Erbauseinandersetzung: Eidesstattliche Versicherung bei einem notariellen Nachlassverzeichnis?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt die umstrittene Frage entschieden, ob der Pflichtteilsberechtigte vom Erben die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung auch verlangen kann, wenn die Vollständigkeit der Angaben in einem notariellen Nachlassverzeichnis an Eides statt versichert werden soll.

Das Berufungsgericht meinte, der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten gegen den Erben auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung sei bei Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses auf die Angaben beschränkt, die als solche des Erben gekennzeichnet sind. Das sah der BGH anders.

Eine derartige Beschränkung ist nach dem BGH nicht anzunehmen. Maßgebend für die Verpflichtung des Erben zur Abgabe einer unbeschränkten eidesstattlichen Versicherung sei der Sinn und Zweck des notariellen Nachlassverzeichnisses. Hält der Erbe Ergänzungen oder Berichtigungen des notariellen Verzeichnisses für erforderlich, ist die an Eides statt zu versichernde Formel entsprechend anzupassen.

Quelle: BGH, Urteil vom 1.12.2021, IV ZR 189/20

Zwangsgeld: Welche Anforderungen muss die Abrechnung des Betreuers erfüllen?

Ein Betreuer muss die Einnahmen und Ausgaben im Rechnungsjahr schriftlich so klar und übersichtlich darstellen, dass das Gericht ohne Zuziehen von Sachverständigen einen Überblick über alle Vorgänge erhält. Das sagt das Landgericht (LG) Meinigen.

Im Streitfall war vom Amtsgericht (AG) für eine Person ein berufsmäßiger Betreuer bestellt worden. Zu seinem Aufgabenkreis zählt u.a. die Vermögenssorge. Er weigerte sich trotz gerichtlicher Anordnung, Unterlagen und Belege für Kontobewegungen vorzulegen. Deshalb wurde ihm ein Zwangsgeld auferlegt. Er legte gerichtliche Beschwerde ein. Damit hatte er keinen Erfolg.

Das LG stellte fest: Der Betreuer muss über den Ab- und Zugang des Vermögens Auskunft geben. Belege muss er hinzufügen, soweit solche erteilt zu werden pflegen. Allein die Vorlage einer Schlussrechnungsaufstellung gemeinsam mit Kontoauszügen, aus denen sich die in der Schlussrechnung aufgeführten Ein- und Auszahlungen ergeben, reicht hierfür nicht aus. Grund: Aus den Kontoauszügen ergibt sich nur, wann welcher Betrag an welchen Empfänger ausgezahlt wurde. Die Grundlage der Auszahlung ist für das Gericht daraus aber nicht erkenn- und überprüfbar, z. B. ob der Betroffene überhaupt Schuldner einer Forderung war.

Die Entscheidung des LG ist vor allem zu beachten, wenn eine Betreuung mit dem Tod des Betreuten endet, da dieser dann nicht mehr zur Begründetheit einer Ausgabe, deren Zweckmäßigkeit oder Notwendigkeit befragt werden kann.

Quelle: LG Meiningen, Beschluss vom 23.9.2021, 4 T 184/21

Familienkasse: Trotz privater Rentenversicherung: Kindergeld für behindertes Kind?

Das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg entschied in einem Fall eines behinderten Kindes: Bei der Ermittlung der dem Kind zur Verfügung stehenden Mittel ist nur der steuerpflichtige Ertragsanteil einer privaten Rente zu berücksichtigen. Das FG setzte sich außerdem mit verfahrensrechtlichen Fragen dem Bekanntgabezeitpunkt bei Einschaltung eines privaten Postdienstleisters und der von der beklagten Familienkasse angewandten Änderungsnorm auseinander.

Das war geschehen

Die beklagte Familienkasse hatte für den Streitzeitraum Dezember 2019 bis Juli 2021 Kindergeld festgesetzt. Sie hob diese Festsetzung mit Bescheiden vom März 2021 auf. Der Kindsvater machte geltend, es gebe keine Änderungsnorm. Die Verhältnisse hätten sich nicht geändert. Außerdem habe die Familienkasse die Einkünfte und Bezüge des Kindes fehlerhaft berechnet. Dessen Erbschaft von der Mutter sei zweckgebunden gewesen und zum Abschluss einer privaten Rentenversicherung verwendet worden. Die abweisende Einspruchsentscheidung datiert vom 28.7.2021, der Absendevermerk vom 29.7.2021. Die Familienkasse schilderte die interne Organisation der Postaufgabe unter Einschaltung eines privaten Postdienstleisters. Nach den Angaben des Vertreters des Klägers ging ihm die Einspruchsentscheidung am 3.8.2021 zu. Seine Klage vom 3.9.2021 sei fristgemäß.

Beachten Sie: Kindergeld wird einem Kind gewährt, das wegen einer vor Vollendung des 25. Lebensjahrs eingetretenen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Infolgedessen kommt es darauf an, ob das Kind seinen existenziellen Lebensbedarf mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln decken kann.

Finanzgericht: Monatsfrist gewahrt

Die Klage hatte Erfolg. Das FG entschied, die Klage sei innerhalb der Monatsfrist erhoben worden. Ein Abgangsvermerk der Stelle, die das Schriftstück an die Postausgangsstelle weiterleite, reiche nicht aus. Erforderlich sei ein Absendevermerk der Poststelle. Die Schilderungen der organisatorischen Abwicklung lasse zwar auf eine Postaufgabe am 29.7.2021 schließen. Die Zugangsfiktion am dritten Tag sei jedoch erschüttert. Der Verfahrensablauf des Postdienstleisters sei nicht bekannt, ein tatsächlicher Zugang am 3.8.2021 möglich und die Klage zulässig.

Keine Änderung in den Verhältnissen

Änderungen in den einen Kindergeldanspruch begründenden Verhältnissen habe es nicht gegeben. Die Familienkasse habe bereits bei der Kindergeldfestsetzung Kenntnis von der privaten Rente des Kindes gehabt. Der (rückwirkende) Aufhebungsbescheid sei daher rechtswidrig.

Kindergeldberechtigung liegt vor

Außerdem sei der Kläger kindergeldberechtigt. Sein Kind sei nicht imstande, sich selbst zu unterhalten. Es sei „(neben den Einkünften aus Kapitalvermögen) nur der steuerpflichtige Ertragsanteil der privaten Rente zu berücksichtigen“. Es komme auf die Einkünfte und Bezüge im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG) an. Laufende oder einmalige Geldzuwendungen von Eltern seien unschädliches Kindesvermögen. Es dürfe keinen Unterschied machen, wie das Kind das ererbte Vermögen verwende, ob es die geerbten Mittel abhebe oder mit diesen eine private Lebensversicherung abschließe und die Rente zum Lebensunterhalt einsetze. Nichts anderes gelte, wenn das Kind den von der Mutter geerbten Geldbetrag vor Abschluss der privaten Rentenversicherung um (im Verhältnis zum geerbten Vermögen geringe) eigene Mittel aufstocke. Die monatlichen Rentenzahlungen stellten, soweit sie deren steuerpflichtigen Ertragsanteil überstiegen, eine unbeachtliche Vermögensumschichtung dar. Die nach dem EStG ermittelten zur Verfügung stehenden Mittel des Kinds deckten damit dessen existenziellen Lebensbedarf nicht. Die Aufnahme einer Erwerbsfähigkeit scheide aufgrund der Behinderung aus. Werde der Aufhebungsbescheid vom 10.3.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufgehoben, lebe die Kindergeldfestsetzung wieder auf.

Das FG ließ die Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) zu.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.4.2022, 1 K 2137/21

Impfpflicht: Masernimpfung: Einzelimpfstoff aus der Schweiz reicht aus

Das Verwaltungsgericht (VG) Ansbach hat dem Eilantrag gegen eine Betretungsuntersagung von Kindertageseinrichtungen mangels Nachweises eines ausreichenden Impfschutzes gegen Masern jetzt stattgegeben.

Das war geschehen

Der dreijährige Antragsteller sollte von der Kinderkrippe in die Kindertageseinrichtung wechseln. Seine Eltern wiesen nach, dass er zweimal mit einem in der Schweiz, nicht aber in Deutschland zugelassenen Einzelimpfstoff gegen Masern geimpft worden war. In Deutschland gibt es nur Kombinationsimpfstoffe (z. B. gegen Masern, Mumps und Röteln). Das Gesundheitsamt untersagte dem Antragsteller den Wechsel bis zum Nachweis eines ausreichenden Masernimpfschutzes.

Das VG gab dem dagegen gerichteten Eilantrag statt: Der Antragsteller sei ausreichend gegen Masern geimpft. Das Infektionsschutzgesetz sieht keine Einschränkung auf nur in Deutschland zugelassene Impfstoffe vor.

Masern-Impfstoff: Keine Vorgaben wie bei Covid-19-Impfstoff

Im Gegensatz zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht gegen Covid-19, die ausdrücklich die Zulassung des Impfstoffs durch die EU oder das EU-Ausland bei identischer Formulierung vorschreibt, hat der Gesetzgeber bei der Masern-Impfpflicht auf diese Einschränkung verzichtet. Der verwendete Impfstoff durfte von deutschen Apotheken importiert werden und stand damit deutschen Verwendern entsprechend dem Wortlaut des Gesetzes „zur Verfügung“. Nicht ersichtlich sei, dass der Wirkstoff aus der Schweiz weniger sicher und wirksam sei als in Deutschland zugelassene Wirkstoffe.

Gegen den Beschluss kann Beschwerde zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) eingelegt werden.

Quelle: VG Ansbach, Beschluss vom 5.5.2022, AN 18 S 22.00535

Adoptionsverfahren: Gutes Verhältnis zu einem leiblichen Elternteil? Das kann einer Adoption entgegenstehen!

Ein Volljähriger kann als Kind angenommen werden, wenn die Annahme sittlich gerechtfertigt ist. Das ist der Fall, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Volljährigen ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits besteht, oder dies zu erwarten ist. Hat der Volljährige aber eine ungestörte, intakte Beziehung zu einem leiblichen Elternteil, können Zweifel am o. g. Eltern-Kind-Verhältnis berechtigt sein. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe nun entschieden.

Oberlandesgericht: Soziale Prägung zu leiblichen Eltern hat besondere Qualität

Das OLG betont, dass das natürliche Kindschaftsverhältnis zwar keine rechtliche Exklusivität für sich beanspruchen kann. Es entspräche jedoch grundsätzlich keiner Lebenserfahrung, dass derjenige, der auf der Grundlage seiner in der Kindheit erfahrenen sozialen Prägung weiterhin durch ein echtes Eltern-Kind-Verhältnis mit seinen leiblichen Eltern verbunden ist, eine Beziehung von vergleichbarer Qualität zu entfernteren Verwandten oder gar zu familienfremden Personen aufzubauen vermag.

Beziehung zur leiblichen Mutter war intakt

Im vorliegenden Fall hatte das OLG solche Zweifel wegen der ungestörten und intakten Beziehung des Anzunehmenden zu seiner leiblichen Mutter, auch wenn das OLG betont, dass gute Beziehungen zu den leiblichen Eltern der Annahme eines Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen dem Annehmenden und dem Volljährigen nicht per se entgegenstehen. Sie sind aber geeignet, Zweifel am Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses zu begründen.

Beachten Sie: Die Begründung eines Eltern-Kind-Verhältnisses kommt daher regelmäßig schon dann nicht in Betracht, wenn eine ungestörte intakte Beziehung des Anzunehmenden zu mindestens einem leiblichen Elternteil besteht, soweit nicht dieser Elternteil Lebensgefährte oder Lebensgefährtin des Annehmenden ist.

Quelle: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.5.2022, 18 UF 60/21

Pflegeheim: Kein Einfluss pandemiebedingter Beschränkungen auf das Heimentgelt

Bewohner einer stationären Pflegeeinrichtung müssen trotz Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen aufgrund der COVID-19-Pandemie das volle Heimentgelt zahlen. So hat es der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt entschieden.

Die Klägerin schuldete der Beklagten ein Zimmer sowie Pflege- und Betreuungsleistungen nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz in Verbindung mit dem Pflegevertrag. Diese Kernleistungen konnte sie trotz der angeordneten Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen voll erbringen. Eine Entgeltkürzung wegen Nicht- oder Schlechtleistung scheidet daher aus.

Das Heimentgelt war auch nicht wegen Störung der Geschäftsgrundlage herabzusetzen. Durch die Beschränkungen hat sich die Geschäftsgrundlage des Pflegevertrags nicht schwerwiegend geändert. Diese Beschränkungen dienten primär dem Gesundheitsschutz der (vulnerablen) Heimbewohner und der Mitarbeiter, ohne den Vertragszweck infrage zu stellen.

Die Schlussfolgerung des BGH: Der Beklagten war es zuzumuten, am unveränderten Vertrag festzuhalten. Er wies darauf hin, dass der Lockdown das gesamte gesellschaftliche Zusammenleben erfasste, also auch Nichtheimbewohner.

Quelle: BGH, Urteil vom 28.4.2022, III ZR 240/21, PM 78/2022 vom 1.6.2022

Pflichtteilsstrafklausel: Korrektur eines Nachlassverzeichnisses zu verlangen, bedeutet nicht, den Pflichtteil zu fordern

Setzen sich Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben und ihre Kinder zu Schlusserben des Längstlebenden ein, wird häufig eine sog. Pflichtteilsstrafklausel vereinbart. Danach verliert ein Schlusserbe seinen Erbanspruch nach dem Längstlebenden, wenn er schon nach dem Tod des Erstverstobenen seinen Pflichtteil fordert. Er erhält dann auch nach dem Tod des Längstlebenden nur seinen Pflichtteil. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat nun entschieden: Eine solche Pflichtteilsstrafklausel ist nicht bereits erfüllt, wenn der Schlusserbe nach dem Tod des Erstversterbenden eine Korrektur des ihm vorgelegten Nachlassverzeichnisses fordert.

Das war geschehen

Die Erblasserin war Witwe. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor, von denen eines vorverstorben war und seinerseits zwei Kinder hinterließ. Einige Jahre vor dem Tod des erstverstorbenen Ehemanns errichteten die Eheleute ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und ihre Kinder, ersatzweise deren Abkömmlinge, zu Schlusserben des Längstlebenden beriefen.

„Berliner Testament“

Für den Fall, dass einer der Schlusserben nach dem Tod des Erstverstorbenen seinen Pflichtteil fordert, bestimmten die Eheleute, dass er dann auch nach dem Längstlebenden nur seinen Pflichtteil erhalten solle (sog. Pflichtteilsstrafklausel). Nach dem Tod des Ehemanns forderte die Schlusserbin die Erblasserin auf, ihr ein Nachlassverzeichnis vorzulegen und verlangte nach dessen Zusendung eine Nachbesserung sowie die Vorlage eines Wertgutachtens betreffend einer in den Nachlass fallenden Immobilie. Zu einer Auszahlung oder einer gerichtlichen Geltendmachung des Pflichtteils kam es nicht.

Als auch die Erblasserin gestorben war, beantragte die Antragstellerin als eine der Schlusserben einen gemeinschaftlichen Erbschein auf der Grundlage des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute. Sie berücksichtigte dabei allerdings nicht die Schlusserbin, da diese ihren Erbanteil verwirkt habe. Das Nachlassgericht kündigte mit dem angefochtenen Beschluss den Erlass des beantragten Erbscheins an. Hiergegen legte die Schlusserbin Beschwerde mit dem Argument ein, sie habe nicht ihren Pflichtteil nach dem Tod des Erstverstobenen von der jetzigen Erblasserin gefordert.

Pflichtteilsstrafklausel war hier nicht erfüllt

Das OLG gab ihr Recht. Die Pflichtteilsstrafklausel sei nicht erfüllt. Auch wenn das Einfordern des Nachlassverzeichnisses und die hieran geübte Kritik zu einer Belastung der überlebenden Ehegattin geführt habe, sei darin allein noch kein Fordern des Pflichtteils zu sehen. Dies sei zunächst nur das Verlangen einer Auskunft über den Wert des Nachlasses. Auf eine solche Auskunft sei der Pflichtteilsberechtigte angewiesen, um eine für ihn sinnvolle Entscheidung treffen zu können. Eheleute, die bereits den überlebenden Ehegatten vor einem Auskunftsverlangen der Schlusserben schützen wollten, müssten dies im Rahmen der testamentarischen Pflichtteilsstrafklausel deutlich zum Ausdruck bringen.

Der Beschluss ist rechtskräftig.

Quelle: OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 1.2.2022, 21 W 182/21, PM 26/2022 vom 28.3.2022

Quarantäne: Corona-Infektion von demenzkranken Personen in Pflegeheimen

Infiziert sich eine schwer demenzkranke Heimbewohnerin mit dem Corona-Virus und ist anzunehmen, dass sie krankheitsbedingt einer Quarantäneanordnung nicht Folge leisten wird, kann das Amtsgericht (AG) bei symptomlosem Verlauf im Einzelfall eine Absonderung in ihrem abgeschlossenen Zimmer anordnen allerdings nur, wenn das Gesundheitsamt nach gründlicher Prüfung des Falls einen entsprechenden Antrag stellt. So hat es das AG Bad Idburg entschieden.

Die Betroffene ist 92 Jahre alt und bewohnt ein Zimmer in einem Pflegeheim. Sie leidet unter einer weit fortgeschrittenen Demenz mit mangelnder Mitarbeit an einer Therapie und starker motorischer Unruhe. Sie läuft also quasi den ganzen Tag im gesamten Heim umher und besucht dabei andere Bewohnerinnen und Bewohner auch in ihren Zimmern. Anfang Februar infizierte sich die Betroffene mit dem Corona-Virus. Die Infektion verlief symptomlos.

Um zu verhindern, dass die Betroffene das Virus durch Kontakt mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern weiterträgt, ordnete der Gesundheitsdienst des Landkreises Osnabrück auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes die Absonderung („Quarantäne“) der Betroffenen an. Da er infolge der Demenzerkrankung davon ausging, dass die Betroffene der Quarantäneanordnung nicht ausreichend Folge leisten würde, beantragte er zugleich ihre Absonderung in ihrem abgeschlossenen Zimmer.

Das Betreuungsgericht hat die Absonderung der Betroffenen in ihrem abgeschlossenen Zimmer angeordnet. Die Absonderung der Betroffenen im geschlossenen Zimmer sei nach dem Infektionsschutzgesetz zulässig und geboten gewesen. Die zur Vermeidung der Ansteckung anderer Personen erforderlichen Verhaltensweisen könne die Betroffene aufgrund der bei ihr vorliegenden psychiatrischen Erkrankung und der damit verbundenen kognitiven Defizite nicht erkennen und nicht einhalten. Die Betroffene sei körperlich mobil und durch Ansprache nicht dazu zu bringen, von anderen Bewohnern und Pflegepersonen fernzubleiben. Sie bleibe nicht in ihrem Zimmer, sondern möchte dieses unbedingt verlassen und die Gemeinschaftsräumlichkeiten aufsuchen.

Dieser Sachverhalt stand zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der durchgeführten Ermittlungen fest. So hat die Betreuungsrichterin eine Stellungnahme des Hausarztes ausgewertet, die Pflegedienstleiterin und den Bezugspfleger befragt und sich schließlich bei einer persönlichen Anhörung der Betroffenen (die aus Infektionsschutzgründen durch das geöffnete Fenster stattfand) einen eigenen unmittelbaren Eindruck verschafft.

Quelle: AG Bad Idburg, Beschluss vom 17.2.2022, 11 XVII W 2765, PM vom 17.2.2022

Kindeswohlgefährdung: Bei Kindesrückführung an die Eltern ist ein psychologisches Gutachten erforderlich

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat jetzt entschieden: Die Beurteilung, ob die Rückführung eines kurz nach der Geburt in Obhut genommenen Kindes zu seinen Herkunftseltern zu einer Kindeswohlgefährdung führt, bedarf regelmäßig eines psychologischen Gutachtens. Dies gilt insbesondere, wenn sich das Jugendamt und der Verfahrensbeistand des Kindes gegen eine Kindesrückführung aussprechen. Das OLG hob deshalb einen Beschluss des Amtsgerichts (AG) auf, mit dem u.a. der Antrag der Pflegeeltern auf Anordnung des Verbleibes des Kindes bei ihnen zurückgewiesen worden war.

Das war geschehen

Das im Jahr 2020 geborene Kind ist die zweite Tochter der nicht miteinander verheirateten Kindeseltern, die über das gemeinsame Sorgerecht verfügten. Die ältere Schwester war bereits unmittelbar nach der Geburt in Obhut genommen und die u.a. eingerichtete Amtspflegschaft später gerichtlich bestätigt worden. Auch das betroffene Kind war bereits wenige Tage nach der Geburt gegen den Willen der Eltern in Obhut genommen worden und lebt bei Pflegeeltern. Ein drittes Kind der Eltern lebt seit seiner Geburt bei den Eltern.

Die Pflegeeltern begehrten im Rahmen des familiengerichtlichen Verfahrens die Anordnung des dauerhaften Verbleibs des Kindes bei ihnen. Das für den Aufenthaltsort der Eltern zuständige Jugendamt setzte sich anders als das am Verfahren beteiligte und für den Aufenthaltsort des Kindes zuständige Jugendamt für eine Rückführung des Kindes zu seinen Eltern ein; vorbereitend sollten intensivierte Umgänge stattfinden. Der Verfahrensbeistand des Kindes sprach sich gegen eine Rückführung aus. Das AG sah keine Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung im Fall der Rückübertragung der elterlichen Sorge auf die Herkunftseltern, sodass es von familiengerichtlichen Maßnahmen absah und die beantragte Verbleibensanordnung nicht erließ.

Oberlandesgericht: Psychologisches Sachverständigengutachten regelmäßig nötig

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Pflegeeltern und des vormaligen Amtspflegers führten zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens an das AG. Die Entscheidung über die Folgen der Trennung des Kindes von seiner sozialen Familie könne im Hinblick auf die Gestaltung des Verfahrens regelmäßig ohne ein psychologisches Sachverständigengutachten nicht entschieden werden, betonte das OLG.

Kindeswohl entscheidend

Für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung des Kindeswohls sei insbesondere die Frage, ob und wenn ja, in welchem Umfang das Kind Bindungen zu seinen Pflegepersonen und deren Umfeld aufgebaut habe und durch einen Abbruch dieser Bindungen in seinem Wohl gefährdet werden würde, umfassend aufzuklären. Zur Beurteilung dieser für das Kind existenziellen Frage habe sich das AG nicht allein auf die Angaben des nicht am Verfahren beteiligten Jugendamts am Wohnort der Eltern stützen dürfen. Es hätte vielmehr ein psychologisches Sachverständigengutachten einholen müssen. Für das betroffene Kind lägen hier zudem besondere Risikofaktoren vor. Es reagiere besonders sensibel auf Stresssituationen, die teilweise auch pathologische Reaktionen bewirkten.

Es sei deshalb seitens des AG u.a. durch Einholen eines Gutachtens umfassend aufzuklären, ob die Rückführung des Kindes zu seinen Eltern mit einer Kindeswohlgefährdung einhergingen und die Eltern zur Ausübung des Sorgerechts ohne Gefährdung des Kindeswohls imstande seien.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 3.3.2022, 6 UF 225

„Ahnenforschung“: Adelstitel ist durch Berichtigung im Geburtenregister nicht wiederzuerlangen

Ein Nachfahre einer Adelsfamilie, die ihren Titel „Freiherr“ infolge der Französischen Revolution und der Besetzung der linksrheinischen Gebiete verloren hatte, kann diesen nicht im Rahmen der Berichtigung seines Geburtenregisters zurückerlangen, wenn bereits die Unrichtigkeit des zuvor eingetragenen Familiennamens des Vaters nicht hinreichend sicher festgestellt werden kann. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken.

Die Familie des Beschwerdeführers ließ sich Ende des 18. Jahrhunderts im Raum Trier nieder. Infolge der Französischen Revolution und der Besetzung der linksrheinischen Gebiete wurden die Vorrechte des Adels, seine Prädikate und Titel aufgehoben. So verlor auch der Ur-Ur-Urgroßvater des Beschwerdeführers seinen Adelstitel „Freiherr“. Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft wurde die Rheinprovinz im Rahmen der territorialen Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress 1814/1815 dem Königreich Preußen zuerkannt. Unter dem preußischen Herrschaftssystem gelang es dem Ur-Ur-Urgroßvater des Beschwerdeführers nicht mehr, seinen Adelstitel wiederzuerlangen.

Der Titel wurde auch nicht in das Geburtenregister des Beschwerdeführers Mitte des 20. Jahrhunderts eingetragen. Er wandte sich 2020 erfolglos an das Amtsgericht (AG) und begehrte die Berichtigung seines Geburtenregisters u. a. dahingehend, dass er in seinem Geburtsnamen den Adelstitel „Freiherr“ führe.

Das OLG hat die Ansicht des AG bestätigt: Es ist nicht ersichtlich, dass der Geburtsname des Beschwerdeführers oder der Familienname seines Vaters im Geburtenregister falsch eingetragen ist. Der Beschwerdeführer kann sich auch nicht erfolgreich auf Regelungen der Weimarer Reichsverfassung berufen, die im deutschen Recht weitergelten. Dort (Art. 109 Abs. 3 WRV) ist geregelt, dass Adelsbezeichnungen nur als Teil des Namens gelten und nicht mehr verliehen werden. Adelsfamilien dürfen danach ihre Adelstitel nur weiterführen, wenn sie diese bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Weimarer Reichsverfassung am 14.8.1919 getragen hatten.

Die herrschende Rechtsprechung geht deshalb davon aus, dass Adelsbezeichnungen jedenfalls dann nicht Bestandteil des Namens geworden sind, wenn sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Weimarer Reichsverfassung längere Zeit im Rechtsverkehr nicht mehr geführt worden sind.

Da vorliegend neben dem Ur-Ur-Urgroßvater des Beschwerdeführers drei weitere Generationen seiner Familie den Adelstitel bis zum Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung am 14.8.1919 nicht mehr getragen hatten, kann sich der Beschwerdeführer nicht mehr erfolgreich darauf berufen, dass der Titel Bestandteil des Namens geworden ist. Der Adelstitel ist insoweit unter dem Regime des bürgerlichen Rechts untergegangen.

Quelle: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13.7.2021, 3 W 98/20