Reparaturkosten: Wenn der Pkw zwecks Gutachtenerstellung teilweise zerlegt wird

Wird ein Fahrzeug teilweise zerlegt, damit das Gutachten erstellt werden kann, sind die dafür entstandenen Kosten vom Schädiger zu tragen. Unerheblich ist, ob er die Teilzerlegung für unnötig hält. Denn auch die Teilzerlegung fällt unter das vom Schädiger zu tragende Werkstatt- bzw. Prognoserisiko. So sieht es das Amtsgericht (AG) Tettnang.

Der Geschädigte muss allerdings im Gegenzug zur Zahlung des Versicherers ihm gegenüber der Werkstatt evtl. zustehende Ansprüche auf Rückzahlung an den Versicherer abtreten. (AG Tettnang, Urteil vom 20.5.2021, 3 C 639/20)

Kfz-Haftpflichtversicherung: Keine Halterhaftung, wenn mit Fremdfahrzeug das eigene Kfz beschädigt wird

Wer das eigene Fahrzeug mit einem fremden Fahrzeug beschädigt, muss im Hinblick auf die Abrechnungsmöglichkeit mit dem Haftpflichtversicherer des schädigenden Fahrzeugs vorsichtig sein. Je nach Fall kann die verschuldensunabhängige Halterhaftung aus der sog. Betriebsgefahr ausgeschlossen sein, sodass der Versicherer des Schädigerfahrzeugs nicht eintrittspflichtig ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.

Seine Hilfsbereitschaft wurde einem Autofahrer zum Verhängnis: Der Geschädigte wollte einem anderen Verkehrsteilnehmer helfen, dessen Auto auszuparken, weil der als Rollstuhlfahrer so, wie sein Fahrzeug stand, nicht einsteigen konnte. Dann kam der Geschädigte aber mit der speziellen Bedieneinrichtung nicht zurecht, verlor die Kontrolle und beschädigte sein eigenes, ebenfalls dort geparktes Fahrzeug. Der BGH: Dieser Vorgang fällt unter eine Ausnahmeregelung der Straßenverkehrsordnung, sodass die Halterhaftung nicht greift, weil der Geschädigte selbst beim Betrieb des Schädigerfahrzeugs tätig war.

Ähnlich ist es auch bei Unfällen zu sehen, wenn jemand mit seinem Privat-Pkw vorneweg fährt und dessen Halter mit einem Firmenwagen hinterherfährt oder der Werkstattmitarbeiter ein Kundenfahrzeug fährt und seinen eigenen Pkw beschädigt. (BGH, Urteil vom 12.1.2021, VI ZR 662/20)

Restwertermittlung: Örtlicher Markt auch am Unfallort denkbar

Erleidet das Fahrzeug bei einem Haftpflichtschaden fernab seines üblichen Standorts einen Totalschaden, ist es vernünftig, dass der Geschädigte es dort belässt. Denn die Verwertung kann auch dort stattfinden. In dem Fall darf der Schadengutachter Restwertangebote in der Region des Unfallorts einholen. Das hat das Oberlandesgericht (OLG Hamm) klargestellt.

Der Versicherer bemängelte den Restwert dahingehend, dass der Schadengutachter ihn nicht am Heimatort oder Geschäftssitz des Geschädigten ermittelt habe. Damit sei der Restwert falsch, und deshalb könne der Versicherer mit seinem Überangebot durchdringen. Das OLG Hamm sieht das anders: Die Entscheidung des Klägers, die Abwicklung des Schadensfalls in der Region des Unfallorts vorzunehmen, entsprach danach wirtschaftlicher Vernunft, weil er sonst gehalten sein könnte, das verunfallte und nicht mehr fahrtüchtige Fahrzeug auf Kosten der Beklagten an seinen Wohnort oder was hier aufgrund der zumindest teilweisen geschäftlichen Nutzung des Fahrzeugs ebenfalls in Betracht kam zum Sitz seines Vermessungsbüros in einem anderen Bundesland zu überführen. Für die Annahme, dass ein wohnort- oder geschäftssitznaher Händler bereit wäre, das Fahrzeug ohne entsprechende Berücksichtigung der dadurch entstehenden Kosten bei der Kalkulation des Ankaufspreises am Unfallort abzuholen, fehle jede Grundlage, vielmehr liege dies bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise sogar fern. (OLG Hamm, Urteil vom 11.12.2020, 11 U 5/20)

Strafgebühr: Parkscheibe auf dem Privatparkplatz

Auch auf einem frei zugänglichen privaten Parkplatz ist eine Parkscheibe von außen „gut lesbar“ entweder hinter der Windschutzscheibe oder aber auf der Abdeckplatte des Gepäckraumes (d. h. auf der „Hutablage“) bzw. an der Seitenscheibe anzubringen. So hat jetzt, wie zuvor schon weitere Gerichte, das Amtsgericht (AG) Brandenburg entschieden.

Folge: Wer das nicht tut, muss damit rechnen, dass ihn der „Parkplatzbetreiber“ auf ein Entgelt/eine Vertragsstrafe in Anspruch nimmt. Das AG liegt damit auf der Linie der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). (AG Brandenburg, Urteil vom 23.10.2020, 31 C 200/19)

Schmerzensgeld: Wenn ein Kfz ein am Fahrbahnrand stehendes Kind erfasst und die Versicherung nicht reguliert …

Erfasst ein Autofahrer ein zu nah an der Bordsteinkante wartendes elfjähriges Kind, führt dies zu einer ganz überwiegenden Haftung des Autofahrers. Tritt ein Haftpflichtversicherer bei eindeutiger Haftungslage über Jahre hinweg nicht in die Schadensregulierung ein, kann dies den Schmerzensgeldanspruch erhöhen. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken.

Der zum Unfallzeitpunkt elfjährige Kläger befand sich auf dem Weg zur Schule und wollte eine Kreuzung an einer Fußgängerampel überqueren. Er stellte sich an den äußersten Rand der Bordsteinkante, um dort zu warten, bis die Ampel „grün“ zeigt. Die Beklagte fuhr mit ihrem Kfz in einem Abstand von deutlich unter einem Meter zum rechten Fahrbahnrand an dem Kind vorbei und erfasste es.

Weitere Einzelheiten ließen sich hierzu nicht aufklären. Die Verkehrssituation hätte es aber zugelassen, mit weit größerem Abstand an dem Kind vorbeizufahren. Der Kläger wurde erheblich verletzt. Er verlangt von der Fahrzeughalterin und deren Haftpflichtversicherung Schadenersatz und Schmerzensgeld.

Das Landgericht (LG) Kaiserslautern hat der Klage mit einer Haftungsquote von 80 Prozent zulasten der Beklagten stattgegeben. Deren Berufung hiergegen hatte keinen Erfolg. Ein Autofahrer ist danach nicht berechtigt, innerorts die Fahrbahn bis an den rechten Bordstein heran zu befahren, wenn hieraus Risiken für Passanten entstehen. Erst recht muss das gegenüber am Fahrbahnrand an einer Fußgängerampel stehenden Kindern gelten.

Zwar war dem verletzten Kind hier vorzuwerfen, dass es sich an den äußersten Rand der Bordsteinkante gestellt hat, sodass es vom vorbeifahrenden Fahrzeug erfasst werden konnte. Auch einem elfjährigen Schüler muss bewusst sein, dass diese Position an einer stark befahrenden Straße gefährlich ist und erhebliche Schäden auslösen kann. Dieses Mitverschulden rechtfertigt auch nach Auffassung des OLG aber keine Mithaftung des Klägers in Höhe von mehr als 20 Prozent.

Beachten Sie: Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes hat das OLG auch das Regulierungsverhalten der Haftpflichtversicherung berücksichtigt. Die Versicherung hatte an den Kläger über beinahe sieben Jahre hinweg keinerlei Schmerzensgeld gezahlt. (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.4.2021, 1 U 141/19)

Fahrlässigkeit: Mit auf der Fahrbahn liegenden Personen müssen Sie bei Dunkelheit nicht rechnen!

Das Landgericht (LG) Mühlhausen hat jetzt die Frage verneint, ob ein Autofahrer damit rechnen muss, dass nachts außerorts auf einer unbeleuchteten Landstraße ein dunkel gekleideter Fußgänger auf der Fahrbahn liegt. Dem Fahrer war eine fahrlässige Tötung vorgeworfen worden, weil er den Fußgänger überfahren hatte und dieser an den Folgen des Unfalls verstarb.

Die entsprechende Situation sei nicht vorhersehbar gewesen. Zwar ist allgemein anerkannt, dass ein Autofahrer stets mit Hindernissen auf der Fahrbahn rechnen muss. Er muss daher auch vor unvermuteten Hindernissen anhalten können. Dies gilt jedoch nicht für solche Hindernisse, mit denen er unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt rechnen muss.

Nach der Lebenserfahrung muss sicherlich stets mit (auch besonders grober) Unachtsamkeit von Fußgängern gerechnet werden. Ein in höchstem Maße selbstgefährdendes, sich durch nichts ankündigendes Verhalten eines Fußgängers ist hingegen so ungewöhnlich und selten, dass niemand damit zu rechnen braucht, wenn nicht ausnahmsweise im Einzelfall besondere Umstände Anlass dazu geben.

So war es auch hier: Der Überfahrene hatte sich stark alkoholisiert und unter Drogeneinfluss nachts bei vollkommener Dunkelheit und schlechten Wetterverhältnissen außerorts auf einer unbeleuchteten Landstraße mittig auf die Fahrbahn gelegt.

Zwar muss man als Autofahrer, insbesondere im ländlichen Raum, durchaus damit rechnen, dass nachts und auch am frühen Morgen unter Umständen auch alkoholisierte und dunkel gekleidete Fußgänger an einer Landstraße entlanglaufen. Ein solches Verhalten von Fußgängern liegt nicht außerhalb der Lebenserfahrung. Hingegen ist es so ungewöhnlich und gerade nicht zu erwarten, dass im Winter bei Schneefall und kalten Temperaturen eine Person mitten auf der Fahrbahn liegt. Mit einer solchen Verkehrssituation muss man als Kraftfahrer nicht rechnen. Die Situation hat sich auch nicht zuvor angekündigt, z. B. durch mehrere im Bereich der Straße anwesende Personen. (LG Mühlhausen, Beschluss vom 28.4.2021, 3 Qs 43/21)

Schadenersatz/Schmerzensgeld: Kein Mitverschulden eines 11-jährigen Kindes an einem Unfall

Trifft ein elfjähriges Kind beim Überqueren einer Straße ein Mitverschulden an einem Verkehrsunfall? Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat in einer aktuellen Entscheidung die situationsbedingte Überforderung des Kindes berücksichtigt, eine Gefahrenlage im Straßenverkehr richtig einzuschätzen.

Die damals 11-jährige Klägerin überquerte als letztes von vier Kindern kurz vor 8:00 Uhr morgens im Dunkeln eine Straße in der Nähe ihrer Schule. Eines der vorausgehenden Kinder trug eine gelb reflektierende Jacke. Dieser Gruppe näherte sich ein Pkw mit einer Geschwindigkeit von mindestens 55 km/h anstatt erlaubter 50 km/h. Kurz bevor die Klägerin den Bürgersteig erreichte, erfasste sie das Fahrzeug.

Die Klägerin erlitt durch den Unfall insbesondere einen Beckenbruch, einen Dammriss und eine Mittelgesichtsprellung. Sie wurde mehrtägig stationär behandelt. Sie verlangt von dem Fahrer, der Halterin und der Haftpflichtversicherung des Unfallfahrzeugs ein Schmerzensgeld und die Verpflichtung, für künftige unfallbedingte Schäden aufzukommen. Das Landgericht (LG) Verden hat in erster Instanz ein Mitverschulden der Klägerin angenommen, aufgrund dessen ihre Ansprüche um 25 Prozent gemindert seien.

Unangepasste Fahrweise einerseits …

Das OLG Celle hat der Klägerin demgegenüber in vollem Umfang Recht gegeben. Der Autofahrer habe den Unfall jedenfalls ganz überwiegend verschuldet. Ein Fahrzeugführer muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung insbesondere von Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen ausgeschlossen ist. Hier hätte der Fahrer sein Fahrverhalten sofort anpassen müssen, als er die Kinder im Straßenbereich wahrnahm. Darüber hinaus hätte er den Unfall auch verhindern können, wenn er nur die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hätte.

… aber auch fehlerhaftes Verhalten des Kindes

Zwar hatte sich das Kind ebenfalls falsch verhalten. Es hatte nämlich beim Überqueren der Straße den vorfahrtsberechtigten Fahrzeugverkehr nicht ausreichend beachtet. Nach dem OLG traf es insoweit aber kein Verschulden. Kinder, so das OLG, können ohnehin erst ab Vollendung des zehnten Lebensjahrs für Unfälle im Straßenverkehr verantwortlich sein. Hier kam hinzu, dass das nur unwesentlich ältere Kind nachvollziehbar überfordert war, weil es sich schon auf der Straße befand, als es das Fahrzeug wahrnahm, Entfernung und Geschwindigkeit dieses Fahrzeugs auch aufgrund der Dunkelheit falsch einschätzte und reflexhaft die falsche Entscheidung traf, der Gruppe hinterherzulaufen. Der Autofahrer habe sich auch nicht darauf verlassen dürfen, dass sich das Kind richtig verhalten werde.

Schwere Langzeitschäden für das Kind

Das OLG hat deshalb nicht nur die Verpflichtung der Beklagten festgestellt, der Klägerin ihren materiellen Schaden vollständig zu ersetzen. Er hat sie auch zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verurteilt, das mit insgesamt 35.000 EUR noch deutlich über den Vorstellungen der Klägerin selbst lag. Die Klägerin hatte schwere Verletzungen und Dauerschäden erlitten, u.a. im Genitalbereich, mit möglichen Risiken auch bei späteren Schwangerschaften. Aufgrund ihres jungen Alters hatte und hat sie noch lange an den Verletzungsfolgen zu tragen. Dies war bei der Schmerzensgeldbemessung bislang nicht berücksichtigt worden. (OLG Celle, Urteil vom 19.5.2021, 14 U 129/20)

Frontalaufprall: Wann ist ein Unfall ein Unfall?

Ein Unfall im Sinne der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kraftfahrtversicherung liegt auch vor, wenn der Schaden durch den Versicherungsnehmer freiwillig herbeigeführt wurde. Ob dies vorsätzlich in Suizidabsicht geschah, was dazu führen würde, dass der Versicherer von seiner Leistung frei würde, kann nur aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Indizien festgestellt werden. Die Beweislast hierfür trägt der Versicherer. Das hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Dresden klargestellt.

Was war geschehen?

Der Versicherungsnehmer prallte mit seinem Kfz frontal gegen einen Straßenbaum, nachdem er beim Anfahren das Fahrzeug stark beschleunigt hatte. Das Fahrzeug erlitt hierbei einen Totalschaden. Der Versicherer hat eine Regulierung des Schadens abgelehnt, weil der Versicherungsnehmer den Unfall vorsätzlich in Suizidabsicht herbeigeführt habe. Damit greife die vereinbarte Ausschlussklausel.

Das Landgericht (LG) hat ein unfallanalytisches Gutachten eingeholt. Danach lasse sich keine Suizidabsicht beweisen. Gleichwohl hat es die Klage abgewiesen. Es könne dahinstehen, ob der Kläger den Unfall vorsätzlich herbeigeführt habe. Sein Verhalten stelle sich jedenfalls deswegen als grob fahrlässig dar, weil er es versäumt habe, den durch die Beschleunigung ausgelösten Driftvorgang dadurch abzuwenden, dass er den Fuß vom Gaspedal genommen hätte. Dies stelle sich als so schwerwiegendes Versäumnis dar, dass hier ausnahmsweise eine Leistungskürzung auf Null gerechtfertigt sei.

So sieht es das OLG

Das OLG Dresden hat auf die Berufung des Versicherungsnehmers das Urteil geändert und den Versicherer antragsgemäß verurteilt. Es stellt klar: Es handelt sich bei dem o. g. Ereignis um einen „Unfall“ im Sinne des Versicherungsrechts. Ein solcher liege auch vor, wenn der Schadensfall vorsätzlich herbeigeführt worden sei. Für das Vorliegen eines Unfalls komme es allein darauf an, dass der Schaden durch eine von außen plötzlich einwirkende mechanische Kraft herbeigeführt werde. Dies sei hier durch den Zusammenprall mit dem Straßenbaum der Fall.

Ein Haftungsausschluss wegen einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Unfalls kommt nach den eindeutigen Versicherungsvereinbarungen nicht in Betracht. Dort heißt es nämlich ausdrücklich: „Wir verzichten in der Fahrzeugversicherung auf den Einwand der grob fahrlässigen Herbeiführung des Schadens.“ Gegen die Wirksamkeit dieser Verzichtsklausel hatte das OLG keine Bedenken. (OLG Dresden, Urteil vom 10.11.2020, 4 U 1106/20)

Nutzungsausfall: Trotz abgelaufener Hauptuntersuchung sind Mietwagenkosten zu erstatten

Der Schädiger muss Mietwagenkosten erstatten, auch wenn das verunfallte Fahrzeug bereits vor dem Unfall einen Riss in der Frontscheibe aufwies und die HU-Plakette abgelaufen war. Das hat das Landgericht (LG) Stuttgart entschieden und damit ein Urteil des Amtsgerichts (AG) Stuttgart korrigiert.

Die Begründung des LG: Die Benutzung des verunfallten Fahrzeugs vor dem Unfall und die gedachte weitere Nutzung nach dem Unfall stelle zwar evtl. eine Ordnungswidrigkeit dar. Dennoch hatte der Geschädigte ein Fahrzeug, das er auch genutzt hat.

Wie lange der HU-Termin schon überzogen war, ist nicht bekannt. Ein solches Fahrzeug würde aber bei einer Kontrolle nicht sofort festgesetzt, wenn die HU nicht bereits jahrelang überfällig gewesen ist. So war für das LG entscheidend, dass der Geschädigte sowohl die Nutzungsmöglichkeit und auch den Nutzungswillen hatte. (LG Stuttgart, Urteil vom 4.3.2021, 5 S 195/20)

Unfallhaftung: Wenn der Notfallbremsassistent ohne Not bremst

Löst sich auf der Autobahn unverschuldet während freier Fahrt der Notfallbremsassistent eines vorausfahrenden Fahrzeugs und fährt der nachfolgende LKW ohne Einhalten des Sicherheitsabstands von mindestens 50 Metern auf das abrupt abgebremste Fahrzeug auf, überwiegt der Haftungsanteil des nachfolgenden LKW.

Die unbegründete und erhebliche Unterschreitung des Sicherheitsabstands ist auf ein schuldhaftes Verhalten zurückzuführen, während das vorausfahrende Fahrzeug aufgrund eines technischen Versagens abgebremst wurde. Dies rechtfertige eine Haftungsverteilung von 2/3 zulasten des LKW-Fahrers, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main.

Die Klägerin nahm die Beklagten auf Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall auf der A5 Richtung Kassel/Hannover in Anspruch. Sie fuhr vor dem Beklagtenfahrzeug, einem Lkw mit einer zulässigen Gesamtmasse von über 3,5 Tonnen. Während ihrer Fahrt löste sich der Notfallbremsassistent. Der Beklagte konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und kollidierte mit dem klägerischen Fahrzeug.

Das Landgericht (LG) hatte der Klägerin 1/3 des geltend gemachten Schadens zugesprochen. Ihre hiergegen gerichtete Berufung hatte zum Teil Erfolg. Das OLG sprach der Klägerin nun 2/3 ihres Schadens zu.

Bei dem erforderlichen Haftungsausgleich zwischen den Beteiligten sei, so das OLG, zu berücksichtigen, dass der Unfall durch das Beklagtenfahrzeug mitverursacht worden sei. Dieses habe aufgrund des zu geringen Sicherheitsabstands zum vorausfahrenden klägerischen Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig abbremsen können. Angesichts der Größe des Lkw mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 Tonnen hätte auf Autobahnen zu vorausfahrenden Fahrzeugen ein Mindestabstand von 50 Metern eingehalten werden müssen, wenn die Geschwindigkeit mehr als 50 km/h betrage. Sachverständig geklärt war im vorliegenden Fall, dass dieser Sicherheitsabstand trotz der gefahrenen Geschwindigkeit nicht eingehalten worden war.

Die Klägerin müsse sich aber als Verursachungsbeitrag vorwerfen lassen, dass sie ihr Fahrzeug ohne ersichtlichen Grund auf freier Strecke abrupt abgebremst habe.

Die gebotene Abwägung dieser beiderseitigen Verursachungsbeiträge führe zu einer Haftungsverteilung von 2/3 zulasten der Beklagten und 1/3 zulasten der Klägerin. Hinsichtlich des LKW-Fahrers sei von einem Verschulden auszugehen, da der erforderliche Sicherheitsabstand ohne zwingende Gründe um etwa 30 Prozent unterschritten worden sei. Das abrupte Abbremsen der Klägerin sei dagegen unstreitig auf das Versagen der technischen Einrichtung ihres Kraftfahrzeugs zurückzuführen, sodass sie kein Verschulden treffe. (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 9.3.2021, 23 U 120/20)