Haftungsrecht: Vereinsheim: Bei Ruhestörung haftet nicht der Vorstand

Geht von Vereinsanlagen eine Ruhestörung aus, richtet sich ein Unterlassungsanspruch gegen den Verein und nicht gegen seinen Vorstand.

Das hat das Landgericht (LG) Hamburg für einen Verein entschieden, der sein Vereinsheim für private Feiern vermietet hatte. Im konkreten Fall hatte eine Wohnungseigentümergemeinschaft, die in der Nachbarschaft des Vereinsheims angesiedelt war, den Vorstand wegen Ruhestörung verklagt. Das LG stellte fest, dass dem Verein die Vermietung des Vereinshauses nicht generell untersagt werden kann. Es gebe auch keine Anspruchsgrundlage gegen den Vorstand. § 31 BGB regelt die Haftung des Vereins für seine Organe. Vermieter und damit Störer im Sinne des Gesetzes ist allein der Verein. Nur er kann damit auch Adressat eines Verbots sein. (LG Hamburg, Urteil vom 13.12.2017, 321 S 65/16)

Veranstalterhaftung: Fehlende Fangzäune beim Speedwayrennen führen zur Haftung des Veranstalters

Der Veranstalter eines Speedwayrennens verletzt seine Verkehrssicherungspflicht, wenn er keine Fangzäune aufstellt.

Das ist das Ergebnis eines Rechtsstreits vor dem Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg. Bei dem Speedwayrennen war der Zuschauerbereich von dem Rundkurs, auf dem die Motorräder ihre Kreise drehten, durch eine 1,2 Meter hohe Betonmauer getrennt. An deren Innenseite befand sich ein Luftkissenwall. Drei Meter von der Betonmauer entfernt war ein Seil gespannt. Dahinter standen die Zuschauer. Direkt nach dem Start kollidierten zwei Motorräder und fielen zu Boden. Ein drittes Motorrad fuhr auf und wurde über die Betonwand katapultiert. Es verfing sich in dem Seil und prallte auf den Oberschenkel eines Zuschauers, der dadurch einen Oberschenkelbruch erlitt. Die Krankenkasse des Zuschauers verlangte von dem Veranstalter die Behandlungskosten in Höhe von rund 6.000 EUR. Sie vertrat die Auffassung, der Veranstalter hätte seine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Er hätte einen Fangzaun errichten müssen. Der Veranstalter argumentierte, es gebe nahezu kein Unfallrisiko bei Speedwayrennen. Die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen entsprächen der Üblichkeit und den Vorschriften des Rennsportverbands.

Die Richter bejahten eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht und gaben der Krankenkasse recht. Zwar sei eine vollkommene Verkehrssicherheit gegen jede denkbare Gefahr und die jeden Unfall ausschließe, nicht zu erwarten. Es müssten aber alle Maßnahmen ergriffen werden, die zumutbar seien und die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig halten dürfe, um andere vor Schäden zu bewahren. Je größer die Gefahr sei, desto höher seien die Sicherheitsanforderungen.

Nach diesen Grundsätzen wäre im konkreten Fall ein zusätzlicher Fangzaun erforderlich gewesen. Denn der Unfallverlauf sei bei einem Speedwayrennen nicht ganz ungewöhnlich. Es sei alles andere als lebensfern, dass bei einem Zusammenstoß von Motorrädern eine Katapultwirkung entstehe und ein Motorrad zu einem lebensgefährlichen Geschoss für die Zuschauer werde. Der Veranstalter könne sich auch nicht darauf berufen, dass seine Sicherungsmaßnahmen dem Rahmen des Üblichen und den Auflagen des Verbands entsprochen hätten. Ein Verkehrssicherungspflichtiger habe eigenverantwortlich zu prüfen, welche konkreten Maßnahmen erforderlich seien. (OLG Oldenburg, Urteil vom 16.1.2018, 2 U 105/17)

Fahrgastbeförderung: Kostenloser Personennahverkehr für Schwerbehinderte gilt auch auf Borkum-Fähre

Schwerbehinderte Menschen müssen im Fährverkehr unentgeltlich befördert werden. Das gilt auch auf der über zweistündigen Fährverbindung nach Borkum.

Der Kläger ist als Schwerbehinderter anerkannt. Weil er wegen einer Einschränkung des Gehvermögens in seiner Bewegungsfreiheit erheblich beeinträchtigt ist, weist sein Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen „G“ auf. Die Fähren des beklagten Unternehmens verkehren auf der Verbindung zwischen Emden und Borkum mehrmals täglich in beide Richtungen. Der Kläger hat die Feststellung begehrt, dass ihm ein Anspruch auf unentgeltliche Nutzung dieser Fährverbindung zusteht. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Nahverkehr mit Wasserfahrzeugen sei nur anzunehmen, wenn es um die im Alltag anfallende Bewältigung von Entfernungen gehe, wie etwa zu Schulen, Arbeitsstätten, Behörden oder zum Einkauf. Dazu zähle die über zweistündige Fahrt mit der Fähre nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts geändert und der Feststellungklage des Klägers stattgegeben.

Die hiergegen gerichtete Revision der Reederei hatte vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) keinen Erfolg. Nahverkehr ist nach der gesetzlichen Regelung der öffentliche Personenverkehr mit Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen. Den Nachbarschaftsbereich definiert das Gesetz als den Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinandergrenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind. Dieser Definition ist die Anforderung, dass es sich typischerweise um alltäglichen Verkehr handeln muss, nicht zu entnehmen. Hinreichende Gründe für eine solche Einschränkung ergeben sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik oder dem Zweck des Gesetzes. Der mit der gesetzlichen Vergünstigung beabsichtigte Nachteilsausgleich für behinderte Menschen, die in ihrer Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt sind, ist nicht auf den Alltagsverkehr begrenzt, sondern geht darüber hinaus. Die benachbarten Gemeinden sind durch den Fährverkehr auch wirtschaftlich miteinander verbunden. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts, an die das Bundesverwaltungsgericht gebunden ist, nutzen sowohl die Bewohner der Insel Borkum als auch Touristen, welche die Insel kurzzeitig besuchen oder dort ihren Urlaub verbringen, die Fähren und es werden zur Versorgung der Insel erforderliche Waren und Güter über diese Fährverbindung transportiert. (BVerwG, Urteil vom 27.9.2018, 5 C 7/17)

Sozialrecht: Schulbücher vom Jobcenter – SGB II muss verfassungskonform ausgelegt werden

Das Jobcenter muss Kosten für Schulbücher als Mehrbedarfsleistungen übernehmen.

So entschied es das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) im Fall einer Schülerin der gymnasialen Oberstufe. Die Schülerin bezog Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II („Hartz IV“). Sie hatte Kosten für die Anschaffung von Schulbüchern (135,65 EUR) – die von der Schule nicht im Rahmen der Lernmittelfreiheit leihweise zur Verfügung gestellten werden – und eines grafikfähigen Taschenrechners (76,94 EUR). Diese Kosten begehrte sie vom Jobcenter als Zusatzleistungen zum Regelbedarf. Das Jobcenter bewilligte mit dem sog. Schulbedarfspaket insgesamt 100 EUR pro Schuljahr. Zur Begründung hieß es, dass die Norm des § 28 Abs. 3 SGB II als Pauschale ausgestaltet sei. Für eine konkrete Bedarfsermittlung fehle eine Rechtsgrundlage.

Das LSG hat die Schulbuchkosten als Mehrbedarfsleistungen anerkannt. Bücher würden nach der Gesetzesbegründung nicht von der Schulbedarfspauschale nach § 28 Abs. 3 SGB II umfasst. Sie müssten grundsätzlich aus dem Regelbedarf bestritten werden. Da dieser jedoch nur Kosten für Bücher jeglicher Art von ca. 3 EUR/Monat vorsehe, seien hierdurch nur weniger als ein Drittel der notwendigen Schulbuchkosten gedeckt. Hierfür seien auch ansonsten im SGB II keine auskömmlichen Leistungen vorgesehen. Dies sei eine planwidrige Regelungslücke, weil der Gesetzgeber das gesamte menschenwürdige Existenzminimum einschließlich der Kosten des Schulbesuchs sicherstellen müsse. Diese Lücke sei für Einmalbedarfe wie Schulbücher über eine verfassungskonforme Auslegung zu schließen, auch wenn das Gesetz nach seinem Wortlaut nur laufende Bedarfe betrifft.

Demgegenüber seien die Kosten für grafikfähige Taschenrechner von der Schulbedarfspauschale abgedeckt. Eine evidente Unterdeckung ergebe sich selbst nicht bei einer einmaligen Bedarfsspitze. Ein solcher Taschenrechner müsse nämlich nicht für jedes Schuljahr erneut angeschafft werden, sodass die Pauschalen insgesamt auskömmlich seien. (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11.12.2017, L 11 AS 349/17)

Sozialrecht: Taschengeld darf nicht auf Grundsicherungsleistungen angerechnet werden

Ein 24-jähriger Mann aus Krefeld war vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf mit seiner Klage gegen das Jobcenter wegen der Berücksichtigung von Taschengeld in Höhe von 50,00 EUR erfolgreich.

Der Mann erzielte Einkommen aus einer selbstständigen Tätigkeit. Darüber hinaus erhielt er 110,00 EUR monatlich von seiner Mutter und weitere 50,00 EUR monatlich von seiner Großmutter. Das Jobcenter bewilligte aufstockende Grundsicherungsleistungen und berücksichtigte dabei alle Einnahmen. Dagegen wandte sich der Kläger. Er forderte, dass das Taschengeld seiner Großmutter in Höhe von 50,00 EUR nicht angerechnet werden dürfe. Dies sei grob unbillig.

Die Richter am SG sahen das ebenso und folgten seiner Argumentation. Grundsätzlich seien alle Einnahmen auf Grundsicherungsleistungen anzurechnen. Eine Ausnahme gelte aber, soweit ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre oder sie die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussen würden, dass daneben Leistungen nicht gerechtfertigt wären. Im vorliegenden Fall sei die Berücksichtigung bereits grob unbillig. Das Taschengeld der Großmutter sei dazu gedacht gewesen, Bewerbungskosten zu finanzieren und nicht den Lebensunterhalt davon zu bestreiten. Eine Anrechnung würde die Bemühungen des Klägers, „auf eigene Füße“ zu kommen, beeinträchtigen. Außerdem sei ein Taschengeld in Höhe von 50,00 EUR so gering, dass daneben ein Leistungsbezug noch gerechtfertigt sei. 50,00 EUR entsprächen lediglich etwa einem Achtel des Regelbedarfs. (SG Düsseldorf, Urteil vom 7.6.2017, S 12 AS 3570/15)

Unterlassungsanspruch: Hauseigentümer muss kostenlose Zeitungen vor der Haustür nicht dulden

Ein Hauseigentümer muss es nicht dulden, dass gegen seinen Willen regelmäßig kostenlose Wochenzeitungen vor seiner Haustür abgelegt werden.

So entschied es das Amtsgericht Magdeburg im Fall des Eigentümers eines Mietshauses. In der Stadt erscheint zweimal wöchentlich ein kostenloses Anzeigenblatt. Dieses wird in allen Haushalten verteilt. Konnte es nicht in die Briefkästen der Mieter gesteckt werden, weil sich die Briefkästen im Haus befinden und die Hauseingangstür verschlossen war, wurden die Anzeigenblätter vor die Haustür gelegt. Der Hauseigentümer musste dann stets die vor der Haustür liegenden oder durch Wind und Regen vor dem Haus verteilten Blätter wegräumen. Der Hauseigentümer forderte den Herausgeber mehrfach auf, die Zeitungen nicht vor dem Haus abzulegen. Gleichwohl wurden die Blätter weiterhin vor die Haustür gelegt.

Das Gericht sah in der wiederholten Ablage der Anzeigenblätter gegen den erklärten Willen des Hauseigentümers einen nicht hinzunehmenden Eingriff in dessen Eigentum. Deshalb habe der Hauseigentümer gegen den Herausgeber des Anzeigenblatts einen Unterlassungsanspruch. Für kostenlose Handzettel sei ein solcher Anspruch bereits obergerichtlich anerkannt. Das Gericht meint, dass eine unzulässige Beeinträchtigung auch hier vorliege. Ob es sich dabei um Werbung oder um eine kostenlose Tageszeitung handele, sei unbeachtlich. Maßgeblich sei, ob die Zusendung vom Empfänger gewollt sei oder nicht. Letzteres sei der Fall. Außerdem bestehe ein Anzeigenblatt aus weitaus mehr Papier als ein bloßer Handzettel. Daher seien der Beseitigungsaufwand und das Ausmaß an Verschmutzung durch umherfliegende Blätter deutlich höher. Das spreche für einen unzulässigen Eingriff. (Amtsgericht Magdeburg, Urteil vom 29.11.2017, 150 C 518/17)

Haftungsrecht: Waschstraßenbetreiber muss Automatikfahrer ausreichend informieren

Weist ein Waschanlagenbetreiber nicht darauf hin, dass bei automatikbetriebenen Fahrzeugen neueren Typs die Zündung zur Verhinderung der Parksperre eingeschaltet sein muss, haftet er für den daraus entstandenen Schaden.

Das musste sich ein Waschstraßenbetreiber vor dem Amtsgericht München sagen lassen. Ursache des Rechtsstreits war ein Fahrzeugschaden in der Waschanlage. Ein Kunde war mit seinem BMW X3 in die Waschstraße eingefahren. Dort gab es keinen Hinweis darauf, dass bei modernen Fahrzeugen dieser Art das Einschalten der Zündung während des Durchlaufens der Waschstraße erforderlich ist. Der ausgehängte Hinweis lautete lediglich: „Gang raus, Automatik ‚N‘, Motor abstellen, Nicht lenken, Nicht bremsen“. Das Fahrzeug wurde während des Waschvorgangs zweimal aus der Schleppkette herausgehoben. Dabei stieß es mit Bauteilen der Anlage zusammen. Es entstand ein Schaden über 2.000 EUR.

Das Amtsgericht verurteilte den Waschstraßenbetreiber, den Schaden zu erstatten. Der Sachverständige habe ausgeführt, dass bei moderneren automatikgetriebenen Fahrzeugen bei ausgeschalteter Zündung eine Parksperre greife, die im Zusammenwirken mit der Sicherheitsrolle und einem für den Radstand zu kurzen Rollenabstand zum Herausheben aus der Schlepprolle geeignet sei, wenn zu diesem Zeitpunkt die Parksperre, etwa durch Betätigung der Zündung, wieder aufgehoben würde. Waschstraßen seien wie hier oft noch nicht auf die immer länger werdenden Radabstände neuerer Fahrzeugtypen eingestellt.

Nach Ansicht des Gerichts ist dem Autofahrer auch kein Mitverschulden vorzuwerfen. Zwar ist ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen davon auszugehen, dass er bei Eingreifen der Parksperre in dem Moment, als das Fahrzeug mit dem linken Vorderrad auf die Schlepprolle getragen wurde, die Zündung wieder eingeschaltet hat. Jedoch konnte und musste der Autofahrer nicht wissen, dass dies aufgrund der Länge des Fahrzeugs sowie der Größe der Radabstände dazu führen würde, dass das Fahrzeug aufgrund des „Schutzeffekts“ der Sicherheitsrolle aus der Schleppkette heraus und nach rechts getragen werden würde. (Amtsgericht München, Urteil vom 6.9.2018, 213 C 9522/16)

Strafrecht: „Die zwei Flitzpiepen vor Ort“ – ist das eine Beleidigung?

Wer sich über Polizeibeamte ärgert, kann sich schon mal im Ton vergreifen. Aber liegt dann gleich eine Strafbarkeit wegen Beleidigung vor? Mit dieser Frage musste sich das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe befassen.

Der Angeklagte hatte in einer an die Bußgeldbehörde gerichteten E-Mail im Rahmen eines Bußgeldverfahrens – Benutzung eines Mobiltelefons beim Führen eines Fahrzeugs – die beiden den Verstoß aufnehmenden Polizeibeamten als „Flitzpiepen“ bezeichnet. Deswegen hat ihn das Amtsgericht wegen Beleidigung verurteilt. Es hielt den Begriff „Flitzpiepe“ für eine Beleidigung. Er werde als Synonym für Dummkopf, Trottel oder Depp verwendet. Deshalb sei er grundsätzlich als abwertende Äußerung zu verstehen. Dies hatte sich für das Amtsgericht aus zwei nicht näher bezeichneten Internetseiten ergeben.

Das OLG Karlsruhe hat die Verurteilung aufgehoben. Das Amtsgericht habe weder den Kontext der Äußerung mit der vollständigen E-Mail des Angeklagten, noch von diesem vorgelegte Internetausdrucke, aus denen ein vom Amtsgericht abweichendes Verständnis des Wortes „Flitzpiepe“ folgte, im Urteil wiedergegeben. Aus dem Duden ergebe sich, dass mit dem Wort „Flitzpiepe“ auch eine „Person, die man wenig ernst nimmt und über die man sich ärgert“, gemeint sein kann. Das Amtsgericht müsse sorgfältig prüfen, ob die Äußerung nach zutreffender Auslegung durch die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit gedeckt ist. Grundsätzlich gehöre das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, zum Kernbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung. Dies könne auch bei überzogener und selbst bei ausfälliger Kritik gelten. (OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.5.2018, 2 Rv 4 Ss 193/18)

Sozialrecht: Wie lange muss das Jobcenter für teure Wohnungen zahlen?

Für große und teure Wohnungen von Hartz-IV-Empfängern muss das Jobcenter nicht die volle Miete tragen. Dieser Grundsatz gilt aber nicht unbegrenzt. Wer zwischenzeitlich gearbeitet hat und danach erneut Grundsicherungsleistungen erhält, kann ggf. eine zweite Übergangsfrist beanspruchen.

Das folgt aus einer Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen. Zugrunde lag das Eilverfahren eines 51-jährigen Hannoveraners, der seit dem Auszug von Frau und Kind in einer großen Wohnung allein lebte. Nachdem er auch noch seine Arbeit im online-Marketing verloren hatte und die Leistungen des Arbeitsamts erschöpft waren, bezog er Grundsicherungsleistungen („Hartz-IV“). Das Jobcenter forderte ihn auf, die viel zu hohen Wohnkosten binnen einer Frist von sechs Monaten zu senken. Das gelang zeitweilig, indem der Mann an eine Studentin untervermietete. Später fand er auch eine neue Arbeitsstelle und konnte sich die Wohnung wieder leisten. Nach fünf Monaten der Probezeit kündigte der Arbeitgeber und der Mann war erneut hilfebedürftig. Das Jobcenter wollte jetzt nur noch die Kosten einer angemessenen Wohnung übernehmen. Hierauf habe es bekanntlich schon einmal hingewiesen. Demgegenüber sah sich der Mann als „Neufall“, der eine neue Aufforderung und eine neue Frist erfordere. Außerdem verwies er auf den angespannten Wohnungsmarkt in Hannover.

Das LSG hat dem Mann vorläufig eine weitere Frist von drei Monaten zur Kostensenkung eingeräumt. Zwar sei er durch die vorherige Kostensenkungsaufforderung auf die zu hohen Kosten hingewiesen worden. Die sechsmonatige Übergangsfrist sei bereits abgelaufen. Die Aufforderung behalte auch für die Zukunft ihre Warn- und Hinweisfunktion. Sie müsse daher nicht wiederholt werden. Dem Leistungsempfänger seien die zu hohen Kosten bei unveränderter Wohnsituation bestens bekannt. Allerdings müsse er die Kosten nach den Umständen des Einzelfalls auch tatsächlich senken können. Da der Mann für einige Monate gearbeitet hatte, musste er sich in dieser Zeit nicht um eine günstigere Wohnung bemühen. Nach der kurzfristigen Kündigung sei ein weiterer zeitlicher Vorlauf nötig um die Kosten z.B. durch Umzug oder Untervermietung zu senken. Hierfür sei eine weitere Frist von drei Monaten erforderlich, aber auch ausreichend. (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27.7.2018, L 11 AS 561/18 B ER)

Prozesskosten: Kosten eines Rechtsstreits können in vielen Fällen als Werbungskosten abgesetzt werden

Es gibt viele Situationen, in denen es sich lohnt einen Anwalt aufzusuchen. Wer keinen Rechtsschutz hat oder wenn der nicht zahlt, sind die Gebühren selbst zu stemmen. Auch Gerichtskosten können das Haushaltsbudget stark belasten. „Kosten für Zivilprozesse werden unter bestimmten Voraussetzungen vom Finanzamt jedoch anerkannt“, erklärt Robert Dottl, Vorstandsvorsitzender der Lohnsteuerhilfe Bayern e.V. (Lohi). Und zahlt der Rechtsschutz doch, kann zumindest die Selbstbeteiligung in der Steuererklärung geltend gemacht werden.

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, in denen Prozesskosten als Werbungskosten geltend gemacht werden können. Werbungskosten im Sinne des Einkommensteuergesetzes sind Aufwendungen, die getätigt werden, um Einnahmen zu erzielen, abzusichern oder zu erhalten. Hängt ein Streitfall also unmittelbar mit einer Einkunftsart zusammen, können die Kosten dafür in der Einkommensteuererklärung abgesetzt werden. Die Höhe der Einnahmen spielt für das Finanzamt dabei keine Rolle, ebenso wenig ob ein Verfahren erfolgreich war oder nicht. Auch ist es steuerrechtlich egal, ob man Kläger oder Beklagter ist. Zu den Prozesskosten zählen die Kosten für das Gerichtsverfahren, Sachverständige und Anwälte.

Streit mit dem Arbeitgeber

Arbeitsrechtsfälle sind in jedem Fall absetzbar, wenn der Arbeitslohn oder das Arbeitsverhältnis, zum Beispiel bei einer Kündigungsschutzklage, Gegenstand des Streits sind. Selbst wenn es sich um ein berufliches Disziplinarverfahren handelt, geht der Abzug. Wenn bei einem Strafverfahren, bei dem nicht mit Vorsatz gehandelt wurde, ein rein berufliches Handeln zugrunde liegt, erkennt der Fiskus die Kosten ebenso an. Passiert auf dem Weg zur Arbeit oder von der Arbeit nach Hause ein Wegeunfall und wird infolgedessen um die Kostenübernahme gestritten, sind die Kosten des Rechtsstreits als Werbungskosten abzugsfähig, da der Arbeitsweg mit der Arbeit in Zusammenhang steht.

Streit mit dem Mieter

Bei Streitigkeiten aus dem Mietrecht, wie Mietrückstande, Mietminderung, Mängel am Mietobjekt, Schönheitsreparaturen, Renovierung, Kündigung oder Eigenbedarf, kann üblicherweise nur der Vermieter oder Verpächter die Kosten absetzen, da er derjenige ist, der mit der Vermietung Einkünfte erzielt.

Streit wegen der Rente

Betrifft die Auseinandersetzung Einkünfte aus der gesetzlichen oder einer privaten Rentenversicherung, Betriebsrenten oder Pensionen, sind die Prozesskosten steuerlich abzugsfähig. Sie werden jeweils bei der Einkunftsart berücksichtigt, bei der sie entstanden sind. Wird die Zahlung einer gesetzlichen Rente eingeklagt, sind die Prozesskosten bei den sonstigen Einkünften abziehbar. Geht es dagegen um eine Betriebsrente oder Pension werden sie bei den nichtselbstständigen Einkünften berücksichtigt.

Nicht absetzbare Streitigkeiten

Aufwendungen für Streitigkeiten aufgrund einer Erbschaft werden als Werbungskosten nicht anerkannt, auch wenn das Erbe eine Einkunftsquelle beinhaltet. Diese Prozesskosten werden der privaten Lebensführung zugeordnet, da es primär um den Erwerb oder die Aufteilung des Erbes geht. Auch die Kosten einer Scheidung werden der Privatsphäre zugeordnet.

Streit mit dem Finanzamt

Geht es vor ein Finanzgericht, können die Prozesskosten ebenfalls bei derjenigen Einkunftsart, um die gestritten wird, als Werbungskosten abgezogen werden. Wird mit der Klage selbst ein Abzug von Werbungskosten anvisiert, dann sind die Aufwendungen abziehbar. Wird jedoch zum Beispiel um den Abzug von Sonderausgaben gestritten, ist kein Abzug erlaubt.

Fallen Prozesskosten an, wird die Werbungskostenpauschale von 1.000 EUR leicht überschritten. Darüber hinaus rechnet sich jeder Euro, denn er mindert entsprechend dem persönlichen Steuersatz die Steuerlast. In Fällen, bei denen die Prozesskosten vom Fiskus anerkannt werden, sollten Sie bei der Einkommensteuererklärung die Fahrtkosten mit 0,30 EUR je gefahrenem Kilometer zum Anwalt oder Gericht nicht vergessen. (Lohnsteuerhilfe Bayern e.V.)