Entlastungen: Energiepreispauschale für Rentner und neue Höchstgrenze für Midijobs ab 2023

Rentner erhalten Anfang Dezember 2022 eine (steuerpflichtige) Energiepreispauschale von 300 Euro. Zudem wird die Höchstgrenze für eine Beschäftigung im Übergangsbereich (bei den sogenannten Midijobs gelten verminderte Arbeitnehmer-Beiträge zur Sozialversicherung) ab 1.1.2023 von monatlich 1.600 Euro auf 2.000 Euro angehoben.

Quelle: Gesetz zur Zahlung einer Energiepreispauschale an Renten- und Versorgungsbeziehende und zur Erweiterung des Übergangsbereichs, BR-Drs. 523/22 (B) vom 28.10.2022

Ausfallerscheinungen im Straßenverkehr: Unbewusste Drogeneinnahme? So leicht kann man das Gericht nicht überzeugen!

Behauptet ein unter Einfluss von Drogen stehender Führerscheininhaber, er habe die Drogen unbewusst zu sich genommen, bedarf es detaillierter, in sich schlüssiger und von Anfang an widerspruchsfreier Darlegungen, die einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lassen. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz und lehnte einen gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis gerichteten Eilantrag ab.

Das war geschehen

Der Antragsteller wurde bei einer Verkehrskontrolle mit drogentypischen Ausfallerscheinungen angetroffen. Vor Ort durchgeführte Drogenschnelltests reagierten positiv auf die Stoffgruppe Amphetamin. Als die anschließende Blutuntersuchung dieses Ergebnis bestätigte und eine erhebliche Amphetaminkonzentration im Blut des Antragstellers ergab, entzog ihm die zuständige Fahrerlaubnisbehörde aufgrund seiner Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn zur Abgabe seines Führerscheins. Gegen diese für sofort vollziehbar erklärten Anordnungen erhob der Antragsteller Widerspruch. Um die Vollziehung vorläufig zu stoppen, stellte er außerdem einen Eilantrag beim VG.

Verwaltungsgericht: ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen

Das VG lehnte seinen Antrag ab. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei voraussichtlich rechtmäßig. Denn der Antragsteller habe sich aufgrund der Einnahme von Amphetamin als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Zum Ausschluss der Fahreignung genüge bereits die einmalige Einnahme harter Drogen, wozu Amphetamin gehöre. Der Behauptung des Antragstellers, die Droge sei ohne sein Wissen in ein Getränk gemischt worden, könne nicht gefolgt werden. Dass Dritte einer Person Betäubungsmittel verabreichen, sei nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht wahrscheinlich.

Behauptung einer unbewussten Drogeneinnahme war nicht glaubhaft

Die Behauptung einer unbewussten Drogeneinnahme sei daher nur glaubhaft, wenn überzeugend dargelegt werden könne, dass dem Auffinden von Betäubungsmitteln im Körper ein Kontakt mit Personen vorangegangen sei, die zumindest möglicherweise einen Beweggrund gehabt haben könnten, dem Fahrerlaubnisinhaber heimlich Drogen beizubringen. Und es müsse noch naheliegen, dass der Betroffene die Aufnahme des Betäubungsmittels nicht bemerkt hat.

Beifahrer wollte „helfen“

Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Die eidesstattliche Versicherung des Beifahrers, heimlich Amphetamin in die Bierflasche des Antragstellers gegeben zu haben, sei wenig plausibel. Ein nachvollziehbares Motiv für eine solche Handlungsweise ergebe sich weder aus der eidesstattlichen Versicherung noch aus dem Vorbringen des Antragstellers.

Auffälligkeiten auch schon in der Vergangenheit

Vor dem Hintergrund, dass dem Antragsteller bereits in der Vergangenheit wegen des Führens eines Fahrzeugs unter Amphetamineinfluss die Fahrerlaubnis entzogen worden sei und ihm deshalb die sich daraus ergebenden Konsequenzen bekannt gewesen seien, sei die Behauptung des unbewussten Drogenkonsums nicht glaubhaft, wenn er dies erst nach der Entziehung seiner Fahrerlaubnis sieben Wochen nach der Verkehrskontrolle mitteile. Es sei auch unwahrscheinlich, dass ein Beifahrer dem Führer eines Pkw heimlich Amphetamin verabreiche und dadurch eine Gefährdung des eigenen Lebens und der eigenen körperlichen Unversehrtheit in Kauf nehme. Angesichts der hohen Amphetaminkonzentration in seinem Blut sowie seiner Ausfallerscheinungen könne ferner nicht davon ausgegangen werden, dass der Amphetaminkonsum vom Antragsteller unbemerkt geblieben sei.

Gegen diese Entscheidung steht den Beteiligten die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz zu.

Quelle: VG Koblenz, Beschluss vom 9.8.2022, 4 L 680/22.KO, PM 29/22

Kostenminderungspflicht: Wie hoch dürfen Verwahrungskosten für ein Kfz-Kennzeichen sein?

Kosten in Höhe von 2.331 Euro für die Verwahrung eines Kfz-Kennzeichens für die Dauer von nahezu einem Jahr sind unverhältnismäßig. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Trier entschieden.

Das war geschehen

Im Dezember 2020 stellten Polizeibeamte des beklagten Landes Rheinland-Pfalz im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle ein Kfz-Kennzeichen des Klägers sicher, da die EU-Kennung des Kennzeichens mit schwarzer Folie abgeklebt war und die Stempelplakette fehlte. Im Januar 2021 forderte der Beklagte den Kläger auf, mitzuteilen, ob er der Entsorgung des sichergestellten Kfz-Kennzeichens zustimme. Zugleich wurde er darauf hingewiesen, dass eine Verwahrungsgebühr von 7 Euro pro Tag anfalle. Eine Reaktion erfolgte hierauf nicht. Im Dezember 2021 teilte der Beklagte dem Kläger sodann mit, dass nun die Verwertung des sichergestellten Kfz-Kennzeichens beabsichtigt sei. Dem stimmte der Kläger zu, da er ohnehin davon ausgegangen sei, dass dies bereits geschehen sei. Die Aufforderung vom Januar 2021 sei ihm nicht zugegangen. In der Folgezeit setzte das beklagte Land die Kosten der bis dahin erfolgten Verwahrung in Höhe von 2.331 Euro (333 Tage je 7 Euro) fest. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat der Kläger gegen den Gebührenbescheid Klage erhoben.

Verwaltungsgericht: Unverhältnismäßigkeit bei geringwertigem Gegenstand

Das VG hat den streitgegenständlichen Gebührenbescheid aufgehoben. Der Beklagte sei zwar dem Grunde nach zur Gebührenerhebung für eine Verwahrung berechtigt, wobei hierfür nach den maßgeblichen Vorschriften grundsätzlich Gebühren in Höhe von 7 bis 21,50 Euro pro Tag erhoben würden. Im zu beurteilenden Einzelfall sei jedoch die Gebührenerhebung im Hinblick auf den konkret zugrunde gelegten Zeitraum (333 Tage) vor dem Hintergrund der Kostenminderungspflicht des beklagten Landes unverhältnismäßig. Bei geringwertigen verwahrten Gegenständen von solchen sei jedenfalls bei einem Wiederschaffungswert von unter 50 Euro auszugehen , an denen kein erkennbares ideelles Interesse bestehe, sei es nach der Systematik der maßgeblichen Vorschriften angezeigt, nach Sicherstellung die Verwertung bzw. Vernichtung in einem verhältnismäßigen Zeitraum vorzunehmen.

Kfz-Kennzeichen hätte verwertet bzw. vernichtet werden müssen

Im vorliegenden Einzelfall wären bei einem Kfz-Kennzeichen, das zu Preisen von unter 10 Euro erworben werden könne, 14 Tage erforderlich aber auch ausreichend gewesen, um zu ermitteln, ob die Voraussetzungen für die Verwertung bzw. Vernichtung vorgelegen hätten. Da der Beklagte keine entsprechenden Maßnahmen ergriffen habe, um die Verwahrung umgehend nach Sicherstellung zu beenden, seien die festgesetzten Verwahrungsgebühren rechtswidrig und der Bescheid daher aufzuheben.

Quelle: VG Trier, Urteil vom 27.7.2022, 8 K 728/22.TR, PM 20/22

Sonderparkplatznutzung: Wenn der Stempel auf der Parkberechtigung verblasst …

Wer trägt die Kosten, wenn ein Auto abgeschleppt wird, weil der Stempel auf der Parkberechtigung durch die Sonneneinstrahlung verblichen ist? Diese Frage hat das Landgericht (LG) Koblenz jetzt entschieden.

Der Kläger darf Sonderparkplätze für Schwerbehinderte nutzen. Im Jahr 2020 erhielt er zum Nachweis dieser Berechtigung von der Stadt B., der Beklagten, einen Parkausweis, den er an der Windschutzscheibe seines Autos befestigte. Am 7.7.2021 stellte der Kläger sein Auto an einem Bahnhof auf einem Parkplatz ab, der Schwerbehinderten vorbehalten war. Zu diesem Zeitpunkt war kein Dienstsiegel der Beklagten auf dem Parkausweis erkennbar. Wegen des fehlenden Stempels ließ das Ordnungsamt den Wagen abschleppen und stellte dem Kläger dafür Kosten in Höhe von rund 260 Euro in Rechnung.

Der Kläger meinte, die Beklagte müsse die Kosten für das Abschleppen und seine Anwaltskosten übernehmen. Sie habe ihm einen mangelhaften Ausweis ohne Stempel ausgestellt. Wenn ursprünglich ein Stempel existiert habe, sei er viel zu rasch verblasst, weil die Stadt eine falsche Stempelfarbe verwendet habe. Daher sei die Beklagte für das Geschehen verantwortlich.

Die Beklagte verweigerte die Kostenübernahme. Sie argumentierte, der Parkausweis sei bei Übergabe mit einem gut sichtbaren Dienstsiegel versehen gewesen, das offenbar durch das Sonnenlicht verblasst sei. Es sei eigens beschaffte, angeblich lichtbeständige Stempelfarbe verwendet worden. Wenn der Kläger den Ausweis der direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt habe und dadurch der Stempel verschwunden sei, habe er sich rechtzeitig um eine Erneuerung kümmern müssen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Nach einer Vernehmung der Ehefrau des Klägers und eines Mitarbeiters der Stadtverwaltung zeigte es sich überzeugt, dass der Parkausweis zunächst ordnungsgemäß gestempelt war. Der Beklagten könne auch nicht vorgeworfen werden, dass die Stempelfarbe anschließend innerhalb weniger Monate im Sonnenlicht so verblichen sei, dass das Siegel nicht mehr erkennbar war. Die Behörde müsse die Stempel so anbringen, dass sie bei Ausstellung des Ausweises leserlich seien. Wenn der Aufdruck später durch die Sonne verblasse, falle das in den Verantwortungsbereich des Bürgers. Es stelle so das LG keine Pflichtverletzung dar, wenn die Behörde keine lichtbeständige Farbe verwende.

Der Kläger habe selbst dafür sorgen müssen, dass der unleserlich gewordene Parkausweis erneuert werde. Das habe er bei in der Vergangenheit verblichenen Stempeln auch bereits mehrfach so gehandhabt. Und spätestens nach einem Hinweis des Ordnungsamtes der Stadt K. im April 2021 sei ihm bekannt gewesen, dass der Ausweis nicht mehr in Ordnung war. Auch wegen dieses weit überwiegenden Mitverschuldens müsse der Kläger in jedem Fall die Abschleppkosten allein tragen.

Das LG Koblenz hat die Klage abgewiesen.

Quelle: LG Koblenz, Urteil vom 4.7.2022, 1 O 328/21

Jugendschutz: Schmerzensgeld wegen Shisha-Abgabe an Minderjährige

Der Betreiber eines Pubs ist verpflichtet, sich so zu verhalten, dass Körper, Leben und sonstige Rechtsgüter der Gäste nicht verletzt werden. Auf die Wirksamkeit eines beabsichtigten oder abgeschlossenen Vertrags kommt es dabei nicht an. Die ungeprüfte Abgabe einer Shisha an eine Minderjährige verstößt gegen die Bestimmungen des Jugendschutzes. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main bestätigte ein Urteil des Landgerichts (LG), mit dem der Betreiber wegen der erlittenen Kohlenmonoxid-Vergiftung der Minderjährigen zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 6.400 Euro verurteilt worden war.

Das war geschehen

Die Beklagte betreibt einen Pub in Hessen. Die damals minderjährige Klägerin suchte das Lokal auf, um gemeinsam mit ihrer Freundin eine Shisha zu rauchen. Dabei erlitt sie eine Kohlenmonoxid-Vergiftung. Sie litt an Atemnot und Schwindel und wurde zur Erstversorgung in eine Klinik gebracht. Nach mehrtägiger stationärer Behandlung musste die Klägerin mindestens elf kardiologische Termine wahrnehmen. Sie war mehrere Monate zu keinerlei körperlichen Aktivitäten in der Lage. Noch ein Jahr nach dem Vorfall konnte sie keine gesteigerten körperlichen Aktivitäten, wie Sport oder weite Spaziergänge, durchführen. Ob ihre vollständige Leistungsfähigkeit wiederhergestellt werden kann, ist gegenwärtig unklar.

Die Klägerin verlangte Schmerzensgeld in Höhe von 8.000 Euro, da die Mitarbeiter sie weder nach ihrem Alter gefragt noch eine korrekte Einweisung in die sachgerechte Benutzung der Shisha vorgenommen hätten. Das Landgericht (LG) hatte die Beklagte verurteilt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.400 Euro zu zahlen.

Oberlandesgericht: Jugendschutz nicht eingehalten

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Beklagte habe die sie treffenden Schutz- und Rücksichtspflichten verletzt. Diese Pflichten bestünden unabhängig davon, ob der Vertrag im Hinblick auf die Minderjährigkeit der Klägerin wirksam zustande gekommen sei. Die Beklagte habe eine Pflichtverletzung begangen, da die Mitarbeiter ihres Lokals den Konsum tabakhaltiger Erzeugnisse ohne vorherige Alterskontrolle gestatteten. Sie hätten jedoch die Bestimmungen des Jugendschutzes einhalten müssen. Demnach dürfen in Gaststätten Tabakwaren und andere nikotinhaltige Erzeugnisse und deren Behältnisse an Kinder oder Jugendliche weder abgegeben noch darf ihnen das Rauchen oder der Konsum nikotinhaltiger Produkte gestattet werden. Dies gelte auch für nikotinfreie Erzeugnisse, wie elektronische Zigaretten oder elektronische Shishas. Nach der vom LG durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, dass die Klägerin ohne vorherige Alterskontrolle eine Shisha bestellt und erhalten habe. Ebenfalls sei bewiesen worden, dass die Klägerin einen Krampfanfall erlitten habe.

Der Umstand, dass die Freundin der Klägerin selbst symptomfrei geblieben sei, stehe dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht entgegen. Es sei vielmehr ohne Weiteres nachvollziehbar, dass mehrere Personen unterschiedlich reagieren können, etwa, weil sie verschieden stark an einer Shisha ziehen, durch einen anderen Schlauch oder eine andere Öffnung mehr Kohlenmonoxid ausgesetzt werden oder die Kohlenmonoxidbelastung unterschiedlich gut vertragen.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 11.7.2022, 6 U 148/21, PM 64/22

Datenschutz: Falschparker dürfen fotografiert und angezeigt werden

Das Verwaltungsgericht (VG) Ansbach hat jetzt zwei Klagen gegen Verwarnungen des Landesamtes für Datenschutzaufsicht (LDA) stattgegeben, mit denen das LDA die Ablichtung von Falschparkern rügte.

Gegenstand der Verwarnungen waren von den Klägern angefertigte Fotoaufnahmen von ordnungswidrig geparkten Fahrzeugen, die die Kläger mitsamt Anzeigen an die zuständige Polizei übersandten. Bei den angezeigten Verstößen handelte es sich z. B. um Parken im absoluten Halteverbot oder ordnungswidriges Parken auf Gehwegen.

Das VG hat darüber entschieden, ob die Übermittlung der Bildaufnahmen eine rechtmäßige Datenverarbeitung im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) darstellte. Diese setzt voraus, dass die Datenverarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist.

Die Beteiligten stritten insbesondere um die rechtliche Frage, ob für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung eine persönliche Betroffenheit des Anzeigenerstatters durch die Parkverstöße erforderlich sei und ob nicht für eine Anzeige die bloße schriftliche oder telefonische Schilderung des Sachverhalts unter Angabe des Fahrzeugkennzeichens genüge, sodass eine Übermittlung von Bildaufnahmen nicht erforderlich sei.

Problematisch sei nach Ansicht des LDA zudem, dass mit den Fotos oft Daten erhoben würden, die über den reinen Parkvorgang hinausgingen, z.B. bei Ablichtung anderer Fahrzeuge und Personen. Die Kläger bezogen sich auf Hinweise der Polizei ihnen gegenüber, dass die Parksituation zum Beweis durch Fotoaufnahmen möglichst genau dokumentiert werden sollte. Zudem würde die Verfolgung der Ordnungswidrigkeiten durch die Anfertigung von Fotos vereinfacht.

Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Gegen die Urteile kann Antrag auf Zulassung der Berufung zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) gestellt werden.

Quelle: VG Ansbach, Urteile vom 2.11.2022, AN 14 K 22.00468 und AN 14 K 21.01431, PM vom 3.11.2022

Hinterliegergrundstück: Zufahrt besteht nicht uneingeschränkt

Der Umfang eines Geh- und Fahrrechts muss sich immer am Einzelfall orientieren und besteht unter Umständen nicht uneingeschränkt. Bei der Zufahrt zu einem Hinterliegergrundstück sind damit gewisse Beeinträchtigungen der Zufahrtsbreite hinzunehmen. Darauf hat das Pfälzische Oberlandesgericht (OLG) in einem Hinweisbeschluss aufmerksam gemacht.

Das war geschehen

Ein Mann erwarb ein sog. „Hinterliegergrundstück“, das keinen eigenen Zugang zu einer öffentlichen Straße besitzt. Die Zufahrt zu dem Anwesen und den dazugehörigen fünf Garagen erfolgte ausschließlich über den Hof des benachbarten Grundstücks der Beklagten. Zur Absicherung des Zufahrtsrechts war im Grundbuch des Beklagtengrundstücks ein sog. „Geh- und Fahrrecht“ zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Hinterliegergrundstücks eingetragen. Das Hofgelände zwischen den Gebäuden war groß genug, um bequem in alle Garagen hinein- und herauszufahren.

Dies änderte sich, als die Beklagten auf ihrem Teil des Hofgrundstücks für ihre Mieter zwei Pkw-Stellplätze entlang der Hauswand einrichteten. Waren die Stellplätze belegt, konnten die Garagennutzer nicht mehr wie gewohnt rangieren. Sie mussten gegebenenfalls rückwärts ein- oder ausfahren. Der Nachbar forderte deshalb die Beklagten auf, die Stellplätze zu entfernen und das Geh- und Fahrrecht wieder uneingeschränkt zu gewährleisten. Das in erster Instanz angerufene Landgericht (LG) wies die Klage ab, da die Garagen des Klägers weiterhin erreichbar waren und es nach Ansicht des LG keine Beeinträchtigung des Geh- und Fahrrechts gab.

Oberlandesgericht: Im Grundbruch eingetragenes Recht nicht konkret

Auf die hiergegen gerichtete Berufung wies das OLG den Kläger in einem sog. Hinweisbeschluss darauf hin, dass es beabsichtigt, seine Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Kläger nahm daraufhin die Berufung zurück.

Zur Begründung führte das OLG aus: Wenn wie hier ein eingetragenes Geh- und Fahrrecht im Grundbuch nicht näher konkretisiert ist, können auch andere Umstände herangezogen werden, um den Umfang des Geh- und Fahrrechts festzustellen. Hierzu sind z.B. die Gegebenheiten vor Ort und der Sinn und Zweck des Fahrrechts zu berücksichtigen. Die zwischen den Grundstücken liegende Hofdurchfahrt muss nach Ansicht des OLG jedenfalls breit genug sein, um mit einem üblichen Kraftfahrzeug in einer üblichen Bogenfahrt auch die hinterste der Garagen erreichen zu können. Da nach der Straßenverkehrszulassungsordnung (§ 32 StVZO) die höchstzulässige Breite von Kraftfahrzeugen allgemein 2,55 Meter beträgt, sollte die Zufahrtsbreite mindestens drei Meter betragen. In Höhe des Bogens zu den links gelegenen Garagen sollte die Zufahrt etwas breiter sein. Hier orientierte sich das OLG an der Garagenverordnung (§ 2 Abs. 3 GarVO Rheinland-Pfalz) und hielt eine Breite von mindestens fünf Metern für angemessen. Auch diese Vorgabe war nach den vorgelegten Lichtbildern erfüllt. Das OLG verwies zudem darauf, dass das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1020 S. 1 BGB) den Berechtigten zur schonenden Ausübung der Grunddienstbarkeit verpflichtet.

Pkw-Stellfläche ist Ausübung des Eigentumsrechts

In diesem Sinne hat es der Kläger hinzunehmen, dass die Beklagten ihr Eigentumsrecht ausüben und einen Teil ihres Grundstücks als Pkw-Stellfläche nutzen, sofern sein Zufahrtsrecht dadurch nicht mehr als notwendig beeinträchtigt wird. Die damit für ihn und die Garagennutzer verbundene nachteilige Veränderung muss er hinnehmen.

Quelle: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18.7.2022, 7 U 150/20, PM vom 3.5.2022

Krankheit: Auf die Körpergröße kommt es nicht an

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass eine geringe Körpergröße keine Krankheit im Rechtssinne ist.

Das war geschehen

Geklagt hatte eine junge Frau aus Bremen, die nach Abschluss des Wachstums eine Körpergröße von nur knapp 1,50 m erreicht hatte. Bei ihrer Krankenkasse beantragte sie die Kostenübernahme für eine operative Beinverlängerung. Dafür sollten Ober- bzw. Unterschenkelknochen durchtrennt und ein Verlängerungssystem implantiert werden, das Knochen und Weichgewebe auf die gewünschte Größe dehnt. Zur Begründung führte die Frau aus, dass sie unter ihrer kleinen Körpergröße psychisch leide. Sie werde von ihrer Umwelt nicht als vollwertig wahrgenommen und sei auch in ihrer Berufswahl eingeschränkt. Für eine Ausbildung als Pilotin sei sie wegen ihrer Körpergröße abgelehnt worden. Ihr Traum sei eine Größe von 1,60 m bis 1,65 m.

Krankenkasse: kein Krankheitswert

Die Kasse lehnte den Antrag ab, da eine geringe Körpergröße nicht als eine Krankheit zu bewerten sei, die einen Leistungsanspruch auslöse. Demgegenüber hielt die Frau ihre Körpergröße für krankheitswertig, da nur drei Prozent der Frauen so klein seien. Außerdem hätten jedenfalls die psychischen Auswirkungen sehr wohl Krankheitswert. Im Alltag werde sie behindert durch zu hohe Treppenstufen, Stühle, Waschbecken, Spiegel, Schränkte etc.

Landessozialgericht: keine Leistungspflicht der Krankenkasse

Das LSG hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt. Es hat sich auf die einhellige Rechtsprechung gestützt, wonach bei einer Frau selbst eine Größe von 1,47 m nicht als regelwidriger Körperzustand und damit nicht als Krankheit im Rechtssinne zu bewerten sei. Alltagsschwierigkeiten könne durch Hilfsmittel und ggf. angepasste Wohneinrichtung begegnet werden. Psychische Beeinträchtigungen seien allein mit therapeutischen Mitteln zu behandeln. Denn ansonsten müssten köperverändernde Eingriffe auf Kosten der Allgemeinheit durchgeführt werden, wenn therapeutische Maßnahmen nicht helfen, weil der Betroffene auf den Eingriff fixiert ist. Auch die Ablehnung für bestimmte Berufe könne keine Leistungspflicht der Kasse auslösen.

Quelle: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 5.7.2022, L 16 KR 183/21, PM vom 18.7.2022

Vertragsrecht: Kein Vertrag mit dem Stromgrundversorger bei Verwechslung der Zählernummer?

Das Amtsgericht (AG) Frankfurt am Main hat entschieden: Trotz tatsächlicher Entnahme von Strom kommt ausnahmsweise kein Vertrag mit dem Grundversorger zustande, wenn der Verbraucher irrtümlich einen Stromlieferungsvertrag mit einem Wahlversorger für eine fremde Zählernummer abschließt.

Der Grundversorger begehrte von der beklagten Verbraucherin, zwei Schlussrechnungen aus einem vermeintlich geschlossenen Stromlieferungsvertrag für die Jahre 2018 und 2019 zu zahlen. Die Beklagte war Mitte 2018 in eine Mietwohnung eingezogen. Bei der Wohnungsübergabe kam es durch die Immobilienverwaltung zu einer Verwechslung zwischen den im selben Obergeschoss gelegenen Wohneinheiten und den dazugehörigen Zählernummern. In der Folge schloss die Beklagte Stromlieferungsverträge für die ihr mitgeteilte (falsche) Zählernummer mit anderen Stromversorgern ihrer Wahl ab und zahlte an diese. Nachdem die Verwechslung Mitte 2019 aufgefallen war, teilte die Beklagte dies ihrem letzten Wahlversorger mit. Daraufhin korrigierte dieser seine Abrechnungen gegenüber der Beklagten entsprechend. Die Klägerin stellte ihrerseits der Beklagten den auf der richtigen Zählernummer erfolgten Verbrauch in Rechnung.

Die Klage des Grundversorgers hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des Gerichts war zwischen den Parteien kein Stromlieferungsvertrag zustande gekommen. Zwar könne ein Stromlieferungsvertrag auch dadurch zustande kommen, dass der vom Grundversorger angebotene Strom tatsächlich durch den Verbraucher entnommen wird. Dies gelte allerdings dann nicht, wenn wie hier der Verbraucher im gleichen Zeitraum einen Vertrag mit einem Wahlversorger abgeschlossen hat. In diesem Fall wolle der Verbraucher lediglich die vertragsgemäße Leistung seines Wahlversorgers und nicht die des Grundversorgers entgegennehmen. Ein Zahlungsanspruch der Klägerin ergebe sich wegen des Vorrangs des mit dem Wahlversorger geschlossenen Vertrags dann auch nicht aus sonstigen gesetzlichen Bestimmungen.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle: AG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.4.2022, 29 C 903/21 (19), PM vom 31.10.2022

WEG-Recht: Dachsanierung: drei Vergleichsangebote für Auftrag

Beschließt die Gemeinschaft, eine Dachsanierung in Teilabschnitten zu je mehreren zehntausend Euro durchzuführen, sind für jeden einzelnen Abschnitt mindestens drei Vergleichsangebote einzuholen. Dies gilt auch, wenn die Firma beauftragt werden soll, die vorherige Teilabschnitte zufriedenstellend ausgeführt hat, so das Amtsgericht (AG) Bonn.

Das Flachdach des Gebäudes musste vollständig erneuert werden. Wegen der hohen Kosten beschloss die Gemeinschaft, gemäß einem Sanierungsplan stufenweise vorzugehen und jährlich einzelne Teilbereiche zu erneuern. Streit gab es, weil eine Teilfläche von rund 280 qm ohne Einholen von Vergleichsangeboten an die bisherige Fachfirma für rund 70.000 Euro vergeben worden war. Die Gemeinschaft meinte, die Fachfirma habe sich bisher bewährt und es stehe ihr frei, das Handwerksunternehmen zu beauftragen, auch wenn dies zu höheren Kosten führen könnte. Das AG Bonn bezog jedoch eindeutig Position zugunsten des „Drei-Angebots-Prinzips“. Es erklärte den Vergabebeschluss für den vierten Teilabschnitt für ungültig. Bei einem Auftragsvolumen von rund 70.000 Euro keine Alternativangebote einzuholen, widerspräche den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung.

Quelle: AG Bonn, Urteil vom 13.12.2021, 211 C 25/21