Verkehrssicherungspflicht: Über Wurzelschaden auf Radweg gestürzter Rennradfahrer erhält keinen Schadenersatz von Gemeinde

Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die gegen eine Gemeinde gerichtete Schadenersatzklage eines Rennradfahrers abgewiesen, der auf einem Radweg aufgrund von Wurzelschäden gestürzt war. Ein Radfahrer müsse seine Fahrweise so einrichten, dass er sichtbare Hindernisse auf einem Radweg rechtzeitig wahrnehmen und vor ihnen anhalten kann, so das LG.

Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht

Grundsätzlich muss der, der eine Gefahrenquelle (z. B. eine aus dem Boden ragende Baumwurzel) schafft oder eine solche andauern lässt, notwendige und zumutbare Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern (sog. „Verkehrssicherungspflicht“). Er muss Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen.

Ausnahmen von der Verkehrssicherungspflicht

Dies gilt jedoch nur, soweit sie für andere trotz aufmerksamen Verhaltens im Straßenverkehr nicht erkennbar oder nicht beherrschbar sind. Die Anforderungen an die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht für einen Radweg bemessen sich an einem normalen Radfahrer mit einer üblichen Geschwindigkeit.

Rennradfahrer muss besonders vorsichtig sein

Ein Rennradfahrer muss von sich aus besonders vorsichtig fahren, da er mit seinen dünnen Reifen bei Unebenheiten im Boden besonders gefährdet ist. Vorliegend seien die Wurzelschäden nach Ansicht der Kammer gut und rechtzeitig erkennbar gewesen.

Wurzelschäden waren sichtbar

Das LG: Der Wegabschnitt habe auch an anderen Stellen Unebenheiten, wie Bodenschwellen, Risse oder eben Wurzelschäden aufgewiesen, sodass Schäden auch an der Unfallstelle nicht überraschend gewesen sein könnten. Ein konzentrierter Radfahrer hätte sein Fahrverhalten an die vorgefundenen Hindernisse anpassen können und müssen. Aufgrund der ausreichenden Erkennbarkeit der Wurzelschäden sei auch eine Warnung bspw. durch ein Hinweisschild nicht erforderlich gewesen.

Auch ein unter Umständen störendes Licht- und Schattenspiel auf dem Radweg wegen eines ungünstigen Sonnenstands, weswegen der Rennradfahrer das Hindernis nicht erkannt haben will, ändere daran nichts. Auf witterungsbedingte Umstände müsse sich ein Radfahrer einstellen und dementsprechend noch vorsichtiger fahren.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle: LG Frankenthal, Urteil vom 31.8.2023, 3 O 71/22, PM vom 29.12.2023

Unfallschaden: Reparaturkosten: Neue Anhängerzugvorrichtung nach Auffahrunfall ist zu ersetzen

Bei der Unfallschadenabwicklung sind die Kosten für die Erneuerung der Anhängerzugvorrichtung oft umstritten. Geschädigtenfreundlich hat das Amtsgericht (AG) Tettnang nun klargestellt: Nach einem Auffahrunfall darf sich der Geschädigte auf das Gutachten verlassen. Der Versicherer muss die Kosten für die Erneuerung folglich tragen.

Gutachter ging auf „Nummer sicher“

Bei dem Auffahrunfall war ein Schaden von über 9.200 Euro an Reparaturkosten entstanden. Die Anhängerzugvorrichtung hatte unfallbedingte Kontaktspuren, war jedoch nicht verformt. Sicherheitshalber sah der Schadengutachter sie zur Erneuerung vor. Er begründete das mit unkalkulierbaren Risiken und damit, dass die Kosten der Untersuchung des Materials einschließlich der Ausfalldauer des Fahrzeugs hoch seien.

Es kommt nur auf das Gutachten an

Der Versicherer bestritt im Rahmen der konkreten Abrechnung nach durchgeführter Reparatur die Notwendigkeit der Erneuerung. Ein Schaden daran sei nicht objektiv nachgewiesen. Darauf kam es jedoch nach dem AG nicht an, sondern nur darauf, dass der Geschädigte auf das Gutachten und damit auf die Notwendigkeit der Erneuerung vertrauen durfte.

Quelle: AG Tettnang, Urteil vom 29.11.2023, 3 C 406/23

Schadenersatz: Abschleppkosten: Wenn das Auto „zwischengelagert“ wird

Darf man nach einem Unfall das Auto zunächst an anderer Stelle parken, bevor man es zur Werkstatt bringt? Mit dieser Frage musste sich jetzt das Landgericht (LG) Schweinfurt befassen.

Unfall außerhalb der Öffnungszeiten des Autohauses

Der Unfall ereignete sich außerhalb der Öffnungszeiten des Autohauses. Der Geschädigte brachte seinen Pkw daher zunächst zum Betriebshof des Abschleppunternehmers. Am anderen Tag wurde der Pkw zur Werkstatt weitertransportiert. Dort wurde es begutachtet und ein Totalschaden festgestellt.

Versicherer wollte zweites Abschleppen nicht bezahlen

Der Versicherer verweigert die Erstattung der Kosten für den zweiten Abschleppvorgang. Begründung: Entweder hätte das Fahrzeug gleich zum Autohaus verbracht werden müssen, oder es hätte als Totalschaden vom Abschlepphof aus verwertet werden müssen.

Landgericht zeigte sich geschädigtenfreundlich

Das LG Schweinfurt sah hier kein Hindernis: Wenn das Autohaus ab 18 Uhr geschlossen ist, sich der Unfall aber um 18:45 ereignet, geht das Zwischenlagern beim Abschleppunternehmer in Ordnung. Den Vortrag des Klägers, dass der Totalschaden für Laien nicht erkennbar war, hat der Versicherer nicht bestritten.

Quelle: LG Schweinfurt, Urteil vom 14.12.2023, 22 O 720/22

Straßenverkehrsordnung: Keine Pflicht zum Bilden einer Rettungsgasse auf nur autobahnähnlicher innerörtlicher Straße?

Die Straßenverkehrsordnung (hier: § 11 Abs. 2 StVO) sieht vor, dass auf einer Autobahn oder Außerortsstraße ggf. eine (Rettungs-)Gasse zur Durchfahrt von Polizei- oder Hilfsfahrzeugen gebildet werden muss. Das Amtsgericht (AG) Augsburg hatte diese Pflicht auch für eine Bundesstraße bejaht. Es hat den Betroffenen zu einer Geldbuße von 240 Euro verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Das hat das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) jetzt nicht mitgemacht.

Wortlaut des Gesetzes entscheidend

Es hat die Verurteilung aufgehoben. Die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse gilt dem eindeutigen Wortlaut der o. g. Vorschrift nach nicht für den innerstädtischen Verkehr auf einer Bundesstraße.

Amtsgericht überschritt Grenzen bei der Auslegung

Ein autobahnähnlicher Ausbau ändere daran nichts. Es überschreite die Grenzen zulässiger Auslegung, entgegen dem Gesetzeswortlaut (des § 11 Abs. 2 StVO) die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse auf einer autobahnähnlich ausgebauten innerörtlichen Straße anzunehmen.

Verstoß gegen andere Vorschrift möglich

Aber Achtung: Wer innerorts keine Rettungsgasse bildet, könnte gegen eine andere Vorschrift der StVO verstoßen (hier: § 38 Abs. 1 S. 2, § 49 Abs. 3 Nr. 3 StVO). Bei Verwendung des blauen Blinklichts zusammen mit dem Einsatzhorn müssen alle übrigen Verkehrsteilnehmer sofort freie Bahn schaffen. Um zu klären, ob dies im Fall des AG Augsburg so war, hat das BayObLG das Verfahren an das AG zurückverwiesen.

Quelle: BayObLG, Beschluss vom 26.9.2023, 201 ObOWi 971/23

Bundesgerichtshof: Haftung: Rückwärts in der Einbahnstraße

Eine Einbahnstraße darf nur in vorgeschriebener Fahrtrichtung befahren werden. Verboten ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Lediglich (unmittelbares) Rückwärtseinparken („Rangieren“) ist ebenso wie Rückwärtseinfahren aus einem Grundstück auf die Straße kein unzulässiges Rückwärtsfahren auf Richtungsfahrbahnen gegen die Fahrtrichtung. So stellte es der BGH jetzt fest.

Demgegenüber ist Rückwärtsfahren auch unzulässig, wenn es dazu dient, erst zu einer (freien oder freiwerdenden) Parklücke zu gelangen. Entsprechendes gilt, wenn das Rückwärtsfahren dazu dient, einem Fahrzeug die Ausfahrt aus einer Parklücke zu ermöglichen, um anschließend selbst in diese einfahren zu können.

Der Unfall ereignete sich, als der eine Verkehrsteilnehmer rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt in die Einbahnstraße einfuhr, während der andere unzulässig die Einbahnstraße rückwärts befuhr. Der Anscheinsbeweis, dass der, der rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt fährt, seinen Sorgfaltspflichten nicht genügt habe, wenn es dabei zu einer Kollision kommt, ist nicht anzuwenden. Denn das verbotene Rückwärtsfahren des Unfallgegners hebt das „typische Geschehen“ auf, das für die Anwendung eines Anscheinsbeweis nötig ist. Der Ausfahrt-Ausfahrer muss grundsätzlich nicht mit einem verbotswidrig die Einbahnstraße rückwärts befahrenden Verkehrsteilnehmer rechnen.

Quelle: BGH, Urteil vom 10.10.2023, VI ZR 287/22

Medizinisch-psychologische Untersuchung: MPU nur bei wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss

Wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss, die die Aufforderung rechtfertigen, ein medizinisch-psychologischen Gutachten beizubringen, liegen nur vor, wenn der Betroffene in mindestens zwei vom äußeren Geschehensablauf her eigenständigen Lebenssachverhalten je eine oder mehrere solche Zuwiderhandlungen begangen hat. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden.

Unfall und Unfallflucht

Die Klägerin begehrt die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Wegen in Tatmehrheit im Sinne des Strafgesetzbuchs begangener fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr sowie vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort hatte sie das Amtsgericht (AG) rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt und ihr die Fahrerlaubnis entzogen. Nach den Feststellungen im Strafurteil fuhr die Klägerin im April 2015 mit ihrem PKW in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand (Blutalkoholkonzentration von 0,68 Promille) auf den Parkplatz eines Supermarkts. Nach dem Einkauf parkte sie rückwärts aus und fuhr dabei auf einen hinter ihrem Fahrzeug stehenden PKW auf. Sie stieg aus und begutachtete den entstandenen Schaden. Anschließend fuhr sie in ihre Wohnung zurück, ohne die erforderlichen Unfallfeststellungen treffen zu lassen.

Als die Klägerin im März 2018 beim Beklagten die Neuerteilung der Fahrerlaubnis beantragte, forderte er von ihr die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Sie habe im April 2015 wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen, die Zweifel an ihrer Fahreignung begründeten. Zwischen den beiden Fahrten liege mit dem Aussteigen aus dem Fahrzeug und der Begutachtung des Schadens eine Zäsur. Da die Klägerin das Gutachten nicht beibrachte, lehnte der Beklagte die Fahrerlaubniserteilung ab.

Nur eine Trunkenheitsfahrt nicht zwei

Das Verwaltungsgericht (VG) hatte ihre Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat diese Entscheidung geändert und den Beklagten zur Erteilung der Fahrerlaubnis verpflichtet. Bei dem Geschehen im April 2015 habe es sich nicht um wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss gehandelt. Das setze voraus, dass es bei natürlicher Betrachtungsweise zu mindestens zwei deutlich voneinander abgrenzbaren Trunkenheitsfahrten gekommen sei. Bei dem Ausparkunfall nebst Aussteigen und Betrachten der Fahrzeuge habe es sich nur um eine kurzzeitige Unterbrechung gehandelt, die auch in der Gesamtbetrachtung mit der vorherigen Fahrtunterbrechung für den Einkauf keinen neuen und eigenständigen Lebenssachverhalt begründet habe.

Die vom Beklagten gegen das Berufungsurteil eingelegte Revision hatte keinen Erfolg. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Das OVG hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin im April 2015 nicht wie das Gesetz (hier: § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. b der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (FeV)) voraussetzt wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen hat. Das ist nur dann der Fall, wenn der Betroffene in mindestens zwei vom äußeren Geschehensablauf her eigenständigen Lebenssachverhalten je eine oder mehrere solche Zuwiderhandlungen begangen hat.

Trunkenheitsfahrt und Unfallflucht: einheitlicher Geschehensablauf

Auch wenn eine Trunkenheitsfahrt nach einem alkoholbedingten Unfall in Kenntnis der eigenen Fahruntüchtigkeit fortgesetzt wird, kann ein einheitlicher Geschehensablauf vorliegen. Im Fall der Klägerin ist die Annahme des OVG nicht zu beanstanden, dass die Trunkenheitsfahrt, die unfallbedingt nur für wenige Minuten unterbrochen war, einen einheitlichen Lebenssachverhalt darstellt.

Quelle: BVerwG, Urteil vom 14.12.2023, 3 C 10.22, PM 94/23

Autobahnunfall: LKW-Ladung muss man ordnungsgemäß sichern

Wer vorausschauend handelt, vermeidet später Nachteile, so könnte das Fazit einer Entscheidung des Landgerichts (LG) Lübeck lauten. Im vorliegenden Fall verlor ein LKW auf der Autobahn mangelhaft gesicherten Stahlschrott.

Lösten sich Teile vom Lkw?

Der Kläger fuhr mit seiner Ehefrau in seinem Auto auf der Autobahn. Vor ihm befand sich ein mit Stahlschrott beladener Lkw. Als sich der Kläger relativ nah am Lkw befand, fuhr dieser über eine Bodenwelle. Dadurch seien plötzlich mehrere kleine Gegenstände und Teile aus dem Lkw herausgefallen und hätten sein Auto getroffen, so der Kläger. Am Wagen sei ein erheblicher Schaden entstanden. Der Kläger verlangte deshalb den Schaden von der Halterin des LKW und deren Versicherung ersetzt.

Die Beklagten bezweifeln den vom Kläger geschilderten Sachverhalt: An dem besagten Tag sei mit dem LKW nur Stahlschrott transportiert worden. Wenn der sich gelöst hätte, hätte der Schaden am Auto ganz anders ausgesehen. Die Schäden am Wagen des Klägers seien nicht durch den Unfall verursacht worden.

Landgericht glaubte Kläger

Das LG hat die Beklagten jedoch trotzdem zur Zahlung verurteilt. Es folgte dabei der Darstellung des Klägers. Dieser habe detailliert geschildert, wo und wann sich Teile gelöst hätten und auf seinem Wagen eingeschlagen seien. Die Ehefrau des Klägers habe bestätigt, dass die Einschläge sehr laut waren. Sie habe sich intuitiv geduckt und dann erst von ihrem Handy hochgesehen und den Lkw bemerkt. Der Fahrer selbst habe zur Aufklärung wenig beitragen können, da er den Unfall gar nicht bemerkt habe.

Aber: Unfallpauschale reduziert

Einziger Wermutstropfen für den Kläger: Er bekam die von ihm geltend gemachte Unfallpauschale in Höhe von 25 Euro nur anteilig erstattet. Die Argumentation des Gerichts: Die Pauschale werde vor allem für höhere Kosten durch den Zeitaufwand nach dem Unfall sowie für die Telefon- und Internetkosten zugesprochen. Dies sei nicht mehr angemessen, da heutzutage fast jeder eine Telefon- und Internetflatrate habe und daher bei Anrufen nichts extra zahle. Folglich reduzierte das Gericht die Pauschale auf 20 Euro.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle: LG Lübeck, Urteil 19.12.2023, 10 O 38/23, PM vom 8.2.2024

Anscheinsbeweis: „Abgewürgter“ Fahrschulwagen: Wer haftet bei einem Auffahrunfall?

Auch wenn der Fahrschüler den Fahrschulwagen „abwürgt“: Wer auffährt, haftet. Das meint jedenfalls das Amtsgericht (AG) Sigmaringen.

Haftungsgrundsätze auch bei Fahrschulwagen gültig

Der Fehler des Fahrschülers ändert nichts am Anscheinsbeweis, dass der Auffahrende entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat, unaufmerksam war oder mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist.

„Fahrschule“-Schild: Erhöhte Aufmerksamkeit erforderlich

Die Ausstattung des Fahrschulwagens mit dem „Fahrschule“-Schild erhöht die Sorgfalts- und Aufmerksamkeitspflichten der übrigen Verkehrsteilnehmer. Die Betriebsgefahr des Fahrschulwagens wird in dieser Situation dadurch vollständig verdrängt.

Quelle: AG Sigmaringen, Urteil vom 6.11.2023, 1 C 32/23

Sorgfaltspflicht: Haftung bei Anfahren vom Straßenrand

Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Bei einem Unfall, der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Einfahren von einer Parkbucht in den Straßenverkehr stattfindet, gilt das einfahrende Fahrzeug als Verursacher, wenn eine weitere Aufklärung nicht möglich ist.

Der Fahrer eines zuvor in einer Parkbucht am Straßenrand stehenden Fahrzeugs ist mit diesem in den Straßenverkehr eingefahren. Hierauf kam es zu einer Kollision mit einem dort in gleicher Richtung fahrenden Wagen. Über den Unfallhergang machten die Beteiligten jeweils unterschiedliche Angaben.

Das AG hat entschieden, dass der Verkehrsunfall vollständig von dem einfahrenden Fahrzeug verursacht wurde. Zwar ließ sich das Geschehen überwiegend nicht mehr aufklären, allerdings habe derjenige, der vom Straßenrand in den Verkehr einfährt, nach der Straßenverkehrsordnung besonders darauf zu achten, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet.

Aufgrund der zeitlichen und örtlichen Nähe des Unfallgeschehens zu dem Einfahren des parkenden Fahrzeugs in den Straßenverkehr bestehe daher der Anschein, dass dessen Fahrer nicht ausreichend auf den Verkehr geachtet und somit den Unfall herbeigeführt habe. Dafür spreche zudem, dass seine Version des Unfallgeschehens, er sei bereits einige Zeit auf der Straße gefahren, mit dem Schadensbild nicht in Einklang zu bringen sei. Zudem habe der Fahrer selbst erklärt, das andere Fahrzeug erst durch den Anstoß bemerkt zu haben, was darauf hinweise, dass er das Verkehrsgeschehen beim Losfahren von dem Parkplatz nicht ausreichend beobachtet habe.

Quelle: AG Hanau, Urteil vom 5.6.2023, 39 C 329/21 (19)

Schadenersatz: Ersatzfähigkeit der Kosten für die Verwahrung eines privat abgeschleppten KFZ

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Zu den erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs gehören auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen.

Das war geschehen

Der Kläger ist Halter und Eigentümer eines Pkw, den er an seine Schwester verliehen hatte. Diese stellte das Fahrzeug unbefugt auf einem Privatgrundstück ab, das von der Streithelferin der Beklagten für die Grundstückseigentümerin verwaltet wird. Im Auftrag der Streithelferin schleppte die Beklagte, die ein Abschleppunternehmen betreibt, das Fahrzeug ab und verbrachte es auf ihr Firmengelände. Auf das nach fünf Tagen geäußerte Herausgabeverlangen des Klägers reagierte die Beklagte nicht.

So sahen es die Vorinstanzen

Der Kläger hat von der Beklagten erstinstanzlich die Herausgabe des Fahrzeugs verlangt. Die Parteien haben den Rechtsstreit insoweit zwischenzeitlich übereinstimmend für erledigt erklärt. Nicht mehr im Streit steht auch der mit der Widerklage verlangte Ersatz der Abschleppkosten. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Teil, mit dem die Beklagte den Kläger auf Ersatz der Verwahrkosten in Höhe von knapp 5.000 Euro aus abgetretenem Recht der Streithelferin in Anspruch nimmt (15 Euro pro Tag der Verwahrung). Das Landgericht (LG) hat dem stattgegeben. Das Oberlandesgericht (OLG) hat das landgerichtliche Urteil dahingehend geändert, dass die Beklagte Ersatz der Verwahrkosten nur in Höhe von 75 Euro für fünf Tage verlangen kann. Mit der Revision zum BGH will die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen. Der Kläger verfolgt demgegenüber die vollständige Abweisung der Widerklage.

So sieht es der Bundesgerichtshof

Der BGH hat die Ansprüche beider Parteien zurückgewiesen. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagten stehe aus abgetretenem Recht der Streithelferin (nur) ein Anspruch auf Ersatz der in den ersten fünf Tagen der Verwahrung angefallenen Verwahrkosten zu, sei frei von Rechtsfehlern.

Kosten der Verwahrung gehören zum Abschleppvorgang

Zu den nach den Vorschriften der sog. berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der anschließenden Verwahrung des Fahrzeugs entstehen. Diese Kosten dienen noch der Abwicklung des Abschleppvorgangs. Der Grundstücksbesitzer nimmt mit dem Abschleppen ein Selbsthilferecht wahr, das einfach handhabbar sein muss und nicht mit Haftungsrisiken behaftet sein darf. Deshalb ist er nicht gehalten, einen Parkplatz im öffentlichen Parkraum ausfindig zu machen, sondern er darf das Fahrzeug in sichere Verwahrung geben.

Fahrzeughalter ist zu informieren

Der Grundstücksbesitzer ist allerdings gehalten, den Halter des abgeschleppten Fahrzeugs unmittelbar im Anschluss über den Abschleppvorgang zu unterrichten. Eine Verletzung dieser Pflicht kann zu einer Anspruchskürzung führen, wenn sie zur Folge hat, dass der Halter die Herausgabe seines Fahrzeugs anders als es hier der Fall war erst mit einer zeitlichen Verzögerung verlangen kann.

Der Erstattungsanspruch ist zudem zeitlich bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters begrenzt. Nachfolgend anfallende Verwahrkosten dienen nicht mehr der Abwicklung des Abschleppvorgangs, sondern sind nur noch auf eine Herausgabeverweigerung und die damit bezweckte Durchsetzung des entstandenen Kostenerstattungsanspruchs wegen der Besitzstörung zurückzuführen. Da der Kläger hier nach fünf Tagen sein Fahrzeug von der Beklagten herausverlangt hat, hat die Beklagte aus abgetretenem Recht der Streithelferin einen Anspruch auf Ersatz der bis zu dem Herausgabeverlangen angefallenen Verwahrkosten in Höhe von insgesamt 75 Euro.

Auch für die Zeit nach dem Herausgabeverlangen kommt grundsätzlich ein Anspruch auf Ersatz von weiteren Verwahrkosten in Betracht, nämlich dann, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die bisherige Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, sodass der Halter in Annahmeverzug gerät. Dennoch blieb die Beklagte vor dem BGH erfolglos, weil sie auf das Herausgabeverlangen des Klägers diesem die Herausgabe des Fahrzeugs nicht ordnungsgemäß in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten hat.

Quelle: BGH, Urteil vom 17.11.2023, V ZR 192/22, PM 190/23