Geschlechtszugehörigkeit: Deutsche Bahn: Keine Diskriminierung nicht-binärer Personen
Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat die Vertriebstochter des größten deutschen Bahnkonzerns verpflichtet, es ab dem 1.1.2023 zu unterlassen, die klagende Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit zu diskriminieren, indem diese bei der Nutzung von Angeboten des Unternehmens zwingend eine Anrede als „Herr“ oder „Frau“ angeben muss.
Das war geschehen
Die Beklagte ist Vertriebstochter der Deutschen Bahn. Die klagende Person besitzt eine nicht-binäre Geschlechtsidentität. Die Person ist Inhaberin einer BahnCard und wird in diesbezüglichen Schreiben sowie Newslettern der Beklagten mit der unzutreffenden Bezeichnung „Herr“ adressiert. Auch beim Online-Fahrkartenverkauf der Beklagten ist es zwingend erforderlich, zwischen einer Anrede als „Frau“ oder „Herr“ auszuwählen. Die klagende Person ist der Ansicht, ihr stünden Unterlassungsansprüche sowie ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 5.000 Euro gegen die Beklagte zu, da deren Verhalten diskriminierend sei.
Landgericht: Unterlassungsanspruch ja, Entschädigung nein
Das Landgericht (LG) hatte den Unterlassungsansprüchen der klagenden Person stattgegeben, Entschädigungsansprüche allerdings abgewiesen.
Oberlandesgericht: Unterlassungsanspruch ja, Entschädigungsanspruch ja
Nun hat das OLG die Unterlassungsansprüche der klagenden Person bestätigt, dabei allerdings der Beklagten hinsichtlich des Unterlassungsgebots bezüglich der Nutzung von Angeboten der Beklagten eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende eingeräumt. Zudem hat es eine Entschädigung von 1.000 Euro zugesprochen. Die klagende Person könne wegen einer unmittelbaren Benachteiligung aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität bei der Begründung und Durchführung von zivilrechtlichen Schuldverhältnissen im Massenverkehr Unterlassung verlangen. Das Merkmal der Begründung eines Schuldverhältnisses sei dabei weit auszulegen und nicht nur auf konkrete Vertragsanbahnungen zu beziehen. Es umfasse auch die Verhinderung geschäftlicher Kontakte, wenn nicht-binäre Personen gezwungen würden, für einen Online-Vertragsschluss zwingend die Anrede „Herr“ oder „Frau“ auszuwählen.
Allerdings hat das OLG der Beklagten eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende von gut sechs Monaten eingeräumt. Dies bezieht sich vor allem auf die Nutzung des von der Beklagten zur Verfügung gestellten allgemeinen Buchungssystems für Online-Fahrkarten, das sich nicht nur an die klagende Person richtet. Das OLG hat die Frist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit im Hinblick auf den für die Anpassung nötigen Aufwand bemessen.
Umstellung ohne Übergangsfrist technisch möglich
Keine Umstellungsfrist hat das OLG gewährt, soweit sich der Unterlassungsanspruch der klagenden Person auf das Ausstellen von Fahrkarten, Schreiben des Kundenservice, Werbung und gespeicherte personenbezogene Daten bezieht. In der diesbezüglichen individuellen Kommunikation sei es für die Beklagte technisch realisierbar und auch im Hinblick auf den Aufwand zumutbar, dem Unterlassungsanspruch ohne Übergangsfrist zu entsprechen.
Benachteiligungsverbot: 1.000 Euro Entschädigung
Das OLG hat der klagenden Person zudem wegen der Verletzung des Benachteiligungsverbots eine Geldentschädigung in Höhe von 1.000 Euro zugesprochen. Denn die klagende Person habe infolge der Verletzung des Benachteiligungsverbots einen immateriellen Schaden erlitten. Sie erlebe „die Zuschreibung von Männlichkeit“ seitens der Beklagten als Angriff auf die eigene Person, die zu deutlichen psychischen Belastungen führe. Die Entschädigung sei angemessen, da sie der klagenden Person Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung und Zurücksetzung verschaffe. Abzuwägen seien dabei die Bedeutung und Tragweite der Benachteiligung für die klagende Person einerseits und die Beweggründe der Beklagten andererseits. Die Benachteiligungen für die klagende Person sei hier als so massiv zu bewerten, dass sie nicht auf andere Weise als durch Geldzahlung befriedigend ausgeglichen werden könnten. Zugunsten der Bahn sei aber zu berücksichtigen, dass keine individuellen Benachteiligungshandlungen erfolgt seien.
IT-Systeme sind umzustellen
Zudem handele es sich bei der Frage der Anerkennung der Persönlichkeitsrechte von Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität um eine neuere gesellschaftliche Entwicklung, die selbst in der Gleichbehandlungsrichtlinie aus dem Jahr 2004 (RL 2004/11/EG) noch keinen Niederschlag gefunden habe. So sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei Einführung ihrer Software in Bezug auf den Online-Ticketkauf bewusst oder absichtlich zur Benachteiligung nicht-binärer Personen eine geschlechtsneutrale Erwerbsoption ausgespart habe. Allerdings habe die Beklagte ihre IT-Systeme im Unterschied zu anderen großen Unternehmen bislang nicht angepasst. Zudem sei ihr vorzuhalten, dass sie gerade in der individuellen Kommunikation mit der klagenden Person so etwa hinsichtlich der BahnCard nach wie vor eine unzutreffende männliche Anrede verwende. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 21.6.2022, 9 U 92/20, PM 50/22 vom 21.6.2022