Kfz-Kaskoversicherung: Falsche Angabe einer Pkw-Gesamtlaufleistung

Die falsche Angabe der Gesamtlaufleistung eines Pkw ist unerheblich und wirkt sich nicht zum Nachteil des Versicherers aus, wenn der Versicherungsnehmer eine Neuwertentschädigung geltend macht. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Dresden klargestellt.

Selbst, wenn zugunsten des Versicherers ein vorsätzliches Handeln des Versicherungsnehmers unterstellt würde, wäre die falsche Angabe der Laufleistung allenfalls ein untergeordnetes Indiz für eine Unredlichkeit. Das gäbe schon deshalb zu Zweifeln an der Redlichkeit keinen hinreichenden Anlass, weil der Versicherungsnehmer die Neuwertentschädigung geltend macht. Dafür spielt die Laufleistung keine Rolle.

Der Versicherungsnehmer hat zu der Abweichung um immerhin rund 27 Prozent angegeben, dass das Display des Fahrzeugs regelmäßig nicht die Gesamtfahrleistung angezeigt habe, sondern nur die Geschwindigkeit und die Restkilometer bis zur nächsten Tankfüllung. Er sei deshalb von einer geschätzten Kilometeranzahl ausgegangen. Die habe er aufgrund des ihm bekannten Kilometerstands bei der letzten Inspektion im Vorjahr „hochgerechnet“. Dieser Vortrag wurde durch die „ca.“-Angabe im Fragebogen und die gerundete Kilometerzahl gestützt. Dem OLG hat das nicht gereicht, um vorsätzliches oder gar arglistiges Handeln des Versicherungsnehmers zu beweisen.

Quelle: OLG Dresden, Urteil vom 20.6.2022, 4 U 87/22

Jugendschutz: Schmerzensgeld wegen Shisha-Abgabe an Minderjährige

Der Betreiber eines Pubs ist verpflichtet, sich so zu verhalten, dass Körper, Leben und sonstige Rechtsgüter der Gäste nicht verletzt werden. Auf die Wirksamkeit eines beabsichtigten oder abgeschlossenen Vertrags kommt es dabei nicht an. Die ungeprüfte Abgabe einer Shisha an eine Minderjährige verstößt gegen die Bestimmungen des Jugendschutzes. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main bestätigte ein Urteil des Landgerichts (LG), mit dem der Betreiber wegen der erlittenen Kohlenmonoxid-Vergiftung der Minderjährigen zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 6.400 Euro verurteilt worden war.

Das war geschehen

Die Beklagte betreibt einen Pub in Hessen. Die damals minderjährige Klägerin suchte das Lokal auf, um gemeinsam mit ihrer Freundin eine Shisha zu rauchen. Dabei erlitt sie eine Kohlenmonoxid-Vergiftung. Sie litt an Atemnot und Schwindel und wurde zur Erstversorgung in eine Klinik gebracht. Nach mehrtägiger stationärer Behandlung musste die Klägerin mindestens elf kardiologische Termine wahrnehmen. Sie war mehrere Monate zu keinerlei körperlichen Aktivitäten in der Lage. Noch ein Jahr nach dem Vorfall konnte sie keine gesteigerten körperlichen Aktivitäten, wie Sport oder weite Spaziergänge, durchführen. Ob ihre vollständige Leistungsfähigkeit wiederhergestellt werden kann, ist gegenwärtig unklar.

Die Klägerin verlangte Schmerzensgeld in Höhe von 8.000 Euro, da die Mitarbeiter sie weder nach ihrem Alter gefragt noch eine korrekte Einweisung in die sachgerechte Benutzung der Shisha vorgenommen hätten. Das Landgericht (LG) hatte die Beklagte verurteilt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.400 Euro zu zahlen.

Oberlandesgericht: Jugendschutz nicht eingehalten

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Beklagte habe die sie treffenden Schutz- und Rücksichtspflichten verletzt. Diese Pflichten bestünden unabhängig davon, ob der Vertrag im Hinblick auf die Minderjährigkeit der Klägerin wirksam zustande gekommen sei. Die Beklagte habe eine Pflichtverletzung begangen, da die Mitarbeiter ihres Lokals den Konsum tabakhaltiger Erzeugnisse ohne vorherige Alterskontrolle gestatteten. Sie hätten jedoch die Bestimmungen des Jugendschutzes einhalten müssen. Demnach dürfen in Gaststätten Tabakwaren und andere nikotinhaltige Erzeugnisse und deren Behältnisse an Kinder oder Jugendliche weder abgegeben noch darf ihnen das Rauchen oder der Konsum nikotinhaltiger Produkte gestattet werden. Dies gelte auch für nikotinfreie Erzeugnisse, wie elektronische Zigaretten oder elektronische Shishas. Nach der vom LG durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, dass die Klägerin ohne vorherige Alterskontrolle eine Shisha bestellt und erhalten habe. Ebenfalls sei bewiesen worden, dass die Klägerin einen Krampfanfall erlitten habe.

Der Umstand, dass die Freundin der Klägerin selbst symptomfrei geblieben sei, stehe dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht entgegen. Es sei vielmehr ohne Weiteres nachvollziehbar, dass mehrere Personen unterschiedlich reagieren können, etwa, weil sie verschieden stark an einer Shisha ziehen, durch einen anderen Schlauch oder eine andere Öffnung mehr Kohlenmonoxid ausgesetzt werden oder die Kohlenmonoxidbelastung unterschiedlich gut vertragen.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 11.7.2022, 6 U 148/21, PM 64/22

Datenschutz: Falschparker dürfen fotografiert und angezeigt werden

Das Verwaltungsgericht (VG) Ansbach hat jetzt zwei Klagen gegen Verwarnungen des Landesamtes für Datenschutzaufsicht (LDA) stattgegeben, mit denen das LDA die Ablichtung von Falschparkern rügte.

Gegenstand der Verwarnungen waren von den Klägern angefertigte Fotoaufnahmen von ordnungswidrig geparkten Fahrzeugen, die die Kläger mitsamt Anzeigen an die zuständige Polizei übersandten. Bei den angezeigten Verstößen handelte es sich z. B. um Parken im absoluten Halteverbot oder ordnungswidriges Parken auf Gehwegen.

Das VG hat darüber entschieden, ob die Übermittlung der Bildaufnahmen eine rechtmäßige Datenverarbeitung im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) darstellte. Diese setzt voraus, dass die Datenverarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist.

Die Beteiligten stritten insbesondere um die rechtliche Frage, ob für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung eine persönliche Betroffenheit des Anzeigenerstatters durch die Parkverstöße erforderlich sei und ob nicht für eine Anzeige die bloße schriftliche oder telefonische Schilderung des Sachverhalts unter Angabe des Fahrzeugkennzeichens genüge, sodass eine Übermittlung von Bildaufnahmen nicht erforderlich sei.

Problematisch sei nach Ansicht des LDA zudem, dass mit den Fotos oft Daten erhoben würden, die über den reinen Parkvorgang hinausgingen, z.B. bei Ablichtung anderer Fahrzeuge und Personen. Die Kläger bezogen sich auf Hinweise der Polizei ihnen gegenüber, dass die Parksituation zum Beweis durch Fotoaufnahmen möglichst genau dokumentiert werden sollte. Zudem würde die Verfolgung der Ordnungswidrigkeiten durch die Anfertigung von Fotos vereinfacht.

Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Gegen die Urteile kann Antrag auf Zulassung der Berufung zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) gestellt werden.

Quelle: VG Ansbach, Urteile vom 2.11.2022, AN 14 K 22.00468 und AN 14 K 21.01431, PM vom 3.11.2022

Hinterliegergrundstück: Zufahrt besteht nicht uneingeschränkt

Der Umfang eines Geh- und Fahrrechts muss sich immer am Einzelfall orientieren und besteht unter Umständen nicht uneingeschränkt. Bei der Zufahrt zu einem Hinterliegergrundstück sind damit gewisse Beeinträchtigungen der Zufahrtsbreite hinzunehmen. Darauf hat das Pfälzische Oberlandesgericht (OLG) in einem Hinweisbeschluss aufmerksam gemacht.

Das war geschehen

Ein Mann erwarb ein sog. „Hinterliegergrundstück“, das keinen eigenen Zugang zu einer öffentlichen Straße besitzt. Die Zufahrt zu dem Anwesen und den dazugehörigen fünf Garagen erfolgte ausschließlich über den Hof des benachbarten Grundstücks der Beklagten. Zur Absicherung des Zufahrtsrechts war im Grundbuch des Beklagtengrundstücks ein sog. „Geh- und Fahrrecht“ zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Hinterliegergrundstücks eingetragen. Das Hofgelände zwischen den Gebäuden war groß genug, um bequem in alle Garagen hinein- und herauszufahren.

Dies änderte sich, als die Beklagten auf ihrem Teil des Hofgrundstücks für ihre Mieter zwei Pkw-Stellplätze entlang der Hauswand einrichteten. Waren die Stellplätze belegt, konnten die Garagennutzer nicht mehr wie gewohnt rangieren. Sie mussten gegebenenfalls rückwärts ein- oder ausfahren. Der Nachbar forderte deshalb die Beklagten auf, die Stellplätze zu entfernen und das Geh- und Fahrrecht wieder uneingeschränkt zu gewährleisten. Das in erster Instanz angerufene Landgericht (LG) wies die Klage ab, da die Garagen des Klägers weiterhin erreichbar waren und es nach Ansicht des LG keine Beeinträchtigung des Geh- und Fahrrechts gab.

Oberlandesgericht: Im Grundbruch eingetragenes Recht nicht konkret

Auf die hiergegen gerichtete Berufung wies das OLG den Kläger in einem sog. Hinweisbeschluss darauf hin, dass es beabsichtigt, seine Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Kläger nahm daraufhin die Berufung zurück.

Zur Begründung führte das OLG aus: Wenn wie hier ein eingetragenes Geh- und Fahrrecht im Grundbuch nicht näher konkretisiert ist, können auch andere Umstände herangezogen werden, um den Umfang des Geh- und Fahrrechts festzustellen. Hierzu sind z.B. die Gegebenheiten vor Ort und der Sinn und Zweck des Fahrrechts zu berücksichtigen. Die zwischen den Grundstücken liegende Hofdurchfahrt muss nach Ansicht des OLG jedenfalls breit genug sein, um mit einem üblichen Kraftfahrzeug in einer üblichen Bogenfahrt auch die hinterste der Garagen erreichen zu können. Da nach der Straßenverkehrszulassungsordnung (§ 32 StVZO) die höchstzulässige Breite von Kraftfahrzeugen allgemein 2,55 Meter beträgt, sollte die Zufahrtsbreite mindestens drei Meter betragen. In Höhe des Bogens zu den links gelegenen Garagen sollte die Zufahrt etwas breiter sein. Hier orientierte sich das OLG an der Garagenverordnung (§ 2 Abs. 3 GarVO Rheinland-Pfalz) und hielt eine Breite von mindestens fünf Metern für angemessen. Auch diese Vorgabe war nach den vorgelegten Lichtbildern erfüllt. Das OLG verwies zudem darauf, dass das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1020 S. 1 BGB) den Berechtigten zur schonenden Ausübung der Grunddienstbarkeit verpflichtet.

Pkw-Stellfläche ist Ausübung des Eigentumsrechts

In diesem Sinne hat es der Kläger hinzunehmen, dass die Beklagten ihr Eigentumsrecht ausüben und einen Teil ihres Grundstücks als Pkw-Stellfläche nutzen, sofern sein Zufahrtsrecht dadurch nicht mehr als notwendig beeinträchtigt wird. Die damit für ihn und die Garagennutzer verbundene nachteilige Veränderung muss er hinnehmen.

Quelle: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18.7.2022, 7 U 150/20, PM vom 3.5.2022

Krankheit: Auf die Körpergröße kommt es nicht an

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass eine geringe Körpergröße keine Krankheit im Rechtssinne ist.

Das war geschehen

Geklagt hatte eine junge Frau aus Bremen, die nach Abschluss des Wachstums eine Körpergröße von nur knapp 1,50 m erreicht hatte. Bei ihrer Krankenkasse beantragte sie die Kostenübernahme für eine operative Beinverlängerung. Dafür sollten Ober- bzw. Unterschenkelknochen durchtrennt und ein Verlängerungssystem implantiert werden, das Knochen und Weichgewebe auf die gewünschte Größe dehnt. Zur Begründung führte die Frau aus, dass sie unter ihrer kleinen Körpergröße psychisch leide. Sie werde von ihrer Umwelt nicht als vollwertig wahrgenommen und sei auch in ihrer Berufswahl eingeschränkt. Für eine Ausbildung als Pilotin sei sie wegen ihrer Körpergröße abgelehnt worden. Ihr Traum sei eine Größe von 1,60 m bis 1,65 m.

Krankenkasse: kein Krankheitswert

Die Kasse lehnte den Antrag ab, da eine geringe Körpergröße nicht als eine Krankheit zu bewerten sei, die einen Leistungsanspruch auslöse. Demgegenüber hielt die Frau ihre Körpergröße für krankheitswertig, da nur drei Prozent der Frauen so klein seien. Außerdem hätten jedenfalls die psychischen Auswirkungen sehr wohl Krankheitswert. Im Alltag werde sie behindert durch zu hohe Treppenstufen, Stühle, Waschbecken, Spiegel, Schränkte etc.

Landessozialgericht: keine Leistungspflicht der Krankenkasse

Das LSG hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt. Es hat sich auf die einhellige Rechtsprechung gestützt, wonach bei einer Frau selbst eine Größe von 1,47 m nicht als regelwidriger Körperzustand und damit nicht als Krankheit im Rechtssinne zu bewerten sei. Alltagsschwierigkeiten könne durch Hilfsmittel und ggf. angepasste Wohneinrichtung begegnet werden. Psychische Beeinträchtigungen seien allein mit therapeutischen Mitteln zu behandeln. Denn ansonsten müssten köperverändernde Eingriffe auf Kosten der Allgemeinheit durchgeführt werden, wenn therapeutische Maßnahmen nicht helfen, weil der Betroffene auf den Eingriff fixiert ist. Auch die Ablehnung für bestimmte Berufe könne keine Leistungspflicht der Kasse auslösen.

Quelle: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 5.7.2022, L 16 KR 183/21, PM vom 18.7.2022

Vertragsrecht: Kein Vertrag mit dem Stromgrundversorger bei Verwechslung der Zählernummer?

Das Amtsgericht (AG) Frankfurt am Main hat entschieden: Trotz tatsächlicher Entnahme von Strom kommt ausnahmsweise kein Vertrag mit dem Grundversorger zustande, wenn der Verbraucher irrtümlich einen Stromlieferungsvertrag mit einem Wahlversorger für eine fremde Zählernummer abschließt.

Der Grundversorger begehrte von der beklagten Verbraucherin, zwei Schlussrechnungen aus einem vermeintlich geschlossenen Stromlieferungsvertrag für die Jahre 2018 und 2019 zu zahlen. Die Beklagte war Mitte 2018 in eine Mietwohnung eingezogen. Bei der Wohnungsübergabe kam es durch die Immobilienverwaltung zu einer Verwechslung zwischen den im selben Obergeschoss gelegenen Wohneinheiten und den dazugehörigen Zählernummern. In der Folge schloss die Beklagte Stromlieferungsverträge für die ihr mitgeteilte (falsche) Zählernummer mit anderen Stromversorgern ihrer Wahl ab und zahlte an diese. Nachdem die Verwechslung Mitte 2019 aufgefallen war, teilte die Beklagte dies ihrem letzten Wahlversorger mit. Daraufhin korrigierte dieser seine Abrechnungen gegenüber der Beklagten entsprechend. Die Klägerin stellte ihrerseits der Beklagten den auf der richtigen Zählernummer erfolgten Verbrauch in Rechnung.

Die Klage des Grundversorgers hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des Gerichts war zwischen den Parteien kein Stromlieferungsvertrag zustande gekommen. Zwar könne ein Stromlieferungsvertrag auch dadurch zustande kommen, dass der vom Grundversorger angebotene Strom tatsächlich durch den Verbraucher entnommen wird. Dies gelte allerdings dann nicht, wenn wie hier der Verbraucher im gleichen Zeitraum einen Vertrag mit einem Wahlversorger abgeschlossen hat. In diesem Fall wolle der Verbraucher lediglich die vertragsgemäße Leistung seines Wahlversorgers und nicht die des Grundversorgers entgegennehmen. Ein Zahlungsanspruch der Klägerin ergebe sich wegen des Vorrangs des mit dem Wahlversorger geschlossenen Vertrags dann auch nicht aus sonstigen gesetzlichen Bestimmungen.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle: AG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.4.2022, 29 C 903/21 (19), PM vom 31.10.2022

Lebensversicherung: Fristbeginn des Widerspruchs „ab Erhalt der Unterlagen“

Eine Widerspruchsbelehrung zu einem Lebensversicherungsvertrag, die für den Beginn des Fristenlaufs für den Widerspruch auf „den Erhalt“ der Unterlagen abstellt, ist ausreichend. So entschied es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Dresden.

Die Begründung des OLG: Ohne dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen kennen muss, wird er nach seinem maßgeblichen Empfängerhorizont die Belehrung so verstehen, dass die Frist durch den Zugang der genannten Unterlagen in Gang gesetzt wird und 14 Tage später am gleichen Wochentag abläuft. Die Belehrung vermittelt insbesondere nicht den falschen Eindruck, der Tag des Zugangs des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen zähle mit.

Quelle: OLG Dresden, Beschluss vom 6.1.2022, 4 U 2394/21

Falsche Versprechungen: „Idyllisches Wohnen“ entpuppt sich als Täuschung: Maklerin muss Courtage zurückzahlen

Der Käufer eines Grundstücks kann den Kaufvertrag wegen Täuschung anfechten, wenn ihm der Verkäufer in wesentlichen Punkten falsche Versprechungen gemacht hat. In diesem Fall verliert auch die Immobilienmaklerin ihren Anspruch auf die Maklercourtage, und zwar auch dann, wenn sie nichts von der Täuschung wusste. Die bereits gezahlte Maklercourtage muss sie wieder zurückzahlen. Das entschied das Landgericht (LG) Frankenthal in einem aktuellen Verfahren.

Das war geschehen

Ein Ehepaar aus Baden erwarb Ende 2016 eine Immobilie im Außenbereich einer kleinen Gemeinde im Landkreis Germersheim. Im Exposé der Maklerin wurde das Objekt beworben mit: „Idyllisches Wohnen in ruhiger sonniger Alleinlage“. Allerdings hatte der Verkäufer noch vor dem Verkauf von der Baubehörde erfahren, dass das Außenbereichsgelände nur in Kombination mit einem landwirtschaftlichen Betrieb zu Wohnzwecken genutzt werden dürfe. Den Käufern, die somit dort nicht wohnen durften, teilte er dies jedoch nicht mit. Auch die Maklerin hatte davon keine Kenntnis.

Anfechtung des Kaufvertrags

Als das Ehepaar im Laufe des Jahres 2017 erfuhr, dass die erworbene Immobilie für sie nicht als Wohnhaus nutzbar war, erklärten sie die Anfechtung des Kaufvertrags, mit der Folge, dass dieser rückwirkend unwirksam wurde. Damit war auch dem Anspruch der Maklerin auf die Vermittlungsprovision der Rechtsgrund entzogen, so das LG. Der Anspruch bestehe nur bei wirksamem Abschluss eines Kaufvertrags. Das Risiko, dass diese Wirksamkeit wieder wegfalle, trage die Maklerin.

Keine Verjährung

Der Anspruch auf Rückzahlung der Maklerprovision sei auch noch nicht verjährt. Die Verjährungsfrist betrage in diesen Fällen drei Jahre ab Kenntnis der Gründe für die Rückforderung. Diese Kenntnis erlangten die Käufer zwar bereits im Jahr 2017, als sie von der arglistigen Täuschung durch den Verkäufer erfuhren. Folglich wären in diesem Zusammenhang stehende Ansprüche normalerweise mit Ablauf des Jahres 2020 verjährt. Jedoch hatten die Eheleute bereits im Dezember 2020 einen Mahnbescheid beantragt, sodass der Lauf der Verjährung ab diesem Zeitpunkt gehemmt war. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle: LG Frankenthal, Urteil vom 6.4.2022, 4 O 208/21, PM vom 31.5.2022

Flugverspätung: Ausgleichsanspruch für Fluggäste bei verspäteten Anschlussflügen unterschiedlicher Airlines

Der Ausgleichsanspruch für Fluggäste wegen großer Verspätung gilt auch bei einem Flug mit direkten Anschlussflügen, bei dem die Flüge von unterschiedlichen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden. Wurden die Flüge von einem Reisebüro kombiniert, das einen Gesamtpreis in Rechnung gestellt und einen einheitlichen Flugschein ausgegeben hat, ist unerheblich, dass zwischen den Luftfahrtunternehmen keine rechtliche Beziehung besteht. So hat es der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden.

Das war geschehen

Ein Fluggast erwarb über ein Reisebüro einen elektronischen Flugschein über drei Flüge für die Strecke von Stuttgart nach Kansas City. Der erste Flug, von Stuttgart nach Zürich, wurde von Swiss International Air Lines durchgeführt, während die beiden Flüge von Zürich nach Philadelphia und von Philadelphia nach Kansas City von American Airlines durchgeführt wurden. Auf den Bordkarten für diese Flüge war die Nummer des elektronischen Flugscheins verzeichnet. Außerdem war auf dem Flugschein American Airlines als Dienstleistungserbringerin angegeben, und der Flugschein war mit einer einheitlichen Buchungsnummer für die gesamte Strecke versehen. Darüber hinaus stellte das Reisebüro eine Rechnung aus, die einen Gesamtpreis für die gesamte Strecke sowie für den Rückflug auswies.

Die Flüge von Stuttgart nach Zürich und von Zürich nach Philadelphia fanden planmäßig statt. Der Flug von Philadelphia nach Kansas City dagegen war bei der Ankunft um mehr als vier Stunden verspätet. Vor den deutschen Gerichten klagte flightright, eine Gesellschaft für Rechtshilfe für Fluggäste, an die die durch diese Verspätung entstandenen Ansprüche abgetreten worden waren, gegen American Airlines auf eine Ausgleichszahlung von 600 Euro nach der Verordnung Nr. 261/2004 über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen. Der mit der Sache befasste Bundesgerichtshof (BGH) hat dem EuGH Fragen zur Auslegung dieser Verordnung vorgelegt.

So sieht es der Europäische Gerichtshof

Der EuGH entschied: Der Begriff „direkte Anschlussflüge“ erfasst einen Beförderungsvorgang mit Ausgangspunkt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union,

  • der aus mehreren Flügen besteht,
  • die von unterschiedlichen, nicht durch eine rechtliche Beziehung miteinander verbundenen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden,
  • wenn diese Flüge von einem Reisebüro zusammengefasst wurden,
  • das für diesen Vorgang einen Gesamtpreis in Rechnung gestellt und
  • einen einheitlichen Flugschein ausgegeben hat.

Der EuGH weist darauf hin, dass der Begriff „direkte Anschlussflüge“ so zu verstehen ist, dass er zwei oder mehr Flüge bezeichnet, die für die Zwecke des in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruchs von Fluggästen eine Gesamtheit darstellen. Eine solche Gesamtheit liegt vor, wenn die Flüge Gegenstand einer einzigen Buchung waren.

Beförderungsvorgang beruhte auf einer einzigen Buchung

Hier verfügte der Fluggast über einen Flugschein, der einen Beleg dafür darstellte, dass die Buchung der gesamten Reise von Stuttgart nach Kansas City von einem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert worden war. Bei einem solchen Beförderungsvorgang ist davon auszugehen, dass er auf einer einzigen Buchung beruht, sodass es sich um „direkte Anschlussflüge“ handelt. Die Flüge, um die es hier ging, wurden von unterschiedlichen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt, zwischen denen keine rechtliche Beziehung bestand. Der EuGH stellte fest, dass die Verordnung über Ausgleichsleistungen für Fluggäste keine Bestimmung enthält, wonach die Einstufung als Flug mit direkten Anschlussflügen davon abhängt, dass eine besondere rechtliche Beziehung zwischen den ausführenden Luftfahrtunternehmen besteht, die die einzelnen Flüge, aus denen sich der Flug zusammensetzt, durchführen. Eine solche zusätzliche Bedingung würde dem Ziel der Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus für Fluggäste zuwiderlaufen, da dadurch namentlich deren Ausgleichsanspruch bei großer Verspätung ihres Flugs beschränkt werden könnte.

Quelle: EuGH, Urteil vom 6.10.2022, C-436/21

Hassrede: Nachholung im Prozess: unterlassene Anhörung vor Löschung eines Posts bei Facebook

Hassrede oder freie Meinungsäußerung? Das beschäftigt häufig die Gerichte. Nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) sind die Regelungen in den Nutzungsbedingungen unwirksam, die Facebook in einem Fall der Hassrede eine Befugnis zur Löschung dieses Posts einräumen. Sie sehen kein Verfahren vor, aufgrund dessen der betroffene Nutzer über die Entfernung umgehend informiert, ihm der Grund dafür mitgeteilt und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt wird, woran sich eine neue Entscheidung mit der Möglichkeit der Wiederfreischaltung des Posts anschließt. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat nun entschieden, dass die fehlende Anhörung seitens der Beklagten im Verfahren nachgeholt werden kann. Außerdem hat es entschieden: Wenn die Anhörung zu keiner anderen Bewertung führt, kann der betroffene Nutzer dann nicht die Wiederfreischaltung des Posts beanspruchen. Das Löschungsrecht ergebe sich in diesem Fall bei einem vertragswidrigen Post aus dem Nutzungsvertrag.

Das war geschehen

Die Beklagte ist in Deutschland Vertragspartnerin der Nutzer von Facebook. Der Kläger stimmte den im April 2018 geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten zu. Im November 2018 postete er im Zusammenhang mit einem Artikel über die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Afghanen in einer Flüchtlingsunterkunft, in deren Verlauf diese untereinander Messer eingesetzt hatten, u.a.: „Solange diese sich gegenseitig abstechen ist es doch o. k. Ist jemand anderer Meinung? Messer-Emoji“. Die Beklagte löschte diesen Beitrag und sperrte außerdem vorübergehend Teilfunktionen des klägerischen Kontos. Der Kläger begehrte daraufhin vor dem Landgericht (LG) unter anderem die Freischaltung des gelöschten Beitrags. Das LG hat die Klage abgewiesen.

Berufungsinstanz: Kein Anspruch auf Wiederfreischaltung

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Wiederfreischaltung des gelöschten Posts. Der Post sei zwar eine Meinungsäußerung. Er verstoße aber gegen die über die Nutzungsbedingungen einbezogenen Bestimmungen in den Gemeinschaftsstandards zur Hassrede. Der Begriff der Hassrede sei hinreichend transparent und in den Regelungen selbst definiert worden. Erfasst würden u.a. „Angriffe durch eine gewalttätige und entmenschlichende Sprache, durch Aussagen über Minderwertigkeit und durch Aufrufe, Personen auszuschließen und zu isolieren“. Die Beklagte sei auch berechtigt, ein Verbot von Hassrede vorzusehen, „durch das auch nicht strafbare oder rechtsverletzende Meinungsäußerungen erfasst werden“. Sie dürfe den Nutzern ihres Netzwerks bestimmte Kommunikationsstandards vorgeben, die über die strafrechtlichen Vorgaben hinausgingen. Die Verhaltensregeln sollten einen Kodex für „einen respektvollen Umgang miteinander“ enthalten.

Post entspricht den Merkmalen von Hassrede

Hier verstehe der flüchtige Leser die Äußerung so, dass es dem Kläger „gleichgültig ist bzw. er es in Ordnung finde, wenn afghanische Flüchtlinge sich gegenseitig abstechen“. Dies unterfalle dem Bereich der Hassrede.

Bundesgerichtshof: Regelungen zum Löschen von Posts unwirksam

Soweit die Löschung des Posts erfolgte, ohne den Kläger umgehend zu informieren und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme mit anschließender Neuentscheidung zu gegeben, könne die Beklagte sich zwar nicht auf ihre Regelungen zum Entfernungs- und Sperrvorbehalt berufen. Diese seien gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) unwirksam.

Anhörung erfolgte nachträglich im Prozess

Die Beklagte sei aber zur Löschung unmittelbar aus dem Nutzungsvertrag berechtigt. Die Verfahrensanforderungen zur Information des Betroffenen über die Löschung ergäben sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Durch die Unwirksamkeit der Klausel über den Entfernungs- und Sperrvorbehalt sei im vertraglichen Gefüge eine Lücke entstanden, die im Wege der Auslegung zu schließen sei. Über diese ergänzende Vertragsauslegung sei die Beklagte verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung eines Beitrags zu informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme und Neuentscheidung zu geben. Dies sei im Rahmen des hiesigen Prozesses nachgeholt worden. Der anfängliche Anhörungsfehler sei damit nachträglich geheilt worden.

Grundsätzliche Bedeutung: BGH muss klären

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das OLG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BGH u.a. hinsichtlich des dargestellten Antrags auf Wiederherstellung des gelöschten Artikels zugelassen.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 30.6.2022, 16 U 229/20, PM 54/22