Kündigung: Doppelt riskant: Schwimmen während des Betriebsfestes

Schwimmen im Rhein während einer Firmenfeier ist wegen der potenziellen Eigen- und Fremdgefährdung eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten. So sieht es das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf.

Das war geschehen

Der Arbeitnehmer ist seit dem 1.1.2021 als Trainee bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Dieser veranstaltete im Spätsommer 2022 eine Betriebsfeier auf einem Restaurant- und Partyschiff am Kölner Rheinufer. Nach 22.00 Uhr soll der Arbeitnehmer auf der Toilette von einer Reinigungskraft beim Konsumieren eines weißen Pulvers beobachtet worden sein. Danach sei er vom Schiff gegangen und in den Rhein gesprungen. Er sei um das Schiff herumgeschwommen und wild gestikulierend und nur mit einer Unterhose bekleidet über das Boot an den versammelten Mitarbeitern vorbei zum Ausgang gelaufen. Wieder angekleidet und vom Arbeitgeber zur Rede gestellt, habe er nur erklärt, Spaß haben zu wollen. Einen Drogenkonsum bestritt er.

Der Arbeitgeber wirft ihm vor, er habe mit seinem Verhalten massiv den Betriebsfrieden gestört. Er habe sich selbst und andere erheblichen Gefahren ausgesetzt. Die Strömung im Rhein sei an der Anlegestelle sehr stark und es herrsche dort reger Schiffsverkehr. Die Stimmung auf der Feier sei nach dem Zwischenfall jäh gekippt. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats fristlos. Der Arbeitnehmer ist der Ansicht, die Betriebsratsanhörung sei unwirksam, denn dem Gremium sei fälschlich mitgeteilt worden, dass er „unbekleidet“ in den Rhein gesprungen sei. Das Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf erklärte die Kündigung für unwirksam.

Landesarbeitsgericht: Vorherige Abmahnung fehlte

Das LAG wäre zum gleichen Ergebnis wie das ArbG gekommen. Es teilte die Argumentation des ArbG zur fehlerhaften Betriebsratsanhörung zwar nicht und sah in dem Verhalten des Arbeitnehmers eine Pflichtverletzung mit Bezug zum Arbeitsverhältnis. Er habe sich selbst aufgrund der Strömungen und des Schiffsverkehrs in Lebensgefahr begeben und potenziell Dritte gefährdet, die zum Helfen hätten veranlasst werden können. Die Kündigung scheitere aber an der fehlenden vorherigen Abmahnung. Diese sei auch nicht entbehrlich gewesen.

Der vom Arbeitgeber gestellte Auflösungsantrag sei erfolglos. Zwar habe der Arbeitnehmer auf einer Firmenveranstaltung im Juni 2022 mit einem lebensgroßen Deko-Plastik-Flamingo getanzt, sei mit diesem zu einem Bildautomaten gefahren und habe Selfies gemacht. Für dieses Verhalten sei er aber nur ermahnt worden.

So endete das Verfahren

Auf Vorschlag des LAG verständigten die Parteien sich: Das Arbeitsverhältnis wird fortgesetzt, der Arbeitnehmer tritt seinen Dienst wieder an. Der Arbeitgeber erteilt dem Arbeitnehmer eine Abmahnung wegen Störung des Betriebsfriedens, die der Arbeitnehmer akzeptiert.

Quelle: LAG Düsseldorf, Urteil vom 18.7.2023, 3 Sa 211/23

Arbeitgeberpflicht: Das Laptop des Betriebsrats muss nicht fest montiert werden

Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat in einem Zwangsvollstreckungsverfahren entschieden: Ein Arbeitgeber, der verpflichtet ist, dem Betriebsrat ein Laptop zur Verfügung zu stellen, kommt dieser Pflicht nicht nach, wenn er auf der festen Montage des Geräts besteht.

Der Arbeitgeberin war durch das ArbG aufgegeben worden, dem örtlichen Betriebsrat ein funktionsfähiges Laptop zur Verfügung zu stellen. Diese Entscheidung hat das Landesarbeitsgericht (LAG) bestätigt. Die Filialdirektorin der Arbeitgeberin erklärte daraufhin gegenüber der Betriebsratsvorsitzenden, sie händige das Laptop nur unter der Voraussetzung aus, dass man ihr sage, wo sie das Laptop befestigen könne.

Die Arbeitgeberin meint, mit der Verpflichtung zur Überlassung eines Laptops sei nicht der standortunabhängige Einsatz verbunden. Zudem habe sie ein Interesse daran, das Laptop durch die Befestigung vor Verlust oder Beschädigung zu sichern.

Das ArbG Köln sah das anders: Die Überlassung eines Laptops unter der Bedingung, dieses im Betriebsratsbüro zu befestigen, erfülle den Anspruch des Betriebsrats nicht.

Ein Laptop sei eine spezielle Bauform eines PC, die zu den Mobilgeräten zählt und damit standortunabhängig verwendbar sei. Eine Befestigung würde damit der definitionsgemäßen Verwendungsmöglichkeit entgegenstehen. Der pflegsame Umgang mit überlassenen Sachmitteln gehöre zu den Rücksichtnahmepflichten des Betriebsrats nach dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Anhaltspunkte dafür, dass hier eine berechtigte Besorgnis besteht, der Betriebsrat würde dem nicht entsprechen, bestünden nicht, so das ArbG.

Die sofortige Beschwerde der Arbeitgeberin gegen diesen Beschluss wurde am 5.6.2023 zurückgewiesen (5 Ta 26/23).

Quelle: ArbG Köln, Beschluss vom 10.1.2023, 14 BV 208/20, PM 9/23

Provisionsansprüche: Anrechnung von Provisionen auf das auszuzahlende Mutterschaftsgeld während eines Beschäftigungsverbots

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat in zweiter Instanz einer Vertriebsmitarbeiterin eine Absage erteilt, die meinte, eine Provision sei nicht auf ihr Mutterschaftsgeld anzurechnen.

Die Klägerin war als Vertriebsmitarbeiterin der Beklagten beschäftigt und erzielte neben fixen Bezügen variable Vergütungsbestandteile. Der Arbeitgeber berechnete ihren Mutterschutzlohn auf der Grundlage ihres Durchschnittseinkommens von Januar bis März 2021 und zahlte ihr monatlich ein Bruttogehalt inklusive eines Provisionsanteils. Die Klägerin meinte aber, ihr Arbeitgeber müsse ihr von September bis November 2021 zusätzliche Provisionen zahlen, da diese auf Geschäften basierten, die sie vor einem ärztlichen Beschäftigungsverbot vermittelt hatte und die erst während des Verbots fällig wurden. Die Parteien stritten also letztlich über die Frage, ob die von der Klägerin erworbenen Provisionsbeträge auf das während einem Beschäftigungsverbot von der Arbeitgeberin ausgezahlte Mutterschaftsgeld anzurechnen waren.

Das LAG: Provisionen, die erst während eines ärztlichen Beschäftigungsverbots fällig werden, kommen nur dann und nur in dem Umfang zur Auszahlung, wie sie den nach dem Mutterschutzgesetz (hier: § 18 S. 2 MuSchG) errechneten Mutterschutzlohn übersteigen. Mit anderen Worten: Nur in dem Fall, dass während eines ärztlichen Beschäftigungsverbots fällige Provisionen den berechneten Durchschnittslohn übersteigen, hätte die Mitarbeiterin ausschließlich die Zahlung der Provision verlangen können. So lag der Fall hier jedoch nicht. Die zugelassene Revision hat die Klägerin nicht eingelegt.

Quelle: LAG Niedersachsen, Urteil vom 20.2.2023, 1 Sa 702/22, PM vom 3.7.2023

Arbeitsvertrag: Keine Erstattung einer Personalvermittlungsprovision durch den Arbeitnehmer

Eine arbeitsvertragliche Regelung, nach der der Arbeitnehmer verpflichtet ist, dem Arbeitgeber eine von ihm für das Zustandekommen des Arbeitsvertrags an einen Dritten gezahlte Vermittlungsprovision zu erstatten, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor Ablauf einer bestimmten Frist beendet, ist unwirksam. So entschied es das Bundesarbeitsgericht (BAG).

Das war geschehen

Die Parteien schlossen Ende März 2021 einen Arbeitsvertrag, auf dessen Grundlage der Kläger ab dem 1.5.2021 bei der Beklagten tätig wurde. Der Vertrag kam durch Vermittlung eines Personaldienstleisters zustande. Die Beklagte zahlte an diesen eine Vermittlungsprovision von 4.461,60 Euro. Weitere 2.230,80 Euro sollten nach Ablauf der im Arbeitsvertrag vereinbarten sechsmonatigen Probezeit fällig sein. Nach § 13 des Arbeitsvertrags war der Kläger verpflichtet, der Beklagten die gezahlte Vermittlungsprovision zu erstatten, wenn das Arbeitsverhältnis nicht über den 30.6.2022 hinaus fortbestehen und unter anderem aus vom Kläger „zu vertretenden Gründen“ von ihm selbst beendet werden würde. Nachdem der Kläger sein Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 30.6.2021 gekündigt hatte, behielt die Beklagte unter Verweis auf den Arbeitsvertrag von der Vergütung für den Monat Juni 2021 einen Teilbetrag von 809,21 Euro netto ein.

Mit seiner Klage hat der Kläger soweit für die Revision von Interesse die Zahlung dieses Betrags verlangt. Er hat geltend gemacht, die Regelung in § 13 seines Arbeitsvertrags sei unwirksam, weil sie ihn unangemessen benachteilige. Die Beklagte hat im Weg der Widerklage die Erstattung restlicher Vermittlungsprovision von 3.652,39 Euro erstrebt. Sie hat die Auffassung vertreten, die vertragliche Regelung sei wirksam. Sie habe ein berechtigtes Interesse, die für die Vermittlung des Klägers gezahlte Provision nur dann endgültig aufzubringen, wenn er bis zum Ablauf der vereinbarten Frist für sie tätig gewesen sei.

So entschieden die Gerichte

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Die Revision der Beklagten blieb vor dem BAG erfolglos. Die genannte Regelung in § 13 des Arbeitsvertrags benachteiligt den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist daher nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) unwirksam. Der Kläger wird hierdurch in seinem vom Grundgesetz garantierten Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes beeinträchtigt, ohne dass dies durch begründete Interessen der Beklagten gerechtfertigt wäre. Der Arbeitgeber muss grundsätzlich das unternehmerische Risiko dafür tragen, dass sich von ihm getätigte finanzielle Aufwendungen für die Personalbeschaffung nicht „lohnen“, weil der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis in rechtlich zulässiger Weise beendet. Es besteht deshalb kein billigenswertes Interesse der Beklagten, solche Kosten auf den Kläger zu übertragen. Der Kläger erhält auch keinen Vorteil, der die Beeinträchtigung seiner Arbeitsplatzwahlfreiheit ausgleichen könnte.

Quelle: BAG, Urteil vom 20.6.2023, 1 AZR 265/22, PM 29/23

Fristlose Kündigung: Kollegin mit Äußerungen sexuell beleidigt

Auch auf einer betrieblichen Weihnachtsfeier gibt es keinen Freifahrtschein für sexuell belästigende Äußerungen gegenüber Kolleginnen. Es handelt sich um Verletzungen der vertraglichen Pflichten des Arbeitnehmers, die eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich rechtfertigen können. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist kann dem Arbeitgeber unzumutbar sein. Dies hat das Arbeitsgericht (ArbG) Elmshorn entschieden.

Das war geschehen

Der 32-jährige Kläger war seit dem Jahr 2019 bei seiner Arbeitgeberin beschäftigt, einer kleinen Firma mit sechs Mitarbeitern und einer Mitarbeiterin. Auf der Weihnachtsfeier im Dezember 2022 sammelte die Kollegin des Klägers Geld für ein Geschenk ein. Nachdem der Kläger nicht passend zahlen und die Kollegin nicht wechseln konnte, sagte der Kläger der Kollegin im Beisein anderer Kollegen: „Wir können sie ja auf den Kopf stellen und die Geldkarte durch den Schlitz ziehen.“ Die Kollegin beschwerte sich noch am gleichen Abend beim Geschäftsführer. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger vier Tage später fristlos. Dessen Kündigungsschutzklage blieb vor dem ArbG erfolglos.

Wichtiger Grund für Kündigung lag vor

Das ArbG stellt klar, dass auch unerwünschte Bemerkungen sexuellen Inhalts eine sexuelle Belästigung und damit einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen können, wenn sie die Würdeverletzung der betreffenden Person bezwecken oder bewirken. Das Verhalten des Klägers stellt danach eine sexuelle Belästigung dar und ist zudem schwerst beleidigend. Mit der Äußerung wird die Kollegin auf derbste Art und Weise zum Objekt sexueller Anspielungen herabgewürdigt. Sie wird mit einem Objekt gleichgestellt. Es handelt sich nicht um eine bloße „Anzüglichkeit“, sondern um eine besonders krasse Form der Herabwürdigung. Die Äußerung kann nur frauenfeindlich bzw. sexistisch verstanden werden.

Keine Entschuldigung

Es entschuldigt den Kläger nicht, dass er einen Scherz machen wollte. Eine Beleidigung und ein sexueller Übergriff werden nicht dadurch weniger intensiv, dass Kollegen darüber lachen im Gegenteil. Auch auf eine unmittelbare Reaktion der Kollegin kam es nicht an. Es ist nicht erforderlich, dass diese sich zeitlich unmittelbar getroffen zeigt. Das Verhalten des Opfers kann die Schwere der Äußerung nicht relativieren. Auch die Gesamtumstände der Weihnachtsfeier ändern nichts an der Bewertung. Selbst, wenn dort Alkohol konsumiert wurde und eine gelöste Stimmung herrschte, macht dies die Äußerung des Klägers nicht weniger schlimm. Eine solche herabwürdigende, öffentliche Äußerung ist geeignet, das Ansehen der einzigen Kollegin unter den Kollegen und im Unternehmen unwiederbringlich zu schädigen, wenn die Arbeitgeberin darauf nicht mit der außerordentlichen Kündigung reagiert.

Eine vorherige Abmahnung war entbehrlich. Das Fehlverhalten des Klägers wiegt so schwer, dass eine Hinnahme durch die Beklagte ausgeschlossen war. Dies musste dem Kläger auch erkennbar sein. Er hat sich weder entschuldigt noch wenigstens Reue gezeigt.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Es wurde beim Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein bereits Berufung eingelegt.

Quelle: ArbG Elmshorn, Urteil vom 26.4.2023, 3 Ca 1501 e/22, PM vom 6.6.2023

Kündigungsschutzprozess: Offene Videoüberwachung: kein Verwertungsverbot

In einem Kündigungsschutzprozess besteht grundsätzlich kein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Das gilt auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht. So hat es jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden.

Der Arbeitgeber warf dem Arbeitnehmer u. a. vor, eine sog. Mehrarbeitsschicht in der Absicht nicht geleistet zu haben, sie gleichwohl vergütet zu bekommen. Die auf einen anonymen Hinweis hin erfolgte Auswertung der Aufzeichnungen einer durch ein Piktogramm ausgewiesenen und auch sonst nicht zu übersehenden Videokamera an einem Tor zum Werksgelände ergab, dass der Kläger dieses noch vor Schichtbeginn wieder verlassen hatte. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis. Der Arbeitnehmer meinte u. a., die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot und dürften daher im Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden.

Die Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das sah das BAG anders: Es spiele es keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprach. Selbst, wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre eine Verarbeitung der betreffenden personenbezogenen Daten des Klägers durch die Gerichte für Arbeitssachen nach der DSGVO nicht ausgeschlossen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung wie hier offen erfolgt und vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht. In einem solchen Fall ist es grundsätzlich irrelevant, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial zugewartet und es bis dahin vorgehalten hat. Das BAG konnte offenlassen, ob ausnahmsweise aus Gründen der Generalprävention ein Verwertungsverbot in Bezug auf vorsätzliche Pflichtverstöße in Betracht kommt, wenn die offene Überwachungsmaßnahme eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung darstellt. Das war vorliegend nicht der Fall.

Quelle: BAG, Urteil vom 29.6.2023, 2 AZR 296/22, PM 31/23

Beschäftigungsende: Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

Wer in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Kündigung während der gesamten Kündigungsfrist der Arbeit aufgrund eingereichter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen fernbleibt, muss damit rechnen, dass er unter Umständen keine Entgeltfortzahlung beanspruchen kann. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein hat den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in einer Gesamtbetrachtung aller Indizien als erschüttert angesehen. Im Rahmen der erforderlichen Beweisaufnahme konnte die Klägerin das Gericht nicht von ihrer Arbeitsunfähigkeit überzeugen.

Das war geschehen

Die als Pflegeassistentin beschäftigte Klägerin hatte am 4.5.2022 mit Datum vom 5.5.2022 ein Kündigungsschreiben zum 15.6.2022 verfasst. Darin hatte sie u.a. um die Zusendung einer Kündigungsbestätigung und der Arbeitspapiere an ihre Wohnanschrift gebeten. Sie bedankte sich für die bisherige Zusammenarbeit und wünschte dem Unternehmen alles Gute. Die Klägerin erschien ab dem 5.5.2022 nicht mehr zur Arbeit. Sie reichte durchgehend bis zum 15.6.2022 und damit genau für sechs Wochen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein. Die beklagte Arbeitgeberin zahlte keine Entgeltfortzahlung. Die Zahlungsklage blieb anders als noch beim Arbeitsgericht (ArbG) vor dem LAG erfolglos.

So sieht es das Landesarbeitsgericht

Das LAG verwies zunächst auf den hohen Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Der Arbeitgeber kann diesen Beweiswert nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Eine Erschütterung kommt nicht nur dann in Betracht, wenn sich ein Arbeitnehmer in Zusammenhang mit seiner Kündigung einmal zeitlich passgenau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist krankschreiben lässt.

Krankschreibung genau bis zum Ende der Kündigungsfrist fragwürdig

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch erschüttert, wenn die Krankschreibung aufgrund mehrerer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durchgehend bis zum Ende der Kündigungsfrist andauert, diese punktgenau den maximalen Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen umfasst und sich aus dem Kündigungsschreiben ergibt, dass der Verfasser von vornherein nicht mehr mit seiner Anwesenheit rechnet.

Bei der Beweiswürdigung stellte das LAG entscheidend darauf ab, dass nach seiner Überzeugung die Klägerin ihrem Arzt Beschwerden vorgetragen hat, die tatsächlich nicht bestanden haben.

Quelle: LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 2.5.2023, 2 Sa 203/22

Dienste für einen Yoga-Verein: Arbeitnehmerstatus eines Vereinsmitglieds im Yoga-Ashram

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden: Das verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften kann nur von einem Verein in Anspruch genommen werden, der ein hinreichendes Maß an religiöser Systembildung und Weltdeutung aufweist. Andernfalls ist es ihm verwehrt, mit seinen Mitgliedern zu vereinbaren, außerhalb eines Arbeitsverhältnisses fremdbestimmte, weisungsgebundene Arbeit in persönlicher Abhängigkeit zu leisten, sofern diese nicht ähnlich einem Arbeitnehmer sozial geschützt sind.

Das war geschehen

Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein, dessen satzungsmäßiger Zweck „die Volksbildung durch die Verbreitung des Wissens, der Lehre, der Übungen und der Techniken des Yoga und verwandter Disziplinen sowie die Förderung der Religion“ ist. Zur Verwirklichung seiner Zwecke betreibt er Einrichtungen, in denen Kurse, Workshops, Seminare, Veranstaltungen und Vorträge zu Yoga und verwandten Disziplinen durchgeführt werden. Dort bestehen sog. Sevaka-Gemeinschaften. Sevakas sind Vereinsangehörige, die in der indischen Ashram- und Klostertradition zusammenleben und ihr Leben ganz der Übung und Verbreitung der Yoga Vidya Lehre widmen. Sie sind aufgrund ihrer Vereinsmitgliedschaft verpflichtet, nach Weisung ihrer Vorgesetzten Sevazeit zu leisten. Gegenstand der Sevadienste sind z. B. Tätigkeiten in Küche, Haushalt, Garten, Gebäudeunterhaltung, Werbung, Buchhaltung, Boutique etc. sowie die Durchführung von Yogaunterricht und die Leitung von Seminaren. Als Leistung zur Daseinsfürsorge stellt der Beklagte den Sevakas Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung und zahlt ein monatliches Taschengeld von bis zu 390 Euro, bei Führungsverantwortung bis zu 180 Euro zusätzlich. Sevakas sind gesetzlich kranken-, arbeitslosen-, renten- und pflegeversichert und erhalten eine zusätzliche Altersversorgung.

Sevadienste = Arbeitszeit

Die Klägerin ist Volljuristin. Sie lebte vom 1.3.2012 bis zur Beendigung ihrer Mitgliedschaft beim Beklagten am 30.6.2020 als Sevaka in dessen Yoga-Ashram und leistete dort im Rahmen ihrer Sevazeit verschiedene Arbeiten. Die Klägerin hat geltend gemacht, zwischen den Parteien habe ein Arbeitsverhältnis bestanden, und verlangt ab dem 1.1.2017 auf der Grundlage der vertraglichen Regelarbeitszeit von 42 Wochenstunden gesetzlichen Mindestlohn von 46.118,54 Euro brutto.

Beklagter behauptet Gemeinnützigkeit im Dienst der Gesellschaft

Der Beklagte hat eingewendet, die Klägerin habe gemeinnützige Sevadienste als Mitglied einer hinduistischen Ashramgemeinschaft und nicht in einem Arbeitsverhältnis geleistet. Die Religionsfreiheit gemäß Grundgesetz (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und das Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG) in Verbindung mit der Weimarer Verfassung (Art. 137 WRV) ermöglichten es, eine geistliche Lebensgemeinschaft zu schaffen, in der die Mitglieder außerhalb eines Arbeitsverhältnisses gemeinnützigen Dienst an der Gesellschaft leisteten.

Uneinigkeit der juristischen Instanzen

Das Arbeitsgericht (ArbG) Detmold hat soweit für die Revision von Bedeutung der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hat die Klage auf die Berufung des Beklagten abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BAG Erfolg. Die Klägerin war Arbeitnehmerin des Beklagten und hat für den streitgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Sie war vertraglich zu Sevadiensten und damit zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Der Arbeitnehmereigenschaft stehen weder die besonderen Gestaltungsrechte von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften noch die Vereinsautonomie (gem. Art. 9 Abs. 1 GG) entgegen.

Yoga Vidya Lehre ist weder mit Weltreligionen gleichzustellen…

Der Beklagte ist weder Religions- noch Weltanschauungsgemeinschaft. Es fehlt das erforderliche Mindestmaß an Systembildung und Weltdeutung. Der Beklagte bezieht sich in seiner Satzung unter anderem auf Weisheitslehren, Philosophien und Praktiken aus Indien und anderen östlichen und westlichen Kulturen sowie auf spirituelle Praktiken aus Buddhismus, Hinduismus, Christentum, Taoismus und anderen Weltreligionen. Aufgrund dieses weit gefassten Spektrums ist ein systemisches Gesamtgefüge religiöser bzw. weltanschaulicher Elemente und deren innerer Zusammenhang mit der Yoga Vidya Lehre nicht hinreichend erkennbar.

…noch wurde hier Vereinsautonomie ausgeübt

Auch die grundgesetzlich geschützte Vereinsautonomie (Art. 9 Abs. 1 GG) erlaubt die Erbringung fremdbestimmter, weisungsgebundener Arbeitsleistung in persönlicher Abhängigkeit außerhalb eines Arbeitsverhältnisses allenfalls dann, wenn zwingende arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen nicht umgangen werden. Zu diesen zählt unter anderem eine Vergütungszusage, die den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn garantiert, auf den Kost und Logis nicht anzurechnen sind. Denn dieser bezweckt die Existenzsicherung durch Arbeitseinkommen als Ausdruck der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG).

Das BAG konnte auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht abschließend über die Höhe des Mindestlohnanspruchs der Klägerin entscheiden und hat den Rechtsstreit deshalb an das LAG zurückverwiesen.

Quelle: BAG, Urteil vom 25.4.2023, 9 AZR 253/22, PM 20/23

Vergütungsfortzahlung: Freistellung: Was Arbeitnehmer nachweisen müssen

Wer sich auf eine dauerhafte und bezahlte Freistellung beruft, muss diese nachweisen. Einen solchen Nachweis konnte ein Arbeitnehmer in einem aktuellen Fall des Landesarbeitsgerichts (LAG) Düsseldorf nicht erbringen.

Das war geschehen

Der Kläger war seit 1994 im Bereich der Grünpflege bei der beklagten Stadt tätig. Er war einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt und tarifvertraglich ordentlich unkündbar. Er verdiente zuletzt monatlich 3.200 Euro brutto. Im Jahr 2015 erfolgte eine Abordnung zum Ordnungsamt. Mit einstweiligem Verfügungsverfahren erreichte der Kläger, dass die Abordnung Ende 2015 unter der Voraussetzung einer vertrauensärztlichen Untersuchung nicht endete. Die Stadt teilte dem Kläger daraufhin mit, dass, sofern er seine Arbeitskraft nach Beendigung seiner Arbeitsunfähigkeit anbiete, diese bis auf Widerruf nicht angenommen werde, insbesondere nicht vor dem Vorliegen des amtsärztlichen Untersuchungsergebnisses. Es werde auf das persönliche Anbieten der Arbeitsleistung verzichtet und der Arbeitswille unterstellt. Gleichzeitig zahlte die Stadt eine Vergütung nach den Grundsätzen des Annahmeverzugslohns.

Ein Versetzungsantrag des Klägers an das Ordnungsamt scheiterte. Im November 2017 bot die Stadt dem Kläger eine Einsatzmöglichkeit im Amt für Straßen und Verkehr an. Trotz mehrfacher Versuche kam es nicht zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und der Stadt. In einem weiteren gerichtlichen Verfahren vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Essen erklärte die Stadt nochmals, dass eine Tätigkeit im Bereich Straßen und Verkehr für den Kläger vorhanden sei. Das Verfahren wurde ruhend gestellt und der Kläger nahm einen Termin zum Kennenlernen wahr. Dieser verlief negativ. Nach der Vorstellung des Klägers in einem Museum im Frühjahr 2018 kam es dort zu keiner Einstellung. Der Kläger ist seitdem unbeschäftigt. Er erhielt gleichwohl fortlaufend seine vereinbarte Vergütung. Die Stadt forderte den Kläger Anfang 2022 auf, im Rathaus zu erscheinen, um über seine weitere Tätigkeit zu sprechen. Hierzu wurde kein Einvernehmen erzielt.

Das wollte der Kläger

Der Kläger hat mit der Klage begehrt, festzustellen, dass er seitens der Stadt unwiderruflich und unter Fortzahlung seiner Vergütung freigestellt worden sei. Der für ihn zuständige Sachgebietsleiter habe dies bereits im Februar 2018 erklärt. Er habe ausdrücklich nachgefragt, wie lange dies dauern solle. Der Sachgebietsleiter habe geantwortet, dass dies dauerhaft und unwiderruflich sei. Er brauche auch keine weiteren arbeitsgerichtlichen Verfahren mehr zu führen. Dem hat die Stadt widersprochen. Eine entsprechende Zusage habe es nicht gegeben. Hierzu sei der Sachgebietsleiter zudem nicht befugt gewesen. Außerdem würden Personalgespräche bei ihr auf Arbeitgeberseite grundsätzlich durch zwei Personen geführt.

Arbeitsgericht wies Klage ab

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Die Abrede zu einer dauerhaften unwiderruflichen Freistellung mit Fortzahlung der Vergütung habe der Kläger nach Vernehmung einer Zeugin, einer Bekannten des Klägers, und eines Zeugen, des Sachgebietsleiters, nicht beweisen können.

Landesarbeitsgericht bestätigt Arbeitsgericht

Nachdem der Kläger den im ersten Kammertermin vor dem LAG geschlossenen Vergleich fristgerecht widerrufen hatte, hat es nun in der Sache entschieden. Es hat die gegen das Urteil des ArbG gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.

Seine Entscheidung ist damit rechtskräftig.

Das LAG hat insbesondere die Beweiswürdigung des ArbG nicht beanstandet. Im Übrigen, so das LAG, war die behauptete Erklärung bei Würdigung aller Umstände ohnehin nicht im Sinne einer Freistellung zu verstehen, die tatsächlich unwiderruflich war. Und weiter fehlte es an der erforderlichen Vollmacht des Sachgebietsleiters zu der vom Kläger behaupteten Erklärung.

Quelle: LAG Düsseldorf, Urteil vom 2.5.2023, 8 Sa 594/22, PM 17/23

Unzumutbarkeit: Auflösungsantrag des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess

Stellt das Gericht fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer ein Fortsetzen des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, muss das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis auflösen und den Arbeitgeber verurteilen, eine angemessene Abfindung zu zahlen. So hat es jetzt das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg entschieden.

Es kommt auf die Unzumutbarkeit an

Dieser Grundsatz folgt aus dem Kündigungsschutzgesetz (hier: § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG). In entsprechenden Fällen ist meist die Frage der Unzumutbarkeit ausschlaggebend. Dazu hat das LAG entschieden: Die gegen den Arbeitnehmer zum Ausdruck kommende, durch geänderte und schlechte Arbeitsbedingungen bei der Erfüllung des Weiterbeschäftigungsanspruchs gekennzeichnete feindselige Haltung des Arbeitgebers kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitnehmers rechtfertigen.

Das war geschehen

In dem Fall des LAG war der Arbeitgeber in erster Instanz zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers verurteilt worden. Während des Berufungsverfahrens hatte er ihm die bisherigen Aufgaben nicht mehr zugewiesen. Er hat ihn vielmehr in eine andere Niederlassung versetzt.

„Feindliche Haltung“ des Geschäftsführers

Die Begründung hierfür überzeugte das LAG in keiner Weise. Er hätte auch den im Lauf der Arbeitsunfähigkeit oder des Kündigungsschutzprozesses mit den ursprünglichen Aufgaben des Arbeitnehmers betrauten Mitarbeiter in die andere Niederlassung versetzen können. Das LAG hat in der Befragung und Diskussion mit dem Geschäftsführer zudem den nachhaltigen Eindruck gewonnen, dass dieser die angedeutete Entscheidung der Arbeitsgerichte über die Kündigung nicht nachvollziehen kann und dass er dies den Arbeitnehmer weiterhin spüren lassen wird. Dem entspricht, dass er von einem Vertrauensverlust gegenüber dem Arbeitnehmer allein deswegen ausgeht, weil dieser den Firmenlaptop nicht sofort zurückgegeben hat. Der Arbeitnehmer kann bei einer derart feindlichen Haltung des Geschäftsführers nach der Überzeugung des LAG nicht damit rechnen, dass in Zukunft eine störungsfreie Weiterarbeit und ein unbelastetes Miteinander möglich ist. Dies rechtfertigt die Auflösung auf seinen Antrag hin.

Quelle: LAG Nürnberg, Urteil vom 29.11.2022, 1 Sa 250/22