Gebührenpflicht: „Schlechtes Programm“ befreit nicht von Rundfunkbeiträgen

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat entschieden: Gegen die Rundfunkbeitragspflicht kann nicht eingewandt werden, der öffentlich-rechtliche Rundfunk verfehle wegen mangelnder Programm- und Meinungsvielfalt seinen verfassungsmäßigen Funktionsauftrag.

Das war geschehen

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall wandte sich eine Frau gegen die Festsetzung von Rundfunkbeiträgen für ihre Wohnung. Sie machte geltend, die Beitragspflicht müsse wegen eines aufgrund mangelnder Meinungsvielfalt bestehenden „generellen strukturellen Versagens des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ entfallen. Es sei Aufgabe der Verwaltungsgerichte, im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht hierzu Feststellungen zu treffen. Das Verwaltungsgericht (VG) München wies die Klage in erster Instanz ab, ließ jedoch die Berufung zum BayVGH wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu.

So sah es der Bayerische Verwaltungsgerichtshof

Die hiergegen von der Frau eingelegte Berufung wies der BayVGH zurück. Denn der Rundfunkbeitrag werde nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ausschließlich als Gegenleistung für die Möglichkeit des Rundfunkempfangs erhoben. Ziel des Rundfunkbeitrags sei es, eine staatsferne bedarfsgerechte Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sicherzustellen.

Beschwerden über den Inhalt der Programme sind an die zuständigen Gremien zu richten

Die vom Grundgesetz garantierte Programmfreiheit setze die institutionelle Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten voraus und schütze sie zudem vor der Einflussnahme Außenstehender. Die Kontrolle, ob die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die verfassungsmäßigen Vorgaben erfüllen, obliege deshalb deren plural besetzten Aufsichtsgremien. Einwände gegen die Qualität der öffentlich-rechtlichen Programminhalte sowie andere Fragen der Programm- und Meinungsvielfalt könnten daher die Erhebung des Rundfunkbeitrags nicht in Frage stellen. Den Beitragspflichtigen stünden hierfür die Eingabe- und Beschwerdemöglichkeiten bei den gesetzlich vorgesehenen Stellen der Rundfunkanstalten offen.

Quelle: BayVGH, Urteil vom 17.7.2023, 7 BV 22.2642, PM vom 22.8.2023

Darlehensvertrag: Mithaftung für den Autokredit des „Ex“?

In guten Zeiten macht man sich häufig wenig Gedanken über die Konsequenzen einer Unterschrift. Wird man dann beim Wort genommen, kann es existenzbedrohend werden. So geschah es auch im Fall einer jungen Frau, über den das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg entschieden hat. |

(Ex-)Freundin unterschrieb den Darlehensvertrag mit

Die Anfang 20-Jährige verdiente als Verkäuferin in einer Bäckerei monatlich ca. 1.300 Euro netto. Sie unterschrieb neben ihrem Freund einen Darlehensvertrag über rund 90.000 Euro mit einer monatlichen Rate von knapp über 1.000 Euro. Der Freund wollte mit dem Geld alte Kredite umschichten und ein Auto kaufen.

Bank verklagte die (Ex-)Freundin

Zwei Jahre später kündigte die Bank den Kreditvertrag, weil der Freund die Raten nicht mehr bediente. Sie stellte die Restforderung von rund 50.000 Euro fällig. Weil sie von dem (inzwischen Ex-)Freund der jungen Frau das Geld nicht erhielt, verklagte die Bank die Frau vor dem Landgericht (LG) Osnabrück. Das LG verurteilte die Frau, den Betrag zu zahlen.

Höhere Instanz wies Klage ab

Hiergegen wandte sie sich an das OLG. Es gab der Frau Recht und wies die Klage der Bank ab: Die Frau sei keine echte Darlehensnehmerin, sondern habe lediglich eine Mithaftung übernommen. Es handle sich daher um eine einseitig belastende Vertragsabrede. Eine solche Abrede sei zwar möglich, im konkreten Fall aber wegen der Gesamtkonstellation und der offensichtlichen, krassen finanziellen Überforderung der Frau sittenwidrig und damit nichtig. Der Bank sei bei Vertragsschluss die emotionale Verbundenheit der Frau zu ihrem Freund bekannt gewesen, ebenso deren beengte finanziellen Verhältnisse, also die Tatsache, dass die Haftung die Frau finanziell ruinieren könne. Es widerspreche dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, wenn Banken ein solche Situation ausnutzten.

Die klagende Bank habe die sich daraus im konkreten Einzelfall ergebende Vermutung der Sittenwidrigkeit nicht widerlegen können. Insbesondere spreche es nicht gegen eine Sittenwidrigkeit, dass die junge Frau bei Vertragsschluss nichts von ihrer prekären Situation ahnte, weil sie irrtümlich glaubte, es gehe nur um 7.500 Euro für das Auto.

Quelle: OLG Oldenburg, Urteil vom 29.6.2023, 8 U 172/22, PM vom 20.7.2023

Supermarkt: Verbraucher dürfen zerdrückte Pfanddosen zurückgeben

Supermärkte müssen Pfand-Einwegdosen zurücknehmen. Das gilt selbst dann, wenn sie zerdrückt oder beschädigt sind. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart jetzt entschieden.

Verbraucherzentrale bekam Recht

Ein Verbraucher hatte sich bei der Verbraucherzentrale beschwert. Seine zerdrückten Pfanddosen hatte eine Supermarkt-Filiale abgelehnt, obwohl sie unmissverständlich als pfandpflichtig gekennzeichnet waren. Ihm wurde dabei unterstellt, er hätte die Dosen bereits zuvor in einen Pfandautomaten eingelegt. Daher seien sie im beschriebenen Zustand. Die Verbraucherzentrale klagte und bekam in erster und zweiter Instanz Recht.

Zustand der Dosen unerheblich

Das OLG: Das Verpackungsgesetz ist eindeutig. Es stelle keine Anforderungen an den Zustand der zurückzunehmenden Verpackung. Es widerspräche zudem ihrer Eigenschaft als Abfall, wenn die Dosen in einem Zustand nahe des Originalzustands sein müssten, um zurückgenommen werden zu können. Die Dosen würden später ohnehin zerstört.

Quelle: OLG Stuttgart, Urteil vom 15.6.2023, 2 U 32/22

Fehlende Aufklärung: Hypothetische Einwilligung im Arzthaftungsprozess

Oft beruft sich der behandelnde Arzt im Fall einer fehlerhaften Eingriffsaufklärung zwar darauf, der Patient hätte auch im Fall einer zutreffenden Aufklärung in die betreffende Maßnahme eingewilligt („hypothetische Einwilligung“). Ihn trifft aber die Beweislast für diese Behauptung, wenn der Patient plausibel macht, dass er wäre er ordnungsgemäß aufgeklärt worden vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte.

So sieht es der Bundesgerichtshof (BGH). Er entschied, dass dabei allerdings an die Substanziierung keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürften. Vom Patienten könne nicht verlangt werden, dass er darüber hinausgehend plausibel macht, er hätte sich im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung auch tatsächlich gegen die durchgeführte Maßnahme entschieden.

Quelle: BGH, Urteil vom 7.12.2021, VI ZR 277/19

(Freie) Meinungsäußerung: Persönlichkeitsrechte von transsexuellen Frauen

Das Landgericht (LG) Frankfurt am Main hat in drei Urteilen über Persönlichkeitsrechtsverletzungen von transsexuellen Frauen entschieden. Die Transfrauen waren jeweils gegen verschiedene Äußerungen auf sozialen Netzwerken oder in journalistischen Beiträgen vorgegangen. Das Gericht stellte klar: Eine Persönlichkeitsrechtsverletzung liegt vor, wenn nach umfassender Würdigung unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes der Äußerung der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Transfrau gegenüber dem Recht auf Meinungsäußerung der Presse oder des Netzwerknutzers überwiegt. In seinen heutigen Entscheidungen hat das LG eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts teilweise verneint und teilweise bejaht.

Grundsätzlicher Schutz gegeben, aber nicht gegen jede Äußerung

Das LG stellte klar, dass die geschlechtliche Identität Teil der zu achtenden Persönlichkeit eines Menschen sei. Jedoch sei nicht jede darauf bezogene, abwertende Äußerung per se unzulässig.

„#DubistEinMann“

In diesem Verfahren hatte die Antragstellerin, eine transsexuelle Frau und Aktivistin für Trans-Rechte, auf Twitter um Unterstützung für das sog. Selbstbestimmungsgesetz geworben. Dazu veröffentlichte die Antragsgegnerin einen Kommentar mit dem Zusatz: „#DubistEinMann“.

Den Eilantrag der Antragstellerin gegen diesen Kommentar hat das LG zurückgewiesen. Es erkannte darin eine Meinungsäußerung, weil der wertende Charakter im Vordergrund stehe. Eine ablehnende, polarisierende Haltung zum Einsatz für das Selbstbestimmungsgesetz und zur Transgeschlechtlichkeit im Allgemeinen werde daraus deutlich. „#DubistEinMann“ beinhalte aber weder eine Schmähkritik noch eine Beleidigung. Bei der Abwägung der Meinungsfreiheit der Nutzerin gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin sei zu berücksichtigen, dass der Kommentar im Kontext der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über den Entwurf für ein sog. Selbstbestimmungsgesetz erfolgt sei. Das Hashtag-Zeichen verdeutliche das, denn es werde auf Twitter verwendet, um unter einem Schlagwort Diskussionen zu eröffnen. „#DubistEinMann“ sei auch bereits zuvor auf Twitter genutzt worden. Obwohl das Wort „du“ die betroffenen transsexuellen Personen in besonders herausfordernder Form personalisiere, beziehe es sich hier nicht auf eine bestimmte, individuelle Person. Die Verwendung dieses Hashtags sei eine zulässige Meinungsäußerung im Rahmen der öffentlichen Diskussion.

„Totalitär tickende Transe zieht den Schwanz ein“

Die transsexuelle Antragstellerin dieses Verfahrens trägt im Personenstandsregister den Eintrag „weiblich“ und lebt seit 40 Jahren als Frau. Sie war gerichtlich gegen eine Äußerung des Antragsgegners vorgegangen, hatte jedoch später auf etwaige Unterlassungsansprüche verzichtet. Daraufhin veröffentlichte dieser auf seinem Blog einen Artikel mit der Überschrift „Versuchte Abmahnung gegen Ansage: Totalitär tickende Transe zieht den Schwanz ein.“

Dem Eilantrag auf Unterlassung dieser Äußerung hatte das LG im April 2023 entsprochen. Ein dagegen gerichteter Widerspruch des Antragsgegners blieb ohne Erfolg. Das Gericht erklärte: Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Antragstellerin liege vor, wenngleich auch hier die Grenze der Schmähkritik noch nicht überschritten worden sei. Der Begriff „Transe“ sei umgangssprachlich abwertend und kein bloßes vermeintlich neutrales Kurzwort für eine transsexuelle Person. Die herabwürdigende Intention der Äußerung werde durch das Attribut „totalitär tickend“ verstärkt. Die Aussagekomponente „zieht den Schwanz ein“ stelle außerdem unmissverständlich eine Assoziation zum männlichen Geschlechtsteil her und richte den Fokus auf die Frage seines (Nicht-)Vorhandenseins bei der Klägerin. Diese Hervorhebung habe keinen Sachbezug zu der vorangegangenen rechtlichen Auseinandersetzung zwischen den Parteien. Bei einer Gesamtwürdigung sei die Äußerung unzulässig.

„Transfrau (…) biologischer Mann (…) über 60-jähriger Mann“

Zwischen der Antragstellerin dieses Verfahrens und der transsexuellen Frau des zuvor genannten Rechtstreits besteht Personenidentität. Es ist bekannt, dass sie seit 40 Jahren als Frau lebt, ausschließlich einen weiblichen Vornamen nutzt, sich als Frau identifiziert und als solche angesprochen werden möchte. Auf dem Onlineportal der Antragsgegnerseite wurde im Februar 2023 ein Artikel veröffentlicht, in dem kritisiert wurde, dass eine gemeinnützige Stiftung die Antragstellerin in einem Rechtsstreit gegen eine junge Biologin finanziell unterstützt hatte. Diese hatte geäußert, es gebe biologisch (nur) zwei Geschlechter. In dem Artikel wurde die Antragstellerin zunächst als „Transfrau“ bezeichnet, später als „biologischer Mann“ und schlussendlich als „über 60-jähriger Mann, der (…) maßgeblich an dem Frauenhass beteiligt ist“, dem die Biologin seit Monaten ausgesetzt sei.

Einem Eilantrag der Antragstellerin, sie nicht, wie in diesem Artikel geschehen, als „Mann“ zu bezeichnen, hatte das LG im März 2023 stattgegeben. Diese Entscheidung hat das Gericht nun bestätigt. Es stellte klar: Im Rahmen der freien Rede sei eine scharfe, aggressive Sprache prinzipiell erlaubt. Auch sei sowohl eine Kritik an der Antragstellerin als auch an der finanziellen Unterstützung durch die gemeinnützige Stiftung zulässig. Die hier angegriffene Äußerung „über 60-jähriger Mann“ könne im Gesamtkontext aber nicht als bloße neutrale Feststellung des biologischen Geschlechts der Antragstellerin verstanden werden. Die Wortwahl sei vielmehr ein bewusstes Stilmittel, um einen plakativen Kontrast zu der jungen, weiblichen Biologin herzustellen und die klagende Transfrau als frauenhassenden Mann zu beschreiben dies, obwohl die Antragstellerin seit 40 Jahren erkennbar als Frau lebe. Im Gesamtkontext der getätigten Äußerung sei die Bezeichnung als „Mann“ daher bewusst verunglimpfend und persönlichkeitsrechtsverletzend.

Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Gegen sie kann Berufung bei dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main eingelegt werden.

Quelle: LG Frankfurt am Main, Urteile vom 6.7.2023, 2-03 O 228/23, 2-03 O 204/23 und 2-03 O 149/23, PM vom 6.7.2023

Grundsicherung: Verschwiegenes Vermögen führt zu Rückforderung durch Jobcenter

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden: Die unterbliebene Mitteilung von Kapitallebensversicherungen kann zu erheblichen Rückforderungen von Grundsicherungsleistungen führen, die den Wert der Versicherungen sogar übersteigen können.

Das war geschehen

Zugrunde lag das Verfahren einer 1958 geborenen Frau aus dem Landkreis Celle, die seit 2013 Grundsicherungsleistungen bezog. Weder im Antrag noch in der Folgezeit informierte sie das Jobcenter über zwei Kapitallebensversicherungen im Wert von rd. 13.500 Euro. Erst, als ihr Ex-Mann 2019 gegenüber dem Jobcenter seinen Anspruch auf die Hälfte der Versicherungsleistungen anmeldete, wurden die Verträge bekannt. Die Behörde machte daraufhin eine Rückforderung von rd. 14.000 Euro geltend, da der Vermögensfreibetrag von 9.600 Euro überschritten wurde und die Frau daher nicht hilfebedürftig gewesen sei.

So argumentierte die Klägerin

Hiergegen klagte sie und argumentierte, dass sie von den Verträgen keine Kenntnis gehabt habe. Ihr Ex-Mann habe diese zu Ehezeiten für sie abgeschlossen und habe die Unterlagen bei der Trennung mitgenommen. Sie habe erst jetzt von den Versicherungen erfahren und habe das Jobcenter umgehend informiert. Außerdem meinte sie, dass höchstens der Versicherungswert oberhalb des Freibetrags berücksichtigt werden könne.

Im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen stellte sich jedoch heraus, dass die Frau die Verträge persönlich unterschrieben und jährliche Wertmitteilungen erhalten hatte.

So entschied das Gericht

Das LSG hat die Rückforderung des Jobcenters bestätigt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Verträge ohne „Hartz-IV-Klausel“ kein geschütztes Altersvorsorgevermögen seien. Die Rückforderung sei auch nicht auf die den Vermögensfreibetrag der Frau übersteigenden ca. 4.000 Euro zu begrenzen. Vielmehr entfalle der Grundsicherungsanspruch der Frau in jedem Monat, in dem das Vermögen real vorhanden und nicht verbraucht sei, sodass die gesamten ca. 14.000 Euro zurückzuzahlen seien. Einen Vertrauensschutz hat das Gericht verneint, da die Klägerin die Verträge vorsätzlich verschwiegen hat. Ihr anderslautender Vortrag sei nicht glaubhaft.

Quelle: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.4.2023, L 11 AS 221/22, PM vom 15.5.2023

Schadenersatzforderung: Beschneidungsdepression: Krankenkasse muss kein neues Gutachten einholen

Bei der Verfolgung von Schadenersatzansprüchen aus ärztlichen Behandlungsfehlern sollen die Krankenkassen ihre Versicherten unterstützen. In einer aktuellen Entscheidung hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen die Grenzen dieses Anspruchs aufgezeigt.

Nach Beschneidung Depressionen

Geklagt hatte ein 57-jähriger Mann, bei dem 2019 eine Beschneidung aufgrund einer Phimose (dt. Vorhautverengung) durchgeführt wurde. Seit dem Eingriff leidet er an Impotenz und Schmerzen, die zu Depressionen geführt haben. Seine behandelnde Therapeutin diagnostizierte bei ihm eine „Anpassungsstörung nach Penisoperation“.

Behandlungsfehler?

Der Mann vermutete einen Behandlungsfehler und bat seine Krankenkasse um Unterstützung. Sein Ziel sei ein funktionsfähiges und schmerzfreies Geschlechtsteil, notfalls durch Transplantation einer Ersatzvorhaut. Zudem wolle er Schmerzensgeld verlangen, denn er sei nicht hinreichend über die Operation aufgeklärt worden.

Begutachtung durchgeführt

Die Krankenkasse beauftragte den Medizinischen Dienst (MD) mit der Begutachtung, der jedoch zu dem Ergebnis gelangte, dass eine Beschneidung nicht geeignet sei, Beschwerden wie Impotenz zu verursachen. Hiermit war der Mann nicht einverstanden. Nach seiner Auffassung müsse eine weitere Begutachtung stattfinden und seine Frau als Zeugin vernommen werden. Hierdurch könne ein Behandlungsfehler bestätigt werden.

Kein Anspruch auf weitere Begutachtung

Das LSG hat einen weitergehenden Unterstützungsanspruch verneint. Die Kasse habe ihrer gesetzlichen Hilfspflicht bereits durch Einholung des vorliegenden Gutachtens entsprochen. Nach dem Willen des Gesetzgebers ziele der Unterstützungsanspruch darauf ab, dem Versicherten eine mögliche Beweisführung in seiner Rechtsverfolgung zu erleichtern. Unterstützungsleistungen beschränkten sich regelmäßig auf die Verschaffung von Auskünften über die vom Arzt gestellten Diagnosen, die angewandte Therapie, die Namen der Behandler, die Anforderung ärztlicher Unterlagen von der Behandlung und die Begutachtung durch den MD. Der Umstand, dass der Kläger mit dem Ergebnis des Gutachtens nicht einverstanden sei, verpflichte die Kasse nicht dazu, ein weiteres Gutachten einzuholen oder Zeugen zu vernehmen.

Quelle: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25.5.2023, L 16 KR 432/22, PM vom 12.6.2023

Corona-Pandemie: Vergütungsansprüche einer Hochzeits-Fotografin nach Verlegung des Hochzeitstermins

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt über einen typischen „Corona-Fall“ entschieden. Es ging um ein Paar, das die Rückgewähr einer an eine Hochzeits-Fotografin geleisteten Anzahlung verlangte. Darüber hinaus begehrte es festzustellen, dass der Fotografin keine weiteren Vergütungsansprüche zustehen, weil das Paar wegen Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie den Hochzeitstermin verlegen musste und deshalb vom Vertrag zurücktrat bzw. diesen kündigte.

Das war geschehen

Die Kläger beabsichtigten, am 1.8.2020 kirchlich zu heiraten. Nachdem der Fotograf, der die standesamtliche Trauung begleitet hatte, zu diesem Termin verhindert war, wandten sich die Kläger an die Beklagte. Mit Schreiben vom 28.10.2019 bedankte sich die Beklagte für „die Beauftragung“ und stellte für „Reportage Hochzeit 01.08.2020 (1. Teilbetrag)“ 1.231,70 Euro von der insgesamt vereinbarten Vergütung in Höhe von 2.463,70 Euro in Rechnung. Die Kläger überwiesen den geforderten „1. Teilbetrag“.

Die Kläger beabsichtigten, zu ihrer kirchlichen Hochzeit 104 Gäste einzuladen. Die so geplante Hochzeit durchzuführen, war aufgrund von Beschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie nicht möglich. Die Kläger planten deshalb neu eine Hochzeitsfeier für den 31.7.2021 und teilten der Beklagten mit E-Mail vom 15.6.2020 mit, für den neuen Termin den Fotografen beauftragen zu wollen, der am 1.8.2020 verhindert gewesen sei. Daraufhin forderte die Beklagte ein weiteres Honorar von 551,45 Euro, was die Kläger ablehnten. Diese verlangten vielmehr, die bereits überwiesenen 1.231,70 Euro zurückzuzahlen und erklärten wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage den „Rücktritt von dem vorstehend bezeichneten Vertrag bzw. dessen Kündigung“.

Mit ihrer Klage begehrten die Kläger, die Beklagte zu verurteilen, 1.231,70 Euro und zusätzliche 309,40 Euro für außergerichtliche Kosten zu zahlen sowie festzustellen, dass sie nicht verpflichtet sind, weitere 551,45 Euro an die Beklagte zu zahlen.

Klage blieb in allen gerichtlichen Instanzen ohne Erfolg

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision haben die Kläger ihr Klagebegehren weiterverfolgt. Der BGH hat die Revision jedoch zurückgewiesen.

Der BGH: Das Berufungsgericht hat zu Recht die Ansprüche der Kläger auf Rückgewähr der Anzahlung und Feststellung, eine weitere Vergütung von 551,45 Euro nicht zu schulden, verneint.

Ein Anspruch auf Rückgewähr der Anzahlung folgt nicht daraus, dass der Beklagten die von ihr geschuldete Leistung unmöglich geworden ist. Denn ihr war es trotz der zum Zeitpunkt der geplanten Hochzeitsfeier geltenden pandemiebedingten landesrechtlichen Vorgaben möglich, fotografische Leistungen für eine kirchliche Hochzeit und eine Hochzeitsfeier zu erbringen. Das betreffende Landesrecht erlaubte kirchliche Hochzeiten und Hochzeitsfeiern sowie die Erbringung von Dienstleistungen und Handwerkstätigkeiten. Soweit die Kläger die Hochzeit und die Hochzeitsfeier wegen der nicht einzuhaltenden Abstände von mindestens 1,5 Metern nicht im geplanten Umfang (104 Gäste) durchführen konnten, führt das nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung.

Kein Rücktrittsrecht wegen Störung der Geschäftsgrundlage

Der Rückzahlungsanspruch folgt des Weiteren nicht aus einem Rücktrittsrecht der Kläger wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage oder einer ergänzenden Vertragsauslegung. Die ergänzende Vertragsauslegung, die Vorrang vor den Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage hat, ergibt, dass die pandemiebedingte Verlegung der für den 1.8.2020 geplanten Hochzeit und der Hochzeitsfeier keinen Umstand darstellt, der die Kläger zum Rücktritt vom Vertrag berechtigte. Der Umstand, dass die Kläger nach Absage des vereinbarten Termins nur aus Gründen, die nicht im Verantwortungsbereich der Beklagten liegen, einen anderen Fotografen bevorzugten, ist nach Treu und Glauben unter redlichen Vertragspartnern unerheblich und deshalb im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung nicht zu berücksichtigen.

Hier lag eine freie Kündigung des Vertrags vor

Den von den Klägern erklärten „Rücktritt“ bzw. die „Kündigung“ des Vertrags hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als freie Kündigung des Vertrags (§ 648 S. 1 BGB) ausgelegt und darauf aufbauend einen Vergütungsanspruch der Beklagten gemäß Bürgerlichem Gesetzbuch (hier: § 648 S. 2 BGB) in Höhe von 2.099 Euro festgestellt. Dementsprechend besteht nicht nur kein Rückzahlungsanspruch der Kläger in Höhe von 1.231,70 Euro, sondern ist auch die negative Feststellungsklage der Kläger unbegründet. Deshalb können die Kläger schließlich die Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht verlangen.

Quelle: BGH, Urteil vom 27.4.2023, VII ZR 144/22, PM 73/23

Verkehrssicherungspflicht: Erkennbare Unebenheiten im Außenbereich der Terrasse einer Gaststätte

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat jetzt bestätigt, dass der Besucher einer im Außenbereich einer Gaststätte liegenden Terrasse, deren Belag einen rustikalen, mediterranen Eindruck vermittelt, nicht mit einer vollständig ebenen Fläche rechnen kann. Der Gastwirt sei nicht verpflichtet, einen gänzlich gefahrfreien Zustand der Terrasse herzustellen. Gäste müssten ihren Gang den erkennbaren Bedingungen der Örtlichkeiten anpassen.

Sturz beim Gaststättenbesuch

Der Kläger besuchte am frühen Abend im Sommer 2021 an einem sonnigen und hellen Tag mit seiner Lebensgefährtin die Gaststätte des Beklagten. Diese verfügt über eine Terrasse im Außenbereich, die mit Natursteinen im Polygonalverfahren belegt ist. In den Zwischenräumen der Steine befindet sich Beton. Der Steinbelag weist Unebenheiten und Fugen auf.

Nachdem der Kläger seine Bestellung aufgegeben und die Toilette aufgesucht hatte, stürzte er auf dem Rückweg von der Toilette zu seinem Tisch und verletzte sich. Er nimmt den Beklagten auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Anspruch und behauptet, sich beim Sturz u.a. sechs Zähne ausgeschlagen zu haben.

Klage ohne Erfolg

Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger könne sich nicht auf Schadenersatzansprüche berufen, bestätigte das OLG. Es sei bereits nicht konkret vorgetragen, aus welchen Gründen der Kläger gefallen sei. Die vom Kläger betonte grundsätzlich Fehleranfälligkeit des menschlichen Ganges, der seinen Angaben nach zu den unsichersten Fortbewegungsvorgängen unter Lebewesen gehöre, falle nicht dem Beklagten zur Last. Der Kläger habe auch keine konkreten Angaben zur Ursache des Sturzes gemacht. Insbesondere habe er weder die konkrete Örtlichkeit des Unfalls noch die Ausgestaltung des dort befindlichen Bodenbelags dargelegt.

Gäste müssen sich den örtlichen Verhältnissen anpassen

Der Beklagte habe grundsätzlich nur die Vorkehrungen treffen zu müssen, die nach den berechtigten Sicherheitserwartungen der Besucher zur Abwehr von Gefahren erforderlich gewesen seien. Diesen Anforderungen habe der Beklagte hier genügt. Er sei nicht verpflichtet gewesen, „einen schlechthin gefahrenfreien Zustand der Terrassenfläche herzustellen“, sondern habe nur solchen Gefahren entgegenwirken müssen, auf die sich der Benutzer nicht einzustellen vermag. Dabei könne grundsätzlich von den Gästen verlangt werden, dass sie sich den gegebenen Verhältnissen anpassen und die Verkehrsfläche so hinnehmen, wie sie sich ihnen erkennbar darbiete. Das Erscheinungsbild der Terrasse habe hier den Nutzern unmittelbar verdeutlicht, dass sie beim Begehen der Fläche nicht auf ein sämtliche Unebenheiten nivellierendes Geländes stoßen. Der Gang sei damit den Örtlichkeiten anzupassen gewesen.

Soweit ein Gastwirt zwar auch damit rechnen müsse, dass seine Gäste wegen des Genusses von alkoholischen Getränken oder sonstiger Umstände in ihrer Gehsicherheit beeinträchtigt sein könnten, sei weder dargetan, dass der Belag bei verminderter Aufmerksamkeit kein gefahrloses Begehen ermöglichte, noch, dass der Kläger in seiner Gefahrenkognition vermindert gewesen sei.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Hinweisbeschluss vom 6.7.2023 und Beschluss vom 18.7.2023, 11 U 33/23, PM 48/23

Fehlender Informationsaustausch: Guthaben war schon ausbezahlt: Trotz Sparbuch kein Geld

“Wenn die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut“: Eine Bankkundin kann von ihrem Geldinstitut trotz Vorlage eines Sparbuchs keine Auszahlung einer Spareinlage von 70.100 Euro verlangen, wenn zuvor der Ehemann das Guthaben telefonisch auf Festgeldkonten umgeleitet hat. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe entschieden.

Das war geschehen

Im Jahr 1992 hatte die Klägerin bei der beklagten Bank ein Sparkonto eröffnet. Als letzte Eintragung in ihrem Sparbuch ist am 21.3.1997 eine Zinsgutschrift von 2.639,72 DM zum 30.12.1996, eine Bareinzahlung von 33.193,41 DM sowie ein Guthaben von 100.000 DM ausgewiesen. Die Klägerin hatte im Januar 2020 den Sparvertrag gekündigt, der Bank das nicht entwertete Sparbuch vorgelegt und die Auszahlung von 70.100 EUR verlangt. Die beklagte Bank hatte dagegen geltend gemacht, sie habe das Sparbuch am 16.4.1998 auf telefonische Weisung des dazu bevollmächtigten Ehemanns der Klägerin aufgelöst, das damalige Guthaben samt aufgelaufener Zinsen auf dem ebenfalls bei ihr geführten Girokonto der Klägerin als Bareinzahlung verbucht und den Betrag anschließend für die Klägerin und ihren Ehemann jeweils hälftig als Festgeld angelegt.

Das Landgericht (LG) wies die Klage nach Vernehmung der damals tätigen Bankmitarbeiter ab, weil es sich davon überzeugt hatte, dass das Guthaben am 16.4.1998 ausgezahlt und damit der Anspruch der Klägerin aus dem Sparvertrag erfüllt wurde.

Kreditinstitut hat die Beweislast

Die gegen das Urteil des LG erhobene Berufung der Klägerin hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Eine Bank darf zwar nicht schon deshalb die Auszahlung des in einem Sparbuch dokumentierten Guthabens verweigern, weil lange Zeit keine Eintragungen in dem Sparbuch vorgenommen wurden und die handelsrechtlichen Aufbewahrungspflichten abgelaufen sind. Vielmehr muss das Kreditinstitut auch in solchen Fällen beweisen, dass die Auszahlung des Sparbetrags bereits erfolgt ist. Die Unrichtigkeit eines Sparbuchs kann die Bank dabei nicht allein mit ihren internen Unterlagen nachweisen. Kommen jedoch weitere Umstände hinzu, kann dies zum Beweis genügen.

Sparbuchbetrag wurde nachweislich ausgezahlt

Dazu gehört im jetzt entschiedenen Fall insbesondere der Eingang eines Betrags auf einem anderen Konto der Berechtigten, der exakt der auf dem Sparkonto einschließlich Zinsen vorhandenen Sparsumme entspricht. Die von der Klägerin geäußerte Vermutung, diese auf ihrem Konto verbuchte Bareinzahlung vom 16.4.1998 stamme aus gesammelten Bareinnahmen des damals von den Eheleuten betriebenen Obsthandels, hat nicht zu Zweifeln des OLG an den von der Bank zu den Buchungsvorgängen vorgelegten Unterlagen geführt. Außerdem haben Zeugen, nämlich die damaligen Bankmitarbeiter, die Richtigkeit der bankinternen Dokumente bestätigt. Danach hatte der von der Klägerin bevollmächtigte Ehemann telefonisch die Auflösung des Sparbuchs, die Auszahlung auf das Girokonto und die anschließende Anlage als Festgeld beauftragt. Eine erneute Auszahlung des Geldes kann nicht verlangt werden.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Zwar hat das OLG die Revision nicht zugelassen. Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin jedoch Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) erhoben.

Quelle: OLG Karlsruhe, Urteil vom 20.12.2022, 17 U 151/21, PM 4/23