Minderungsansprüche: Pauschalreise: Reservierte Poolliegen können einen Mangel darstellen

Das Amtsgericht (AG) Hannover hat jetzt klargestellt: Eine Pauschalreise kann mangelhaft sein, wenn der Reiseveranstalter in einer Hotelanlage entweder nur wenige Poolliegen zur Verfügung stellt oder nicht einschreitet, wenn andere Reisegäste Poolliegen etwa mittels eines Handtuchs längere Zeit reservieren, ohne sie tatsächlich zu nutzen.

Das war geschehen

Der Kläger buchte für sich und seine Familie eine Pauschalreise zum Preis von insgesamt 5.260 Euro. Das gebuchte Hotel verfügte über sechs Swimmingpools und etwa 500 Poolliegen. Nach den ausgeschilderten Verhaltensregeln war es den Badegästen untersagt, Poolliegen für mehr als 30 Minuten zu reservieren, ohne sie zu nutzen. Tatsächlich war es aber so, dass Badegäste Poolliegen auch länger mit ihren Handtüchern reservierten. Leitung und Personal des Hotels unternahmen nichts dagegen. Der Kläger und seine Familie hingegen hielten sich an die vorgegebenen Verhaltensregeln. Der Kläger rügte mehrfach, dass ihm und seiner Familie deswegen keine Liegen zur Verfügung gestanden hätten. Darin sah der Kläger einen Reisemangel und forderte von dem Reiseveranstalter (der Beklagten) u. a. einen Teil des Reisepreises (798,00 Euro) zurück.

Die Beklagte war der Auffassung, dass es sich um ein friedliches Wettrennen um die begehrten Plätze am Pool mit dem besseren Ende für den sprichwörtlichen „frühen Vogel“ gehandelt habe, nicht aber um einen Reisemangel. Möglicherweise hätten sich nur der Kläger und seine Familie an die Poolregeln gehalten, obwohl sie nicht mit Sanktionen hätten rechnen müssen, wenn der Kläger abends oder seine Lebensgefährtin morgens zum Sonnenaufgang sein Handtuch auf eine Liege gelegt hätte.

Amtsgericht: Pflicht des Reiseveranstalters

Das AG hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger einen Betrag von 322,77 Euro zugesprochen. Dabei hat es angenommen, dass der Reiseveranstalter nicht gehalten ist, jedem Hotelgast eine Liege zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müsse die Anzahl der Liegen in einem angemessenen Verhältnis zur Auslastung des Hotels und damit zur Anzahl der Hotelgäste stehen. Stünden zwar genug Liegen zur Verfügung, seien diese für den Reisenden aber faktisch nicht nutzbar, weil andere Hotelgäste entgegen den Verhaltensregeln Poolliegen mit eigenen Handtüchern reservierten, ohne sie zu nutzen, sei der Reiseveranstalter zum Einschreiten verpflichtet.

Gäste mussten nichts selbst unternehmen Reisepreisminderung von 15 Prozent

Es sei in diesem Zusammenhang auch nicht Sache des Reisenden, selbst für Abhilfe zu sorgen, indem er entweder fremde Handtücher eigenmächtig entferne oder seinerseits entgegen den Verhaltensregeln Liegen reserviere. Dies sei unzumutbar, da Streitigkeiten mit anderen Hotelgästen zu befürchten seien, auf die sich kein Reisender einlassen müsse.

Das Gericht gelangte zu der Überzeugung, dass es dem Kläger und seiner Familie mit Ausnahme des letzten Tages nicht möglich gewesen sei, nach dem Frühstück ab etwa 9.00 Uhr Poolliegen zu nutzen, weil diese entweder belegt, durch Handtücher anderer Badegäste „reserviert“ oder aber defekt gewesen seien. Es hat insoweit eine Reisepreisminderung von 15 Prozent des Tagesreisepreises der ab der erstmaligen Rüge des Klägers betroffenen Tage angenommen.

Quelle: AG Hannover, Urteil vom 20.12.2023, 553 C 5141/23, PM vom 4.1.2023

Gefährdung: Leinenzwang für große Hunde

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat den für zwei große Hunde aus dem Landkreis Günzburg angeordneten Leinenzwang bestätigt. Begründet hat es den Leinenzwang u.a. damit, dass die Hunde nach Aussagen mehrerer Betroffener frei herumlaufen würden. Die vom Kläger gegen den Leinenzwang erhobenen Klagen hatte schon das Verwaltungsgericht (VG) Augsburg abgewiesen. Hiergegen stellte der Kläger beim BayVGH Anträge auf Zulassung der Berufung.

Das war geschehen

Der Kläger ist Halter zweier Hunde. Mit Bescheiden aus dem Monat Februar 2023 hatte die Verwaltungsgemeinschaft als örtlich zuständige Sicherheitsbehörde für die beiden Hunde einen Leinenzwang angeordnet.

Der BayVGH hat die Anträge abgelehnt und die Urteile des VG bestätigt. Gründe, die eine Zulassung der Berufung rechtfertigen würden, lägen nach Ansicht des BayVGH nicht vor. Es bestünden insbesondere keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Urteile des VG.

Gefahr durch große Hunde

Der Einwand des Klägers, die Hunde seien ungefährlich, greife nicht durch. Nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH gehe von freilaufenden großen Hunden auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr in der Regel eine konkrete Gefahr für Eigentum und Gesundheit Dritter aus. Der Leinenzwang sei deshalb bereits allein wegen der Größe der Hunde gerechtfertigt. Grund für die Unterscheidung nach der Größe sei, dass es bei großen unangeleinten Hunden in Wohngebieten regelmäßig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu unvorhergesehenen Reaktionen von Menschen oder Hunden und damit zu erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit kommen könne. Der Feststellung, dass es sich hier um große Hunde mit einer Schulterhöhe von mindestens 50 Zentimetern handele, habe der Kläger nicht in Zweifel gezogen.

Es gab bereits einen Beißvorfall

Ein Einschreiten sei bei einem der Hunde auch deshalb geboten gewesen, weil es im November 2022 zu einem Beißvorfall gekommen sei. Bei beiden Hunden habe somit eine konkrete und nicht bloß abstrakte Gefahr für die Gesundheit Dritter vorgelegen.

Durch die Beschlüsse des BayVGH wurden die Urteile des VG rechtskräftig.

Quelle: BayVGH, Beschlüsse vom 22.1.2024, 10 ZB 23.1558 u.a., PM vom 30.1.2024

Rückreisekosten: Wodka auf der Klassenfahrt

Wird ein Schüler von einer Klassenfahrt ausgeschlossen, weil er dort unzulässigerweise Alkohol erworben hat, können Erziehungsberechtigte zu den Mehrkosten der verfrühten Rückreise heranzogen werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin entschieden.

Im Juni 2022 fand eine Klassenfahrt einer 10. Klasse eines Gymnasiums nach München statt. Zuvor hatte sich die Beklagte, Mutter eines minderjährigen Schülers, schriftlich verpflichtet, die Kosten einschließlich etwaiger Zusatzkosten bei vorzeitiger Heimreise zu tragen. Während der Fahrt kauften insgesamt sieben Schüler, darunter der Sohn der Beklagten, zwei Wodkaflaschen, woraufhin sie von der Fahrt ausgeschlossen wurden. Die Beklagte zahlte die hierdurch entstandenen Mehrkosten von 143,60 Euro nicht, woraufhin das Land Berlin sie auf Zahlung verklagte.

Die Klage hatte Erfolg. Der Anspruch auf Kostenerstattung ergebe sich aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag, den die Beteiligten miteinander geschlossen hätten. Dieser Vertrag sei wirksam zustande gekommen. Der Ausschluss sei als Ordnungsmaßnahme nach dem Berliner Schulgesetz ergangen und von der Beklagten nicht angegriffen worden, wodurch die vereinbarte Kostenfolge entstanden sei. Die Forderung einschließlich der geltend gemachten Zinsen sei schließlich der Höhe nach nicht zu beanstanden.

Der Gerichtsbescheid ist rechtskräftig.

Quelle: VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 15.11.2023, VG 3 K 191/23, PM 2/24

Krankenversicherung: Keine Kostenerstattung für Augenoperation in türkischer Privatklinik

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass die operative Therapie eines grauen Stars im Ausland nicht als Notfallbehandlung zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung qualifiziert werden kann.

Linsenoperation in türkischer Privatklinik wegen grauem Star

Geklagt hatte eine türkischstämmige Frau (geb. 1965) aus Niedersachsen, die seit dem Jahr 2015 an einem beginnenden Katarakt (grauer Star) der Augen litt. Während eines Urlaubs in der Türkei im Jahr 2019 ließ sie an beiden Augen eine Linsenoperation in einer Privatklinik durchführen. Die entstandenen Kosten von rd. 1.600 Euro wollte die Frau von ihrer Krankenkasse erstattet haben.

Die gesetzliche Krankenkasse und die private Auslandskrankenversicherung lehnte eine Erstattung ab. Bei vorübergehenden Auslandsaufenthalten könnten nur Notfallbehandlungen übernommen werden. Ein grauer Star sei jedoch ein schleichender Prozess und kein Notfall.

Hiergegen klagte die Frau und schilderte, dass es in der Türkei mit den Augen so schlimm geworden sei, dass sie gestürzt sei. Ihr sei schwarz vor Augen geworden und sie sei in größter Sorge gewesen, das Augenlicht zu verlieren. Es habe sich um einen Notfall gehandelt. Obwohl sie schon länger an grauem Star erkrankt sei, könne ein „plötzlich bemerkter“ Sehverlust mit einem akuten Sehverlust verwechselt werden.

Gericht bestätigt Rechtsauffassung der Krankenkasse

Das LSG hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt. Der Anspruch scheitere schon deshalb, weil die Klägerin sich als Privatpatientin in einer Privatklinik habe behandeln lassen. Diesbezügliche Behandlungen seien vom Leistungsumfang generell nicht umfasst.

Keine Notfallbehandlung

Unabhängig davon habe bei der Klägerin kein medizinischer Zustand vorgelegen, der während des Türkei-Urlaubs an beiden Augen aufgetreten sei und einer sofortigen Behandlung bedurft hätte. Der behandelnde Augenarzt habe einen senilen Katarakt, d. h. eine Alterserkrankung diagnostiziert. Eine plötzliche Verschlechterung mit dringender Operationsindikation habe er ausgeschlossen. Ein grauer Star sei eine Alterserkrankung, die durch ein schleichendes Fortschreiten gekennzeichnet sei und nicht durch einen plötzlichen Sehverlust im Sinne eines Notfalls.

Quelle: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.12.2023, L 16 KR 196/23, PM vom 8.1.2024

Versicherungsschutz: Fahrraddiebstahl aus Zweitwohnung: Hausratversicherung greift nicht

Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die Klage eines Fahrradbesitzers gegen seine Hausratversicherung wegen eines gestohlenen Fahrrads abgewiesen. Das teure Bike war nach seinen Angaben bei einem Einbruch in den Keller seiner Zweitwohnung entwendet worden.

Das umfasst die Außenversicherung

Das LG hat klargestellt, dass eine Außenversicherung nur Gegenstände in Zweitwohnungen umfasst, die eigentlich in der Hauptwohnung ihren Platz haben und sich nur vorübergehend außerhalb des Hauptwohnsitzes befinden. Als Erweiterung des grundsätzlich an den Versicherungsort gebundenen Versicherungsschutzes sei es dagegen nicht ihr Sinn und Zweck, Gegenstände zu versichern, die üblicherweise in der Zweitwohnung aufbewahrt werden.

Kein versicherter Hausrat

Weil der Mann sein Fahrrad hauptsächlich im Keller der Zweitwohnung abgestellt hatte und nur in mehrwöchigen Urlaubszeiten mit nach Hause nahm, gehört es nicht zum versicherten Hausrat, der tatsächlich nur vorübergehend außerhalb der Hauptwohnung verbracht worden sei, so das LG. Der Radfahrer blieb deshalb auf dem gesamten Diebstahlschaden seines knapp 5.000 Euro teuren Fahrrads sitzen.

Hausratversicherung bestand nur für die Hauptwohnung

Die Hausratversicherung verweigerte nach Auffassung der Kammer zu Recht den Versicherungsschutz, weil der Radbesitzer die Versicherung nur für seine Hauptwohnung besaß. Außerhalb dieser Hauptwohnung befindliche Sachen waren lediglich über einen sog. „Außenversicherungsschutz“ abgedeckt. Eine gesonderte Hausratversicherung für die Zweitwohnung, ein möbliertes Appartement, in dem er sich üblicherweise werktags aufhielt, hatte der Biker nicht abgeschlossen.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle: LG Frankenthal, Urteil vom 29.3.2023, 3 O 236/22, PM vom 29.11.2023

Fluggastrechte: Muss der Reisende trotz vorheriger Beförderungsverweigerung erscheinen?

Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das einen Fluggast im Voraus darüber unterrichtet hat, dass es ihm gegen seinen Willen die Beförderung auf einem Flug verweigern werde, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, muss diesem einen Ausgleich zahlen. Das gilt, selbst, wenn er sich nicht unter den in der Fluggastrechteverordnung (hier: Art. 3 Abs. 2 FluggastrechteVO) genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat. So sieht es der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH).

Fluggast ohne Information umgebucht

Der EuGH zeigt sich damit wieder einmal verbraucherfreundlich. Im konkreten Fall hatte die Fluggesellschaft einen Fluggast umgebucht, ihn aber nicht darüber informiert. Auf seine Rückfrage wurde ihm zugleich mitgeteilt, dass er für den gebuchten Rückflug gesperrt sei, weil er zum umgebuchten Flug nicht erschienen sei. Es sei nicht mehr möglich, den Rückflug anzutreten.

Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung

Der EuGH hat darüber hinaus entschieden, dass dem Fluggast zwar bei Annullierung eines Flugs u. U. kein Ausgleichsanspruch zusteht. Dies gelte aber nicht, wenn ein Fluggast wie im Fall des EuGH für den Rückflug mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit darüber unterrichtet wurde, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn gegen seinen Willen nicht befördern werde. Ihm steht dann ein Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung i. S. d. Art. 4 der FluggastrechteVO zu.

Quelle: EuGH, Urteil vom 26.10.2023, C-238/22

Grundrechtsverletzung: Durchsuchung bei einem Lehrer zur Ermittlung seiner Einkommensverhältnisse in einem Strafverfahren

Das Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde eines verbeamteten Lehrers stattgegeben, die sich gegen eine Durchsuchungsanordnung richtete.

Das war geschehen

Gegen den Lehrer wurde wegen des Verdachts der Beleidigung von zwei Polizeibeamten ermittelt. Um Informationen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erlangen, ordnete das Amtsgericht (AG) an, seine Wohnung zu durchsuchen. Der Lehrer gewährte den die Durchsuchungsanordnung vollziehenden Beamten Eintritt in seine Wohnung und übergab ihnen verschiedene Unterlagen. Das Strafverfahren endete mit einer Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage.

Verletzung von Grundrechten

Die Anordnung der Durchsuchung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach dem Grundgesetz (Art. 13 Abs. 1 GG). Sie war unverhältnismäßig. Angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung außer Verhältnis zur Schwere der verfolgten Straftat.

Zwar war die Durchsuchung nicht bereits deshalb unzulässig, weil lediglich die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers ermittelt werden sollten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft müssen sich nämlich auch auf Umstände beziehen, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dazu zählen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten zwecks Bestimmung der Tagessatzhöhe.

Lehrer hätte zuerst befragt werden müssen

Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Eine solche Nachfrage hätte im Streitfall mit realistischer Wahrscheinlichkeit dazu geführt, ausreichende Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu erlangen. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlustes bestand nicht.

Anfrage an Besoldungsstelle als Alternative

Als naheliegende und grundrechtsschonende Alternative zu einer Wohnungsdurchsuchung wäre aber auch eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschwerdeführers nach dem von dort bezogenen Einkommen in Betracht gekommen. Durch eine solche Anfrage sind zwar nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften zu erlangen. Das Strafgesetzbuch (hier: § 40 Abs. 3 StGB) erfordert aber zumal in Fällen der kleineren Kriminalität auch nicht die Ausschöpfung aller Beweismittel, wenn ansonsten die fachrechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung der Einkünfte vorliegen. Durchsuchungen zur Ermittlung der für die Bestimmung der Tagessatzhöhe entscheidenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten sind daher grundsätzlich nur verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich ist.

Weitere alternative Anfragen möglich

Hätten sich Staatsanwaltschaft und AG mit den durch die genannten Maßnahmen zu erlangenden Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers nicht begnügen wollen, wären darüber hinaus eine Abfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und anschließende Bankanfragen in Betracht gekommen. Auch insoweit handelt es sich im Vergleich zur angeordneten Durchsuchung um eine meist weniger grundrechtsintensive Maßnahme.

Quelle: BVerfG, Beschluss vom 15.11.2023, 1 BvR 52/23, PM 115/23

Kindergeldanspruch: Kein Kindergeld für sich selbst bei telefonischem Kontakt zur Mutter im Ausland

Kindergeld für sich selbst können Kinder nur erhalten, wenn sie Vollwaise sind oder den Aufenthalt der Eltern nicht kennen. Kein Kindergeld beanspruchen kann ein Kind, wenn es gelegentlich mit seiner Mutter im Ausland telefonieren und sich dabei nach ihrem Aufenthaltsort erkundigen kann. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) jetzt entschieden.

Regelmäßige Telefonate

Der Kläger hatte Kindergeld für sich selbst beansprucht mit der Begründung, er kenne den Aufenthalt seiner Mutter nicht. Diese hatte sich Ende 2017 auf die Flucht begeben und zunächst jeweils nur für kurze Dauer an verschiedenen Orten in Syrien gelebt, zuletzt in der Nähe von Damaskus. Allerdings hatte der Kläger in seinem Kindergeldantrag angegeben, zwei- bis dreimal monatlich mit ihr zu telefonieren. Dadurch hatte er zumindest die zumutbare Möglichkeit, sich nach dem aktuellen Aufenthaltsort seiner Mutter zu erkundigen.

Voraussetzungen der Aufenthaltskenntnis

Ein Kind kennt den Aufenthalt seiner Eltern, wenn es weiß, an welchem für ihn bestimmbaren Ort sich seine Eltern oder zumindest ein Elternteil aufhalten. Auf die Kenntnis einer postalischen Adresse oder eines „verstetigten“ Aufenthalts kommt es dagegen nicht an, weil sich seit Einführung des Kindergelds für „alleinstehende Kinder“ im Jahr 1986 die Kommunikationsmöglichkeiten und -gewohnheiten durch Internet und Mobilfunk grundlegend verändert haben. Für die erforderliche Aufenthaltskenntnis genügt es zudem, wenn aus Sicht des Kindes die zumutbare Möglichkeit besteht, innerhalb eines angemessenen Zeitraums Kontakt mit seinen Eltern aufzunehmen. Die Kenntnis fehlt erst, wenn Dauer und Ausmaß der Unkenntnis über den Verbleib der Eltern den endgültigen Verlust der Eltern-Kind-Beziehung wie bei einer Vollwaise befürchten lassen.

Quelle: BSG, Urteil vom 14.12.2023, B 10 KG 1/22 R, PM 46/23

Persönlichkeitsrechtsverletzung: Streit um Kamera auf dem Nachbargrundstück

In einem Nachbarschaftsstreit sah das Amtsgericht (AG) München in dem Aufstellen einer Kamera auf dem Nachbargrundstück eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und untersagte dies der Antragsgegnerin.

Überwachungs- oder Wildkamera?

Die Parteien sind unmittelbare Nachbarn in München und stritten über eine im April 2022 auf der Terrasse der Antragsgegnerin aufgestellte Wildüberwachungskamera, die von der Terrasse der Antragstellerin aus sichtbar war. Die Antragstellerin wehrte sich hiergegen unter Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte und forderte die Antragsgegnerin im Juli 2022 u. a. auf, die Videoüberwachung zu beenden und künftig zu unterlassen. Die Antragsgegnerin verweigerte dies mit der Begründung, dass es sich nicht um eine Videoüberwachung, sondern um eine sogenannte Wild-Kamera handeln würde. Es ginge ausschließlich um die Kontrolle des eigenen Gartens.

Kamera musste entfernt werden

Zunächst erließ das AG im einstweiligen Rechtsschutz auf Antrag der Antragstellerin eine einstweilige Verfügung. Danach wurde es dieser untersagt, auf ihrem Grundstück eine Überwachungskamera aufzustellen, die die Terrasse oder den Garten der Antragstellerin erfasst oder erfassen kann oder den Eindruck hiervon erweckt. Anschließend entfernte die Antragsgegnerin die Kamera.

Einstweilige Verfügung war rechtens

Auf Antrag der Antragstellerin bestätigte das AG dann mit einem Urteil die einstweilige Verfügung. Die vormals aufgestellte Kamera habe die Antragstellerin in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Kamera tatsächlich ausschließlich den Bereich der Antragsgegnerin erfasst hat oder nicht. Denn es komme insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, sei gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Lägen solche Umstände vor, könne das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon wegen der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtige hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen nicht, die dadurch betroffen sein könnten.

Hypothetische Möglichkeit der Überwachung ausreichend für Beseitigungsanspruch

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs habe die Antragstellerin einen Anspruch auf Beseitigung der Kamera und entsprechende Unterlassung der etwaigen weiteren Installation einer vergleichbaren Kamera. Nach Ansicht der Lichtbilder sei das Gericht der Überzeugung, dass die Antragstellerin zu der Ansicht gelangen konnte, dass ihr Grundstück von der Kamera erfasst werde. Es handelte sich nicht mehr um die rein hypothetische Möglichkeit der Überwachung.

Der Sachverhalt habe sich zwar mittlerweile maßgeblich verändert, da die Kamera entfernt worden sei. Weiterhin habe die Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie nicht die Absicht habe, eine weitere Kamera aufzustellen. Dieser Umstand allein kann aber nicht ausreichen, eine Wiederholungsgefahr aufzuheben.

Quelle: AG München, Urteil vom 1.2.2023, 171 C 11188/22, PM 43/23

Versicherungsrecht: Haftpflichtversicherung: Leistungsausschluss bei vorsätzlicher Handlung

Ein Versicherungsnehmer, der nach einer verbalen Auseinandersetzung im Straßenverkehr einem anderen, für ihn erkennbar schwerbeschädigten Verkehrsteilnehmer in den Rücken schlägt und diesen dadurch zu Fall bringt, nimmt regelmäßig dessen schwere Gesundheitsbeschädigung in Kauf. Als Folge kann sich sein Haftpflichtversicherer auf einen Leistungsausschluss berufen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Dresden entschieden.

Auseinandersetzung im Straßenverkehr

Auseinandersetzungen im Straßenverkehr enden immer häufiger damit, dass ein oder mehrere Beteiligte verletzt werden. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung regelt das nicht unbedingt die Haftpflichtversicherung.

Versicherung darf Leistung verweigern

Der Versicherer ist nämlich nach dem Versicherungsvertragsgesetz (hier: § 103 VVG) nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat.

Einzelfall entscheidend

Ob die Versicherung tatsächlich leistungsfrei ist, entscheidet sich anhand des jeweiligen Einzelfalls. Dazu muss vorgetragen werden, wie sich der Vorfall ereignete und was genau Auslöser der schadenstiftenden Handlung war. Es ist nämlich ein Unterschied, ob es sich um eine Angriffs- oder Verteidigungshandlung handelte.

Quelle: OLG Dresden, Urteil vom 29.6.2023, 4 U 2626/22