolonne sei per se eine „unklare Verkehrslage“. Und auch sonst seien im Prozess keine Umstände feststellbar gewesen, die gegen einen Überholversuch gesprochen hätten.

Verschuldensanteile

Trotzdem müsse sich der Kläger an dem Schaden beteiligen. Der Unfall sei auch für ihn nicht völlig unvermeidbar gewesen. Auch wenn das Überholen einer Kolonne nicht verboten sei, hätte ein „Idealfahrer“ dies angesichts der damit verbundenen Selbst- und Fremdgefährdung unterlassen. Die generelle Haftung eines Autofahrers (die sog. „Betriebsgefahr“) entfalle daher nicht völlig.

Im Ergebnis mussten die ausscherende Fahrerin 80 Prozent und der Kläger 20 Prozent des Schadens tragen.

Quelle: LG Lübeck, Urteil vom 28.7.2023, 9 O 27/21, PM vom 19.10.2023

Führerscheinentzug: Folgen einer Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter

Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig hat klargestellt: Die Fahrt mit einem E-Scooter im Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit führt regelmäßig zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis.

Amtsgericht war noch milde gestimmt

Der Angeklagte befuhr in Göttingen in alkoholisiertem Zustand eine Straße mit einem E-Scooter. Bei einer Kontrolle stellten die Polizeibeamten einen Blutalkoholwert von 1,83 Promille fest. Das Amtsgericht (AG) verurteilte ihn daraufhin wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe. Daneben verhängte es als weitere Strafe ein Fahrverbot, sah aber von einer Entziehung der Fahrerlaubnis ab. Zwar gelte nach dem Strafgesetzbuch (hier: § 69 StGB), dass ein Täter, der wegen Trunkenheit im Verkehr verurteilt wird, in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen sei. Jedoch habe der Angeklagte „nur“ einen E-Scooter verwendet und mit diesem lediglich eine kurze Strecke zurückgelegt.

Staatsanwaltschaft widersprach

Die Staatsanwaltschaft Göttingen hat dieses Urteil nicht akzeptiert. Das AG stelle bei seiner Entscheidung, von der Entziehung der Fahrerlaubnis abzusehen, rechtsfehlerhaft darauf ab, dass der Angeklagte nicht mit einem PKW, sondern mit einem E-Scooter gefahren sei. Dies widerspreche der gesetzgeberischen Wertung, wonach der E-Scooter als Kraftfahrzeug einzustufen und die Fahrerlaubnis beim Führen von Kraftfahrzeugen in fahruntüchtigem Zustand regelmäßig zu entziehen sei, so auch die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig in ihrer Antragsschrift.

Oberlandesgericht: Promillegrenze mindestens wie für Radfahrer

Dieser Argumentation ist das OLG nun gefolgt. Es ist ebenso wie bereits das AG von einer absoluten Fahruntüchtigkeit des Angeklagten ausgegangen. Dies folge daraus, dass der E-Scooter in seiner Fahreigenschaft und seinem Gefährdungspotenzial einem Fahrrad mindestens gleichzustellen sei und der Angeklagte den nach der obergerichtlichen Rechtsprechung für Fahrradfahrer geltenden Grenzwert von 1,6 Promille überschritten habe. Ob für E-Scooter auch der für Kraftfahrzeugführer geltende Grenzwert von 1,1 Promille gilt, musste das OLG danach nicht entscheiden.

Es lagen keine Ausnahmetatbestände vor

Aufgrund der Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt sei gemäß Strafgesetzbuch (§ 69 StGB) auch davon auszugehen, dass der Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei. Abweichend von der erstinstanzlichen Entscheidung hat das OLG nach dem bisher festgestellten Sachverhalt keine besonderen Umstände ausmachen können, die eine Ausnahme von dieser Regelvermutung rechtfertigten.

Ein E-Scooter sei ein Kraftfahrzeug im Sinne dieser Vorschrift. Damit greife die Regelvermutung zunächst einmal. Ob von dieser ausnahmsweise abzuweichen sei, sei von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Allein die Art des Kraftfahrzeugs könne eine Ausnahme nicht begründen und auch nicht als stets mildernd berücksichtigt werden.

Ein Kilometer ist keine „Kurzfahrt“

Auch die weiteren vom AG angeführten Gründe tragen nicht die Annahme eines Ausnahmefalls. Insbesondere handele es sich bei einer Fahrtstrecke von einem Kilometer nicht um eine kurze Fahrt.

Quelle: OLG Braunschweig, Urteil vom 30.11.2023, 1 ORs 33/23, PM vom 15.12.2023

Pkw-Kollision: Haftung: Unfall mit einem verkehrswidrig wendenden Auto

Ein Autofahrer darf sich nicht darauf verlassen, dass ein verkehrswidrig auf seiner Fahrbahn zwecks Wenden querstehendes Fahrzeug rechtzeitig weiterfährt, sondern muss eine Kollision ggf. durch vollständiges Anhalten seines Fahrzeugs verhindern. So sieht es das Landgericht (LG) Hanau.

Den Fahrer eines Fahrzeugs, der in ein anderes Fahrzeug, das auf seiner Fahrbahn vor ihm verkehrswidrig wendet, hineinfährt, obwohl er die Kollision durch vollständiges Abbremsen hätte verhindern können, trifft danach ein 50%iges Mitverschulden an dem Unfall.

Ein Autofahrer beabsichtigte, mit seinem Fahrzeug verkehrswidrig auf der Straße zu wenden. Zu diesem Zweck schlug er zum Wenden ein, musste jedoch auf seiner Fahrspur halten, da sich auf der Gegenfahrbahn noch Gegenverkehr befand. Der zweite Autofahrer näherte sich dem ersten Fahrzeug auf derselben Fahrbahn. Nachdem er das vor ihm quer stehende Fahrzeug bemerkte, hupte er und verlangsamte seine Geschwindigkeit, fuhr jedoch sodann in das erste Fahrzeug hinein. Obwohl der Fahrer des ersten Fahrzeugs dem des zweiten Fahrzeugs die Hälfte des ihm entstandenen Schadens ersetzt hatte, machte der auch die übrigen Schadenskosten geltend, da er der Ansicht war, dass der Verkehrsunfall ausschließlich von dem Fahrer des ersten Fahrzeugs aufgrund seines verkehrswidrigen Wendemanövers verursacht worden sei.

Das LG folgte dieser Ansicht jedoch nicht, sondern hielt beide Verkehrsteilnehmer zu gleichen Teilen für den Verkehrsunfall für mitverantwortlich. Zwar sei dem Fahrer des ersten Fahrzeugs zunächst vorzuhalten, dass er verkehrswidrig auf der Straße gewendet und zudem quer auf der Fahrbahn zum Stehen gekommen sei. Demgegenüber sei dem anderen Autofahrer ein im Ergebnis gleich hohes Fehlverhalten vorzuwerfen. Denn dieser hätte nicht darauf vertrauen dürfen, dass der erste Fahrer sein Fahrzeug von der Fahrbahn entfernt, bevor er die Stelle passiert. Obwohl er tatsächlich rechtzeitig abbremsen konnte, habe er lediglich seine Geschwindigkeit verringert und sei somit ohne zwingenden Grund in das Beklagtenfahrzeug hineingefahren. Das stelle einen Verstoß gegen das allgemeine verkehrsrechtliche Rücksichtnahmegebot dar.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle: LG Hanau, Hinweisbeschluss vom 13.6.2023, 2 S 62/22

Schadenersatz: Mietwagenkosten bei Homeoffice mit Rufbereitschaft

Wenn der Geschädigte in ländlicher Gegend ohne ausgeprägten öffentlichen Nahverkehr lebt und im Homeoffice, aber mit Rufbereitschaft arbeitet, ist auch ein Kilometerverbrauch von durchschnittlich 12,5 Kilometern pro Tag ausreichend, um die Mietwagenkosten als erforderlich anzusehen. So sieht es das Amtsgericht (AG) Nördlingen.

Bei einer Mietwagennutzung von unter 20 km/Tag greift die Erforderlichkeitsvermutung nicht. Das bedeutet: Der Geschädigte muss Gründe vortragen und ggf. beweisen, warum der Mietwagen dennoch für ihn notwendig war. Rufbereitschaft, also die zunächst ungewisse, aber später im Bedarfsfall dringende Fahrzeugnutzung, hatte ein anderes AG zuvor bereits für einen Feuerwehrmann anerkannt.

Quelle: AG Nördlingen, Urteil vom 21.7.2023, 1 C 129/23

Nutzungsausfall: Fahrschule darf typgleichen Mietwagen nehmen

Fällt ein Fahrschulwagen unfallbedingt aus, darf die Fahrschule einen typgleichen Ersatzwagen anmieten. Es ist nicht zumutbar, auf ein anderes Modell auszuweichen. So sieht es das Amtsgericht (AG) München.

Das AG: Es sei amtsbekannt, dass es für Fahranfänger außerordentlich wichtig ist, ihre Fahrstunden und Prüfungsstunden in dem gewohnten Fahrzeugmodell zu absolvieren.

Fahrschulwagen, vor allem typgleiche, seien nur bei sehr wenigen Spezialanbietern zu finden. Die hohen Zustell- und Abholkosten vom räumlich entfernten Vermieter hat das Gericht daher ebenfalls „durchgewunken“.

Quelle: AG München, Urteil vom 9.8.2023, 322 C 13019/22

Schadenersatz: Wie lange gibt es Neuwertentschädigung für verunfalltes Motorrad?

Neuwertentschädigungsfälle auf der Grundlage „Nicht älter als ein Monat, nicht mehr als 1.000 km Laufleistung und erheblicher Schaden“ sind selten. Noch seltener sind sie bei einem Motorrad. Nun hat das Amtsgericht (AG) Leipzig in einem solchen Fall die begehrte Neuwertentschädigung zugesprochen.

Das war geschehen

Ein Motorrad, das zum Unfallzeitpunkt vier Tage alt war und 128 km Laufleistung aufwies, hatte einen Verkehrsunfall. Ein Pkw war aufgefahren. Unter anderem waren das Hinterrad und die Hinterradschwinge beschädigt. Die Reparaturkosten beliefen sich auf etwa die Hälfte des Neupreises. Der Versicherer vertrat die Auffassung, es liege kein erheblicher Schaden vor.

So argumentierte das Gericht

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte einmal entschieden, dass ein erheblicher Schaden gegeben ist, wenn dieser nicht nur „Schraubteile“ betrifft, sondern in die Substanz des Fahrzeugs eingreift. Außerdem muss das Neufahrzeug bereits erworben sein.

Bei Motorrädern ist insoweit problematisch, dass mit Ausnahme des Rahmens als solchem alle Teile an- und abgeschraubt werden können. Das gilt sogar für Hilfsrahmen und auch für die Hinterradschwinge, die das Hinterrad führt und Federbewegungen zulässt. Die Hinterradschwinge ist hochgradig sicherheitsrelevant, aber eben ein Schraubteil. Daran lässt sich leicht erkennen, dass die Kriterien für den Pkw schlecht auf Motorräder zu übertragen sind.

Der Auffassung, ein Schaden in Höhe eines halben Neupreises bei Einbeziehung sicherheitsrelevanter Teile sei nicht erheblich, widersprach das AG Leipzig. Es orientierte sich letztlich an den Reparaturkosten. Dem werden manche Gerichte nicht folgen. In anderen Fällen ist es aber gut, die Entscheidung zu kennen.

Quelle: AG Leipzig, Urteil vom 5.4.2023, 103 C 2950/22