Testamentsgestaltung: Darf der Lebensgefährte nicht ins Haus?

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm war mit der Wirksamkeit einer testamentarischen Bedingung befasst, die ein Hausverbot vorsah. Es stellte klar: Eine solche Bedingung ist sittenwidrig.

Das war geschehen

Die Klägerin erbte als einzige Tochter ihrer verstorbenen Mutter im Wesentlichen ein Hausgrundstück mit einem freistehenden Einfamilienhaus, in dem die Mutter und die Tochter mit der Enkelin bis zu deren Auszug in verschiedenen Wohnungen lebten. Die Enkelin wurde als Miterbin eingesetzt.

Der langjährige Lebensgefährte der Tochter hatte eine eigene Wohnung, ging aber in dem Haus ein und aus, war der Ziehvater der Enkelin und nahm im Haus auch Reparaturen vor. Es gab zu keiner Zeit Streit oder ein Zerwürfnis und man lebte wie eine Familie zusammen. In dem Testament, in dem die Tochter und die Enkelin als Erbinnen eingesetzt wurden, waren hierfür allerdings zwei Bedingungen formuliert: Zum einen war es den Erbinnen untersagt, das Grundstück an den Lebensgefährten der Tochter zu übertragen. Zum anderen sollten die Erbinnen dem Lebensgefährten auf Dauer untersagen, das Grundstück zu betreten.

Zur Überwachung des Verbots wurde der Beklagte als Testamentsvollstrecker eingesetzt. Er sollte die Immobilie bei einem Verstoß gegen die Bedingung veräußern, wobei der Erlös jeweils zu ¼ der Tochter und der Enkelin und im Übrigen gemeinnützigen Zwecken zukommen sollte.

War die Bedingung des Betretungsverbots nichtig?

Die Erbinnen verlangten vor dem Landgericht (LG), festzustellen, dass die Bedingung des Betretungsverbots nichtig sei, weil sie dieses für sittenwidrig hielten. Das LG gab der Klage statt. Hiergegen wandte sich der Beklagte mit seiner Berufung an das OLG Hamm. Da das OLG die rechtliche Einschätzung der Vorinstanz zur Sittenwidrigkeit teilte, nahm der Beklagte seine Berufung zurück, sodass das Urteil des LG rechtskräftig wurde.

Ein schwerwiegender Ausnahmefall, der zur Sittenwidrigkeit einer Bedingung führen kann, sei immer nur anzunehmen, wenn in der Abwägung zwischen der Testierfreiheit der Erblasserin und den Freiheitsrechten der Betroffenen anzunehmen ist, dass die nur bedingte Zuwendung einen unzumutbaren Druck auf die Bedachten ausübt, sich in einem höchstpersönlichen Bereich in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten. Bedingungen, die dagegen lediglich die Nutzung des vererbten Vermögensgegenstands betreffen, seien dagegen regelmäßig zulässig. Hier weise zwar die angefochtene Bedingung einen Bezug zur Nutzung des vererbten Hausgrundstücks auf.

Unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles stehe hier jedoch im Vordergrund, dass dem langjährigen Lebensgefährten der Zugang zur schon vorher genutzten Wohnung plötzlich verwehrt sein soll. Das bis zum Tod der Erblasserin unstreitig praktizierte familiäre Zusammenleben könnte aufgrund der Bedingung nicht mehr in dieser Form fortgeführt werden. Damit sei aber der höchstpersönliche Bereich der Lebensführung der Tochter betroffen und die Bedingung sittenwidrig und nichtig. Für die Rechtsfolge sei davon auszugehen, dass die Erblasserin ihre Tochter und ihre Enkelin auch ohne die unwirksame Bedingung zu Erbinnen eingesetzt hätte, sodass die Sittenwidrigkeit nur dazu führe, dass die Bedingung entfällt.

Quelle: OLG Hamm, 10 U 58/21, PM vom 19.7.2023

Betreuungsanspruch: 4,3 km sind eine zumutbare Entfernung zur Kindertagesstätte

Mit dem Angebot eines Kitaplatzes, der per Auto 4,3 km bzw. mit dem Fahrrad 3,2 km vom Wohnort entfernt ist, hat die Stadt den Betreuungsanspruch eines zweijährigen Kindes erfüllt. So sieht es das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster.

Kein „Rundum-Sorglospaket“ geschuldet

Das OVG: Die Stadt ist auch nicht verpflichtet, dem Kind einen Betreuungsplatz in einer näher gelegenen Einrichtung eines freien Trägers oder in anderen Wunscheinrichtungen zu verschaffen.

Allgemein gilt: Ob es zumutbar ist, vom Wohnort des Kindes aus eine Kita zu erreichen, hängt von den konkreten örtlichen Verhältnissen wie auch von allgemeinen und individuellen Bedarfsgesichtspunkten ab. Alle Transportmittel und Nahverkehrsverbindungen sind zu berücksichtigen. Selbst, wenn sich das Kind z. B. nur widerwillig anschnallen lässt, bleibt der angebotene Kitaplatz zumutbar. Es entspricht der Lebenswahrscheinlichkeit, dass das Kind seinen Widerwillen bei entsprechender Gewöhnung ablegen wird.

Keine Eilbedürftigkeit

Für den Anspruch, die Stadt solle gegenüber dem freien Träger der nahegelegenen Einrichtung auf eine Betreuung des Kindes hinwirken, fehlte es laut OVG schon an einer besonderen Eilbedürftigkeit, nachdem ein bedarfsgerechter und zumutbarer Kitaplatz angeboten worden ist.

Quelle: OVG Münster, Beschlüsse vom 28.9.2023, 12 B 683/23, 12 B 811/23, 12 B 854/23

Bundesverwaltungsgericht: Verwaltungsrechtliche Rehabilitierung wegen rechtsstaatswidriger Adoption in der DDR

Wer in der ehemaligen DDR in rechtsstaatswidriger Weise adoptiert wurde, hat einen Anspruch auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung gemäß dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (hier: § 1 VwRehaG) durch Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit dieser Adoption, wenn sie zu den in der Vorschrift genannten Folgen geführt hat und diese noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden.

Gerichtlich angeordnete Adoption mit Folgen

Der Kläger wurde 1972 geboren. 1975 ließen seine Eltern sich scheiden. Nach dem Tod seiner allein erziehungsberechtigten Mutter im folgenden Jahr beantragte sein Vater die Übertragung des Erziehungsrechts und verwies auf seinen Ausreiseantrag. Beide Anträge wurden abgelehnt; der Kläger wurde in einer Pflegefamilie untergebracht. 1979 beantragten die Pflegeeltern die Adoption des Klägers. Sein aus politischen Gründen inhaftierter und anschließend in die Bundesrepublik entlassener Vater verweigerte die Einwilligung in die Adoption. Diese wurde 1981 gerichtlich ersetzt. 1982 beschloss der zuständige Jugendhilfeausschuss die Annahme des Klägers an Kindes statt durch seine Pflegeeltern. Deren Ehe wurde 1983 geschieden. Das Erziehungsrecht wurde dem Adoptivvater zugesprochen. Dieser wurde 1984 wegen wiederholter Misshandlung des Klägers zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der Kläger wurde bis zum Erreichen seiner Volljährigkeit in verschiedenen Heimen und Jugendwerkhöfen untergebracht.

2014 beantragte er seine verwaltungsrechtliche Rehabilitierung wegen seiner Adoption, als deren Folge er heute noch unter schweren Gesundheitsschädigungen leide. Der Beklagte lehnte den Antrag 2019 ab, weil Adoptionen nicht der verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung unterlägen. Der Klage auf Rehabilitierung hatte das Verwaltungsgericht (VG) allerdings ohne Ansprüche auf Beschädigtenversorgung stattgegeben.

Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Der Beklagte ist verpflichtet, festzustellen, dass die Adoption des Klägers rechtsstaatswidrig war. Die hierfür einschlägige Vorschrift (§ 1 VwRehaG) ist auf Adoptionen in der ehemaligen DDR anwendbar mit der Maßgabe, dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen an die Stelle der Aufhebung der Adoption die Feststellung ihrer Rechtsstaatswidrigkeit tritt.

Die im Einigungsvertrag und im Bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen familienrechtlichen Vorschriften regeln die Aufhebung von Adoptionen abschließend, stehen jedoch einer Rehabilitierung in sonstiger Weise nicht entgegen. Die Betroffenen von einer solchen Rehabilitierung und den mit ihr verbundenen Versorgungsansprüchen auszuschließen, wäre auch vor dem Gleichbehandlungsgebot nicht zu rechtfertigen.

Adoption diente nicht dem Kindeswohl

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Rehabilitierung des Klägers liegen vor. Seine Adoption war mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats schlechthin unvereinbar. Sie verstieß in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit und stellt sich als Willkürakt im Einzelfall dar, weil sie sachfremden Zwecken diente. Nach den Feststellungen des VG war sie nicht wie nach dem Familienrecht der DDR erforderlich am Kindeswohl orientiert, sondern diente dazu, den Vater des Klägers zu disziplinieren und eine gemeinsame Ausreise zu verhindern. Ihre Folgen wirken noch unmittelbar schwer und unzumutbar fort. Der Kläger hat schlüssig glaubhaft gemacht, dass seine fortwirkenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen wesentlich auf seine Adoption und seine Misshandlungen in der Adoptivfamilie zurückzuführen sind.

Quelle: BVerwG, Urteil vom 19.10.2023, 8 C 6.22, PM 74/23

Eilantrag: Gendern in der Schule ist zulässig

Greift es in das elterliche Erziehungsrecht ein, wenn in einer Schule gegendert wird? Mit dieser Frage musste sich jetzt das Verwaltungsgericht (VG) Berlin befassen.

Ein Vater wandte sich mit einem Eilantrag gegen die Verwendung einer genderneutralen Sprache an den Gymnasien seiner Kinder. Vor Gericht unterlag er jedoch.

Das VG: Vor dem Hintergrund des staatlichen Erziehungsauftrags in der Schule ist nicht erkennbar, dass das elterliche Erziehungsrecht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit verletzt ist und die Schulaufsicht einschreiten müsste. Genderneutrale Sprache in Lehrmaterialien überschreitet nicht den durch die Rahmenlehrpläne eingeräumten Spielraum bei der Gestaltung von Unterrichtsmaterialien. Dies gilt auch, weil genderneutrale Sprache Gegenstand von Unterrichtseinheiten ist. Eine genderneutrale Kommunikation der Schulen verstößt zudem nicht gegen die deutsche Amtssprache, da diese selbst bei Verwendung von Sonderzeichen hinreichend verständlich bleibt.

Der Vater konnte keine schweren und unzumutbaren Nachteile seiner Kinder durch die Schreib- und Sprechweise nachweisen, zumal der Spracherwerb bei den beiden Zehntklässlern weitgehend abgeschlossen sein dürfte.

Quelle: VG Berlin, Beschluss vom 24.3.2023, VG 3 L 24/23

Infektionsschutz: Masernimpfung bei Schulkindern ist Pflicht

Das Verwaltungsgericht (VG) Minden hat zwei Eilanträge abgelehnt, mit der sich die Eltern gegen infektionsschutzrechtliche Verfügungen des Kreises Gütersloh gerichtet hatten.

Die Eltern haben zwei schulpflichtige Kinder. Der Kreis Gütersloh forderte sie mit zwei Bescheiden auf, bis zum 29.9.2023 nachzuweisen, dass für ihre Kinder ein ausreichender Impfschutz gegen Masern bestehe oder die Kinder aus medizinischen Gründen nicht gegen Masern geimpft werden können. Für den Fall, dass den Aufforderungen nicht nachgekommen werde, drohte der Kreis den Eltern ein Zwangsgeld in Höhe von 250 Euro an.

Die Eltern, die keinen entsprechenden Nachweis vorgelegt hatten, meinten, bei den Anordnungen handle es sich um eine unzulässige Impfpflicht ihrer Kinder. Ihre Eilanträge blieben erfolglos. Die Bescheide, so das VG, seien bei summarischer Prüfung rechtmäßig. Rechtsgrundlage sei das Infektionsschutzgesetz (hier: § 20 Abs. 12 S. 1, Abs. 13 S. 1 IfSG), dessen Voraussetzungen erfüllt seien. Die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgestellten Kriterien zur Masernimpfung u.a. bei Kindergartenkindern seien auf den vorliegenden Fall im Wesentlichen übertragbar. Die Eingriffe in das Recht der Eltern auf Gesundheitssorge sowie der Regelung der Erziehung und das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Kinder seien gerechtfertigt, da die Masernimpfung den überragend gewichtigen Rechtsgütern des Grundrechts auf Leben und der körperlichen Unversehrtheit einer Vielzahl von Personen diene.

Zwar könnten die Eltern anders als etwa bei Kindergartenkindern einer Immunisierung ihrer Kinder so nicht ausweichen. Dabei sei aber zum einen zu berücksichtigen, dass eine Impfung nach den auch vom BVerfG nicht in Zweifel gezogenen medizinischen Standards als dem Kindeswohl dienlich zu betrachten sei. Ferner hätten die Eltern aufgrund der Schulpflicht anders als im Fall eines betroffenen Kindergartenkindes nicht mit einem Betreuungsverbot zu rechnen.

Quelle: VG Minden, Beschlüsse vom 6.11.2023, 7 L 882/23 und 7 L 883/23, PM vom 7.11.2023

Bundessozialgericht: Eltern können „Elterngeld Plus“ auch bei längerer Arbeitslosigkeit beanspruchen

„Elterngeld Plus“ kann auch beansprucht werden, wenn ein Elternteil während der Partnerschaftsbonusmonate für längere Zeit erkrankt und keine Lohnfortzahlung mehr erhält. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) jetzt entschieden.

Anspruch auf zusätzliche vier Monate „Elterngeld Plus“ als Partnerschaftsbonus haben Eltern nur, wenn beide Elternteile ihr Kind betreuen und gleichzeitig zwischen 25 und 30 Wochenstunden erwerbstätig sind. Während einer Arbeitsunfähigkeit besteht die Erwerbstätigkeit nach den Richtlinien des Bundesfamilienministeriums zum Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) nur bis zum Ende der Lohnfortzahlung weiter.

Der Kläger war kurz nach Beginn der Partnerschaftsbonusmonate erkrankt und über das Ende der Lohnfortzahlung hinaus arbeitsunfähig. Daher hatte die Elterngeldstelle die Leistungsbewilligung aufgehoben und das „Elterngeld Plus“ für die vollen vier Monate vom Kläger zurückgefordert. Die Aufhebung und Rückforderung erfolgten zu Unrecht.

Das BSG: Eltern sind auch dann „erwerbstätig“, wenn sie ihre auf die vorgeschriebene Zahl an Wochenstunden festgelegte Tätigkeit während einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit tatsächlich nicht ausüben können, jedoch das Arbeitsverhältnis fortbesteht und die konkrete Tätigkeit voraussichtlich wieder aufgenommen werden wird. Eine andere Auslegung des BEEG widerspricht dem Ziel des „Elterngeld Plus“, die partnerschaftliche Betreuung des Kindes bei gleichzeitiger Teilzeittätigkeit beider Eltern wirtschaftlich abzusichern.

Quelle: BSG, Urteil vom 7.9.2023, B 10 EG 2/22 R PM 29/23

Keine Kindeswohlgefährdung: Rechtswidrigkeit einer Inobhutnahme eines Kindes mit Behinderungen

Das Verwaltungsgericht (VG) Göttingen hat auf Antrag eines Vaters festgestellt: Die Inobhutnahme eines (damals) elfjährigen Kindes im Jahr 2020 war rechtswidrig.

Kind mit multiplen Störungen, Eltern in Trennung

Das heute 14-jährige Kind leidet u.a. an Störungen des Sozialverhaltens, Entwicklungsstörungen und unterdurchschnittlichen Lern- und Leistungsmöglichkeiten. Seit dem Jahr 2019 ist ihm Pflegegrad 3 und ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt. Seit November 2022 liegt der Grad der Behinderung bei 70. Die Eltern des Kindes trennten sich in den Jahren 2018/2019 und streiten seitdem um das Sorge- und Umgangsrecht. Dem Vater wurden mit Beschluss des AG vom Juli 2020 wesentliche Teile des Personensorgerechts entzogen, nämlich das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge und das Recht, Jugendhilfeanträge zu stellen. Diese Rechte wurden allein der Mutter übertragen. Im September 2020 stand dem Vater zeitweise kein Umgangsrecht zu. Im Oktober 2022 übertrug ein anderes AG den Eltern die Gesundheitssorge wieder gemeinsam.

Mehrere Hilfsmaßnahmen für das Kind

Seit 2017 bewilligte die Stadt Göttingen (Beklagte) immer wieder Hilfen nach dem Kinder- und Jugendhilferecht (Tagesgruppe, Heimerziehung, Schulbegleitung). Anfang September 2020 nahm sie das Kind mit Einverständnis der Mutter in Obhut. Die Inobhutnahme ist eine vorläufige Maßnahme zum Schutz von Kindern und Jugendlichen eine sozialpädagogische Krisenintervention. Sie beinhaltet eine vorübergehende Schutzgewährung sowie eine weiterführende Klärungshilfe. Mit Bescheiden vom November 2020 gewährte die Beklagte für das Kind Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung nach dem Wortlaut der Bescheide rückwirkend auf den Tag der Inobhutnahme. Mitte August 2022 wurde diese Hilfe beendet. Nach kurzer Unterbrechung folgten weitere Hilfen.

Mit seiner im April 2022 erhobenen Klage wollte der Vater des Kindes (Kläger) insbesondere festgestellt wissen, dass die damalige Inobhutnahme rechtswidrig war. Diesem Antrag folgte die Kammer.

Inobhutnahme war nicht erforderlich

Die Inobhutnahme war nicht erforderlich, so das AG nun. Die Erforderlichkeit sei nur gegeben, wenn allein die Inobhutnahme das Kindeswohl sichern könne und andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht zur Verfügung stünden.

Vorliegend hätte es für eine Fremdunterbringung keiner Inobhutnahme bedurft. Denn die Kindesmutter, die das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht und auch das Recht, Jugendhilfeanträge zu stellen sowie die Gesundheitssorge innehatte, sei mit einer Fremdunterbringung einverstanden gewesen. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inobhutnahme vom September 2020 habe keine unmittelbaren Konsequenzen für die anschließend getroffenen und in Zukunft noch zu treffenden Entscheidungen über weitere Hilfeleistungen.

Quelle: VG Göttingen, Urteil vom 24.8.2023, 2 A 107/22, PM vom 4.9.2023

Bestattung: Streit um Grabstätte der Eltern: Generalvollmacht gibt alleiniges Recht zur Totenfürsorge

Wer von seinen Eltern für den Fall, dass diese versterben, mit der Bestattung beauftragt wird, erlangt im Zweifel dadurch ein umfassendes Recht zur Totenfürsorge. Dies betrifft auch die Frage, wo die Eltern ihre letzte Ruhestätte finden sollen. Weitere Geschwister sind dann von dieser Entscheidung ausgeschlossen. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal in einem aktuellen Rechtsstreit zwischen zwei Brüdern entschieden, die darüber streiten, wo die Urnen ihrer Eltern beigesetzt sein sollen.

Ein Sohn bekam Auftrag, Bestattung durchzuführen

Der Fall betraf ein Elternpaar aus Ludwigshafen mit rumänischen Wurzeln. Sie hatten einem ihrer beiden Söhne zu Lebzeiten eine notarielle Generalvollmacht erteilt, die auch über den Tod hinaus wirken sollte. Diese enthielt unter anderem den Auftrag an den Sohn, die Bestattung durchzuführen. Nach dem Tod der Eltern ließ dieser die beiden Urnen in einem Gräberfeld in Rumänien beisetzen.

Anderer Sohn war mit Durchführung nicht einverstanden

Damit war der andere Sohn nicht einverstanden und behauptet, dies habe nicht dem Willen der Eltern entsprochen. Er beantragte, den Bruder zu verurteilen, die Urnen nach Deutschland umzubetten.

Das Landgericht (LG) sah keinen Anspruch des nicht bevollmächtigten Bruders, auf die letzte Ruhestätte seiner Eltern Einfluss zu nehmen. Durch die Generalvollmacht sei dieses Recht ausschließlich nur einem der beiden Brüder übertragen worden. Nach Auffassung des LG regelt diese Vollmacht nicht nur die Frage der Bestattungskosten. Dem beauftragten Sohn sei vielmehr ein umfassendes Recht zur Totenfürsorge übertragen er könne also auch bestimmen, wo das Grab liegen und wie es aussehen solle. Demgegenüber sei der nicht berechtigte Bruder von jedem Einfluss und jeglicher Kontrolle ausgeschlossen. Das sei nur ausnahmsweise anders, wo die gewählte Form der Beisetzung als Verstoß gegen das allgemeine Sittlichkeits- und Pietätsempfinden aufgefasst werden könne oder etwa die Grabinschrift bestimmte Angehörige herabwürdige. Das sei hier nicht der Fall.

Auch war das LG nicht davon überzeugt, dass die Wahl des Bestattungsortes gegen den Willen der Verstorbenen verstoße. Vielmehr bestünden erhebliche Zweifel daran, ob das verstorbene Elternpaar tatsächlich in Ludwigshafen und nicht in Rumänien habe beigesetzt werden wollen. Zudem stelle jede Umbettung eine Störung der Totenruhe dar, die in Deutschland besonders geschützt und deshalb nur ausnahmsweise zulässig sei.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle: LG Frankenthal, Urteil vom 26.5.2023, 8 O 282/22, PM vom 29.8.2023

Testament: Ersatzerben trotz namentlicher Bestimmung von Schlusserben

Nennen die Erblasser in einem gemeinschaftlichen Testament ausschließlich bestimmte Schlusserben namentlich, schließt dies nicht aus, dass später Ersatzerben eintreten können. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg entschieden.

Zwei Kinder als Schlusserben, eines verstarb

Die Eheleute setzten sich in einem handschriftlichen Testament gegenseitig als Erben und die beiden erstehelichen Kinder der Ehefrau zu Schlusserben nach dem Überlebenden ein. Dabei führten sie die beiden Kinder namentlich auf. Vor dem Schlusserbfall verstarb eines der beiden Kinder und hinterließ seinerseits ein Kind. Nach dem Tod der zunächst überlebenden Ehefrau beantragte das andere Kind der Eheleute einen ihn als Alleinerben ausweisenden Erbschein, der zunächst erteilt und später eingezogen wurde. Dieses Kind der Eheleute ist der Auffassung, dass durch die ausdrückliche namentliche Benennung der Schlusserben im Testament sichergestellt sein sollte, dass einzig und allein diesen beiden bzw. bei Vorversterben eines Schlusserben nur einem von ihnen allein der Nachlass zufließen sollte. Hätten die Erblasser gewollt, dass eines der Enkelkinder anstelle eines der benannten Schlusserben an dessen Stelle treten solle, hätten sie dies im Testament auch niedergeschrieben. Dem folgt das OLG Brandenburg jedoch nicht.

Oberlandesgericht: Auch Enkelkind kann erben

Das OLG: Nach einer gesetzlichen Auslegungsregel im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2069 BGB) ist das Enkelkind als Abkömmling seines als Schlusserben eingesetzten, vorverstorbenen Vaters an dessen Stelle als Ersatzerbe getreten. Es ist gerade keine Anwachsung des Erbteils seines vorverstorbenen Vaters auf das überlebende Kind erfolgt.

Zuwendungen an einen Abkömmling werden durch die o. g. Vorschrift im Zweifel auf dessen Abkömmlinge erstreckt, wenn der ursprünglich Bedachte nach Errichtung des Testaments weggefallen ist. § 2069 BGB ist unabhängig davon anzuwenden, ob die Abkömmlinge namentlich benannt sind oder sich die Zuwendung an diese aus anderen Formulierungen ergibt. Die namentliche Benennung der Söhne als Schlusserben ist kein hinreichender Anhaltspunkt dafür, dass die Erstreckung auf die Abkömmlinge der Bedachten dem Willen des Erblassers widerspricht.

Quelle: OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.6.2023, 3 W 41/23

Schulpflicht: Zwangsgeld gegen Eltern möglich

Das Verwaltungsgericht (VG) Schleswig-Holstein stellte jetzt fest: Die Schulen und Schulämter können Zwangsmittel auch gegenüber den Eltern schulpflichtiger Kinder anwenden, um die Schulpflicht durchzusetzen.

Zwangsgelder in fünf Fällen

In fünf ähnlich gelagerten Fällen wandten sich betroffene Eltern gegen die ihnen durch Schulen bzw. Schulämter auferlegte Verpflichtung, ihr Kind an einer Schule anzumelden bzw. dafür zu sorgen, dass es am Schulunterricht teilnimmt. Diese Verpflichtung war in den meisten Fällen mit der Androhung eines Zwangsgelds verbunden. Die Zwangsgelder in Höhe zwischen 300 und 800 Euro wurden teilweise auch zur Zahlung festgesetzt, nachdem die Eltern der Pflicht zur Schulanmeldung und Schulpflichtsicherstellung nicht nachgekommen waren.

Wille des Kindes gegen Schulbesuch „ist aufzulösen“

Das Gericht beurteilte das Vorgehen der Schulen und Ämter als rechtmäßig. Das Schleswig-Holsteinische Schulgesetz halte für Zwangsmittel hinreichende Rechtsgrundlagen vor. Die Eltern hätten nicht dargelegt, ihrer gesetzlichen Verantwortung für den Schulbesuch ihrer Kinder nachgekommen zu sein. Für Geltung und Durchsetzung der Schulpflicht komme es nicht darauf an, dass ein Kind (auch) aus eigenem Willen nicht zur Schule gehe, weil es außerhalb der Schule selbstbestimmt lernen wolle. Ein solcher Kindeswille mache den Eltern die Erfüllung der gegen sie gerichteten Verpflichtungsanordnung weder unmöglich noch führe er zur Nichtigkeit des Bescheids. Vielmehr müssen Eltern aufgrund ihrer Sorgepflicht auch versuchen, einen etwa entgegenstehenden Willen des Kindes aufzulösen. Auch ein vorgetragener Umzug ins Ausland tangiere die Schulpflicht nicht, solange in Wirklichkeit von einem Hauptwohnsitz der Familie in Deutschland auszugehen sei.

Quelle: VG Schleswig-Holstein, Urteile vom 8.5.2023, 9 A 174/22, 9 A 53/23, 9 A 57/23, 9 A 98/23 und 9 A 130/23, PM vom 14.8.2023