SGB II: Neugeborenes profitiert vom Aufenthaltstitel seiner Mutter

Ein Neugeborenes hat bereits ab seiner Geburt Ansprüche auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Dies hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen jetzt in einem mittlerweile rechtskräftigen Urteil entschieden.

Die 2018 geborene Klägerin lebt mit Mutter und Schwester in einem Haushalt. Alle drei sind bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige. Sowohl die Mutter als auch die Schwester besitzen einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen nach dem Aufenthaltsgesetz. Das beklagte Jobcenter lehnte es ab, SGB II-Leistungen für die ersten drei Lebensmonate der Klägerin zu gewähren. Das Sozialgericht (SG) hat das Jobcenter verurteilt, ihr auch für diesen Zeitraum Leistungen zu bewilligen.

Dies hat das LSG nun bestätigt. Der Anspruch der Klägerin bestehe schon ab Geburt. Zwar seien Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland als Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des sog. Freizügigkeitsgesetzes freizügigkeitsberechtigt seien, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen. Die Mutter der Klägerin sei weder Arbeitnehmerin oder Selbstständige noch könne sie wegen ihrer bosnisch-herzegowinischen Staatsangehörigkeit freizügigkeitsberechtigt sein. Gleiches gelte für die Klägerin als Familienangehörige. Es greife hier aber eine gesetzliche Rückausnahme. Danach gelte der o. g. Grundsatz nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz (Kapitel 2 Abschnitt 5 AufenthG) in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten. Die Mutter verfügte zum Zeitpunkt der Geburt über einen solchen Aufenthaltstitel, sodass sie nicht von dem Leistungsausschluss erfasst gewesen sei.

Quelle: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6.4.2022, L 12 AS 1323/19, PM vom 28.9.2022

Verweigerung des Schulbesuchs: Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht für Erstklässler vorläufig entzogen

Eine Kindeswohlgefährdung kommt in Betracht, wenn Eltern erst wegen der Corona-Maßnahmen, dann wegen einer bevorzugten häuslichen Beschulung den Schulbesuch ihres Kindes verweigern. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe klargestellt.

Ein Erstklässler, der 2021 eingeschult wurde, war bis zum Ende des Schuljahrs wegen der Corona-Maßnahmen nicht einmal in der Schule. Auch anschließend fehlte er, weil er sich durch das Homeschooling, so seine Eltern, „toll“ entfalte.

Das Amtsgericht (AG) erteilte den Eltern das Gebot, die Schulpflicht einzuhalten. Das OLG, das über deren Beschwerde entscheiden musste, hat per einstweiliger Anordnung den Eltern in Bezug auf die schulischen Angelegenheiten das Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht für den Erstklässler vorläufig entzogen und die Aufgaben auf das Jugendamt übertragen.

Das OLG sah Anhaltspunkte für eine erhebliche Kindeswohlgefährdung. Die Schulpflicht dient auch dem staatlichen Erziehungsauftrag und den dahinterstehenden Gemeinwohlinteressen. Hier setzen die Eltern ihre eigene Einschätzung über die Bedeutung der Schulpflicht einfach an die Stelle der gesetzgeberischen Entscheidung. Durch dieses Verhalten wird nicht nur die Entwicklung des Erstklässlers zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit, sondern auch dessen gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft gefährdet. Wichtig: Der Wille des Erstklässlers, zu Hause beschult zu werden, spielt laut OLG keine Rolle. Denn eine so weitreichende Entscheidung kann einem siebenjährigen Kind nicht anvertraut werden.

Quelle: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.8.2022, 5 UFH 3/22

Zwangsmittel: Vollstreckung der Schulpflicht gegen Eltern eines zehnjährigen Schülers

Die Schulpflicht kann notfalls auch mit Zwangsmitteln gegen die Eltern durchgesetzt werden. Zu dieser Entscheidung ist das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht (VG) im Rahmen eines Eilverfahrens gekommen.

Die Eltern eines zehnjährigen Schülers hatten das Gericht um einstweiligen Rechtsschutz ersucht, weil sie Menschenrechte, die Verfassung und Europarecht verletzt sehen. Sie weigern sich trotz der Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 800 Euro, ihren Sohn zur Schule zu schicken. Ihr Kind soll zu Hause beschult werden, weil es in der Schule schädigenden Corona-Maßnahmen ausgesetzt gewesen sei. Ihr Sohn habe Angst vor Lehrkräften und sei vom großen Klassenverband belastet.

Den Eilantrag lehnte das VG postwendend ab: Der Antrag war bereits unzulässig, weil die Rechtsanwältin sich nicht der vorgeschriebenen elektronischen Form bedient hatte. Darüber hinaus verstießen die Eltern gegen die Schulpflicht. Ihr Sohn hatte seit vier Monaten die Schule nicht mehr besucht. Das Schulamt war berechtigt, gegen diese Pflichtverletzung mittels Zwangsgelds gegen die Eltern vorzugehen.

Die Schulpflicht ist weder verfassungswidrig noch verstößt sie gegen Europarecht oder grundlegende Menschenrechte. Wenn Probleme mit einer konkreten Schule nicht anders gelöst werden können, steht es den Eltern frei, eine andere staatliche oder private Schule für ihren Sohn zu wählen. Keine Schule zu wählen, ist keine rechtlich zu duldende Option.

Quelle: VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 2.12.2022, 9 B 30/22, PM vom 2.12.2022

Waldorfschule: Privatschulkündigung: Wenn Eltern wegen Corona-Maßnahmen drohen

Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat jetzt eine Privatschulkündigung nach Drohungen von Eltern wegen Corona-Schutzmaßnahmen bestätigt.

Die Eltern hatten gegenüber Lehrkräften und der Geschäftsleitung einer Freien Waldorfschule Drohungen, Unterstellungen und Vorwürfe im Hinblick auf die schulische Umsetzung der staatlichen Corona-Maßnahmen ausgesprochen. Daraufhin kündigte der beklagte Schulverein die Schulverträge für die Töchter. Der Eilantrag sowie die Beschwerde der Eltern dagegen blieben erfolglos.

Das OLG sagt: Die Eltern könnten sich nicht auf das Schulgesetz des Landes Baden-Württemberg (hier: § 90 Abs. 6 Schulgesetz BW) berufen. Dieser sieht einen Schulausschluss nur beim Fehlverhalten der Schüler. Diese Regelung gilt nicht für Schulen in freier Trägerschaft, da diese sich im Rahmen des grundgesetzlichen Rechts zur freien Schülerwahl von Schülern auch wieder trennen können müssten.

Nach dem OLG war hier zwischen den Interessen der Töchter daran, den Schulvertrag fortzusetzen und den Interessen der Privatschule daran, ihre Bildungsziele effektiv zu verwirklichen, abzuwägen: Beruhe das Konzept auf einer individuellen Betreuung der Schüler, müssten sich Schüler wie Eltern einordnen. Andernfalls bestehe ein billigenswertes Interesse der Schule daran, sich vom Vertrag lösen zu können. Die Kündigungen seien nicht rechtsmissbräuchlich.

Die Eltern könnten sich angesichts ihres unangemessenen Verhaltens, das verschwörungstheoretische Anleihen nehme und sich auf konkrete Drohungen und Unterstellungen erstrecke, nicht auf das grundgesetzliche Recht der Meinungsäußerung berufen. Ziel sei nicht gewesen, einen kritischen Diskurs zu unterbinden.

Quelle: OLG Stuttgart, Beschluss vom 7.9.2022, 4 W 75/22

Nachbarschaftsstreit: Überschwenken eines Baukrans

Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat entschieden: Ein durch einen über sein Grundstück schwenkenden Kranarm beeinträchtigter Nachbar hat einen Unterlassungsanspruch.

Das war geschehen

Die Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke gerieten über den Abbruch und die Neubebauung in Streit. Nach Erhalt der Baugenehmigung für zwei Doppelhäuser und vier Garagen haben die Beklagten Ende 2021 einen 18 Meter hohen Turmdrehkran mit ca. 28 Meter langem Ausleger auf der Grundstücksgrenze aufgestellt. Der Ausleger überschwenkte ohne Vorankündigung mehrfach und für längere Zeit im Frühjahr 2022 mit und ohne Last den Luftraum über dem klägerischen Grundstück. In einem Fall blieb der Kran mit schweren Betonfertigteilen an der Oberleitung hängen, die auch das klägerische Grundstück mit Strom versorgte. Dadurch wurde u.a. das Dachgeschoss des Hauses des Klägers erschüttert.

Landgericht: Überschwenken erlaubt, aber ohne Lasten

Der Kläger beantragte daher, es unverzüglich zu unterlassen, sein Grundstück mit dem Kran zu überschwenken. Das Landgericht (LG) bejahte diesen Anspruch, jedoch nur im Fall eines Überschwenkens mit Lasten. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seinen Antrag auf Unterlassung auch eines lastenfreien Schwenkens des Kranarms beim OLG weiterverfolgte.

Oberlandesgericht: Überschwenken in jedem Fall untersagt

Das OLG sah die Berufung als begründet an und untersagte das Schwenken des Baukrans über dem Grundstück des Klägers bei Ordnungsgeld-Androhung für jeden Fall der Zuwiderhandlung.

Die Beklagten hätten das im Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg (NRG BW) auch für das Einschwenken eines Baukrans in den nachbarlichen Luftraum vorgesehene Verfahren nicht eingehalten. Daher könnten sich die Bauherren nicht auf das sog. Hammerschlags- und Leiterrecht (nach § 7d NRG BW) und eine entsprechende Duldungspflicht des Klägers berufen. Nach den gesetzlichen Vorgaben hätten die Bauherren das Benutzen des Nachbargrundstücks durch Überschwenken des Krans mit oder ohne Lasten zwei Wochen vor der Benutzung anzeigen müssen, was unstreitig nicht erfolgt war. Hätte der Kläger dem Überschwenken dann nicht zugestimmt, hätten die Beklagten erst Duldungsklage erheben müssen und auch dann nicht ihr vermeintliches Recht im Wege der Selbsthilfe durchsetzen können.

Diese Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren ist rechtskräftig. Allerdings können die Beklagten noch in einem Hauptsacheverfahren gerichtlich klären lassen, ob ihnen ein Duldungsanspruch auf Überschwenken des Krans gegen den Kläger zusteht.

Quelle: OLG Stuttgart, Urteil vom 31.8.2022, 4 U 74/22, PM vom 8.9.2022

Nichterfüllung vertraglicher Pflichten: Bau einer Moschee zu langsam: Stadt erhält Grundstück zurück

Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat einen beklagten muslimischen Verein für Kultur, Bildung und Integration u.a. zur Rückübertragung des Erbbaurechts eines mit einer Moschee bebauten Grundstücks verpflichtet und dessen Begehren auf Übertragung des Eigentums an diesem Grundstück abgewiesen.

Das war geschehen

Die Stadt Leinfelden-Echterdingen und der Verein hatten 2014 einen Erbbaurechtsvertrag geschlossen, nach dem die Stadt als Grundstückseigentümerin u.a. eine Rückübertragung des Erbbaurechts bei einer Nichterfüllung vertraglicher Pflichten verlangen kann. Über dieses sog. Heimfallrecht sowie die Ausübung eines Wiederkaufsrechts durch die Stadt streiten die Parteien, nachdem der beklagte Verein als Bauherr seinen vertraglichen Pflichten nicht nachgekommen ist: Der Verein hatte in einem 1. Bauabschnitt die Moschee und ein Kulturhaus nicht fristgerecht bis zum 31.10.2018 und auch noch nicht bis zum Sommer 2022 fertiggestellt. Dennoch hatte der Beklagte den vereinbarten Kaufpreis für das Moscheegrundstück in Höhe von über 800.00 Euro bereits 2018 an die Stadt bezahlt. Er wurde aber noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Die Stadt übte daraufhin ihr Wiederkaufsrecht aus und beanspruchte auch den Heimfall des Erbbaurechts.

Landgericht gab der Stadt Recht

In erster Instanz verurteilte das Landgericht (LG) Stuttgart den beklagten Verein auf Übertragung des Erbbaurechts und wies demgegenüber den Anspruch des Vereins auf Übertragung des Eigentums an dem Moscheegrundstück zurück.

Beide Parteien: Berufung eingelegt

Mit ihren jeweiligen Berufungen machten die Parteien weitergehende Ansprüche geltend. Die Stadt beansprucht Erbbauzinszahlungen sowie einen Nachweis der Versicherung des Moscheebauwerks. Der Verein will nach wie vor die Auflassung und das Eigentum an dem Grundstück, da die Klägerin ihr Wiederkaufsrecht rechtswidrig ausgeübt habe. Dadurch sei der Kulturverein in seinen Grundrechten auf Religionsfreiheit und seinem Eigentum am Gebäude verletzt.

Nach dem Scheitern der Vergleichsverhandlungen der Parteien hat das OLG die erstinstanzliche Entscheidung zugunsten der Stadt bestätigt und ihr Ansprüche aus dem Erbbaurechtsvertrag zugesprochen. Der Verein muss die Rückübertragung des Erbbaurechts erklären, das Moscheebauwerk bis dahin entsprechend versichern und Erbbauzinsen von über 110.000 Euro nachzahlen. Der Kaufvertrag wird rückabgewickelt und die Stadt bleibt Eigentümerin des Grundstücks.

Oberlandesgericht: Verein hätte fristgerecht bauen müssen

Das OLG begründet dies damit, dass der Verein seiner vertraglich bindenden Zusage, die Moschee fristgerecht herzustellen, schuldhaft nicht nachgekommen sei. Durch die Kaufpreiszahlung des Vereins seien seine Verpflichtungen wie z.B. auf Versicherungsschutz des Bauwerks aus dem dinglichen Erbbaurechtsvertrag nicht fortgefallen, sondern wirkten fort.

Bei dem Heimfallrecht und dem Wiederkaufsrecht handle es sich um verschiedene Rechte, die die Stadt beide mit unterschiedlichen Folgen ausgeübt habe. Insbesondere sei die Vereinbarung über das Wiederkaufsrecht, wenn der Verein nicht rechtzeitig den 1. Bauabschnitt fertigstelle, wirksam. Der Verein habe keinen Anspruch, genau auf dem streitgegenständlichen Grundstück seinen Mitgliedern die Religionsausübung zu ermöglichen. Vielmehr habe er die Bedingungen des Erbbaurechtsvertrags nicht eingehalten und dadurch das Heimfallrecht ausgelöst. Zugleich sei das vorgesehene Wiederkaufsrecht auch nicht unwirksam und entspreche einer angemessenen Vertragsgestaltung, da der Beklagte in diesem Fall einen wirtschaftlichen Ausgleich seiner Verwendungen erhalte.

Weitere Gerichte müssen entscheiden

Allerdings könne der Verein erst in weiterem Rechtsstreit eine angemessene Entschädigung für die Erhöhung des Grundstückswerts durch seine Aufwendungen geltend machen, um dann an anderer Stelle eine Gebetsmöglichkeit für seine Mitglieder zu schaffen. Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) gegen dieses Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Quelle: OLG Stuttgart, Urteil vom 13.9.2022, 10 U 278/21

Kündigungsschutzklage: Private Nutzung eines Firmenwagens: Keine Kündigung ohne Abmahnung

Vor Ausspruch einer Kündigung ist es oft erforderlich, zunächst eine Abmahnung auszusprechen. Diese geht in vielen Fällen der Kündigung als mildestes Mittel vor. Hierauf hat aktuell noch einmal das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hingewiesen.

Der Arbeitgeber hatte in der Vergangenheit die kurzzeitige Nutzung von Firmenfahrzeugen zu privaten Zwecken nach Rücksprache mit dem Vorgesetzten gestattet. Ein Arbeitnehmer hatte dann das Fahrzeug ohne Erlaubnis genutzt, da er in diesem Moment nicht die Möglichkeit hatte, Kontakt zu seinem Vorgesetzten aufzunehmen.

Der Arbeitgeber hatte das zum Anlass genommen, dem Arbeitnehmer zu kündigen. Dessen Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Erfolg. Es machte deutlich, dass die Pflichtverletzung hier nicht so groß sei, dass sie eine umgehende Kündigung rechtfertigen würde. Es sei in diesem Fall vielmehr erforderlich gewesen, vor Ausspruch der Kündigung die Pflichtverletzung abzumahnen.

Quelle: LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21.6.2022, 5 Sa 245/21

BFH-Entscheidung: Fahrzeugwerbung: Entgelt ist oft Arbeitslohn

Nach Meinung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist ein von einem Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer gezahltes Entgelt für Werbung des Arbeitgebers auf dem Kennzeichenhalter des privaten Pkw des Arbeitnehmers Arbeitslohn, wenn dem abgeschlossenen „Werbemietvertrag“ kein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt zukommt.

Nicht jede Zahlung eines Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer stellt Arbeitslohn dar. Vielmehr kann ein Arbeitgeber mit seinem Arbeitnehmer neben dem Arbeitsvertrag weitere eigenständige Verträge abschließen. Kommt einem gesondert abgeschlossenen Vertrag allerdings kein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt zu, kann es sich insoweit um eine weitere Arbeitslohnzahlung handeln.

Ein Arbeitgeber hatte mit einem Teil seiner Arbeitnehmer „Werbemietverträge“ geschlossen. Danach verpflichteten sich diese, mit Werbung des Arbeitgebers versehene Kennzeichenhalter an ihren privaten Pkw anzubringen. Dafür erhielten sie jährlich 255 Euro. Der Arbeitgeber behandelte das „Werbeentgelt“ als sonstige Einkünfte gemäß Einkommensteuergesetz (§ 22 Nr. 3 EStG) und behielt daher keine Lohnsteuer ein. Dies war auch für die Arbeitnehmer vorteilhaft, da solche Einkünfte unterhalb eines Betrags von 256 Euro jährlich steuerfrei sind. Das Finanzamt ging aber von einer Lohnzahlung aus und nahm den Arbeitgeber für nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer in Haftung und zwar zu Recht, wie das FG Münster und der BFH entschieden. Die Zahlungen gehören zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, weil sie durch das Arbeitsverhältnis veranlasst sind und nicht auf einem Sonderrechtsverhältnis „Mietvertrag Werbefläche“ beruhen, da diesem kein eigener wirtschaftlicher Gehalt zukommt.

Der BFH erachtete insbesondere die folgenden Würdigungen der Vorinstanz nicht nur als möglich, sondern als naheliegend: Dem gesondert abgeschlossenen „Mietvertrag Werbefläche“ kam unter Berücksichtigung der am Markt befindlichen Angebote schon aufgrund seiner Ausgestaltung kein eigener wirtschaftlicher Gehalt zu. Denn die Erzielung einer Werbewirkung war nicht sichergestellt und die Bemessung des Entgelts war offensichtlich an der im Einkommensteuergesetz geregelten Freigrenze orientiert. Der Werbeeffekt war nicht wie im wirtschaftlichen Geschäftsverkehr üblich ausschlaggebendes Kriterium für die Bemessung des Entgelts gewesen. Das FG berücksichtigte, dass Verträge ausschließlich mit Mitarbeitern geschlossen wurden und die Laufzeit der Verträge an das Bestehen des Arbeitsverhältnisses geknüpft war.

Quelle: BFH, Beschluss vom 21.6.2022, VI R 20/20

Youtube-Video: Meinungsfreiheit überstrapaziert: Lehrer erhält fristlose Kündigung

Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hat die fristlose Kündigung eines Lehrers des Landes Berlin als wirksam erachtet, der auf YouTube ein Video veröffentlicht hat, das eine Darstellung des Tores eines Konzentrationslagers mit der Inschrift „IMPFUNG MACHT FREI“ enthielt.

Das war geschehen

Der Lehrer hat ein YouTube-Video unter dem Titel „Sie machen Tempo! Und Ich denke…“ veröffentlicht. Am Anfang des Videos wird für etwa drei Sekunden ein Bild eingeblendet, auf dem das Tor eines Konzentrationslagers abgebildet ist. Der Originalschriftzug des Tores „ARBEIT MACHT FREI“ wurde durch den Text „IMPFUNG MACHT FREI“ ersetzt. Es folgt dann eine ebenfalls etwa drei Sekunden lange Einblendung eines Tweets des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der eine Ausweitung der Impfangebote ankündigt und in dem er die Aussage „Impfen ist der Weg zur Freiheit“ trifft. Die Einblendungen zu Beginn des Videos werden weder durch Text noch durch mündliche Erklärungen näher erläutert. Abrufbar war das Video unter einem Standbild der ersten Einblendung des Videos.

Das Land Berlin hat den Lehrer u. a. wegen der Veröffentlichung dieses Videos fristlos, hilfsweise fristgemäß gekündigt. Der Lehrer setze in dem Video das staatliche Werben um eine Impfbereitschaft in der Pandemie mit der Unrechtsherrschaft und dem System der Konzentrationslager gleich. Damit verharmlose er die Unrechtstaten der Nationalsozialisten und missachte die Opfer. Der Lehrer habe seine Schüler aufgefordert, seinen außerdienstlichen Aktivitäten im Internet zu folgen und sich in anderen Videos auch als Lehrer des Landes Berlin vorgestellt.

Der Lehrer sieht in dem Video hingegen keinen Grund für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Er habe mit dem privaten Video ausschließlich scharfe Kritik an der Äußerung des bayrischen Ministerpräsidenten üben und deutlich machen wollen, dass diese der menschen- und rechtsverachtenden Polemik des Nationalsozialismus nahekomme. Das Video sei durch das Grundrecht auf Meinungsäußerung und Kunstfreiheit gedeckt.

So sah es das Arbeitsgericht

Das ArbG hat die Kündigungsschutzklage des Lehrers abgewiesen. Eine Auslegung des Inhalts des Videos ergebe nicht nur eine Kritik an der Äußerung des bayrischen Ministerpräsidenten, sondern auch an der allgemeinen, auch vom Land Berlin und der Schulsenatorin getragenen Impfpolitik. Dabei überschreite der Lehrer durch den Vergleich des Bildes mit dem Text „IMPFUNG MACHT FREI“ mit der Impfpolitik das Maß der zulässigen Kritik. Die Kritik des Lehrers sei nicht mehr durch die Grundrechte der Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit gedeckt, sondern stelle eine unzulässige Verharmlosung des Holocausts dar. Eine Weiterbeschäftigung des Lehrers sei aus diesem Grund unzumutbar.

Quelle: ArbG Berlin, Urteil vom 12.9.2022, 22 Ca 223/22

Vorerkrankungen: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht immer für die Entgeltfortzahlung

Ist der Arbeitnehmer länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, reicht die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) nicht aus, um automatisch eine Entgeltfortzahlung zu bekommen. Es darf keine Fortsetzungserkrankung vorliegen, was der Arbeitnehmer beweisen muss. Das entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen.

Das war geschehen

Der Kläger war in den Kalenderjahren 2019 und 2020 im erheblichen Umfang arbeitsunfähig erkrankt. Im Zeitraum August bis Dezember 2019 war er an 68 Kalendertagen und im Zeitraum Januar bis August 2020 an 42 Kalendertagen erkrankt. Am 18. August 2020 legte der Kläger eine weitere Erstbescheinigung vor und verlangte eine entsprechende Entgeltfortzahlung. Der beklagte Arbeitgeber hatte jedoch Zweifel, dass eine neue Erkrankung vorlag und verweigerte daher die Entgeltfortzahlung. Dagegen wandte der Kläger ein, er habe für den streitgegenständlichen Zeitraum Erstbescheinigungen vorgelegt, woraus zu ersehen sei, dass Vorerkrankungen nicht vorgelegen hätten. Aus Datenschutzgründen sei er zudem nicht verpflichtet, sämtliche Diagnosen offenzulegen.

Entgeltfortzahlung nur bei „neuer“ Erkrankung

Das Gericht wies die Klage ab und begründete seine Entscheidung damit, dass die AU keine Angaben zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung enthält. Hintergrund ist, dass die Entgeltfortzahlung entfällt, wenn die Krankheit länger als sechs Wochen andauert. Der Arbeitnehmer hat dagegen weiterhin Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn die erneute Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Erkrankung beruht.

Aus der Entscheidung folgen diese Grundsätze für die Praxis: Zunächst muss der Arbeitnehmer darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen.

Arbeitnehmer muss beweisen

Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, muss der Arbeitnehmer die Tatsachen darlegen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Um dieser abgestuften Darlegungslast gerecht zu werden, muss der Arbeitnehmer grundsätzlich zu allen Krankheiten im Jahreszeitraum substanziiert vortragen. Er kann nicht eine „Vorauswahl“ treffen und nur zu denjenigen Erkrankungen vortragen, die ihm als möglicherweise einschlägig erscheinen.

Datenschutz: Gesundheitsdaten dürfen unter bestimmten Voraussetzungen verarbeitet werden

Diese Pflicht berührt zwar das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Arbeitnehmers. Sie ist aber nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) gerechtfertigt. Dort wird die Verarbeitung von Gesundheitsdaten gestattet, wenn sie zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich ist.

Quelle: LAG Hessen, Urteil vom 14.2.2022, 10 Sa 898/21