Verkehrssicherungspflicht: Radfahrer fährt vor gut sichtbare Mülltonne: kein Schadenersatz

Erkennt ein Radfahrer, dass auf dem Radweg Mülltonnen im Weg stehen, muss er diesen vorsichtig und mit ausreichendem Abstand ausweichen. Kommt er dabei zu Fall, hat er keinen Anspruch auf Schadenersatz gegen die Abfallentsorgungsfirma. So entschied jetzt das Landgericht (LG) Frankenthal.

Ein Radfahrer fuhr auf dem Radweg. Er konnte sehen, dass dort zwei Mülltonnen standen. Als er diesen auszuweichen wollte, stieß er mit einer der Tonnen zusammen. Er stürzte und verletzte sich schwer. Nun verlangte er Schmerzensgeld und Schadenersatz von dem zuständigen Abfallentsorgungsunternehmen. Er behauptete: Die Müllwerker hätten die geleerten Tonnen auf dem Radweg abgestellt, sodass es nicht möglich gewesen sei, gefahrlos vorbeizufahren. Damit hätten sie die Verkehrssicherungspflicht verletzt.

Das LG Frankenthal sah das anders: Zwar könne durchaus eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht darin bestehen, dass die Mülltonnen auf dem Radweg abgestellt wurden. Die Tonnen seien ein „ruhendes Hindernis“. Dies beeinträchtige den Verkehrsfluss erheblich.

Hier habe der Radfahrer allerdings das ruhende Hindernis schon von Weitem erkennen können. Daher hätte er diesem mit einem ausreichenden Seitenabstand ausweichen müssen. Hält er diesen Abstand nicht ein und stürzt, sei der Sturz nicht auf die in dem Hindernis liegende Gefahr, sondern ganz überwiegend auf seine eigene grob fahrlässige Fahrweise zurückzuführen. Denn der Radfahrer habe den Mülltonnen weiträumig ausweichen können. Er habe sich jedoch bewusst dazu entschieden, an diesen so knapp vorbeizufahren, dass es zu einem Sturz kommen konnte. Dieses Mitverschulden schließe alle seine etwaigen Ansprüche aus.

Quelle: LG Frankenthal, Urteil vom 24.9.2021, 4 O 25/21, PM vom 26.10.2021

Geschwindigkeitsüberschreitung: Wenn der Abstand zwischen Verkehrszeichen und Messstelle zu klein ist

Dass eine wesentlich zu hohe Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb einer geschlossenen Ortschaft nicht immer mit Fahrverbot geahndet wird, hat das Amtsgericht (AG) St. Ingbert entschieden, denn es gibt Anforderungen an die Positionierung der Messstelle.

Die Betroffene ist innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit einer Geschwindigkeit von nach Toleranzabzug 65 km/h bei erlaubten 30 km/h gemessen worden. In diesem Fall hat das AG dennoch kein Fahrverbot verhängt. Zwar muss ein Kraftfahrer die Geschwindigkeit bereits ab dem die Geschwindigkeit beschränkenden Verkehrszeichen einhalten. Allerdings darf er nach der obergerichtlichen Rechtsprechung mit gewissen Abständen bis zu einer Messstelle rechnen.

Nach dem im Saarland geltenden Erlass soll die Messstelle „grundsätzlich nicht unmittelbar hinter dem ersten maßgebenden geschwindigkeitsregelnden Verkehrszeichen, aber noch in dessen Wirkungsbereich eingerichtet werden”. Hier war der Abstand zwischen Verkehrszeichen und Messstelle mit 32 Metern sehr gering. Das hat das AG zum Absehen vom Fahrverbot veranlasst.

Quelle: AG St. Ingbert, Urteil vom 23.6.2021, 22 OWi 63 Js 270/21 (533/21)

Haftung: Neues zu Parkplatzunfällen

Parkplatzunfälle sind ein regelrechter Dauerbrenner in der Rechtsprechung. Eine aktuelle Entscheidung des Amtsgerichts (AG) Hamburg fügt den reichhaltigen Varianten eine neue hinzu.

Das AG: Steht als Ergebnis der Beweisaufnahme nur fest, dass sich die Kollision in einem Parkhaus während des Rückwärtsfahrens des Beklagten ereignet hat und gibt es keinerlei Anhaltspunkte für ein sorgfaltswidriges Verhalten des Klägers, tritt die vom klägerischen Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr zurück. Er haftet folglich nicht.

Quelle: AG Hamburg, Urteil vom 22.9.2021, 26 C 422/19

Trunkenheitsfahrt: Kontrollzeit muss eingehalten werden

Wird vor einer Atemalkoholmessung die sog. Kontrollzeit von zehn Minuten nicht eingehalten, führt das zur Unverwertbarkeit der Messung. Das gilt zumindest in den Fällen, in denen der Grenzwert gerade erreicht oder nur ganz geringfügig überschritten worden ist. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Dresden.

Die Auffassung des OLG Dresden entspricht der Auffassung einiger anderer OLG in dieser Frage.

Quelle: OLG Dresden, Beschluss vom 28.4.2021, 22 Ss 672/20 (B)

Trunkenheit im Verkehr: Sein Fahrrad zu schieben, heißt nicht, es zu führen

 „Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt.“ Das gilt auch im juristischen Sinne, denn das bloße Schieben eines Fahrrads ist kein Führen eines Fahrzeugs i. S. d. Strafgesetzbuchs (StGB). So sieht es das Landgericht (LG) Freiburg.

Zwar bedient der Schiebende sich des Lenkers. Er leitet also das Zweirad unter eigenverantwortlicher Handhabung einer seiner wesentlichen technischen Vorrichtungen durch den öffentlichen Verkehrsraum. Dennoch geht die herrschende Meinung davon aus, dass das Schieben eines Fahrrads nicht als Führen im Sinne des § 316 StGB angesehen werden kann. Denn u. a. ist die Gefahrenlage viel geringer.

Quelle: LG Freiburg, Urteil vom 26.10.2021, 11/21 10 Ns 530 Js 30832/20

Autokauf: Verschweigen der Reimporteigenschaft eines Fahrzeugs

Unterlässt der Verkäufer den Hinweis auf die Reimporteigenschaft eines Fahrzeugs, täuscht er den Käufer nicht arglistig. Ausnahme: Der Käufer hat ausdrücklich danach gefragt. So entschied es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken. Bemerkenswert: Es gab damit seine frühere Rechtsprechung auf.

Was war geschehen?

Die Klägerin hatte einen gebrauchten Pkw der Marke Porsche von einem privaten Verkäufer gekauft. Im schriftlichen Kaufvertrag wurde die Haftung des Verkäufers für Sachmängel ausgeschlossen. Kurze Zeit nach dem Kauf des Fahrzeugs stellte sich heraus, dass es sich bei dem Porsche um ein Reimportfahrzeug handelte.

Die Käuferin fühlte sich vom Verkäufer getäuscht. Sie erklärte die Anfechtung des Kaufvertrags. Begründung: Das Fahrzeug sei aufgrund seiner Reimporteigenschaft weniger wert.

Der Verkäufer weigerte sich, der Käuferin den Kaufpreis zurückzuerstatten. Diese klagte nun auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

So sah es die Vorinstanz

Das Landgericht (LG) hatte in der ersten Instanz die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung scheide aufgrund des fehlenden Hinweises auf die Reimporteigenschaft des Fahrzeugs aus. Die Käuferin habe nämlich beim Verkaufsgespräch nicht explizit darauf hingewiesen, dass sie kein Reimportfahrzeug haben wolle.

So sah es das Oberlandesgericht

Das OLG Zweibrücken hat das Urteil des LG bestätigt. Es argumentiert, dass man aufgrund des geänderten Marktverhaltens beim Autokauf nicht mehr generell davon ausgehen könne, dass sich die Reimporteigenschaft eines Fahrzeuges stets mindernd auf den Verkehrswert des Fahrzeugs auswirke. Insbesondere bei älteren Gebrauchtwagen könne dies nicht angenommen werden. Der fehlende Hinweis des Verkäufers rechtfertige daher keine Anfechtung des Kaufvertrags.

Quelle: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.1.2021, 8 U 85/17

Verkehrssicherheit: Ende der Geschwindigkeitsbegrenzung bei auf der Straße montierten Bodenwellen

Wird zur Verkehrsberuhigung im Hinblick auf eine unfallträchtige Kreuzung eine Bodenwelle (sog. „sleeping policeman“) errichtet, endet eine ihretwegen angeordnete streckenbezogene Geschwindigkeitsbegrenzung, deren Länge nicht ausdrücklich vorgegeben wird, dort, wo die Gefahr auch aus Sicht eines Ortsunkundigen vorüber ist. So entschied das Oberlandesgericht (OLG) Hamm.

Das OLG: Die Gefahr endet aus Fahrtrichtung jeweils hinter der Bodenwelle und der gefährlichen Kreuzung, wenn keine weiteren Bodenwellen mehr angezeigt oder ersichtlich sind. Ab dort darf dann wieder mit der ursprünglich zulässigen Geschwindigkeit gefahren werden.

Quelle: OLG Hamm, Urteil vom 11.5.2021, 7 U 104/19

Kfz-Versicherung: Vollkasko ist auch für Grillhähnchen-Verkaufswagen zuständig

Bleibt ein Grillhähnchen-Verkaufswagen beim Vorbeifahren an einer Hausecke hängen, weil sich die seitliche Verkaufsklappe während der Vorbeifahrt geöffnet hat, gilt Folgendes: Es handelt es sich um ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis im Sinne der Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung, also um einen Unfall im Sinne der Vollkaskoversicherung. So entschied es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe.

Das OLG wies darauf hin, dass die Regelung in den Versicherungsbedingungen, wonach „Schäden aufgrund eines Brems- oder Betriebsvorgangs nicht als Unfallschäden gelten“ keine Ausschlussklausel enthält. Die Regelung hat lediglich klarstellenden Charakter.

Quelle: OLG Karlsruhe, Urteil vom 1.6.2021, 9 U 54/19

Nutzungsausfall: Rechtfertigen 18 Kilometer am Tag zu Pandemiebeginn einen Mietwagen?

Ja. Das Amtsgericht (AG) Braunschweig hat jetzt die Verweisung des Geschädigten mit niedrigem Fahrbedarf auf Bus und Bahn unter den Corona-Verhältnissen für unzumutbar gehalten. Es genügen nach seiner Entscheidung ca. 18 km pro Tag, um die Mietwagennutzung zu rechtfertigen.

Ebenso haben bereits kürzlich die AG Duisburg Hamborn und Kassel entschieden.

Quelle: AG Braunschweig, Urteil vom 17.6.2021, 111 C 2148/20

Aktuelle Gesetzgebung: Neuer Bußgeldkatalog zum 9.11.2021

Am 9.11.2021 ist der neue Bußgeldkatalog in Kraft getreten. Er beinhaltet zum Teil deutlich höhere Geldbußen als bisher. Hier ein Auszug der wichtigsten Änderungen.

1. Parken und Halten

Verbotswidriges Parken auf Geh- und Radwegen sowie das jetzt verbotene Halten auf Schutzstreifen und das Parken und Halten in zweiter Reihe ist teurer geworden. Verstöße kosten bis zu 110 Euro. Bei schwereren Verstößen kann darüber hinaus ein Punkt im Fahreignungsregister („Flensburg“) eingetragen werden.

Darüber hinaus sind für das unberechtigte Parken auf einem Schwerbehinderten-Parkplatz Geldbußen von 55 Euro vorgesehen. Ebenfalls für das unberechtigte Parken auf einem Parkplatz für elektrisch betriebene Fahrzeuge oder einem Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge werden 55 Euro fällig. Für das rechtswidrige Parken an engen oder unübersichtlichen Straßenstellen bzw. im Bereich einer scharfen Kurve sieht der neue Bußgeldkatalog eine Geldbuße von 35 Euro vor.

Für einen allgemeinen Halt- und Parkverstoß werden jetzt bis zu 25 Euro fällig.

2. Rettungsgasse

Die unerlaubte Nutzung einer Rettungsgasse wird jetzt genauso verfolgt und geahndet wie das Nichtbilden einer Rettungsgasse. Es drohen Bußgelder zwischen 200 und 320 Euro sowie ein Monat Fahrverbot. Als Folge dieser Sanktionen ist die Eintragung von zwei Punkten im Fahreignungsregister vorgesehen.

3. Sonstige Regelverstöße

Die vorschriftswidrige Nutzung von Gehwegen, linksseitig angelegten Radwegen und Seitenstreifen durch Fahrzeuge wird nun mit bis zu 100 Euro Geldbuße geahndet.

Für das sogenannte Auto-Posing (Verursachen von unnötigem Lärm und einer vermeidbaren Abgasbelästigung sowie unnützes Hin- und Herfahren) sind Bußgelder bis zu 100 Euro vorgesehen.

Für rechtsabbiegende Kraftfahrzeuge über 3,5 t ist innerorts Schrittgeschwindigkeit (4 bis 7, max. 11 km/h) vorgeschrieben. Verstöße hiergegen können nun mit einem Bußgeld in Höhe von 70 Euro sanktioniert werden. Außerdem wird ein Punkt im Fahreignungsregister eingetragen.

4. Geschwindigkeitsverstöße

Für normale Pkw bis 3,5 t gelten bei Geschwindigkeitsüberschreitungen künftig folgende Geldbußen:

  • Überschreitung bis 10 km/h: 30 Euro innerorts / 20 Euro außerorts
  • Überschreitung 11 bis 15 km/h: 50 Euro innerorts / 40 Euro außerorts
  • Überschreitung 16 bis 20 km/h: 70 Euro innerorts / 60 Euro außerorts
  • Überschreitung 21 bis 25 km/h: 115 Euro innerorts / 100 Euro außerorts
  • Überschreitung 26 bis 30 km/h: 180 Euro innerorts / 150 Euro außerorts
  • Überschreitung 31 bis 40 km/h: 260 Euro innerorts / 200 Euro außerorts
  • Überschreitung 41 bis 50 km/h: 400 Euro innerorts / 320 Euro außerorts
  • Überschreitung 51 bis 60 km/h: 560 Euro innerorts / 480 Euro außerorts
  • Überschreitung 61 bis 70 km/h: 700 Euro innerorts / 600 Euro außerorts
  • Überschreitung über 70 km/h: 800 Euro innerorts / 700 Euro außerorts

Für Pkw mit Anhänger und Fahrzeuge, die schwerer als 3,5 Tonnen sind, sowie Fahrzeuge mit gefährlichen Gütern oder Passagierbusse gelten andere Geldbußen.

Quelle: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Informationen zum neuen Bußgeldkatalog vom 21.10.2021