Betriebsgefahr: Rettungswagen im Einsatz: Bei Unfall Schmerzensgeld möglich

Rettungswagen sollen Leib und Leben von Menschen retten und schützen. Manchmal kann es bei einem Einsatz aber auch zu Personenschäden kommen. So geschah es in einem vom Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg entschiedenen Fall, in dem das OLG den Rettungsdienst verurteilte, Schmerzensgeld zu zahlen.

Der Fahrer eines Rettungswagens wollte bei einem Einsatz mehrere Radfahrer überholen, darunter die Klägerin. Das Martinshorn war eingeschaltet. Es gab insgesamt nur wenig Platz. Die 72-jährige Klägerin wollte in dieser Situation absteigen und kam dabei zu Fall. Zu einer Kollision war es nicht gekommen. Die Frau brach sich den Fußknöchel und musste zwei Wochen einen Gipsverband tragen sowie im Anschluss noch zwei Monate einen speziellen Strumpf.

Das Landgericht (LG) hatte eine Haftung des Rettungsdienstes abgelehnt. Mit ihrer Berufung hatte die Klägerin vor dem OLG Erfolg. Dieses entschied: Bei dem Vorfall habe sich die sog. „Betriebsgefahr“ des Rettungswagens realisiert, also die typischerweise einem Kfz beim Betrieb innewohnende Gefahr. Dies gelte, auch wenn es nicht zu einer Kollision gekommen sei. Denn der Rettungswagen habe dennoch zu dem Unfall beigetragen, indem er das Ausweichmanöver und das Absteigen der Klägerin veranlasst habe. Ein Schaden sei bereits dann „beim Betrieb“ eines Kfz entstanden, wenn sich die von dem Kfz ausgehende Gefahr überhaupt ausgewirkt habe. Das sei hier der Fall. Die Klägerin habe die Verkehrslage zu Recht als gefährlich empfunden und sei deswegen abgestiegen.

Das OLG hat die Betriebsgefahr mit 20% Haftungsquote bewertet und der Radfahrerin ein Schmerzensgeld von 2.400 Euro zugesprochen. Darüber hinaus erhält sie auch ihren materiellen Schaden zu 20% ersetzt, ebenso wie die Kosten für ihren Rechtsanwalt.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle: OLG Oldenburg, Urteil vom 17.5.2022, 2 U 20/22, PM vom 27.9.2022

Nutzungsausfallentschädigung: Porsche-Fahrer muss mit Ford Mondeo zurechtkommen

Ist einem Unfallgeschädigten während der Reparaturzeit des beschädigten Fahrzeugs die Nutzung eines Zweitwagens möglich und zumutbar, besteht kein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung gegen den Schädiger. Bei Beschädigung eines Porsche 911 ist die Nutzung eines Ford Mondeo für Stadt- und Bürofahrten zumutbar. Die damit verbundene Einschränkung des Fahrvergnügens stellt einen immateriellen und damit nicht ersatzpflichtigen Schaden dar, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main.

Das war geschehen

Das Fahrzeug des Klägers, ein Porsche 911, wurde bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Der Beklagte haftete für den Schaden vollumfänglich. Der Beklagte glich einen Teil des geltend gemachten Schadens aus. Mit seiner Klage begehrt der Kläger u.a. Ausgleich der verbliebenen Differenz zu den tatsächlich entstandenen Reparaturkosten und Nutzungsentschädigung für 112 Tage Reparaturzeit.

Privater Fuhrpark war vorhanden

Der Kläger verweist darauf, dass ihm die Nutzung eines anderen Fahrzeugs nicht möglich bzw. nicht zumutbar gewesen sei. Ihm gehörten zwar noch weitere vier Fahrzeuge. Zwei davon würden jedoch von Familienangehörigen genutzt. Ein weiteres käme nicht in Betracht, da es in besonderer Weise für Rennen ausgestattet sei. Das vierte Fahrzeug, ein Ford Mondeo, sei für den Stadtverkehr zu sperrig und werde von der ganzen Familie lediglich als Lasten- und Urlaubsfahrzeug genutzt.

So argumentierten die gerichtlichen Instanzen

Das Landgericht (LG) hatte der Klage hinsichtlich der Reparaturkosten stattgegeben und die Ansprüche auf die geltend gemachte Nutzungsentschädigung zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Zwar umfasse der zu ersetzende Schaden bei der Beschädigung eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich auch den Wegfall der Nutzungsmöglichkeit dieses Fahrzeugs. Ein Geschädigter, der darauf verzichte, ein Ersatzfahrzeug zu mieten, solle nicht schlechter gestellt werden als der, der einen Mietwagen in Anspruch nehme.

Gericht: Es stand ein geeignetes Fahrzeug zur Verfügung

Ein solcher Anspruch entfalle jedoch, wenn der Einsatz eines Zweitwagens möglich und zumutbar sei. Vorliegend hätte der Kläger den Ford Mondeo für die Fahrten zur Arbeit und zu Privatfahrten nutzen können. Ohne Erfolg verweise der Kläger dabei auf die „Sperrigkeit“ dieses zur Mittelklasse gehörenden und für den Stadtverkehr geeigneten Fahrzeuges. Der materielle Vermögensschaden durch den Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Porsche 911 werde damit objektiv durch die Möglichkeit der Nutzung des Ford Mondeo ausgeglichen.

Beschränkung des Fahrvergnügens: immaterielle Beeinträchtigung

„Dass es sich bei dem beschädigten Fahrzeug, einem Porsche 911, mithin einem Sportwagen, aufgrund seiner Motorisierung, Fahrleistung und Ausstattung um ein Fahrzeug aus dem deutlich gehobenen Marktsegment handelt, während es sich bei dem Ford Mondeo lediglich um ein Mittelklassefahrzeug handelt, führt nicht zur Unzumutbarkeit der Nutzung des Ford Mondeo,“ betonte das OLG weiter. Die notwendige Nutzung des Ford Mondeo anstelle des Porsche 911 führe „lediglich zu einer Beschränkung des Fahrvergnügens“. Diese Beschränkung stelle allein eine in einer subjektiven Wertschätzung gründende immaterielle Beeinträchtigung dar und sei nicht vom Schädiger zu erstatten. Anderenfalls bestünde die Gefahr, die Ersatzpflicht des Schädigers entgegen den gesetzlichen Wertungen auf Nichtvermögensschäden auszudehnen.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.7.2022, 11 U 7/21, PM 72/22

Immobiliar-Verbraucherdarlehen: (Kein) Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung

Ein häufiger Streitpunkt, der die Gerichte beschäftigt, ist die von Banken geforderte Vorfälligkeitsentschädigung. Die Durchsetzung des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung seitens der darlehensgebenden Bank setzt auch beim Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag nicht voraus, dass die für die genaue Berechnung zugrunde zu legenden Größen bereits im Darlehensvertrag präzise definiert sind. Vielmehr genügt es, die wesentlichen Parameter in groben Zügen zu nennen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken.

Der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung ist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB) ausgeschlossen, wenn im Vertrag die Angaben über die Laufzeit des Vertrags, das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers oder die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unzureichend sind. Welche Angaben zur Berechnung erforderlich sind, ist allerdings weder gesetzlich noch abschließend in der Rechtsprechung geklärt.

Das OLG hat daher klargestellt: Einer Differenzierung zwischen „Zinsbindungsfrist“ und „rechtlich geschützter Zinserwartung“ bedarf es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Beachten Sie: Das in diesem Verfahren beklagte Kreditinstitut hatte die finanzmathematischen Rahmenbedingungen zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung skizziert und nach Ansicht des OLG sämtliche wesentlichen Parameter dargestellt, die nach allen ernsthaft vertretenen Ansichten gefordert werden.

Diese sind:

  • der geschuldete Kreditbetrag und die Restlaufzeit bis zum Ende der Zinsbindung,
  • die Differenz zwischen Darlehenszinssatz und der erzielten Wiederanlagerendite aus den zurückgeflossenen Darlehensmitteln,
  • die schadensmindernd zu berücksichtigenden ersparten Verwaltungsaufwendungen und die eingesparte Risikomarge sowie
  • die Abzinsung des auf dieser Grundlage ermittelten Schadens.

Quelle: OLG Stuttgart, Urteil vom 18.5.2022, 9 U 237/21

Corona-Pandemie: Kein Schmerzensgeld wegen Einschränkungen in Kindertageseinrichtung

Die Corona-Pandemie beschäftigt mit vielen Fragestellungen die Gerichte, so auch jüngst das Landgericht (LG) Düsseldorf. Es entschied: Im Fall einer Kindertageseinrichtung (KiTa) besteht kein Amtshaftungsanspruch auf Schmerzensgeld wegen Einschränkungen in der Corona-Pandemie.

Im Frühjahr 2021 hatte die beklagte Stadt drei Mal für jeweils acht bis zehn Tage die häusliche Quarantäne eines fünfjährigen Kindes angeordnet. Grund war jeweils ein Corona-positiver Test eines anderen Kindes in der KiTa. Weder das Kind noch seine Eltern gingen gegen die Bescheide vor. Das Kind forderte erfolglos Schmerzensgeld, weil die Quarantäneanordnung rechtswidrig und unverhältnismäßig gewesen sei.

Das LG sagt: Die Stadt durfte als notwendige Maßnahme zum Schutz der Bevölkerung nach dem Infektionsschutzgesetz Ansteckungsverdächtige unter Quarantäne stellen, auch das hier klagende Kind. Denn in seiner Gruppe war ein Kind nach einem PCR-Test Corona-positiv. Im Kindergarten ist davon auszugehen, dass Kinder aus einer Gruppe sich auch über eine Dauer von mehr als 10 Minuten in einem Abstand von weniger als 1,5 Metern befinden, was der Definition einer engen Kontaktperson entspricht. Die Dauer der Quarantäne entspricht den im Frühjahr 2021 geltenden Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts. Sie war auch verhältnismäßig.

Quelle: LG Düsseldorf, Urteil vom 18.5.2022, 2b O 100/21

Fluggastrechte: Trotz Insolvenz Beförderung aus Kulanz: Keine Ansprüche mehr

Nach einer Insolvenz kulanzweise durchgeführte Beförderungen von Passagieren, die ihre Tickets vor der Insolvenz bezahlt haben, sind als „kostenlos“ im Sinne der EU-Fluggastrechte-VO zu werten. Fluggäste, die kostenlos reisen, haben keine Ansprüche nach der EU-Fluggastrechte-VO. Der bezahlte Flugpreis steht der Wertung als kostenlos nicht entgegen; er wandelt sich nach Insolvenzeröffnung in eine Insolvenzforderung. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat jetzt die landgerichtliche Entscheidung im Ergebnis bestätigt und Ausgleichsansprüche des Klägers abgelehnt.

Das war geschehen

Der Kläger buchte bei der Beklagten im April 2019 eine Flugreise von Frankfurt auf die Seychellen. Der Hinflug sollte am 3.1.2020 und der Rückflug am 4.4.2020 erfolgen. Im Dezember 2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet. Die Beklagte entschloss sich, aus Kulanz und, um ihren guten Ruf zu wahren, Passagiere mit vor der Insolvenzantragstellung bezahlten Tickets dennoch zu befördern. Der Hinflug wurde aufgrund eines technischen Defekts am Flugzeug um einen Tag verspätet durchgeführt. Den Rückflug buchte die Beklagte wegen der Corona-Pandemie mehrfach um. Vor dem letztlich für den 8.10.2020 in Aussicht gestellten Rückflug der Beklagten organisierte sich der Kläger am 1.8.2020 eine alternative Beförderung. Er begehrte nun Erstattung der Hotelkosten in Höhe von 4.000 Euro für die Zeit vom 4.4. bis 1.8.2020, hälftige Erstattung des Rückflugs und Entschädigung wegen des verzögerten Hinflugs. Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg.

Beförderungsanspruch wurde zu Insolvenzforderung

Der Kläger könne keinen Entschädigungsanspruch hinsichtlich des verzögerten Hinflugs und des mehrfach verschobenen Rückflugs nach der EU-Fluggastverordnung geltend machen. Wegen der Insolvenz der Beklagten sei der ursprüngliche Beförderungsanspruch zu einer Insolvenzforderung geworden; es habe nach der Insolvenzeröffnung daher kein durchsetzbarer Anspruch mehr auf Durchführung des Flugs bestanden. Die aus Kulanz gewährte Beförderung sei damit als „kostenlos“ im Sinne der Fluggastrechte-VO einzustufen. Fluggäste, die kostenlos reisten, seien von der Verordnung ausgenommen. Sie könnten keine Ausgleichsansprüche geltend machen. Ausgleichsansprüche, die keinen Vermögensschaden voraussetzten, sondern dem Ausgleich von „Ärgernissen und Unannehmlichkeiten“ dienten, bestünden nur im Fall der Entgeltlichkeit.

BGH muss entscheiden

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entschiedenen Rechtsfrage hat das OLG die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 20.7.2022, 13 U 280/21, PM 71/22

BGH-Entscheidung: Zulässigkeit einer negativen Bewertung bei eBay

Bewertungen im Internet haben eine hohe Relevanz: Ob Kaufabsichten, Reisebuchungen oder Arztbesuche nahezu alles wird anhand von Erfahrungsberichten und Bewertungen „abgecheckt“. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun über die Frage entschieden, unter welchen Voraussetzungen der Verkäufer, der ein Produkt über die Internetplattform eBay verkauft, einen Anspruch gegen den Käufer auf Entfernung einer abgegebenen negativen Bewertung hat.

Das war geschehen

Der Beklagte erwarb von der Klägerin über die Internetplattform eBay vier Gelenkbolzenschellen für 19,26 Euro brutto. Davon entfielen 4,90 Euro auf die dem Beklagten in Rechnung gestellten Versandkosten. Der Verkauf erfolgte auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von eBay, denen die Parteien vor dem Geschäft zugestimmt hatten. Dort heißt es auszugsweise unter „§ 8 Bewertungen“, dass der Nutzer verpflichtet ist, in den abgegebenen Bewertungen ausschließlich wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Die von Nutzern abgegebenen Bewertungen müssen sachlich gehalten sein und dürfen keine Schmähkritik enthalten. Nach Erhalt der Ware bewertete der Beklagte das Geschäft in dem von eBay zur Verfügung gestellten Bewertungsprofil der Klägerin mit dem Eintrag „Ware gut, Versandkosten Wucher!!“.

Bundesgerichtshof: Bewertung muss nicht entfernt werden

Der BGH hat nun entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Entfernung der Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ nicht zusteht, auch nicht unter dem vom Berufungsgericht herangezogenen Gesichtspunkt einer (nach-)vertraglichen Nebenpflichtverletzung. Anders, als das Berufungsgericht es gesehen hat, enthält der o. g. § 8 der eBay-AGB über die bei Werturteilen ohnehin allgemein geltende (deliktsrechtliche) Grenze der Schmähkritik hinaus keine strengeren vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen in Bewertungskommentaren.

Klausel ist nicht eindeutig: Was bedeutet „sachlich“?

Zwar ist der Wortlaut der Klausel nicht eindeutig. Für das Verständnis, dem dort enthaltenen Sachlichkeitsgebot solle gegenüber dem Verbot der Schmähkritik ein eigenständiges Gewicht nicht zukommen, spricht aber bereits der Umstand, dass hier genaue Definitionen zu dem unbestimmten Rechtsbegriff „sachlich“ in den AGB fehlen. Es liegt in diesem Fall im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten, die Zulässigkeit von grundrechtsrelevanten Bewertungen eines getätigten Geschäfts an den gefestigten Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Schmähkritik auszurichten und hierdurch die Anforderungen an die Zulässigkeit von Bewertungskommentaren für die Nutzer und eBay selbst möglichst greifbar und verlässlich zu konturieren.

Zudem hätte es der gesonderten Erwähnung der Schmähkritikgrenze nicht bedurft, wenn dem Nutzer schon durch die Vorgabe, Bewertungen sachlich zu halten, eine deutlich schärfere Einschränkung hätte auferlegt werden sollen. Außerdem würde man der grundrechtlich verbürgten Meinungsfreiheit des Bewertenden von vorherein ein geringeres Gewicht beimessen als den Grundrechten des Verkäufers, wenn man eine Meinungsäußerung eines Käufers regelmäßig bereits dann als unzulässig einstufte, wenn sie herabsetzend formuliert ist und/oder nicht (vollständig oder überwiegend) auf sachlichen Erwägungen beruht. Eine solche, die grundrechtlichen Wertungen nicht hinreichend berücksichtigende Auslegung entspricht nicht dem an den Interessen der typischerweise beteiligten Verkehrskreise ausgerichteten Verständnis redlicher und verständiger Vertragsparteien.

Grenze zur Schmähkritik war nicht überschritten

Die Grenze zur Schmähkritik ist durch die Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ nicht überschritten. Wegen seiner das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Wirkung ist der Begriff der Schmähkritik nach der Rechtsprechung des BGH eng auszulegen. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll.

Kritik in scharfer Form, aber keine Diffamierung

Daran fehlt es hier. Bei der Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ steht eine Diffamierung der Klägerin nicht im Vordergrund. Denn der Beklagte setzt sich wenn auch in scharfer und möglicherweise überzogener Form kritisch mit einem Teilbereich der gewerblichen Leistung der Klägerin auseinander, indem er die Höhe der Versandkosten beanstandet. Die Zulässigkeit eines Werturteils hängt nicht davon ab, ob es mit einer Begründung versehen ist.

Quelle: BGH, Urteil vom 28.9.2022, VIII ZR 319/20, PM 141/22

Kfz-Kaskoversicherung: Falsche Angabe einer Pkw-Gesamtlaufleistung

Die falsche Angabe der Gesamtlaufleistung eines Pkw ist unerheblich und wirkt sich nicht zum Nachteil des Versicherers aus, wenn der Versicherungsnehmer eine Neuwertentschädigung geltend macht. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Dresden klargestellt.

Selbst, wenn zugunsten des Versicherers ein vorsätzliches Handeln des Versicherungsnehmers unterstellt würde, wäre die falsche Angabe der Laufleistung allenfalls ein untergeordnetes Indiz für eine Unredlichkeit. Das gäbe schon deshalb zu Zweifeln an der Redlichkeit keinen hinreichenden Anlass, weil der Versicherungsnehmer die Neuwertentschädigung geltend macht. Dafür spielt die Laufleistung keine Rolle.

Der Versicherungsnehmer hat zu der Abweichung um immerhin rund 27 Prozent angegeben, dass das Display des Fahrzeugs regelmäßig nicht die Gesamtfahrleistung angezeigt habe, sondern nur die Geschwindigkeit und die Restkilometer bis zur nächsten Tankfüllung. Er sei deshalb von einer geschätzten Kilometeranzahl ausgegangen. Die habe er aufgrund des ihm bekannten Kilometerstands bei der letzten Inspektion im Vorjahr „hochgerechnet“. Dieser Vortrag wurde durch die „ca.“-Angabe im Fragebogen und die gerundete Kilometerzahl gestützt. Dem OLG hat das nicht gereicht, um vorsätzliches oder gar arglistiges Handeln des Versicherungsnehmers zu beweisen.

Quelle: OLG Dresden, Urteil vom 20.6.2022, 4 U 87/22

Ortsübliche Vergleichsmiete: Keine separate Dusche, aber dennoch Duschmöglichkeit

Das Fehlen einer separaten Dusche kann nicht mit einer fehlenden Duschmöglichkeit gleichgesetzt werden. So hat es das Amtsgericht (AG) Berlin-Mitte entschieden.

Es gab Streit um eine Mieterhöhung auf die ortsüblichen Vergleichsmiete auf der Grundlage des Berliner Mietspiegels 2019. Im Badezimmer der Wohnung gab es eine Badewanne, in der eine Haltestange und ein Brausekopf montiert waren. Der Mieter behauptete, das Badezimmer verfüge über keine Duschmöglichkeit und widersprach der Mieterhöhung. Der Vermieter erhob Klage.

Das AG gab ihm Recht. Durch das Fehlen einer separaten Dusche ist das wohnwertmindernde Merkmal „keine Duschmöglichkeit“ nicht erfüllt. Der Mieter mache zwar geltend, ohne Duschwand oder eine sonstige vergleichbare Ausstattung nur die Möglichkeit zu haben, im Sitzen zu duschen. Allerdings könne das Duschen in der Badewanne, auch wenn im Sitzen, nicht mit dem Fehlen einer Duschmöglichkeit gleichgesetzt werden. Denn die Badewanne sei mit einer Haltestange und einem Brausekopf ausgestattet. Das Duschen sei in dieser Form möglich.

Quelle: AG Berlin-Mitte, Urteil vom 10.2.2022, 21 C 280/20

Gebäudeversicherungsvertrag: Verteilung des Selbstbehalts auf die WEG-Eigentümer

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Bei einem Leitungswasserschaden, der im räumlichen Bereich des Sondereigentums eingetreten ist, ist der im Gebäudeversicherungsvertrag vereinbarte Selbstbehalt vorbehaltlich einer abweichenden Regelung von allen Wohnungseigentümern gemeinschaftlich zu tragen.

Das war geschehen

Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Zur Anlage gehören die Wohnungen der Beklagten und die gewerbliche Einheit der Klägerin. Die Gemeinschaft unterhält eine Gebäudeversicherung, die u. a. auch Leitungswasserschäden abdeckt (sog. verbundene Gebäudeversicherung). Der Versicherungsschutz besteht für das gesamte Gebäude, ohne dass zwischen Sonder- und Gemeinschaftseigentum unterschieden wird. In der Vergangenheit traten aufgrund mangelhafter Kupferrohre wiederholt Wasserschäden in den Wohnungen der Beklagten auf, die sich allein im Jahr 2018 auf rund 85.000 Euro beliefen. Die Gemeinschaft machte deshalb vor Gericht Ansprüche gegen das Unternehmen geltend, das die Leitungen verlegt hatte.

Bislang war die Praxis in der Gemeinschaft so, dass die Verwalterin bei einem Wasserschaden ein Fachunternehmen mit der Schadensbeseitigung beauftragte und die Kosten von dem Gemeinschaftskonto beglich. Sie nahm die Versicherung in Anspruch und legte die Kosten unter Abzug der Versicherungsleistung nach Miteigentumsanteilen um, und zwar auch insoweit, als die Schäden im Bereich des Sondereigentums entstanden waren. Aufgrund der Schadenshäufigkeit betrug der in jedem Schadensfall verbleibende Selbstbehalt inzwischen 7.500 Euro. Dies hatte zur Folge, dass die Versicherung nur noch ca. 25 Prozent der Schäden erstattete.

Gestützt auf die Behauptung, die Mängel an den Leitungen seien jeweils hinter den Absperreinrichtungen in den betroffenen Wohneinheiten aufgetreten, verlangte die Klägerin mit ihrer Klage eine von der bisherigen Praxis abweichende Verteilung des Selbstbehalts. Sie wollte erreichen, dass sie nicht aufgrund des im Versicherungsvertrag vereinbarten Selbstbehalts anteilig an den Kosten für die Beseitigung von Leitungs- und Folgeschäden beteiligt wird, die nach ihrer Ansicht ausschließlich an dem Sondereigentum der Beklagten entstanden sind; auch verwies sie darauf, dass in ihrer Einheit bislang kein Schaden aufgetreten ist.

Das Amtsgericht (AG) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin vor dem Landgericht (LG) ist erfolglos geblieben. Dagegen hat sich die Klägerin mit der zugelassenen Revision zum BGH gewandt. Keinen Erfolg hatte die Revision, soweit sich die Klägerin gegen die Rechtmäßigkeit der derzeitigen Verwaltungspraxis wandte. Erfolgreich war sie jedoch, soweit sie eine künftige Änderung des Kostenverteilungsschlüssels begehrte. Insoweit hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

Gericht kann hier keinen WEG-Beschluss ersetzen

Der BGH: Die in der Gemeinschaft derzeit praktizierte Verteilung des Selbstbehalts bei einem Leitungswasserschaden nach Miteigentumsanteilen ist rechtmäßig. Die Klägerin kann nicht verlangen, dass ein ihrer Rechtsauffassung entsprechender Beschluss durch das Gericht ersetzt wird. Zwar stellt nach versicherungsrechtlichen Maßstäben die Vereinbarung eines Selbstbehalts im Versicherungsvertrag, bei dem der Versicherer einen bestimmten Betrag des versicherten Schadens nicht ersetzen muss, einen Fall der bewussten Unterversicherung dar. Es würde jedoch der Interessenlage der Wohnungseigentümer bei Abschluss einer verbundenen Gebäudeversicherung nicht gerecht, wenn der geschädigte Sondereigentümer den Selbstbehalt allein tragen müsste. Die Entscheidung für einen Selbstbehalt im Versicherungsvertrag ist regelmäßig damit verbunden, dass die Gemeinschaft als Versicherungsnehmerin eine herabgesetzte Prämie zahlen musste. Das ist für die Wohnungseigentümer wegen der damit einhergehenden Verringerung des Hausgeldes wirtschaftlich sinnvoll. Von sonstigen Fällen einer bewussten Unterversicherung unterscheidet sich der Selbstbehalt wegen des typischerweise überschaubaren und genau festgelegten Risikos. Grundlage der Entscheidung zugunsten eines Selbstbehalts ist dabei die Erwartung der Wohnungseigentümer, dass dieses durch Mehrheitsentscheidung eingegangene Risiko für alle vom Versicherungsumfang erfassten Sachen gemeinschaftlich getragen wird.

Änderung des zukünftigen Verteilungsschlüssels erfordert einen Beschluss

Soweit die Klägerin erreichen wollte, dass der Selbstbehalt bei einem Schaden am Sondereigentum der Wohneinheiten allein von den Eigentümern der Wohneinheiten getragen wird, während sie ihrerseits für den Selbstbehalt bei einem Schaden am Sondereigentum der gewerblichen Einheit aufkommen muss, war das so zu verstehen, dass der derzeit maßgebliche Verteilungsschlüssel für die Zukunft geändert werden soll. Hierzu sind die Wohnungseigentümer befugt. Ein Anspruch eines einzelnen Wohnungseigentümers (wie der Klägerin) auf eine solche Beschlussfassung ist aber nur gegeben, wenn ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint.

Zurückverweisung an das Landgericht

Da es insoweit an hinreichenden Feststellungen fehlte, hat der BGH die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das LG ist nun also wieder am Zug. Für das weitere Verfahren hat der BGH darauf hingewiesen, dass eine im Vergleich zu den übrigen Eigentümern unbillige Belastung der Klägerin in Betracht kommen könnte, wenn das (alleinige bzw. jedenfalls überwiegende) Auftreten der Leitungswasserschäden im Bereich der Wohneinheiten auf baulichen Unterschieden des Leitungsnetzes in den Wohneinheiten einerseits und der Gewerbeeinheit andererseits beruhen sollte. Nicht ausreichend wäre es demgegenüber, wenn die Ursache bei gleichen baulichen Verhältnissen in einem unterschiedlichen Nutzungsverhalten läge. Das wird für das weitere Verfahren zu berücksichtigen sein.

Quelle: BGH, Urteil vom 16.9.2022, V ZR 69/21, PM 135/22

Testament: Hypothetischer Wille eines dementen Erblassers zugunsten eines früheren Lebenspartners

Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hat die Frage entschieden, ob der in einem Testament manifestierte Wille des Erblassers auch für den Fall gelten sollte, dass sich sein Lebensgefährte noch während seiner Demenzerkrankung einem anderen Lebenspartner zuwendet.

Der Antragsteller ist der ehemalige Lebensgefährte des Erblassers. Aus dessen mittlerweile geschiedenen früheren Ehe ist eine Tochter hervorgegangen. Der Erblasser hat den Antragsteller und seine Tochter mit Testament vom 5.6.2005 zu Erben eingesetzt. Am 17.10.2016 wurde der Erblasser aufgrund weit fortgeschrittener Demenz in eine Klinik eingeliefert und ab dem 15.11.2016 stationär in einer Pflegeeinrichtung betreut. Am 15.8.2020 heiratete der Antragsteller einen neuen Lebenspartner. Im Jahr 2021 verstarb der Erblasser.

Die Tochter hat die am 5.6.2005 errichtete letztwillige Verfügung des Erblassers aufgrund eines Motivirrtums angefochten, soweit dort der Antragsteller zum Erben bestimmt ist. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass der Erblasser bei Kenntnis der Tatsache, dass der Antragsteller sich einem neuen Lebensgefährten zuwendet und diesen auch heiratet, sein Testament geändert hätte. Das Amtsgericht (AG) hingegen hat mit angefochtenem Beschluss die für die Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen zugunsten des Antragstellers als festgestellt angesehen. Dem ist das OLG gefolgt.

Eine Verfügung von Todes wegen, durch die der Erblasser (u. a.) seinen Lebenspartner bedacht hat, sei zwar unwirksam, wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht. Eine Ausnahme gelte aber, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser die Verfügung auch für einen solchen Fall getroffen hätte. Dabei kommt es auf den hypothetischen Willen des Erblassers zur Zeit der Errichtung der Verfügung von Todes wegen an. Nach ausführlicher Würdigung der besonderen Umstände kam das OLG zu dem Schluss, dass vorliegend von einer derartigen Ausnahme auszugehen und die Verfügung noch wirksam sei.

Quelle: OLG Oldenburg, Beschluss vom 26.9.2022, 3 W 55/22