Verkehrssicherungspflicht: Wer haftet bei Kollision mit Baustellenmaterial ohne Absicherung?

Ein Bautrupp hielt mit einem Transporter in einer Kurve am Straßenrand und lud als Erstes eine Kabeltrommel aus dem Fahrzeug auf die Straße. Eine Minute danach kollidierte ein vorbeifahrendes Fahrzeug mit der Trommel, dessen Fahrer auf den Transporter achtete. Der Fahrer des Transporters und sein Versicherer meinen, für das Absichern der Baustelle mit Pylonen sei noch keine Zeit gewesen. Zudem sei die Kabeltrommel sichtbar gewesen. Das sah das Amtsgericht (AG) Pforzheim allerdings ganz anders.

Falsche Reihenfolge

Das AG: Erst ist abzusichern, dann die Kabeltrommel auszuladen. War der Zugriff zum Absicherungsmaterial durch die Kabeltrommel versperrt, entlastet das nicht. Denn das müsse man von vornherein anders laden.

So verteilte das Gericht die Haftung

Allerdings kam das AG zum Ergebnis, dass die Haftung auf jeweils 50 Prozent zu verteilen war. Denn der Unfallbeteiligte hätte bei mehr Aufmerksamkeit die Kabeltrommel sehen können.

Quelle: AG Pforzheim, Urteil vom 19.9.2024, 2 C 1790/23

Gefährdung: Schuss im Straßenverkehr abgegeben: Das sind die Folgen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich aktuell zu den Folgen des Schießens im Straßenverkehr geäußert.

Das war geschehen

Der Angeklagte, der eine scharfe Schusswaffe bei sich führte, hat der Ehefrau des Geschädigten gewaltsam einen Koffer mit über drei Kilogramm Goldschmuck entrissen. Sodann flüchteten der Angeklagte und seine Mittäter mit einem Kraftfahrzeug vom Tatort. Der Geschädigte nahm mit seinem Pkw sogleich die Verfolgung der Täter auf, um seinen Goldschmuck zurückzuerlangen. Auf einer viel befahrenen BAB kam es zu einer Kollision beider Fahrzeuge, indem der Geschädigte auffuhr. Um ihn abzuschütteln, lehnte sich der hinten links sitzende Angeklagte aus dem Fenster des vorausfahrenden Täterfahrzeugs und gab einen Schuss in Richtung des Pkw des Geschädigten ab. Das Projektil traf zunächst die Motorhaube des Pkw auf der Fahrerseite und prallte sodann an dessen Windschutzscheibe ab. Beide Fahrzeugteile wurden hierbei beschädigt.

Das sagt der Bundesgerichtshof

Der BGH wertet den Vorfall (auch) als vollendeten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Dieser Tatbestand kann erfüllt sein, wenn die Tathandlung, z. B. durch Abgabe eines Schusses, unmittelbar zu einer konkreten Gefahr oder Schädigung führt, wie Sachschäden am Kraftfahrzeug des Geschädigten. Der Schutzzweck der Norm gebietet aber eine restriktive Auslegung der Norm, als unter einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert nur verkehrsspezifische Gefahren verstanden werden dürfen. Dies ist der Fall, wenn die konkrete Gefahr jedenfalls auch auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte (Dynamik des Straßenverkehrs) zurückzuführen ist.

Dynamik des Straßenverkehrs erhöhte die Gefahr

Hier hat der Angeklagte mit dem abgegebenen Schuss nicht die Seitenfläche, sondern die Stirnseite des vorwärts bewegten fremden Pkw getroffen. Bei der Schadenentstehung wirkte die Dynamik des Straßenverkehrs hier zumindest dadurch gefahrerhöhend, dass im Auftreffen des Projektils zu dessen kinetischer Energie anders auch als bei einem stehenden Fahrzeug als Ziel jene Bewegungsenergie hinzukam, die mit der gegenläufigen Bewegung der Trefferfläche an dem nachfolgenden Kraftfahrzeug des Geschädigten verbunden war. Dieser synergistische Effekt begründet ungeachtet der hohen Eigendynamik des auftreffenden Projektils unter den festgestellten Umständen die erforderliche, aber auch ausreichende innere Verbindung der eingetretenen konkreten Gefahr mit der Dynamik des Straßenverkehrs.

Quelle: BGH, Urteil vom 23.4.2024, 4 StR 87/24

Schadenersatz: Erstattungsfähig: Kosten für Stellungnahme des Sachverständigen zum Prüfbericht

Greift der Versicherer mit einem Prüfbericht Positionen der Reparaturrechnung an, darf der Geschädigte den ursprünglich tätig gewesenen Gutachter mit einer Stellungnahme beauftragen. Die Kosten dafür muss der Schädiger ersetzen. So entschied es das Landgericht (LG) Potsdam.

Inhalt des Prüfberichts

Zu berücksichtigen sei nämlich, dass sich der Prüfbericht nicht mit dem ursprünglichen Gutachten des Gutachters auseinandersetzt. Er befasst sich vielmehr mit der Reparaturkostenrechnung. Darüber hinaus formuliert er Einwendungen gegen. Damit werden Streitpunkte aufgeworfen, mit denen sich das Gutachten aus Laiensicht noch gar nicht befassen konnte und zu denen es daher auch keine Aussage trifft.

„Waffengleichheit“ soll gewahrt werden

Ob die Einwendungen im Prüfbericht berechtigt sind oder nicht, könne der Geschädigte als Laie nicht eigenständig beurteilen. Das OLG: Um die Waffengleichheit zu wahren, sei es als gerechtfertigt anzusehen, eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme einzuholen.

Quelle: LG Potsdam, Beschluss vom 17.6.2024, 6 S 8/24

Schadenersatz: Wenn der Totalschaden nicht erkennbar ist, darf zur Heimatwerkstatt abgeschleppt werden

Ist es für den Geschädigten nicht offensichtlich, dass ein Totalschaden vorliegt, darf er das verunfallte Fahrzeug von der Unfallstelle zur Heimatwerkstatt schleppen lassen. Das hat das Amtsgericht (AG) Sonthofen entschieden.

Im Fall des AG stellte sich im Nachhinein heraus, dass ein Totalschaden vorlag. Das konnte das der Geschädigte nicht selbst erkennen. Denn, wie häufig, war das Schadensbild nicht besonders gravierend. Zwischen Unfallort und Heimatort lagen nur 20 km.

Quelle: AG Sonthofen, Urteil vom 6.8.2024, 3 C 96/24

Fahrerflucht: Neues zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort

Auch eine strafbare Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort ist möglich. Das hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) noch einmal klargestellt.

Zwei Mitfahrer hatten sich mit dem angeklagten Fahrer nach einem Verkehrsunfall noch im Fahrzeug auf eine gemeinsame Flucht verständigt. Sie hätten ihn hierdurch in seinem Entschluss bestärkt, sich vom Ort des durch ihn verursachten Verkehrsunfalls zu entfernen. Alle drei Personen verließen zeitnah zueinander das Fahrzeug und liefen davon.

Quelle: BGH, Urteil vom 1.8.2024, 4 StR 409/23

Cannabis-Legalisierung: Fahrlehrer: Fahrerlaubnisentzug nach Cannabis-Konsum?

Am 1.4.24 sind das Konsumcannabisgesetz (KCanG) und das Cannabisgesetz (CanG) in Kraft getreten. Diese enthielten auch Änderungen zur Fahrerlaubnisverordnung (FEV). Betroffen waren vor allem die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis bei Cannabiskonsum. Die Änderungen zielen darauf ab, die (neue) Rechtslage zu präzisieren und gleichzeitig auf die (Teil)Legalisierung zu reagieren. Es liegt nun eine erste Entscheidung eines Oberverwaltungsgerichts (OVG) zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabiskonsum nach neuem Recht vor.

Fahrlehrer konsumierte regelmäßig Cannabis

Im Fall des OVG Saarland war einem Fahrlehrer die Fahrerlaubnis wegen regelmäßigen Cannabiskonsums entzogen worden. Sein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hatte zwar beim OVG keinen Erfolg. Das OVG macht aber interessante Ausführungen zu den Auswirkungen des KCanG/CanG: Es verweist darauf, dass maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ist. Die Widerspruchsbehörde müsse ihrer Entscheidung daher ggf. das am 1.4.24 in Kraft getretene neue Recht zugrunde legen.

Neues Recht einschlägig

Mit der Neuregelung hat der Normgeber seine bisherige Annahme aufgegeben, dass mit einem regelmäßigen Konsum im Regelfall mangelnde Kraftfahreignung einhergeht. Der bisherigen Regelvermutung der Ungeeignetheit ist damit in ihrer bisherigen Ausgestaltung die Grundlage entzogen.

Abhängigkeit oder Unbedenklichkeit?

Zwar geht aus der Gesetzesbegründung nicht hervor, unter welchen Voraussetzungen der Betroffene nicht hinreichend sicher zwischen dem Führen eines Kraftfahrzeugs und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Konsum trennt. Insoweit drängt sich auf, dass bei regelmäßigem Konsum nun die Umstände des Einzelfalls von zentraler Bedeutung sind. Nach ihnen ist zu beurteilen, ob der Tatbestand des Missbrauchs bzw. der Abhängigkeit erfüllt ist oder ein fahrerlaubnisrechtlich unbedenkliches Konsumverhalten vorliegt.

Begutachtung erforderlich

Das auf die alten Beurteilungsleitlinien gestützte Argument, bei regelmäßigem Cannabiskonsum liege im Regelfall Cannabismissbrauch vor, hat demgegenüber nach Auffassung des OVG das Potenzial, den Willen des Normgebers zu konterkarieren. Vielmehr stellt das OVG klar: Es erscheint nach Inkrafttreten der neuen fahrerlaubnisrechtlichen Regelungen zum Cannabiskonsum nicht (mehr) vertretbar, bei regelmäßigem Konsum allein gestützt auf diesen und auf die bisherige Fassung der Begutachtungsleitlinien für die Kraftfahreignung, also ohne vorherige Begutachtung, auf eine durch Cannabismissbrauch bedingte Fahrungeeignetheit zu schließen.

Quelle: OVG Saarland, Urteil vom 7.8.2024, 1 B 80/24

Fahrerlaubnis auf Probe: Medizinisch-psychologisches Gutachten nach erneutem Verkehrsverstoß in neuer Probezeit

Gegenüber dem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe, der nach der Begehung von mindestens einer schwerwiegenden oder zwei weniger schwerwiegenden Zuwiderhandlung(en) auf die Fahrerlaubnis verzichtet und der nach der Neuerteilung der Fahrerlaubnis in der neuen Probezeit erneut eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlung(en) begeht, muss die zuständige Fahrerlaubnisbehörde wie im Fall einer vorangegangenen Fahrerlaubnisentziehung in entsprechender Anwendung des Straßenverkehrsgesetzes (hier: § 2a Abs. 5 S. 5 StVG) in der Regel die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden.

Negative Beurteilung der Fahreignung

Dem Kläger wurde erstmals im Juli 2014 die Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt. Bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle und einer weiteren Kontrolle aus Anlass von Verkehrsverstößen wurde der Konsum von Cannabis festgestellt. Darauf verlangte die Fahrerlaubnisbehörde ein medizinisch-psychologisches Gutachten. Das von dem Kläger vorgelegte Gutachten führte zu einer negativen Beurteilung seiner Fahreignung, worauf er auf seine Fahrerlaubnis verzichtete.

Neuerteilung der Fahrerlaubnis

Auf der Grundlage eines nun positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens wurde dem Kläger im Juli 2020 die Fahrerlaubnis der Klasse B neu erteilt. Zwei Monate später überfuhr er eine bereits länger als eine Sekunde rote Ampel. Die Fahrerlaubnisbehörde ordnete erneut die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an und stützte sich hierfür auf § 2a Abs. 5 S. 5 StVG.

Entziehung der Fahrerlaubnis

Nachdem der Kläger das Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt hatte, wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Das Verwaltungsgericht (VG) hat die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben, weil die Anordnung der Beibringung eines erneuten medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht auf § 2a Abs. 5 S. 5 StVG habe gestützt werden können. Die Vorschrift gelte nach ihrem Wortlaut nur, wenn die erste Fahrerlaubnis entzogen worden sei und nicht, wenn der Betroffene wie hier auf die Fahrerlaubnis verzichtet habe. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat hingegen die Vorschrift auf den Verzicht für entsprechend anwendbar gehalten und die Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis abgewiesen.

So sieht es das Bundesverwaltungsgericht

Das BVerwG hat die Rechtsauffassung des OVG bestätigt. Die Anforderung des medizinisch-psychologischen Gutachtens konnte auf § 2a Abs. 5 S. 5 StVG in entsprechender Anwendung gestützt werden.

Die Fahrerlaubnis auf Probe wurde im Jahr 1986 eingeführt. Sie soll allen Fahranfängern deutlich machen, dass sie sich in einer Probezeit bewähren müssen. Mit dem Gesetz zur Änderung des StVG vom 24.4.1998 reagierte der Gesetzgeber auf den Versuch, die Regelungen der Fahrerlaubnis auf Probe durch Verzicht und anschließenden Neuerwerb zu umgehen. Es hatte zum Ziel, dass die Regelungen für den Fall der Entziehung auch beim Verzicht auf die Fahrerlaubnis Anwendung finden.

Gesetzliche Regelungslücke

Für die hier in Rede stehenden Regelungen über die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis und Zuwiderhandlung in der neuen Probezeit (§ 2a Abs. 5 StVG) sollte ebenfalls eine Gleichstellung erfolgen. Ausdrücklich geregelt wurde sie nur für das Erfordernis der Teilnahme an einem Aufbauseminar vor Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis, nicht für die Anforderung eines Gutachtens nach erneuter Nichtbewährung in der neuen Probezeit. Das Ziel, einer Umgehung der Probezeit mit ihren besonderen Maßnahmen zu begegnen, sowie Sinn und Zweck der Vorschriften, im Interesse der Verkehrssicherheit auf alle Fahranfänger gleiche Regeln anzuwenden, rechtfertigen die Annahme einer nicht beabsichtigten Regelungslücke, die durch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift zu schließen ist.

Quelle: BVerwG, Urteil vom 10.10.2024, 3 C 3.23, PM 47/24

Sorgfaltspflicht: Alleinhaftung des Auffahrenden bei Zweitunfall

Wer Anzeichen für einen Verkehrsunfall auf der eigenen Fahrbahn ignoriert und mit voller Geschwindigkeit auf die Unfallstelle zufährt, kann keinen Schadenersatz wegen einer Kollision verlangen. Das hat das Landgericht (LG) Lübeck entschieden.

Kollision mit einem Rehkadaver

Ein Mercedes-Fahrer kollidierte auf der Autobahn mit einem Reh. Sein Fahrzeug verlor hierbei einige Teile auf dem linken Fahrstreifen. Dort blieben auch Teile des Rehkadavers liegen. Mehrere Minuten nach dem Unfall erreichte ein Audi-Fahrer die Erstunfallstelle. Er fuhr auf dem linken Fahrstreifen mit einer Geschwindigkeit von 130 km/h. Dabei bemerkte er eine Person, die 500 Meter vor ihm ohne Warnweste auf seinem Fahrstreifen lief. Auf Höhe dieser Person will der Audi-Fahrer mit Teilen des Reh-Kadavers kollidiert sein, wodurch erhebliche Schäden am Fahrzeug entstanden sein sollen.

Der Audi-Fahrer wollte diesen Schaden vollständig ersetzt bekommen. Die Erstunfallstelle sei bei seinem Eintreffen nicht abgesichert gewesen und er habe seine Geschwindigkeit bis hin zur Vollbremsung reduziert, sobald er die Person auf seinem Fahrstreifen bemerkt habe. Die Versicherung der Eigentümerin des Mercedes lehnte das ab. Darauf versuchte der Audi-Fahrer seinen Anspruch vor dem LG Lübeck gegen die Versicherung und den Mercedes-Fahrer durchzusetzen.

Sorgfalt außer Acht gelassen

Nach Ansicht des Gerichts wurde der Zweitunfall ganz überwiegend durch den Audi-Fahrer selbst verursacht. Indem er „die ausreichende Absicherungsmaßnahme durch das Warndreieck und die Bedeutung einer betriebsfremden Person auf der Autobahn grob missachtet hat und darauf verzichtet hat, dies zum Anlass zu nehmen, um besonders aufmerksam zu sein, seine Fahrgeschwindigkeit deutlich zu reduzieren und sich bremsbereit zu halten, hat er jegliche Sorgfalt außer Acht gelassen, die in der durch ihn selbst vorgetragenen Ausgangslage erforderlich gewesen wäre, um sich vor Schäden zu bewahren“. Er habe sich schließlich „sehenden Auges ohne sachlichen Grund selbst in Gefahr begeben“. Vor diesem Hintergrund hielt das Gericht eine Haftung des Mercedes-Fahrers und der Versicherung nicht für gerechtfertigt.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle: LG Lübeck, Urteil vom 29.12.2023, 9 O 1/22

Abschleppkosten: Kostenbescheid wegen Umsetzen von Elektro-Scooter ist rechtmäßig

Das Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt a. M. hat die Klage einer Anbieterin von Elektro-Scootern gegen einen Kostenbescheid der Stadt Frankfurt abgewiesen, mit dem sie zur Erstattung der Kosten von Umsetzmaßnahmen herangezogen wurde.

Gewerblicher Vermieter von Elektro-Scootern

Die Klägerin bietet bundesweit in ca. 20 Städten Elektro-Scooter zur Nutzung durch Privatpersonen an. Diese werden in den Stadtgebieten platziert und können über eine Smartphone-App angemietet sowie nach Beendigung der Fahrt abgestellt werden.

Im September 2023 stellte eine Hilfspolizeikraft der Stadt Frankfurt a. M. fest, dass ein von der Klägerin zur Vermietung bereitgestellter Elektro-Scooter auf dem Gehweg und hier auf einem taktilen Bodenleitsystem abgestellt war, das der Orientierung von blinden und hochgradig sehbehinderten Menschen dient. Ein Bediensteter der Stadt Frankfurt setzte den Elektro-Scooter um. Hierfür stellte die Stadt Frankfurt der Klägerin 74 Euro in Rechnung.

74 Euro für das Umsetzen eines E-Scooters unverhältnismäßig?

Die Klägerin hat beim VG Klage gegen den Kostenbescheid erhoben, da sie der Auffassung ist, dass für die Kostenerhebung keine Rechtsgrundlage bestehe. Im Übrigen meint sie, dass die Höhe von 74 Euro unverhältnismäßig hoch sei, weil das Umsetzen um wenige Meter nicht länger als 30 Sekunden dauere. Zudem würden in anderen Städten geringere Gebühren fällig.

Stadt: 74 Euro = Mindestgebühr

Dem ist die beklagte Stadt Frankfurt entgegengetreten. Sie könne die Gebühren auf den allgemeinen Gebührentatbestand für Verwaltungstätigkeiten stützen, die eine Mindestgebühr von 74 Euro vorsehe. Die Elektro-Scooter könnten nicht ohne Weiteres umgesetzt werden, da diese einen starken Rollwiderstand aufweisen würden. Es stehe der Klägerin frei, durch eigene Beauftragte verkehrsordnungswidrige Zustände zu beheben.

Abstellen auf dem Gehweg verstößt gegen Rücksichtnahmegebot

Das VG hat die Klage abgewiesen. Es wies darauf hin, dass das Abstellen des Elektro-Scooters auf dem Gehweg jedenfalls gegen das allgemeine straßenverkehrsrechtliche Rücksichtnahmegebot verstoße. Die Klägerin erläuterte, dass sie mangels Daten keine Regressmöglichkeiten gegenüber den Nutzern habe. Als wesentlicher Gesichtspunkt wurde in der mündlichen Verhandlung weiter erörtert, auf welcher Grundlage die Klägerin die Elektro-Scooter im Stadtgebiet zur Verfügung stellt und ob es sich um Sondernutzung oder Gemeingebrauch handelt. Schließlich wurde diskutiert, welchen tatsächlichen Aufwand eine Umsetzung verursacht und welcher Verwaltungsaufwand in diesem Zusammenhang anfällt. Das VG hat angedeutet, dass hinsichtlich der Gebührenhöhe keine rechtlichen Zweifel bestehen dürften.

Quelle: VG Frankfurt a. M., Urteil vom 3.7.2024, 12 K 138/24.F, PM 13/24

Illegales Kraftfahrzeugrennen: Polizei stellt Motorrad zu Unrecht sicher

Die Polizei durfte ein Motorrad nach dem Anhalten des Fahrers bei einer Verkehrskontrolle aufgrund seines vorangegangenen Verhaltens, das von ihr als verbotenes Kraftfahrzeugrennen bewertet wurde, nicht zur Gefahrenabwehr sicherstellen. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz.

Verbotenes Kraftfahrzeugrennen?

Im Februar 2022 wurden zwei Polizeibeamte eines Streifenwagens auf zwei Motorräder aufmerksam, die nach ihrer Einschätzung mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 bis 100 km/h auf einer vierspurigen Straße in Ludwigshafen fuhren, auf der eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erlaubt ist. Die Polizeibeamten folgten den beiden Motorradfahrern bis zu einer Ampel und forderten sie auf, sich in eine Seitenstraße zur Durchführung einer Verkehrskontrolle zu begeben. Während der andere Motorradfahrer flüchtete, folgte der Kläger den Anweisungen der Polizeibeamten. Diese belehrten den Kläger als Beschuldigten eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens, einer Straftat, und stellten das Fahrzeug doppelfunktional sicher, also sowohl im Rahmen der Strafverfolgung als auch zur Gefahrenabwehr. Außerdem wurde die Beschlagnahme des Führerscheins angeordnet. Das Strafverfahren gegen den Kläger wurde vom Amtsgericht (AG) Ludwigshafen im April 2023 wegen geringer Schuld eingestellt.

Kläger ging gegen Sicherstellung des Motorrads vor: mit Erfolg

Gegen die fortbestehende Sicherstellung des Motorrads zur Gefahrenabwehr erhob der Kläger nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchverfahrens Klage, die das Verwaltungsgericht (VG) Neustadt an der Weinstraße abwies. Auf die Berufung des Klägers änderte das OVG die Entscheidung des VG, hob den Sicherstellungsbescheid auf und verurteilte das beklagte Land, das sichergestellte Motorrad herauszugeben.

Die Voraussetzungen für eine präventive Sicherstellung des Motorrads des Klägers lägen nicht vor. Nach § 22 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes könne die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Gegenwärtig sei eine Gefahr dann, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen habe oder unmittelbar bzw. in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorstehe. Hiervon ausgehend sei die zum Zeitpunkt der Sicherstellung des Motorrads getroffene Gefahrenprognose der Polizeibeamten nicht gerechtfertigt gewesen.

„Straßenrennen“ war durch polizeiliche Kontrolle beendet

Selbst, wenn die Polizeibeamten das Verhalten des Klägers als strafbares Straßenrennen hätten bewerten dürfen, was dahingestellt bleiben könne, trage dieser Umstand nicht die Prognose einer gegenwärtigen Gefahr. Mit dem Anhalten des Klägers im Rahmen der anlassbezogenen Verkehrskontrolle sei das hier unterstellte strafbare illegale Kraftfahrzeugrennen des Klägers beendet gewesen. Die anschließende Sicherstellung sei demgemäß nicht zu dem Zweck erfolgt, das von den Beamten als Kraftfahrzeugrennen eingestufte Verhalten zu stoppen, sondern das Begehen künftiger Verkehrsstraftaten zu verhindern. Es hätten jedoch keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Kläger in allernächster Zeit nach der Verkehrskontrolle mit hoher Wahrscheinlichkeit mit seinem Motorrad an einem (weiteren) illegalen Straßenrennen teilgenommen oder sonstige Straftaten im Verkehr begangen hätte. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es keinen allgemeinen Erfahrungssatz gebe, wonach ein von der Polizei ertappter „Verkehrssünder“ sich generell unbelehrbar zeige und von den ihm angedrohten Bußgeldern, Fahrverboten oder gar wie hier gegen ihn eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren unbeeindruckt bleibe. Vielmehr müsse im Regelfall davon ausgegangen werden, dass diese Mittel und Sanktionen den durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer so nachhaltig beeindruckten, dass er von der umgehenden Begehung erneuter Verkehrsverstöße bzw. Straßenverkehrsdelikte absehe.

Einmaliges Vergehen rechtfertigte Sicherstellung nicht

Etwas anderes könne nur in Ausnahmefällen gelten, beispielsweise, wenn der Fahrzeugführer infolge von Alkohol- oder Drogenkonsum enthemmt sei. Auch ungewöhnlich viele Verkehrsverstöße in der Vergangenheit oder ein wiederholtes Fahren ohne Fahrerlaubnis könnten auf eine Unbelehrbarkeit hindeuten. Danach reiche ein strafbares Verhalten des Klägers im Februar 2022 für die Annahme, er werde in allernächster Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Straßenverkehrsdelikte begehen, nicht aus.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den sonstigen Umständen, insbesondere nicht aus der Motorisierung des Motorrads oder der Tatsache, dass gegen den Kläger zwar bereits im Jahr 2020 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines illegalen Straßenrennens geführt worden sei, dieses aber nicht zu einer entsprechenden strafgerichtlichen Verurteilung geführt habe.

Quelle: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.4.2024, 7 A 10988/23.OVG, PM 8/24