Ehescheidung: Standesamtliche Scheidung in EU-Mitgliedsstaat ist anzuerkennen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat jetzt klargestellt: Eine von einem Standesbeamten des Ursprungsmitgliedstaats errichtete Scheidungsurkunde, die eine Vereinbarung der Ehegatten über die Ehescheidung enthält, die sie vor dem Standesbeamten getreu den in den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen bestätigt haben, stellt eine „Entscheidung“ im Sinne der Brüssel-IIa-Verordnung dar. Sie ist damit (auch) in Deutschland anzuerkennen.

Das war geschehen

Im Jahr 2013 heirateten eine deutsche und italienische Staatsangehörige und ein italienischer Staatsangehöriger in Deutschland. Im Anschluss an ein außergerichtliches Scheidungsverfahren nach italienischem Recht stellte ihnen im Jahr 2018 der italienische Standesbeamte eine Bescheinigung über die Ehescheidung aus. Die deutschen Standesamtsbehörden verweigerten die Beurkundung dieser Scheidung wegen fehlender vorheriger Anerkennung durch die zuständige deutsche Landesjustizverwaltung. Der mit der Sache befasste deutsche Bundesgerichtshof (BGH) sah sich vor die Frage gestellt, ob der Entscheidungsbegriff der Brüssel-IIa-Verordnung über die Anerkennung von Entscheidungen über Ehescheidungen den Fall einer außergerichtlichen Scheidung erfasst, die durch eine von den Ehegatten geschlossene Vereinbarung bewirkt und von einem Standesbeamten eines Mitgliedstaats nach dessen Rechtsvorschriften ausgesprochen wurde.

So sieht es der Europäische Gerichtshof

Der EuGH: In Ehescheidungssachen umfasst der Begriff „Entscheidung“ im Sinne dieser Verordnung jede Entscheidung über eine Ehescheidung in einem gerichtlichen oder aber außergerichtlichen Verfahren, sofern das Recht der Mitgliedstaaten auch nicht-gerichtlichen Behörden Zuständigkeiten in Ehescheidungssachen zuweist. Somit muss jede Entscheidung solcher nichtgerichtlichen Behörden, die in einem Mitgliedstaat in Ehescheidungssachen zuständig sind, automatisch anerkannt werden, sofern die in der Brüssel-IIa-Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. Darüber hinaus verweist der Gerichtshof auf seine Rechtsprechung, wonach von der Brüssel-IIa-Verordnung nur Ehescheidungen erfasst werden, die entweder von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde oder unter deren Kontrolle ausgesprochen werden, was reine Privatscheidungen ausschließt.

Scheidungsvoraussetzungen nach nationalem Recht sind zu prüfen

Daraus leitet der EuGH ab, dass jede Behörde, die eine „Entscheidung“ treffen muss, die Kontrolle über den Ausspruch der Ehescheidung behalten muss, was bei einvernehmlichen Ehescheidungen impliziert, dass sie eine Prüfung der Scheidungsvoraussetzungen anhand des nationalen Rechts vornehmen und prüfen muss, ob das Einvernehmen der Ehegatten über die Scheidung tatsächlich gegeben und gültig ist.

Der EuGH erläutert, dass dieses Prüfungserfordernis das Kriterium zur Abgrenzung des Begriffs „Entscheidung“ von den ebenfalls in der Brüssel-IIa-Verordnung vorkommenden Begriffen „öffentliche Urkunde“ und „Vereinbarung zwischen den Parteien“ ist. Dabei stellt er klar, dass dieses Kriterium ebenso wie die Regelung für öffentliche Urkunden und Vereinbarungen zwischen den Parteien im Rahmen der Brüssel-IIb-Verordnung, die die Brüssel-IIa-Verordnung seit dem 1.8.2022 ersetzt hat, übernommen und präzisiert wurde.

Standesbeamter in Italien vergewissert sich über Inhalt der Scheidungsvereinbarung

In Bezug auf die vorliegende Rechtssache stellt der Gerichtshof fest, dass der Standesbeamte in Italien als gesetzlich eingesetzte Behörde dafür zuständig ist, die Ehescheidung rechtsverbindlich auszusprechen, indem er die von den Ehegatten aufgesetzte Scheidungsvereinbarung nach einer Prüfung in Schriftform beurkundet. Der Standesbeamte vergewissert sich nämlich, dass das Einvernehmen der Ehegatten zur Scheidung gültig, aus freien Stücken und in Kenntnis der Sachlage erteilt wird. Er prüft auch den Inhalt der Ehescheidungsvereinbarung anhand der geltenden Rechtsvorschriften, indem er sich vergewissert, dass sich die Vereinbarung nur auf die Auflösung der Ehe oder die Beendigung der zivilen Wirkungen der Ehe bezieht und weder Vermögenswerte übertragen werden noch andere als volljährige wirtschaftlich unabhängige Kinder betroffen sind. Im Ergebnis handelt es sich somit um eine von den deutschen Standesamtsbehörden automatisch anzuerkennende „Entscheidung“ im Sinne der Brüssel-IIa-Verordnung.

Quelle: EuGH, Urteil vom 15.11.2022, C-646/20, PM 183/22 vom 15.11.2022

Alexa, Siri und Co.: Änderung eines Vornamens wegen Ähnlichkeit zu einem bekannten Sprachassistenten?

Ein Mädchen, dessen Vorname mit dem Namen eines bekannten Sprachassistenten identisch ist, hat einen Anspruch darauf, seinen Vornamen zu ändern. So sieht es das Verwaltungsgericht (VG) Göttingen.

Ein Mädchen begehrte einen zweiten Vornamen, da es aufgrund der Namensidentität mit dem Namen eines bekannten Sprachassistenten erheblich unter Mobbing und Hänseleien leide. Die beklagte Stadt sah darin keinen wichtigen Grund für die Namensänderung, das VG dagegen schon.

Das VG: Das Mädchen ist seelisch belastet. Bei dem Namen handelt es sich um das „Schlüsselwort“, um das Gerät zu nutzen. Der Name des Sprachassistenten ist besonders missbrauchsgeeignet. Bei dem Gerät werden durch die Voranstellung des Produktnamens Befehle erteilt. Der Name lädt dazu ein, beleidigende und erniedrigende Befehle an Personen mit dem gleichen Namen zu erteilen. Die bei einer Namensänderung erforderliche Abwägung zwischen privaten und öffentlichen Interessen geht zugunsten des Mädchens aus. Da der Familienname im weitergehenden Umfang als Unterscheidungs- und Zuordnungsmerkmal dient als der Vorname, sind die öffentlichen Interessen bei der Änderung des Vornamens weniger gewichtig.

Wichtig: Zudem sollte hier nur ein zweiter Vorname hinzugefügt werden. So bleibt ein „Wiedererkennungswert“ bei dem Mädchen erhalten.

Quelle: VG Göttingen, Urteil vom 21.6.2022, 4 A 79/21

Erbrecht: Schenkung gescheitert: Erben widerrufen Todesfall-Leistung aus Lebensversicherung an Bekannte

Mit einem besonderen Fall einer Schenkung hat das Landgericht (LG) Frankenthal befasst: Ein Mann hatte gegenüber seiner Versicherung bestimmt, dass der nach seinem Tod fällige Auszahlungsbetrag der Lebens- oder Riester-Rentenversicherung nicht an seine Erben, sondern an eine Bekannte ausgezahlt werden sollte. Erzählt hatte er seiner Bekannten davon nichts. In einem solchen Fall bestehe nach Darstellung des LG für die beschenkte Person ein Risiko, was sich hier realisiert habe: Nach dem Tod des Schenkers hatten die Erben das Schenkungsangebot an die bedachte Bekannte nämlich noch widerrufen, bevor die Versicherung es an Letztere übermitteln konnte. Die Bekannte ging deshalb leer aus.

Da die Bekannte von der geplanten Zuwendung zu Lebzeiten des Mannes keine Kenntnis hatte, konnte ein Schenkungsvertrag allenfalls noch nach seinem Tod zustande kommen, so das LG. In dem Auftrag des Erblassers an die Versicherung, im Todesfall die Leistung an seine Bekannte auszuzahlen, liege in solchen Fällen gleichzeitig auch der Auftrag an den Versicherer, das Schenkungsangebot an die Beschenkte zu übermitteln. Diese müsse es dann noch annehmen. Bis zur Überbringung des Schenkungsangebots könne dieses von den Erben jedoch noch widerrufen werden, was hier auch erfolgt war. Die Schenkung scheiterte. Damit hatte die Frau keinen Rechtsgrund mehr, das Geld zu behalten und musste es den klagenden Erben überlassen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es ist Berufung zum Pfälzischen Oberlandesgericht (OLG) eingelegt worden.

Quelle: LG Frankenthal, Urteil vom 12.10.2022, 8 O 165/22, PM vom 29.11.2022

Nichteheliche Lebensgemeinschaft: Keine Ausgleichsansprüche für Luxusausgaben bei gehobenem Lebensstil nach Beziehungsende

Während einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft geschenkte Gegenstände und Geldbeträge können bei grobem Undank zurückgefordert werden. Die dafür erforderliche Verfehlung von gewisser Schwere und eine die Dankbarkeit vermissende Gesinnung konnte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main nach der Trennung eines im gehobenen Lebensstil lebenden Paares nicht feststellen. Es wies Ausgleichsansprüche des Mannes u.a. im Zusammenhang mit Kreditkartenabhebungen über die überlassene Zweitkarte und übergebener Diamant-Ohrringe in seiner Entscheidung zurück.

Das war geschehen

Die sich bereits aus Kindertagen kennenden Parteien hatten über einen Zeitraum von 1 ½ Jahren eine intime Beziehung geführt. Der Kläger überließ der Beklagten eine American Express Platinum Zweitkarte für einen Zeitraum von zehn Monaten. Sie belastete das Konto mit gut 100.000 Euro. Zudem hatte der Kläger u.a. Reisen und Einkäufe bei Chanel bezahlt und ihr Diamant-Ohrringe geschenkt. Im Rahmen der Trennung kam es u. a. zu Sachbeschädigungen durch den Kläger; die Beklagte erstattete Strafanzeige; es wurde ein aus Sicht des Klägers erschlichenes Kontaktverbot ausgesprochen. Nun begehrt der Kläger Zahlung von gut 200.000 Euro sowie die Rückgabe der Diamant-Ohrringe.

Kein grober Undank ersichtlich

Das Landgericht (LG) hat die Ansprüche zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Es bestünden keine Ausgleichsansprüche, bestätigte das OLG. Die Hintergründe für die Überlassung der Kreditkarte seien offengeblieben. Dass ein Darlehen gewährt worden sei, habe der Kläger nicht beweisen können. Soweit der Kläger sich auf „aufaddierende Schenkungen“ berufe, fehle es jedenfalls an einem wirksamen Widerruf dieser Schenkungen. Der für einen Schenkungswiderruf erforderliche „grobe Undank“ liege nicht bereits dann vor, „wenn ein Partner die insoweit unterstellte nichteheliche Lebensgemeinschaft (…) verlässt, da mit der Auflösung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft jederzeit gerechnet werden muss“, betont das OLG. Vorausgesetzt würde vielmehr „objektiv eine Verfehlung des Beschenkten von gewisser Schwere“, die subjektiv „Ausdruck einer Gesinnung des Beschenkten (ist), die in erheblichem Maße die Dankbarkeit vermissen lässt, die der Schenker erwarten kann“. Eine solche subjektiv undankbare Einstellung sei hier nicht feststellbar.

Luxuriöser Lebensstil in diesem Einzelfall

Maßgeblich seien alle relevanten Umstände des Einzelfalls. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die behaupteten Geschenke „einem luxuriösen, exklusiven, eher konsumorientierten Lebensstil entsprangen, zu dem nach dem übereinstimmenden Vortrag der finanziell gut situierten Parteien der Einkauf in hochpreisigen Geschäften ebenso wie der regelmäßige Besuch teurer Restaurants … dazugehörte“. Das Ausgabeverhalten der Parteien habe sich während der Beziehung nicht maßgeblich geändert. Die zurückgeforderten Ausgaben seien auch nicht ersichtlich von großer finanzieller Anstrengung des Klägers oder einer prekären Situation der Beklagten geprägt gewesen. Es habe sich um Einzelbeträge im Bereich zwischen gut 60 Euro und gut 3.000 Euro gehandelt. Angesichts des „emotional aufgeladenen Trennungsgeschehen(s) und der hitzigen Auseinandersetzungen“ stützten auch die weiteren Umstände, u. a. die klägerischen Angaben gegenüber der Polizei, keinen groben Undank.

Keine Änderung der Vermögensverhältnisse durch Ausgabeverhalten

Soweit bei gemeinschaftsbezogenen Aufwendungen (sog. unbenannten Zuwendungen) eine Rückforderung in Betracht komme, wenn sie über das hinausgingen, was das tägliche Zusammenleben erst ermögliche, folge auch daraus hier kein Anspruch. Ein „korrigierender Eingriff ist grundsätzlich nur gerechtfertigt, wenn dem Leistenden die Beibehaltung der durch die Leistung geschaffenen Vermögensverhältnisse nach Treu und Glauben nicht zuzumuten ist“, führt das OLG aus. Auszugleichen seien damit nur solche Leistungen, denen nach den jeweiligen Verhältnissen eine besondere Bedeutung zukomme. Hier seien jedoch allein Ausgaben zu beurteilen, die „ersichtlich den gewöhnlichen Konsum im Hier und Jetzt abdecken, ohne auf die Zukunft gerichtet zu sein“.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 12.10.2022, 17 U 125/21, PM 78/22

Unterhaltsrecht: Kosten der Kindertagesförderung für ein Pflegekind

Für ein Kind in Vollzeitpflege umfasst der vom Jugendhilfeträger sicherzustellende Unterhalt über die gewährten Unterhaltspauschalen hinaus auch die den Pflegeeltern entstehenden Kosten für die Förderung in einer Kindertagesstätte, wenn diese Kosten wie in Nordrhein-Westfalen von der Pauschalierung ausgenommen worden sind. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden.

Das war geschehen

Kläger war das Jugendamt einer Stadt in seiner Eigenschaft als Vormund eines Kindes, für das der Mutter die Personensorge kurz nach der Geburt im Jahr 2013 entzogen und auf das Jugendamt übertragen worden war. Die beklagte Stadt bewilligte dem Kläger für das Kind Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege bei Pflegeeltern in einer sonderpädagogischen Pflegestelle für Kinder mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen und trug hierfür die Kosten. Das Kind besuchte ab August 2015 eine Kindertagesstätte, wofür die Pflegeeltern monatlich Elternbeiträge in Höhe von 44 Euro entrichten mussten. Die Beklagte lehnte die Übernahme dieser Aufwendungen mit der Begründung ab, bei den Kosten für die Kindertagesstätte handle es sich um einen üblichen Aufwand, der bereits von den dem Kläger bewilligten und an die Pflegeeltern ausgezahlten Pauschalbeträgen für den Unterhalt des Kindes abgedeckt sei.

Die dagegen erhobene Klage hatte sowohl vor dem Verwaltungsgericht (VG) als auch vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Erfolg. Das BVerwG hat die Entscheidung der Vorinstanzen im Ergebnis bestätigt.

Betreuungskosten nicht in Unterhaltsbeträgen enthalten

Der Anspruch auf Sicherung des Unterhalts eines in Vollzeitpflege zu betreuenden Kindes umfasst über den für den Sachaufwand festgesetzten Pauschalbetrag hinaus die Kosten der Kindertagesbetreuung, wenn diese Kosten bei der Festsetzung des Pauschalbetrags nicht berücksichtigt wurden. Wird Kinder- und Jugendhilfe in Form der Vollzeitpflege gewährt, ist auch der notwendige Unterhalt des zu betreuenden Kindes sicherzustellen (§ 39 des Achten Buchs des Sozialgesetzbuchs SGB VIII). Dieser beinhaltet die Kosten für dessen Pflege und Erziehung und die Kosten des Sachaufwands, die bei einer Unterbringung in Pflegestellen, soweit es sich um laufende Aufwendungen handelt, in einem monatlichen Pauschalbetrag gewährt werden sollen.

Elternbeiträge variieren je Bundesland und sind nicht pauschalierbar

Die von den nach Landesrecht zuständigen Behörden festzusetzenden Pauschalbeträge müssen jedoch, auch wenn es sich um typische Bedarfsbestandteile (wie hier die Kita-Beiträge) handelt, nicht solche Kostenpositionen abdecken, die sich einer sinnvollen Pauschalierung entziehen. Die pauschalierte Gewährung schließt zwar grundsätzlich die gesonderte Geltendmachung einzelner Kostenpositionen aus. Das gilt nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes jedoch nur, wenn es sich um Positionen handelt, die einer realitätsgerechten Pauschalierung zugänglich sind und jedenfalls bei der Bemessung der Pauschalsätze berücksichtigt worden sind.

Beides war hier nicht der Fall. Die Kosten für die Kindertagesbetreuung in Nordrhein-Westfalen lassen sich wegen der erheblichen Unterschiede in ihrer Höhe nicht sinnvollerweise realitätsgerecht pauschalieren. Das zuständige Landesministerium hat die Pauschalbeträge für Sachkosten auch ohne Berücksichtigung der Elternbeiträge ermittelt und festgesetzt.

Quelle: BVerwG, Urteil vom 27.10.2022, 5 C 4.21, PM 65/22

Nachlassschulden: Kinder haften für verstorbene Eltern

Stirbt eine versicherte Person und hat die Rentenversicherung noch offene Forderungen gegen diese, handelt es sich um Nachlassschulden. So entschied es das Bundessozialgericht (BSG). Folge: Die Rentenversicherung darf das Geld von den Erben fordern.

Es ging um Forderungen der Rentenversicherung der Eltern

Die Rentenversicherung forderte rund 5.200 Euro von einer Frau. Sie war damit nicht einverstanden und klagte. Noch bevor ein Urteil ergehen konnte, starb die Frau. Ihr Ehemann, der Alleinerbe, prozessierte weiter, verlor jedoch in zwei Instanzen. Nachdem auch er verstarb, erbten seine zwei Töchter jeweils hälftig. Die Rentenversicherung teilte ihre Forderung hälftig auf und forderte diese Beträge von den Töchtern. Eine der Töchter, die unehelich war, klagte dagegen. Ihr Argument: Die Forderung sei gegen die Ehefrau ihres Vaters gerichtet. Diese sei aber nicht ihre Mutter.

Nachlassverbindlichkeiten

Zum Nachlass gehören auch Verbindlichkeiten. Die Rentenversicherung darf folglich nach dem Tod des Versicherten die Erben in Anspruch nehmen.

Bescheid war allerdings rechtswidrig

Hier gab es jedoch eine Besonderheit: Es gab zwei Erben. In solchen Fällen hat die Rentenversicherung ein sog. „Auswahlermessen“. Das bedeutet, sie darf sich aussuchen, von welchem Erben sie welchen Betrag fordert. Das muss sie allerdings begründen.

Im Fall des BSG hatte sich die Rentenversicherung ausschließlich auf die Erbquote gestützt. Das genügte dem BSG nicht. Folge: Der Rückforderungsbescheid an die uneheliche Tochter war rechtswidrig.

Quelle: BSG, Urteil vom 8.2.2023, B 5 R 2/22

Aufenthaltsbestimmung: Keine Rückführung eines entführten Kindes in die Ukraine

Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat mit einer aktuellen Entscheidung die Rückführung eines von der Mutter ohne Einverständnis des Vaters aus der Ukraine nach Deutschland verbrachten Kindes abgelehnt.

Mutter floh mit Tochter aus Odessa

Die gemeinsam sorgeberechtigten und jetzt getrenntlebenden Eheleute lebten bis März 2022 mit ihrer damals einjährigen Tochter in Odessa. Nach mehreren Fliegeralarmen, die die Eltern teilweise mit dem Kind im Auto in einer Tiefgarage verbracht hatten, begab sich die Mutter mit der Tochter ohne Zustimmung des Vaters nach Deutschland, was eine Kindesentführung im Sinne des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) darstellt.

Vater wollte Tochter in die Ukraine zurückholen

Der Vater begehrte daraufhin beim Familiengericht die Rückführung seiner Tochter in die Ukraine. Die Mutter lehnt die Rückführung der Tochter ab, da die Rückführung in ein Kriegsgebiet zu gefährlich sei. Das für Verfahren nach dem HKÜ international und örtlich zuständige Amtsgericht (AG) Stuttgart wies die Anträge des Vaters ab. Mit seiner Beschwerde zum OLG Stuttgart verfolgte der Vater die Rückführungs- und Herausgabeanträge weiter. Hilfsweise beantragte er, dass die Tochter in die Republik Moldau verbracht werden solle.

Oberlandesgericht: Rückführung des Kindes zu gefährlich

Das OLG hat die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt und alle Anträge des Vaters zurückgewiesen. Eine Rückführung des Kindes in die Ukraine sei mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden (Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ). Die Voraussetzungen dieser Härteklausel lägen bei einer Kindesrückführung in ein Kriegsgebiet vor. Um ein Kriegsgebiet handle es sich bei dem gesamten Staatsgebiet der Ukraine seit dem 24.2.2022, wie sowohl die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes als auch die aktuelle Medienberichterstattung zeige. Dies gelte auch für die Westukraine einschließlich des Bereichs um Odessa. Es bestehe daher eine konkrete Gefahr für das Leben des noch nicht zwei Jahre alten Kindes.

Auch Ausweichen auf die Republik Moldau keine Option

Eine Rückführung in die Republik Moldau komme ebenfalls nicht in Betracht, da nach dem Grundgedanken des HKÜ und der Rechtsprechung dazu grundsätzlich nur eine Rückführung in das Land des bisherigen Aufenthalts eines Kindes möglich sei. Ausschlaggebend dafür sei, dass in dem Staat, in den das Kind rückgeführt werden solle, umgehend eine gerichtliche (Sorgerechts-) Entscheidung über den weiteren Aufenthalt des Kindes ermöglicht werden solle. Dafür wären die Gerichte der Republik Moldau nicht international zuständig, da das Kind dort nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe.

Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss des OLG ist nicht gegeben.

Quelle: OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.10.2022, 17 UF 186/22, PM vom 18.10.2022

Umgangsrecht: Keine Hilfe vom Jugendamt beansprucht: keine Verfahrenskostenhilfe

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg hat jetzt klargestellt: Beantragt ein Elternteil in einem Umgangsverfahren Verfahrenskostenhilfe, bevor er eine Beratung oder Vermittlung durch das Jugendamt beansprucht hat, kann diese im Einzelfall wegen Mutwilligkeit abgelehnt werden. Es ist vom Hilfsbedürftigen zu verlangen, dass er die ihm kostenfrei zugänglichen Angebote insbesondere die Vermittlungsbemühungen des Jugendamts wahrnimmt, um sein Ziel wenigstens versuchsweise zu erreichen, bevor er gerichtliche Hilfe in Anspruch nimmt.

Der Vater hatte die Umgangsregelung jedoch beantragt, ohne darzulegen, dass er das Jugendamt um Vermittlung gebeten hätte oder warum diese Bemühungen aussichtslos sein sollten. Die Uneinigkeit der Eltern erschien dem Gericht überbrückbar.

Quelle: OLG Hamburg, Beschluss vom 18.8.2022, 12 WF 87/22

Sozialrecht: Trotz Tod der Pflegeeltern keine Vollwaisenrente, wenn die leiblichen Eltern noch leben

Den Status als Vollwaise i. S. d. Sozialrechts (hier: § 48 SGB VI) besitzt, wer keinen unterhaltspflichtigen Elternteil mehr hat. Das ist bei einem Kind, dessen Pflegeeltern verstorben sind, aber nicht der Fall, wenn die leiblichen Eltern noch leben. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen entschieden.

Das war geschehen

Der Kläger kam nach der Geburt zu Pflegeeltern. Seine leiblichen Eltern leben noch. Nach dem Tod des Pflegevaters gewährte ihm der beklagte Rentenversicherungsträger eine Halbwaisenrente. Nach dem Tod der Pflegemutter beantragte er erfolglos eine Vollwaisenrente. Seine gegen den Ablehnungsbescheid gerichtete Klage war erfolgreich. Auf die Berufung des Rentenversicherungsträgers hat das LSG das Urteil geändert und die Klage abgewiesen.

Pflegekind ist nicht Vollwaise, wenn leibliche Eltern noch leben

Der Kläger habe keinen Anspruch auf Vollwaisenrente. Dieser setze voraus, dass das Kind keinen Elternteil mehr habe, der ungeachtet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig sei. In diesem Sinne sei der Kläger kein Vollwaise, da seine dem Grunde nach unterhaltspflichtigen leiblichen Eltern noch lebten.

Da Pflegekinder gegenüber Pflegeeltern nicht unterhaltsberechtigt seien, seien sie zwar mit leiblichen Kindern (und Adoptivkindern) insoweit gleichgestellt, als dass sie grundsätzlich Waisenrente nach dem Tod von Pflegeeltern(teilen) beanspruchen könnten. Die Frage, wann ein Kind Halb- bzw. Vollwaise sei, richte sich aber nur mit Blick auf die unterhaltspflichtigen leiblichen Eltern.

Pflegekinder wären sonst doppelt abgesichert

Zwar könne ein Kind mehr als zwei Elternteile haben (z. B. leibliche Eltern und Pflegeeltern), jedoch nur Vollwaise sein, wenn kein unterhaltspflichtiger Elternteil mehr vorhanden sei. Es entspreche nicht dem gesetzgeberischen Willen, dass Pflegekindern nach Versterben beider Pflegeelternteile sowohl ein Anspruch auf Vollwaisenrente als auch grundsätzlich ein Unterhaltsanspruch gegen die leiblichen Eltern zustehe und sie somit doppelt abgesichert seien.

Denn leibliche Kinder, die in der Herkunftsfamilie gelebt haben, hätten nur Anspruch auf Vollwaisenrente, wenn sie keinen Unterhaltsanspruch gegen einen unterhaltspflichtigen Elternteil geltend machen können, wenn beide dem Grunde nach unterhaltspflichtigen Elternteile verstorben sind.

Quelle: LSG NRW, Urteil vom 14.6.2022, L 14 R 693/20

Sorgerechtsmissbrauch: Impfwunsch einer 15-Jährigen ist besonders beachtlich

Lehnt die allein sorgeberechtigte Mutter die Impfung einer 15-Jährigen strikt ab, ist dies ein Sorgerechtsmissbrauch, der dem Kindeswohl zuwiderläuft. Das rechtfertigt den Teilentzug der elterlichen Sorge. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken.

Die 15-jährige Tochter lebt nicht mehr bei der allein sorgeberechtigten Mutter und möchte dorthin auch nicht zurückkehren. Sie hat seit längerer Zeit den Wunsch geäußert, gegen das Coronavirus geimpft zu werden, was die Mutter aber ablehnte. Das Familiengericht hat auf Anregung des Jugendamts der Mutter die elterliche Sorge in dem Teilbereich des Rechts zur Entscheidung über eine Covid-19 Impfung entzogen und die Ergänzungspflegschaft angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Mutter blieb erfolglos.

Im Fall einer Kindeswohlgefährdung, so das OLG, muss das Gericht die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Gefahr abzuwehren, wenn das allein sorgeberechtigte Elternteil hierzu nicht gewillt oder in der Lage ist. Im Fall des OLG bestanden weder Zweifel an der Eignung der Tochter, die Tragweite der Impfentscheidung zu erfassen, noch an der Ernsthaftigkeit, auch künftig den Kontakt zur Mutter abzulehnen. Solange der Konflikt währt, ist nach dem OLG eine Risikoabwägung und eine Entscheidung über die Frage, ob eine Impfung erfolgt, nicht in konstruktiver und kindeswohldienlicher Weise möglich. Die bei der Anhörung der Mutter im Beisein der Tochter abermals geäußerte strikte Ablehnung der Impfung ist ein dem Kindeswohl zuwiderlaufender, nachhaltig ausgeübter Sorgerechtsmissbrauch, der den Teilentzug der elterlichen Sorge gebietet. Die Covid-19 Impfung ist für die Tochter bedeutsam.

Quelle: OLG Zweibrücken, Urteil vom 28.7.2022, 2 UF 37/22