Kündigungsschutz: Betriebsschließung: Massenentlassung und Sozialauswahl

Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden, ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. So sieht es das Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 KSchG) vor. Diesen Grundsatz hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf jetzt noch einmal bekräftigt.

Das war geschehen

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1.2.2012 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte in ihrem einzigen Betrieb zuletzt knapp 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Am 1.3.2022 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Der Sachwalter und der Gläubigerausschuss stimmten der Einstellung der Geschäftstätigkeit zum 31.12.2022 zu.

Nachdem die Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs am 24.11.2022 durch Spruch der Einigungsstelle für gescheitert erklärt wurden, stellte die Beklagte am 28.11.2022 Anträge auf behördliche Zustimmungen zur betriebsbedingten Kündigung nach dem SGB IX (schwerbehinderte Menschen) und BEEG (Elternzeit). Den Beschäftigten wurde die Gelegenheit eingeräumt, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Im Dezember 2022 sprach die Beklagte gegenüber allen Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus, soweit das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht aus anderen Gründen feststand.

Alle Mitarbeitenden, auch der Kläger, wurden ab dem 1.1.2023 unwiderruflich freigestellt. Ausgenommen waren die Beschäftigten des Abwicklungsteams, das ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Anlage 53 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umfasste, wobei gegenüber dreizehn Personen Kündigungen zum 31.3.2023 und gegenüber den übrigen vierzig Personen Kündigungen zum 30.6.2023 ausgesprochen wurden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2022 zum 31.3.2023.

Erfolgreiche Kündigungsschutzklage nicht aufgrund Gesetzeslage…

Die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Düsseldorf ebenso wie zuvor beim Arbeitsgericht (ArbG) Solingen Erfolg. Dies folgte zwar nicht aus § 17 KSchG i. V. m. § 134 BGB wegen einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungszeige. Etwaige Fehler in diesem Zusammenhang stellen keinen Unwirksamkeitsgrund dar, weil Zweck der Anzeige nicht der Individualschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist.

…sondern aufgrund fehlerhafter Sozialauswahl

Die Kündigung war indes aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) rechtsunwirksam, wie es bereits das ArbG zutreffend ausgeführt hatte. Bei einer etappenweisen Betriebsstillegung hat der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt. Es sind grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen.

Fehlerhafte Vergleichsgruppen

Die Beklagte hatte hier die Sozialauswahl methodisch fehlerhaft durchgeführt, weil sie die Vergleichsgruppen fehlerhaft gebildet hatte. So hatte sie diese u.a. anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten gebildet. Sie hätte die soziale Auswahl stattdessen anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten vornehmen müssen, zu denen die Beklagte nur unvollständig vorgetragen hatte. Es fehlte weitgehend an Vortrag dazu, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden soll. Die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl hatte die Beklagte auch in zweiter Instanz nicht widerlegt.

Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.

Quelle: LAG Düsseldorf, Urteil vom 9.1.2024, 3 Sa 529/23, PM 2/24

Fehlverhalten: Schwenken eines Filetiermessers kann außerordentliche Kündigung rechtfertigen, muss es aber nicht

Wer mit einem äußerst scharfen Filetiermesser hantiert, muss besonders sorgfältig agieren, um Verletzungen von Kollegen auszuschließen. Nicht jeder Fehlgebrauch rechtfertigt aber eine Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung. Dies hat wie bereits zuvor das Arbeitsgericht (ArbG) Lübeck auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden.

Kollegin Messer an den Hals gehalten

Der 29-jährige Kläger ist bei der Beklagten seit Juni 2019 als Industriemechaniker beschäftigt. Am 1.6.2022 arbeitete er mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter an einem Probierstand. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger der Mitarbeiterin ein Filetiermesser mit einer Klingenlänge von 20 cm mit einem Abstand von 10 bis 20 cm an den Hals hielt und damit deren Leib und Leben bedrohte. Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin am 14.7.2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.10.2022.

Kündigungsschutzklage erfolgreich

Die Kündigungsschutzklage des Klägers war in zwei Instanzen erfolgreich. Sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung waren unwirksam. Es fehlte an einem hinreichenden Kündigungsgrund. Zwar kommt eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben u. a. von Arbeitskollegen als „an sich“ als wichtiger Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung in Betracht. Dies setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer mit dem Willen handelt, dass der Kollege die Drohung zur Kenntnis nimmt und als ernst gemeint auffasst.

Vorsatz war nicht nachzuweisen

Selbst den Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt, konnte jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts auf einen bedingten Vorsatz beim Kläger geschlossen werden. Vielmehr war es auch möglich, dass der Kläger das Messer schlicht in der rechten Hand haltend sich mit dem Oberkörper zur Mitarbeiterin gedreht hat und bei dieser Drehbewegung dessen rechte Hand mit dem Messer nahe an deren Hals gelangt ist.

Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden

Die Kündigungen konnten auch nicht darauf gestützt werden, dass der Kläger allein durch das Hantieren mit dem Messer Leib und Leben der Mitarbeiterin objektiv und fahrlässig gefährdet hat. Der unsachgemäße Umgang mit einem Messer stellt zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar. Diese hätte nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Ausspruch einer fristlosen oder fristgerechten Kündigung nur gerechtfertigt, wenn der Kläger zuvor wegen einer ähnlichen Pflichtverletzung abgemahnt worden wäre. Insbesondere steht auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts fest, dass der Kläger das Messer bewusst und aktiv an den Hals der Mitarbeiterin gehalten hat.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle: LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.7.2023, 5 Sa 5/23

Betriebsräte: Betriebsverfassungsrechtlicher Schulungsanspruch: Webinar statt Präsenzschulung?

Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Betriebsräte Anspruch auf für die Betriebsratsarbeit erforderlichen Schulungen, deren Kosten der Arbeitgeber tragen muss. Davon können Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar auch dann erfasst sein, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet. So entschied es das Bundesarbeitsgericht (BAG).

Arbeitgeberin verweigerte Erstattung von Übernachtungs- und Verpflegungskosten

Bei der Arbeitgeberin einer Fluggesellschaft ist durch Tarifvertrag eine Personalvertretung (PV) errichtet, deren Schulungsanspruch sich nach dem BetrVG richtet. Die PV entsandte zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagenschulung Ende August 2021 in Potsdam. Hierfür zahlte die Arbeitgeberin die Seminargebühr, verweigerte aber die Übernahme der Übernachtungs- und Verpflegungskosten.

Dies begründete sie vor allem damit, die Mitglieder der PV hätten an einem zeit- und inhaltsgleich angebotenen mehrtägigen Webinar desselben Schulungsanbieters teilnehmen können. In dem von der PV eingeleiteten Verfahren hat diese geltend gemacht, dass die Arbeitgeberin auch die Übernachtungs- und Verpflegungskosten tragen muss. Hierzu haben die Vorinstanzen die Arbeitgeberin verpflichtet.

Bundesarbeitsgericht: Betriebsrat hat Spielraum

Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Ebenso wie ein Betriebsrat hat die PV bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Dieser umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar.

Quelle: BAG, Beschluss vom 7.2.2024, 7 ABR 8/23, PM 5/24

Kündigung: Riskant: Privates Hybridfahrzeug am Arbeitsplatz aufgeladen

Der Kläger war seit dem 1.7.2018 als Rezeptionist in einem Beherbergungsbetrieb tätig und regelmäßig in der Spätschicht eingesetzt. Er hatte am 12.1.2022 sein Hybridauto vor der Herberge geparkt und über ein Ladekabel an einer 220 Volt Steckdose im Flur des Seminartrakts aufgeladen. Nachdem die Beklagte dies entdeckt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 14.1.2022 fristlos. Hiergegen hatte der Kläger sich mit seiner Kündigungsschutzklage gewandt und in erster Instanz obsiegt. In dem vom Arbeitgeber angestrengten Berufungsverfahren haben die Parteien ihren Streit vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf nun per Vergleich beigelegt.

Unerlaubtes Laden an sich ein Kündigungsgrund

In der mündlichen Verhandlung bestätigte das LAG, dass das unerlaubte Laden des Privatfahrzeugs auf Kosten des Arbeitgebers an sich ein Kündigungsgrund ist. Dies gilt erst recht, wenn das Laden an einer 220 Volt Steckdose und nicht an einer Wallbox oder eingerichteten Ladestation erfolgt.

Erteilte Erlaubnis war unklar

Das LAG hatte allerdings bereits Zweifel, ob von einem unerlaubten Laden auszugehen sei. Dazu hätte ggf. die Beweisaufnahme erster Instanz zur Frage der gegenüber dem Kläger erteilten Erlaubnis wiederholt werden müssen.

Hier hätte Abmahnung ausgereicht

Unabhängig davon sprach nach Ansicht des LAG mehr dafür, dass hier eine Abmahnung ausgereicht hätte. Eine Kündigung wäre wohl unverhältnismäßig gewesen.

„Schaden“ von rund 40 Cent

So lagen die Kosten für den Ladevorgang am 12.1.2022 bei lediglich 0,4076 Euro. Ein Verbot zum Laden von Elektromotoren für die Mitarbeitenden existierte nicht. Die Hausordnung, die dies vorsah, richtete sich ausdrücklich nur an Gäste. Das Laden anderer elektronischer Geräte, z. B. Handys, durch Mitarbeitende wurde geduldet. Auch wenn dies wertungsmäßig etwas anderes als das Laden eines Hybridautos ist, hätte im konkreten Fall angesichts der bislang beanstandungsfreien Beschäftigungszeit eine Abmahnung genügt.

Am Ende verglichen sich die Parteien

Auf Vorschlag des Gerichts haben sich die Parteien u.a. auf eine ordentliche Kündigung zum 28.2.2022 und eine Abfindung von 8.000 Euro brutto geeinigt.

Quelle: LAG Düsseldorf, Vergleich vom 19.12.2023, 8 Sa 244/23, PM 32/23

Kündigung: Wenn ein Polizist Käse stiehlt …

Stiehlt ein Polizist nach einem Verkehrsunfall Käse, ist er aus dem Dienst zu entfernen. So entschied es das Verwaltungsgericht (VG) Trier.

Das war geschehen

Ein Lkw hatte einen Unfall. Der Polizeibeamte, der eine Uniform und eine Dienstwaffe trug, verlangte von der Bergungsfirma, aus der verunfallten Ladung neun unbeschädigte Packungen Käse herauszugeben. So geschah es. Diese Pakete verlud der Polizist mit einer Kollegin in einen Einsatzbus und deckte sie ab. U. a. ein knappes Viertel des Käses fand sich später in der Polizeistation des Beamten. Seine Erklärung: Der Gutachter der Versicherung habe den Käse freigegeben. Es habe sich quasi um Müll gehandelt. Was er verschwieg: Der Käse wurde später noch zum Restwert verkauft.

Verwaltungsgericht „kennt keine Gnade“

Der Polizist kam zwar vor dem Strafgericht „mit einem blauen Auge“ davon. Das VG, bei dem es um disziplinarische Maßnahmen gegen den Beamten ging, entfernte ihn aus dem Dienst. Er habe während der Dienstzeit in Uniform einen Diebstahl mit Waffen begangen. Das VG verhängte daher die Höchstmaßnahme. Das VG betonte: Einem Polizisten, der in Uniform stiehlt, könne man nicht mehr glauben, dass er sich an Recht und Gesetz hält.

Das VG bewertete es als besonders negativ, dass der Beamte das Vertrauen in die Polizei ausgenutzt hatte, indem er der Bergungsfirma falsche Tatsachen vorgespiegelt hatte. Hinzu kamen Lügen gegenüber seinen Vorgesetzten. Unerheblich sei es, falls der Käse nur als Geschenk an Kollegen dienen sollte.

Quelle: VG Trier, Urteil vom 18.1.2024, 3 K 1752/23 TR

Altersdiskriminierung: Stellenausschreibung: „Junges dynamisches Team mit Benzin im Blut“

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hat jetzt klargestellt: Beschreibt der Arbeitgeber das Arbeitsumfeld als „jung und dynamisch“, bezieht sich dies auf den Arbeitsplatz. Es wird kein Bewerber wegen seines Alters ausgeschlossen.

Ein Tankstellenpächter suchte in einem Zeitungsinserat wie folgt nach einem neuen Mitarbeiter: „Wir sind ein junges und dynamisches Team mit Benzin im Blut und suchen Verstärkung.“ Anschließend folgten Einzelheiten zu Anforderungen und Gehalt. Die konkreten Arbeitsbedingungen wurden beschrieben. Der 50-jährige Kläger bewarb sich erfolglos. Eingestellt wurde ein 48-jähriger Mann. Der Kläger forderte eine Entschädigung. Die Stellenanzeige enthalte eine Altersdiskriminierung. Damit scheiterte er in erster und zweiter Instanz.

Das LAG stellte fest: Das Inserat formulierte keine Anforderungen, die den Kläger wegen seines Alters von einer Bewerbung hätte abhalten sollen. Hier lag vielmehr eine werbende Eigendarstellung vor. Es handele sich um eine überspitzte, ironische, nicht ernsthaft gemeinte, in der Form eines Werbeslogans gehaltene Beschreibung des Arbeitsumfeldes. Das LAG: Einzelne Begriffe, z. B. „jung“, herauszupicken und auf sich selbst zu beziehen, sei nicht zulässig, zumal die konkreten Anforderungen an die Bewerber im Inserat deutlich beschrieben wurden.

Quelle: LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17.10.2023, 2 Sa 61/23

Bundesarbeitsgericht: Was taugen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die passgenau die Kündigungsfrist umfassen?

Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun klargestellt.

War der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert?

Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten beschäftigt. Er legte am Montag, dem 2.5.2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 2. bis zum 6.5.2022 vor. Anfang Mai kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.5.2022. Mit Folgebescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 wurde Arbeitsunfähigkeit bis zum 20.5.2022 und bis zum 31.5.2022 (einem Dienstag) bescheinigt. Ab dem 1.6.2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten AU-Bescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 1. bis zum 31.5.2022 stattgegeben.

Gesetzliches Beweismittel

Die Revision der Beklagten hatte teilweise bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31.5.2022 Erfolg. Ein Arbeitnehmer kann die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel.

Arbeitgeber kann Beweiswert erschüttern

Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Hiervon ausgehend ist das Landesarbeitsgericht (LAG) bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden.

Einzelfall ist zu würdigen

Stets erforderlich ist allerdings eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände. Hiernach hat das Berufungsgericht richtig erkannt, dass der Beweiswert für die Bescheinigung vom 2.5.2022 nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats. Weitere Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das LAG hatte insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Dies hat zur Folge, dass der Kläger nun für die Zeit vom 7.5.bis zum 31.5.2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch trägt.

Da das LAG aus seiner Sicht konsequent hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen.

Quelle: BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZR 137/23, PM 45/23

Datenschutz: Keine Entschädigung für verspätete und unvollständige Auskunft

Anders als das Arbeitsgericht (ArbG), das dem Kläger wegen des von ihm angenommenen vorsätzlichen Verstoßes der Beklagten gegen seine Pflichten zur Datenauskunft eine Geldentschädigung von 10.000 Euro zugesprochen hatte, hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf die Klage jetzt vollständig abgewiesen.

Auskunft nach Datenschutz-Grundverordnung verlangt

Der Kläger war vom 1.12.2016 bis zum 31.12.2016 bei dem Kundenservice der Beklagten, einem Immobilienunternehmen, beschäftigt. Bereits im Jahr 2020 hatte er einen Antrag auf Auskunft gemäß Art. 15 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) gestellt, den die Beklagte beantwortet hatte.

Auskunft verspätet und mangelhaft?

Mit Schreiben vom 1.10.2022, das der Beklagten an diesem Tag zuging, verlangte er erneut Auskunft und eine Datenkopie auf der Grundlage von Art. 15 DS-GVO. Er setzte eine Frist bis zum 16.10.2022. Als die Beklagte nicht antwortete, erinnerte der Kläger sie am 21.10.2022 mit weiterer Fristsetzung bis zum 31.10.2022. Die ihm dann am 27.10.2022 erteilte Auskunft rügte der Kläger am 4.11.2022 als verspätetet und inhaltlich mangelhaft. Es fehlten die konkreten Angaben zur Dauer der Datenspeicherung und die namentlich bezeichneten Empfänger seiner Daten. Außerdem sei die Datenkopie unvollständig. Mit Schreiben vom 11.11.2022 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Angaben zu den Datenempfängern die Betroffenen in der Regel nicht interessierten und daher nur kategorisiert mitgeteilt worden seien. Zudem konkretisierte sie die Angaben zur Speicherdauer und die Datenkopie. Am 18.11.2022 verlangte der Kläger erneut die namentliche Nennung der Empfänger und auch nähere Angaben zur Speicherdauer. Die Datenkopie sei weiterhin unzureichend. Die Beklagte konkretisierte die Informationen mit Schreiben vom 1.12.2022.

Kein materieller Schaden

Der Kläger hat von der Beklagten eine Geldentschädigung nach Ermessen des Gerichts verlangt, die 2.000 Euro nicht unterschreiten sollte, weil die Beklagte sein datenschutzrechtliches Auskunftsrecht mehrfach verletzt hätte. Diese hat dem widersprochen, weil es u.a. bereits an einem immateriellen Schaden des Klägers fehle.

Es treffe zwar zu, dass die Beklagte gegen die DS-GVO verstoßen habe. Sie habe die Auskunft nicht fristgerecht und anfangs unvollständig erteilt. Eine vollständige Auskunft habe erst am 1.12.2022, also sechs Wochen nach Ablauf der vom Kläger gesetzten Frist vorgelegen. Dies rechtfertige aus zwei Gründen keinen Anspruch auf eine Geldentschädigung gemäß Art. 82 Abs. 1 DS-GVO. Die einschlägige Vorschrift setzt haftungsbegründend eine gegen die DS-GVO verstoßende Datenverarbeitung voraus. Daran fehle es bei der bloßen Verletzung der Auskunftspflicht aus Art. 15 DS-GVO sei es, dass diese verzögert oder anfangs unvollständig erfüllt werde.

Unabhängig davon setze ein datenschutzrechtlicher Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen eines immateriellen Schadens mehr als einen bloßen Verstoß gegen die Vorschriften der DS-GVO voraus. Der bloße vom Kläger angeführte Kontrollverlust über die Daten genüge nicht und sei mit dem Verstoß gegen Art. 15 DS-GVO letztlich identisch. Zu weiterem immateriellen Schaden fehlte es an jeglichem konkreten Vortrag des Klägers.

Quelle: LAG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2023, 3 Sa 285/23, PM vom 28.11.2023

Unfallversicherung: Sturz bei Radtour ist kein Arbeitsunfall

Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz unter anderem bei Arbeitsunfällen. Dies erfasst auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, die sogenannten Wegeunfälle. Es ist jedoch nicht immer einfach, festzustellen, ob ein Unfall tatsächlich der versicherten Arbeit zuzurechnen ist. Hierbei kommt es oft darauf an, ob die Motivation für eine bestimmte Handlung wie das Zurücklegen eines Weges dem betrieblichen oder dem privaten Bereich zuzuordnen ist. So war es auch in einem Fall des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg.

Radtour zur Anbahnung eines Arbeits- bzw. Kundenverhältnisses

Der Kläger, ein selbstständiger Versicherungsmakler, hatte auf dem Rückweg von einer Radtour durch einen Sturz einen Unterschenkelbruch erlitten. Er hatte sich mit einem langjährigen Bekannten an einem Sonntag im Juli 2020 zu einer mehrstündigen Fahrt im Landkreis Ludwigsburg verabredet. Während dieser Radtour grillten die beiden an einem Grillplatz und besuchten danach die Eltern des Klägers. Im Anschluss an diesen Besuch fuhren der Kläger und der Bekannte getrennt nach Hause. Auf dem Heimweg stürzte der Kläger auf einem Feldweg, rutschte einen Weinberg hinab, überschlug sich und brach sich den rechten Unterschenkel. Gegenüber seiner gesetzlichen Unfallversicherung, der Beklagten, teilte der Kläger mit, er habe den Bekannten als zukünftigen Mitarbeiter bzw. Geschäftspartner für den Vertrieb und die Kundenbetreuung gewinnen wollen. Weil beide gern Sport machten und das Wetter schön gewesen sei, habe man sich zu einer Radtour verabredet, um nebenbei Geschäftliches zu besprechen. Der Besuch bei seinen Eltern habe der Demonstration eines Kundengesprächs gedient. Dies seien vorbereitende Tätigkeiten für ein Arbeitsverhältnis gewesen, das aber nach dem Unfall nicht zustande gekommen sei.

Der Bekannte bestätigte die Angaben des Klägers. Die Beklagte lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab, da die unfallverursachende Tätigkeit keinen ausreichenden Zusammenhang zu betrieblichen Interessen bzw. zur Tätigkeit als Unternehmer aufgewiesen habe.

Gemischte Motivationslage: Landessozialgericht lehnt Arbeitsunfall ab

Nachdem das Sozialgericht (SG) die Klage gegen diese Entscheidung abgewiesen hat, ist der Kläger auch vor dem LSG erfolglos geblieben. Denn die Radtour habe, so das LSG, eine sogenannte „Verrichtung mit gemischter Motivationslage“ dargestellt. Sie habe sowohl gemeinsamen privaten Interessen (Radtouren fahren) als auch allerdings insoweit untergeordnet bzw. nachrangig betrieblichen Interessen dienen sollen (gegenseitiges Kennenlernen, Beobachten des Verhaltens bei Kundengesprächen).

Dies ergebe sich etwa aus der Schilderung des Klägers, man „habe sich zu einer Radtour verabredet, um nebenbei Geschäftliches zu besprechen“. Eine Verrichtung mit gemischter Motivationslage erfülle dann den Tatbestand der versicherten Tätigkeit, wenn das konkrete Geschehen hypothetisch auch ohne die private Motivation des Handelns vorgenommen worden wäre. Dies sei vorliegend zu verneinen. Denn ohne das gemeinsame private Interesse am Radfahren hätten der Kläger und sein Bekannter ihr Kennenlernen nicht im Rahmen einer Fahrradtour durchgeführt, und es wäre insofern auch nicht zu dem unfallverursachenden Unfall des Klägers auf dem Heimweg von dieser Radtour gekommen.

Quelle: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.9.2023, L 8 1620/22, PM vom 23.11.2023

Vertragsbedingungen: Betriebliche Invaliditätsrente nach Ausscheiden

Der Arbeitgeber, der eine betriebliche Invaliditätsrente zusagt, darf die Leistung in einer Versorgungsordnung, die eine Vielzahl vorformulierte Vertragsbedingungen (AGB) enthält, grundsätzlich davon abhängig machen, dass der Arbeitnehmer eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente bezieht und rechtlich aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist. Das hat nun das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt.

Nach der Zusatzversorgungsordnung der Arbeitgeberin (hier: § 7 Abs. 4 ZVO) erhält ein Mitarbeiter Ruhegeld, der wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht und aus den Diensten des Arbeitgebers ausscheidet. Aufgrund Bescheids der Deutschen Rentenversicherung Bund vom Januar 2021 bezog ein Arbeitnehmer (der Kläger) auf seinen Antrag vom Mai 2020 mit Wirkung des 1.11.2020 befristet bis zum 31.8.2022 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Mit Schreiben vom 19.1.2021 wandte er sich unter Vorlage des Bescheids an die Beklagte und beantragte, die betriebliche Invaliditätsrente ab Januar 2021 zu gewähren. Am 20.8.2021 kündigte er sein Arbeitsverhältnis zum 31.3.2022. Ab April 2022 leistete die Beklagte das Ruhegeld. Der Kläger hat geltend gemacht, ihm stehe bereits ab Januar 2021 das betriebliche Ruhegeld zu. § 7 Abs. 4 ZVO setze nicht eindeutig das rechtliche Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis voraus. Jedenfalls sei die Regelung unwirksam, da er unzumutbar gezwungen werde, sein Arbeitsverhältnis zu beenden, um in den Genuss des Ruhegelds zu kommen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Die Revision des Klägers vor dem BAG blieb ebenfalls erfolglos. Die Auslegung des § 7 Abs. 4 ZVO als AGB ergab, dass die ZVO das rechtliche Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis für einen Anspruch auf das betriebliche Ruhegeld voraussetzt. Die der Inhaltskontrolle unterliegende Regelung benachteiligt den Kläger auch nicht unangemessen entgegen den Geboten von Treu und Glauben. Es ist im Grundsatz zumutbar, die Zahlung einer betrieblichen Invaliditätsrente davon abhängig zu machen, dass eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente bewilligt und das Arbeitsverhältnis beendet ist. Unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen wird dadurch kein unzumutbarer Druck auf den Arbeitnehmer zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses ausgeübt.

Quelle: BAG, Urteil vom 10.10.2023, 3 AZR 250/22, PM 40/23