Grundsicherungsleistungen im Alter: Sozialhilfe: Angemessene Kosten für Unterkunft und Heizung

Für die Berechnung angemessener Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ist auch im Sozialhilferecht die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze maßgeblich. Die entsprechende Regelung aus dem Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende ist analog anzuwenden. Dies entschied jetzt das Hessische Landessozialgericht (LSG) Darmstadt.

Sozialhilfeempfänger hält höhere Heizungskosten für angemessen

Ein 1951 geborener Mann lebt mit seiner Frau in einer 78 m² großen Wohnung (Kaltmiete 322 Euro, Heizkosten 121 Euro) im Landkreis Kassel. Er bezog zunächst Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) und beantragte nach Erreichen der Altersgrenze schließlich Grundsicherungsleistungen im Alter (Sozialhilfe). Der Landkreis Kassel verwies darauf, dass für einen Zwei-Personen-Haushalt lediglich eine Wohnfläche von 60 m² und dementsprechend Heizkosten von maximal 69,25 Euro angemessen seien. Der Mann führte dagegen an, dass das Jobcenter bislang höhere Leistungen gewährt habe. Bei der Prüfung der Angemessenheit seien auch im Sozialhilferecht die Heizkosten nicht isoliert zu betrachten. Vielmehr sei wie bei der Hartz-IV-Berechnung eine Gesamtangemessenheitsgrenze anzuwenden, welche sich auf die Gesamtkosten für Unterkunft und Heizung beziehe.

Arbeitslosengeld-II-Regelung in der Sozialhilfe analog anzuwenden

Die Richter beider Instanzen haben entschieden, dass die Arbeitslosengeld-II-Regelung zur angemessenen Höhe der Kosten für Unterkunft und Heizung in der Sozialhilfe analog anzuwenden ist. Die Bedarfe für die Unterkunft würden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt. Überstiegen die Kosten den angemessenen Umfang, seien sie anzuerkennen, solange eine Kostensenkung wie z.B. einem Wohnungswechsel nicht möglich oder nicht zumutbar sei.

Nach einer im Jahr 2016 eingeführten Regelung im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) sei anhand einer Gesamtangemessenheitsgrenze zu beurteilen, ob die Kosten für Unterkunft und Heizung angemessen seien. Dies wirke sich zugunsten der Leistungsempfänger insbesondere in den Fällen aus, in denen ein sehr niedriger Kaltmietzins mit unangemessen hohen Heizkosten oder aber ein unangemessen hoher Kaltmietzins mit sehr niedrigen Heizkosten zusammenträfen.

Diese Regelung zur Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze sei im Bereich der Sozialhilfe (SGB XII) analog anzuwenden, so das LSG. Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe dienten jeweils der Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Zudem seien die Angemessenheitsgrenzen der Kosten für Unterkunft und Heizung weitgehend parallel geregelt. Die durch die SGB II-Reform im Jahr 2016 entstandene Regelungslücke im SGB XII sei im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot durch analoge Rechtsanwendung zu schließen.

Höhere Heizkosten berücksichtigungsfähig

Im vorliegenden Fall seien daher bei dem in einer Wohnung mit niedrigem Kaltmietzins wohnenden Kläger höhere Heizkosten zu berücksichtigen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Quelle: LSG Darmstadt, Urteil vom 15.3.2022, L 4 SO 143/19, PM 2/22

Versicherungsrecht: Regressanspruch eines Gebäudeversicherers gegen Mieter

Wird eine Mietsache beschädigt, kann der Gebäudeversicherer vom Mieter nur Regress verlangen, wenn der Mieter den Schaden grob fahrlässig verursacht hat. So entschied es das Landgericht (LG) Oldenburg.

Beachten Sie: Steht fest, dass nur einer der Mieter den Schaden grob fahrlässig verursacht hat, kann der Versicherer Regress gegen alle aus dem Mietvertrag haftenden Mitmieter nehmen.

Quelle: LG Oldenburg, Urteil vom 22.6.2021, 16 O 4029/20,

Beratungspflicht: Kein Amtshaftungsanspruch gegen Schornsteinfeger wegen „Schmuckstück“

Das Landgericht (LG) München I hat die Klage eines Kaminofenbesitzers gegen den für ihn zuständigen Bezirkskaminkehrermeister abgewiesen. Es sah keine Pflicht des Meisters, den Kläger darüber zu beraten, dass sein alter Kamin in einem Katastrophenfall auch im Notbetrieb genutzt werden darf.

Was war geschehen?

Der Kläger hatte rund 7.000 EUR Schadenersatz gefordert, da er der Ansicht war, der beklagte Bezirkskaminkehrermeister habe ihn falsch beraten. Er habe lediglich darauf hingewiesen, dass sein derzeitiger Kachelofen zum 31.12.2020 außer Betrieb genommen oder nachgerüstet werden müsse, es allerdings unterlassen, ihm darüber hinaus mitzuteilen, dass der Ofen im Katastrophenfall auch ohne Nachrüstung weiter genutzt werden könne.

Der Kläger habe daher den bisherigen Kachelofen durch einen neuen Ofen ersetzen lassen, um im Fall des Ausfalls seiner Heizung weiterhin über eine Wärmequelle zu verfügen. Er fordert Ersatz in Höhe von Nachrüstkosten. Grund: Wäre er vom Beklagten über die zumindest eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit informiert worden, hätte er seinen Kachelofen als „Schmuckstück“ behalten und kein Geld für einen neuen Ofen ausgegeben.

Keine Pflicht verletzt

Das LG kam zunächst zu dem Ergebnis, dass der Bezirkskaminkehrermeister bei seiner Beratung des Klägers keine Pflicht verletzt hat. Der Hinweis, dass der alte Kachelofen entweder zum 31.12.2020 außer Betrieb zu nehmen oder nachzurüsten ist, da er nicht die Anforderungen an die 1. Bundesimmissionsschutzverordnung (1. BImSchV) erfülle, war nicht fehlerhaft. Darüber hinaus war der Beklagte im konkreten Fall nicht verpflichtet gewesen, gegenüber dem Kläger auf die Möglichkeit des Notbetriebs im Katastrophenfall hinzuweisen. Denn hierfür habe er vom Kläger im Gespräch keinerlei Anhaltspunkte bekommen. Der Kläger habe insbesondere auch nicht nachgefragt, was Außerbetriebnahme bedeute. Zwar müssen Auskünfte, die ein Beamter erteilt, dem Stand seiner Kenntnismöglichkeiten entsprechend sachgerecht, also vollständig, richtig und unmissverständlich sein, sodass der Empfänger der Auskunft entsprechend disponieren kann. Aber auch unter Berücksichtigung dieses Maßstabs sei die Auskunft des Beklagten vollständig, richtig und unmissverständlich gewesen.

Kein Schaden entstanden

Dem Kläger sei durch den Abriss des vorhandenen Kamins und der Neuerrichtung eines neuen Kamins zudem kein Schaden entstanden. Denn auch bei entsprechend erteilter Auskunft hätte er entweder den vorhandenen Kachelofen nicht mehr uneingeschränkt weiter nutzen können oder er hätte ebenfalls den geltend gemachten Schadensbetrag für die Nachrüstung aufwenden müssen. Entsprechend sei seine Vermögenslage nunmehr genauso, wie sie mit der geforderten Auskunft gewesen wäre. In keinem Fall hätte der Kläger einen uneingeschränkt betriebsbereiten Ofen erhalten, ohne 7.000 Euro zu zahlen. Darüber hinaus wäre der Kläger bei Erstattung der geforderten Zahlung auch unzulässig bereichert, da er besser stehen würde als ohne schädigendes Ereignis.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Quelle: LG München I, Urteil vom 23.3.2022, 15 O 4553/21, PM 10/2022 vom 23.3.2022

Maklerleistung: Makler kann trotz Vorkenntnis des Kunden Vergütung verlangen

Ein Makler kann trotz Vorkenntnis seines Kunden die Maklerprovision verdienen, wenn er zusätzliche Informationen liefert, die eine für den Erwerb wesentliche Maklerleistung darstellen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Hamm.

Um eine wesentliche Maklerleistung annehmen zu können, genügt es, dass der Kunde durch den Nachweis des Maklers den konkreten Anstoß bekommen hat, sich um das ihm bereits bekannte Objekt zu kümmern. Eine solche weitere wesentliche Maklerleistung kann in der Organisation und Durchführung einer Objektbesichtigung liegen. Dies kommt aber nur in Betracht, wenn dem Maklerkunden das Objekt nicht schon vorher gut bekannt gewesen ist.

Ebenso kann eine weitere wesentliche Maklerleistung nach dem OLG unter Umständen darin liegen, dass der Makler dem Kunden Unterlagen zur Verfügung stellt, die dieser benötigt, um eine Finanzierung zum Erwerb des Objekts zu erlangen. Hat er bereits vorher eine Zusage über die Finanzierung erhalten, liegt in der Übermittlung der Unterlagen dagegen keine weitere wesentliche Maklerleistung.

Quelle: OLG Hamm, Urteil vom 9.12.2021, 18 U 68/20

Hartz IV-Leistungen: Zirkus in der Schule: Jobcenter muss für Teilnahme nicht zahlen

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat entschieden: Eine Schülerin hat gegenüber dem Jobcenter keinen Anspruch auf Übernahme von Kosten, die ihr für die Teilnahme an einem auf dem Schulgelände durchgeführten Zirkusprojekt entstehen.

Die siebenjährige Schülerin, die eine Grundschule besuchte, erhielt gemeinsam mit ihrer alleinerziehenden Mutter Leistungen des Jobcenters. Im Rahmen ihres Schulunterrichts fand ein einwöchiges Zirkusprojekt statt, für das jeder Teilnehmende einen Beitrag von 10 Euro zu entrichten hatte. Veranstaltungsort waren der Sportplatz der Schule und ein auf dem Schulgelände aufgebautes Zirkuszelt. Die Schülerin stellte über ihre Schulleitung einen Antrag auf Kostenübernahme beim Jobcenter, den dieses ablehnte. Bei dem auf dem Schulgelände stattfindenden Zirkusprojekt handele sich nicht um einen Schulausflug, für den eine Kostenübernahme grundsätzlich in Betracht komme, sondern um eine rein schulische Veranstaltung. Das Sozialgericht (SG) hatte der Schülerin Recht gegeben. Das Zirkusprojekt sei, auch wenn es auf dem Schulgelände durchgeführt werde, seiner Zielrichtung nach einem Schulausflug gleichzustellen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hatte das SG die Berufung zum LSG zugelassen.

Das LSG gab jetzt dem Jobcenter Recht: Bei Hartz IV-Leistungsbeziehern können nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten gesondert als Kosten übernommen werden. Auf dem Schulgelände selbst stattfindende Veranstaltungen werden durch den Wortlaut des Gesetzes nicht erfasst. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung. Zwar soll durch das Zirkusprojekt ebenso wie bei Schulausflügen eine stärkere Integration bedürftiger Kinder und Jugendlicher in die Gemeinschaft erreicht und einem gesellschaftlichen Ausschluss entgegengewirkt werden. Eintrittsgelder und Nutzungsentgelte für den Besuch von Freizeit-, Sport- und Kulturveranstaltungen sind jedoch bereits in hinreichendem Umfang im Regelbedarf enthalten, den die Schülerin als Hartz IV-Leistungsbezieherin in pauschalierter Form monatlich erhält. Von Härtefällen abgesehen, besteht keine Pflicht des Gesetzgebers, jeglichen mit dem Schulbesuch einhergehenden Bedarf durch Sonderzahlungen abzudecken. Die hier anfallenden 10 Euro können aus dem Regelbedarf bestritten werden.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann von der Klägerin mit der Revision zum Bundessozialgericht (BSG) angefochten werden.

Quelle: LSG Berlin Brandenburg, Urteil vom 5.4.2022, L 3 AS 39/20, PM vom 11.4.2022

Sicherheitskontrolle: Entschädigung bei verpasstem Flug

Verpasst ein Fluggast infolge überlanger Wartezeit an der Sicherheitskontrolle des Flughafens seinen Flug, kann er Entschädigung für entstandene Kosten des Ersatzflugs verlangen. Voraussetzung: Er hat sich gemäß den Empfehlungen des Flughafens rechtzeitig beim Check-In eingefunden und von dort ohne erhebliche Verzögerungen die Sicherheitskontrolle aufgesucht. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main.

Das war geschehen

Die Fluggäste nahmen die Bundesrepublik Deutschland auf Schadenersatz wegen eines verpassten Flugs in Anspruch. Die Beklagte organisiert die Sicherheitskontrolle am Frankfurter Flughafen. Die Fluggäste wollten von dort in die Dominikanische Republik fliegen. Die Abflugzeit war 11.50 Uhr, das Boarding begann 10.50 Uhr; das Gate schloss um 11.30 Uhr. Die Fluggäste passierten die Sicherheitskontrolle zu spät; das Boarding war bereits abgeschlossen, als sie den Flugsteig erreichten. Sie verlangen nun Entschädigung für die entstandenen Kosten der Ersatztickets sowie der zusätzlichen Übernachtung und behaupten, dass die Sicherheitskontrolle nicht ausreichend organisiert gewesen sei. Es sei zu unzumutbaren Wartezeiten gekommen.

Keine Amtspflichten verletzt trotzdem Schadenersatz zu zahlen

Das Landgericht (LG) hatte die Beklagte zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Beklagte habe zwar bei der Organisation der Sicherheitskontrolle keine Amtspflichten verletzt, insbesondere nicht zu wenig Personal für die Sicherheitskontrolle eingesetzt, führte das OLG aus.

Den Fluggästen stehe aber ein Schadenersatzanspruch über die Grundsätze der Aufopferung bzw. wegen enteignenden Eingriffs zu. Wenn eine eigentlich rechtmäßige Maßnahme unmittelbar auf die Rechtsposition des Eigentümers einwirke und zu einem Sonderopfer führe, das die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren überschreite, könne ein solcher Anspruch entstehen. Hier habe die Wartezeit zur Gepäck- und Personenkontrolle dazu geführt, dass die Fluggäste ihren Flug verpasst haben. Sie müssten sich zwar grundsätzlich auf die Kontrolle und deren Dauer, die erhebliche Zeit in Anspruch nehmen könne, von vornherein einstellen. „Ein Fluggast muss sich aber nicht auf eine beliebige Dauer einstellen, sondern darf sich nach den Empfehlungen des Flughafenbetreibers oder Vorgaben der Fluggesellschaft richten“, betonte das OLG.

Die Fluggäste seien hier rechtzeitig erschienen. Gemäß den Empfehlungen des Frankfurter Flughafens für internationale Flüge sollten sie sich zwei Stunden vor Abflug zum Check-In einfinden. Sie hätten unstreitig den Check-In bereits um 9.00 Uhr absolviert. Von dort hätten sie sich nach Bekanntgabe des Gates zur Sicherheitskontrolle begeben und in die dortige Warteschlange spätestens um 10:00 Uhr eingereiht. Auch dies sei rechtzeitig gewesen. Bis zum Ende der Boardingzeit verblieben um 10:00 Uhr noch 90 Minuten. Es gebe keine dem OLG bekannten Hinweise oder Erfahrungswerte, dass dieser Zeitraum nicht hinreiche.

Fluggäste haben nichts falsch gemacht

Den Fluggästen könne auch nicht vorgeworfen werden, dass sie nach dem Check-In zu lange verweilt hätten. Der Fußweg sei in ca. 15 Minuten zu bewältigen gewesen. Der Flugsteig sei auf den Bordkarten nicht aufgedruckt gewesen und um 9.00 Uhr noch nicht auf den Anzeigetafeln bekannt gegeben worden. Ein erhebliches „Vertrödeln“ der verbliebenen Zeit nach dem Check-In sei nicht feststellbar. Zwar hätten die Fluggäste noch in einem Bistro Café Gebäck erworben und danach die Toilette aufgesucht. Es sei aber nicht festzustellen, dass dies besonders viel Zeit beansprucht habe. Jedenfalls könne der Zeitraum, „soweit er für die Erledigung menschlicher Bedürfnisse benötigt wurde, (…) nicht als vorwerfbare Verzögerung beurteilt werden“, resümierte das OLG. Es sei festzustellen, dass sie sich spätestens um 10:00 Uhr in der Schlange vor der Sicherheitskontrolle angestellt hätten und damit 90 Minuten vor dem Abflug.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 27.1.2022, 1 U 220/20, PM 12/22 vom 3.2.2022

Energie-Grundversorgung: Zahlungsaufschub oder Zahlungsverweigerung

Einwände, die der Kunde gegen Rechnungen des Grundversorgers erhebt, berechtigen ihn nur zum Zahlungsaufschub oder gar zur Zahlungsverweigerung, wenn die „ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers“ besteht. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig entschieden.

Die Kunden haben allerdings die Möglichkeit eines Zahlungsaufschubs, wenn der in einer Rechnung angegebene Verbrauch ohne ersichtlichen Grund mehr als doppelt so hoch ist wie der vergleichbare Verbrauch im vorherigen Abrechnungszeitraum. Bestreitet der Kunde in diesem Sinne die Stromrechnung, obliegt es dem Versorger, die tatsächlichen Grundlagen der beanspruchten Forderung zu beweisen, insbesondere die Richtigkeit der Verbrauchsmenge.

Quelle: OLG Schleswig, Urteil vom 29.9.2021, 9 U 11/21

Sozialversicherung: Amateur-Fußballer sind abhängig beschäftigt

Zahlt ein Amateur-Fußball-Verein eine monatlichen „Garantiesumme“ von 800 Euro an einen Fußballspieler im Amateurbereich, spricht dies nach Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis.

Der Fußballverein musste daher Beiträge zu allen Zweigen der Sozialversicherung nachentrichten (rund 4.000 Euro). Das LSG: Da es sich um eine vorsätzliche Beitragsvorenthaltung handelte, war zudem die 30-jährige Verjährungsfrist maßgeblich. Der Spieler hatte Glück: Das gegen ihn eingeleitete Steuerstrafverfahren wurde gegen Geldauflage in Höhe von 175 Euro eingestellt.

Quelle: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.7.2021, L 2 BA 26/21

Schadenersatz: Bahnunternehmen haften bei Vollbremsung eines Zuges

Das Landgericht (LG) Koblenz hat jetzt entschieden, dass die Bahn haftet, wenn ein Fahrgast in einem ihrer Partywagen nach einer Vollbremsung stürzt.

Sturz beim Tanzen

Die Klägerin befand sich nach ihren Angaben gerade auf der Tanzfläche eines Sonderzugs samt Partywagen, als dieser plötzlich zwangsgebremst wurde. Stürzende Mitreisende hätten sie dann zu Boden gerissen. Folge: ein Innenbandanriss im Knie. Sie verlangte von dem Bahnunternehmen, das den Sonderzug betreibt, und dem Bahnunternehmen, das das Schienennetz betreibt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.000 Euro und die Erstattung ihr entstandener Kosten.

Darum haftet „die Bahn“

Das LG hat die beklagten Bahnunternehmen als Gesamtschuldner verurteilt, ein Schmerzensgeld von 4.000 Euro an die Klägerin zu bezahlen und die ihr entstandenen Kosten zu erstatten. Der Sturz aufgrund der Vollbremsung stelle einen sog. Bahn-Betriebsunfall dar. Die Klägerin kann sich also aussuchen, welches Bahnunternehmen zahlt.

Warum eine Zwangsbremsung ausgelöst worden sei, sei unerheblich. Diese Frage betreffe ausschließlich die interne Haftungsverteilung zwischen den beiden Bahnunternehmen.

Kein Mitverschulden der Reisenden

Die Klägerin treffe auch kein Mitverschulden. Wer sich auf der Tanzfläche eines Partyzugs aufhält, kann sich nicht festhalten. Es waren zudem auch keine Haltemöglichkeiten vorhanden. Auch Alkoholkonsum mindere den Anspruch nicht, denn er war für den Sturz nicht ursächlich. Auch „höhere Gewalt“ hat nicht vorgelegen.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

Quelle: LG Koblenz, Urteil vom 20.1.2022, 3 O 325/20, PM 2/2022 vom 10.02.2022

Nachbarschaftsstreit: Drohung unter Einfluss von Cannabis: Gewaltschutzantrag erfolgreich

Das Amtsgericht (AG) Frankfurt am Main Familiengericht hat ein sechsmonatiges Annäherungsverbot nach Drohung eines Nachbarn anlässlich eines vorangegangen Streits wegen Cannabiskonsum ausgesprochen. Die Entscheidung kann in ähnlich gelagerten Fällen hilfreich sein.

Das war geschehen

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Antragsteller, der in seiner Wohnung Cannabis-Geruch wahrgenommen hatte, auf den Balkon ging, um wie schon in der Vergangenheit das Gespräch mit dem benachbarten Antragsgegner zu suchen. Nachdem dieser alles abstritt, und der Antragsteller ankündigte, alles Weitere über den Vermieter klären zu wollen, erwiderte der Antragsgegner: „Dann komm rüber und wir klären das wie Männer“. Als der Antragsteller wiederum ankündigte, die Polizei zu rufen, äußerte der Antragsgegner: „Wenn du das machst, dann hole ich fünf Jungs, die machen dich weg.“ Die hinzugerufene Polizei stellte in der Wohnung des Antragsgegners Cannabisgeruch fest und fand sog. Longpapers und eine Feinwaage vor.

Amtsgericht: Drohungen sind ernst zu nehmen

Das AG wertete die vom Antragsgegner getätigten Äußerungen als ernstlich gemeinte Drohung und nicht als bloßes Aufspielen im Rahmen eines Nachbarschaftsstreits. Der Antragsteller habe unter Beachtung der konkreten Umstände damit rechnen müssen, dass der Antragsgegner ihm gemeinsam mit anderen Männern auflauern und ihn verprügeln würde. In der Folge sei zu vermuten, dass weitere Beeinträchtigungen zu befürchten seien, weshalb ein Annährungsverbot nach dem Gewaltschutzgesetz auszusprechen war.

Der Anordnung stünde dabei nicht entgegen, dass der Antragsgegner zum Zeitpunkt der Äußerung berauscht gewesen sein könnte. Weder stünde eine deliktsrechtlich eingeschränkte Verantwortlichkeit des Antragsgegners der Gewaltschutzanordnung von Rechts wegen entgegen, noch habe das Gericht im konkreten Fall eine solche positiv feststellen können.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle: AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 30.8.2021, 456 F 5146/21 EAGS, PM 1/22 vom 28.1.2022