Enkelunterhalt: Unterhaltspflicht von Großeltern

Nicht nur Eltern müssen ihren Kindern Unterhalt zahlen, solange diese zur Schule gehen oder sich noch in einer Ausbildung befinden. Dieselbe Pflicht kann nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1607 BGB) auch die Großeltern eines Kindes treffen, wenn die Eltern wegen mangelnder Leistungsfähigkeit keinen Unterhalt zahlen können oder sich der Unterhaltsanspruch rechtlich nur schwer durchsetzen lässt. Das hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg klargestellt.

Das Amtsgericht (AG) hatte den Antrag zurückgewiesen: Es sei nicht ersichtlich, warum die Kindesmutter nicht vollschichtig arbeiten und dadurch den Barunterhalt für das Kind aufbringen könne.

Das OLG hat diese Frage anders entschieden. Es könne offengelassen werden, ob die Mutter vollschichtig arbeiten müsse. Selbst bei einer Vollzeittätigkeit reiche ihr Einkommen nicht aus, um den Unterhalt des Kindes ganz oder teilweise zu erbringen. Um den eigenen Unterhalt sicherzustellen, müsse ihr der angemessene Selbstbehalt von zurzeit 1.400 Euro belassen werden. Da die Mutter auch bei einer Vollzeittätigkeit nicht so viel verdienen könne, dass sie den Unterhalt für das Kind zahlt und 1.400 Euro für ihren Lebensunterhalt behalten könne, komme eine Haftung der Großeltern für den Unterhalt des Enkels in Betracht. Das OLG hob hervor: Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass der Kindesvater im Laufe des Verfahrens eine Arbeitsstelle angetreten habe und seitdem Unterhalt zahle. Denn es seien noch Rückstände für die Vergangenheit offen. Im Ergebnis könne daher Auskunft von den Großeltern über deren Einkommen und Vermögen verlangt werden. Im Anschluss an diese Auskunft ist zu entscheiden, ob die Großeltern tatsächlich Unterhalt schulden.

Quelle: OLG Oldenburg, Beschluss vom 16.12.2021, 13 UF 85/21, PM 3/22 vom 14.1.2022

Adoptivkind: Auskunftsanspruch gegenüber leiblicher Mutter

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass eine leibliche Mutter auch nach einer Adoption ihrem Kind Auskunft über die Identität des leiblichen Vaters geben muss.

Eine im Jahr 1984 geborene Antragstellerin verlangte von ihrer leiblichen Mutter, der Antragsgegnerin, Auskunft über die Person des leiblichen Vaters. Bei der Geburt war die in problematischen Familienverhältnissen aufgewachsene Antragsgegnerin gerade 16 Jahre alt geworden. Sie hatte die Schwangerschaft erst im siebten Monat bemerkt und die Hauptschule, deren siebte Klasse sie damals besuchte, ohne Schulabschluss verlassen. Nach der Geburt lebte sie mit der Antragstellerin zunächst in einem Mutter-Kind-Heim und später in einer Mädchen-Wohngemeinschaft, ehe die Antragstellerin von einem Ehepaar adoptiert wurde.

Ein 1985 durchgeführtes Vaterschaftsfeststellungsverfahren blieb ebenso erfolglos wie ein außergerichtlicher Vaterschaftstest mit einem weiteren Mann. Ende 2003 kam es auf Vermittlung des Jugendamts zu einem Treffen zwischen Antragstellerin und Antragsgegnerin. Nachdem die Antragstellerin die Antragsgegnerin im März 2018 erfolglos aufgefordert hatte, Namen und Anschrift des leiblichen Vaters zu benennen, hat sie diese Auskunft nun im gerichtlichen Verfahren verlangt.

Das Amtsgericht (AG) hat den Antrag zurückgewiesen, weil der Antragsgegnerin die Auskunftserteilung unmöglich sei. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Oberlandesgericht (OLG) diese Entscheidung geändert und die Antragsgegnerin antragsgemäß verpflichtet, der Antragstellerin alle Männer mit vollständigem Namen und Adresse zu nennen, die der Antragsgegnerin in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt haben.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die dagegen von der Antragsgegnerin eingelegte Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.

Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1618a BGB) müssen Eltern und Kinder einander Beistand leisten. Auch wenn die Vorschrift keine konkreten Sanktionen bei einem Verstoß vorsieht, können Eltern und Kindern aus der Vorschrift wechselseitig Rechtsansprüche erwachsen. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates, der Schutzbedürftigkeit des Einzelnen vor der Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene Abstammung bei der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Betroffenen angemessen Rechnung zu tragen.

Zudem geht es nicht allein um die Durchsetzung finanzieller Interessen. Vielmehr wird mit dem Auskunftsanspruch eine Rechtsposition von ganz erheblicher verfassungsrechtlicher Bedeutung gestärkt, nämlich das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung.

Dass die Antragsgegnerin wegen der Adoption der Antragstellerin und dem daraus folgenden Erlöschen des rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses nicht mehr die rechtliche Mutter der Antragstellerin ist, steht dem Anspruch nicht entgegen. Denn das Auskunftsschuldverhältnis zwischen Kind und Mutter ist vor der Adoption entstanden. Würde man dies anders sehen, würde die Adoption hinsichtlich des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung gegenüber Kindern führen, deren rechtliche Eltern-Kind-Beziehung zu ihrer leiblichen Mutter fortbesteht. Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin auch keine erheblichen, gegen ihre Auskunftsverpflichtung sprechenden Abwägungsgesichtspunkte vorgetragen, sondern im Gegenteil zu keinem Zeitpunkt bestritten, dass der Auskunftsanspruch der Antragstellerin grundsätzlich besteht. Somit hat sie sich nicht auf konkrete Belange berufen, die mit Blick auf ihr ebenfalls verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf Achtung ihrer Privat- und Intimsphäre dazu führen könnten, das Bestehen des Auskunftsanspruchs zu verneinen.

Mit der bloßen Mitteilung, sie könne sich an keinen möglichen Erzeuger erinnern, hat die Antragsgegnerin den Auskunftsanspruch nicht erfüllt. Sie hat auch nicht dargelegt, dass ihr eine Erfüllung auch nach Einholen der ihr zumutbaren Erkundigungen unmöglich ist. Sie könnte sich an eine Reihe von möglichen Kontaktpersonen wenden, um Hinweise zu potenziellen leiblichen Vätern der Antragstellerin zu erhalten. Diesen Nachfragemöglichkeiten fehlt es weder an der Erfolgsaussicht noch sind sie der Antragsgegnerin unzumutbar.

Quelle: BGH, Beschluss vom 19.1.2022, XII ZB 183/21, PM 7/22 vom 19.1.2022

Ehescheidung: Gepfändete Anrechte im Versorgungsausgleich

Auch gepfändete und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesene Anrechte fallen in den Versorgungsausgleich. So hat es der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Die Anrechte können danach intern geteilt werden.

Versorgungsanrechte sind zwar in der Anwartschaftsphase bezüglich des Stammrechts weitgehend gegen Pfändung geschützt. Laufende Renten sind aber wie Arbeitseinkommen pfändbar. Dies gilt auch für Ansprüche auf künftige Rentenzahlungen und auf künftige Auszahlung von Versicherungssummen (z. B. aufgrund einer betrieblichen Direktversicherung).

Anrecht gepfändet: kein Versorgungsausgleich

Ist ein Anrecht zulässigerweise gepfändet worden, ist für den Versorgungsausgleich bedeutsam, ob es gleichwohl noch dem Ehegatten wirtschaftlich zuzurechnen ist oder nicht. Ist es dem Gläubiger an Zahlungs statt überwiesen worden, ist es nicht mehr dem Ehegatten zurechenbar und fällt daher auch nicht mehr in den Versorgungsausgleich.

Anrecht noch nicht verwertet: Versorgungsausgleich möglich

Ist es (nur) zur Einziehung überwiesen worden, ist es noch dem Ehegatten zuzuordnen und fällt in den Versorgungsausgleich, solange es noch nicht verwertet worden ist. Die Vollstreckungsforderung wird mit der Überweisung zur Einziehung noch nicht befriedigt, sodass die Zwangsvollstreckung noch nicht beendet ist. Bis das Pfandrecht ausgeübt wird, kann der Ausgleichspflichtige den Pfandgläubiger anderweitig befriedigen und so einen Anspruch begründen, das Pfandrecht aufzuheben.

Gepfändete und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesene Anrechte können intern geteilt werden. Das Verbot für den Drittschuldner, an den Schuldner zu zahlen, steht dem nicht entgegen. Soweit die interne Teilung ggf. mit vollstreckungsrechtlichen Nachteilen verbunden ist (z. B. bei der Belastung des gepfändeten Anrechts mit Teilungskosten), muss der Vollstreckungsgläubiger dies hinnehmen. Im Übrigen sind seine Belange aber gewahrt, wenn Verstrickung und Pfändungspfandrecht auch das auf den Ausgleichsberechtigten übertragene (Teil-)Anrecht erfassen.

Quelle: BGH, Urteil vom 16.12.2020, XII ZR 28/20

Krankenhaushaftung: Mutter hatte nach der Geburt keine Klingel in Reichweite

Das Oberlandesgericht (OLG) Celle gab einem heute acht Jahre alte Kind dem Grunde nach Recht, das von einem Krankenhaus und einer Hebamme aufgrund verbleibender Gesundheitsschäden ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 Euro sowie den Ersatz materieller Schäden verlangte. Denn das Krankenhaus bzw. die Hebamme hatte die Alarmierungsmöglichkeit für die Mutter abgestellt.

Nach einer im Wesentlichen komplikationsfreien Geburt gab eine Hebamme der Mutter Gelegenheit, im Kreissaal mit ihrem Baby zu „bonden“, und ließ beide allein. Kurze Zeit später erschien der Mutter nach ihrer Schilderung das Baby „zu ruhig“. Nachdem sie anfangs noch gedacht habe, dass es vielleicht schlafe, habe sie sich doch gewundert, dass es sich gar nicht rege. Sie habe klingeln wollen, damit jemand nachschaue. An ihrem Bett gab es aber keine Klingel. Infolge der Geburt habe sie zunächst nicht aufstehen können. Der Hebamme fiel der Zustand des Babys deshalb erst rund 15 Minuten später auf. Das Kind litt zu diesem Zeitpunkt unter einer Atemdepression („Fast-Kindstod“). Trotz unverzüglicher Behandlung und Reanimation führte dies zu einer schweren Hirnschädigung.

Das OLG: Eine Mutter müsse in dieser Phase der zweiten Lebensstunde des Babys die Möglichkeit haben, eine Hebamme beispielsweise mit einer Klingel zu alarmieren, ohne aus ihrem Bett aufzustehen. Sie sei in dieser Phase nicht stets in der Lage, selbstständig das Bett zu verlassen, um Hilfe zu holen.

Dass eine solche Alarmierungsmöglichkeit hier fehlte, sei ein grober Behandlungsfehler gewesen, der einem Arzt bzw. einer Hebamme nicht unterlaufen dürfe. Das Krankenhaus und die Hebamme hafteten deshalb, auch wenn nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden könne, dass eine frühere Alarmierung die Hirnschädigung tatsächlich verhindert hätte oder diese geringer ausgefallen wäre.

Das OLG hat eine Revision zum Bundesgerichtshof (OLG) nicht zugelassen, weil der Fall insbesondere keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfe. Hiergegen haben sich die Beklagten mit einer Beschwerde an den BGH gewandt, über die dort noch nicht entschieden ist. Sofern das Urteil rechtskräftig wird, steht abschließend fest, dass dem Kind Ersatzansprüche zustehen. Deren Höhe müsste allerdings gegebenenfalls noch das Landgericht (LG) Hannover klären.

Quelle: OLG Celle 20.9.2021, 1 U 32/20, PM vom 24.11.2021

Gemeinschaftstestament: Was bedeutet die Formulierung „gemeinsamer Tod“?

Das Oberlandesgericht (OLG) München musste sich mit der Auslegung einer Klausel in einem gemeinschaftlichen Testament befassen, die so oder so ähnlich häufig vorkommt.

Eheleute errichteten 1992 ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich wechselseitig als alleinige Erben einsetzten. Darin heißt es u. a.: „Der überlebende Teil bestimmt den Nacherben allein. Bei einem gemeinsamen Tode z.B. durch Unfall fällt der gesamte Nachlass an unsere Nichte M. S. […], die damit auch alle Folgelasten, wie Begräbnis und Pflege der Grabstätte auf Lebenszeit zu tragen hat. […]“

Der Ehegatte verstarb nur zehn Tage vor der Erblasserin. Diese war nach dem Tod ihres Ehemannes aufgrund ihrer körperlich-geistigen Verfassung nicht mehr in der Lage, eine weitere letztwillige Verfügung von Todes wegen zu errichten. Die Nichte beantragte schließlich auf der Grundlage des gemeinschaftlichen Testaments einen Alleinerbschein betreffend die Erbfolge nach der Erblasserin. Gegen einen entsprechenden stattgebenden Beschluss des Nachlassgerichts legte eine Beteiligte, die beanspruchte, gesetzliche Erbin zu sein, ohne Erfolg Beschwerde ein.

Das OLG hat die Entscheidung des Nachlassgerichts bestätigt. Die Ehegatten hätten mit der Formulierung „Der überlebende Ehegatte bestimmt den Nacherben allein“ gerade keine Anordnung für den Fall des Todes des überlebenden Ehegatten getroffen, sondern die Regelung der Erbfolge nach dem Ableben des überlebenden Ehegatten bewusst offengelassen. Damit bleibe der Fall des Ablebens des überlebenden Ehegatten ungeregelt, sodass grundsätzlich bei einem Ableben des überlebenden Ehegatten im Fall, dass dieser keine weitere letztwillige Verfügung errichtet, die gesetzliche Erbfolge nach dem überlebenden Ehegatten eintritt. Die Auslegung des Testaments ergebe hier, dass nach dem maßgeblichen Willen der Eheleute im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments die Nichte auch für den hier vorliegenden Fall des zeitlichen Nacheinanderversterbens der Erblasserin und ihres Ehemannes unter der Prämisse als Erbin eingesetzt werden sollte, dass der überlebende Ehegatte nach dem Tod des Vorversterbenden nicht mehr in der Lage ist, eine (weitere) letztwillige Verfügung von Todes wegen zu errichten. Es sei sinnvoll und naheliegend, wenn die Ehegatten die gegenseitige Beerbung anordnen und im Übrigen dem Überlebenden freie Hand lassen wollen, eine Regelung für den Fall zu treffen, dass keiner den anderen überlebt oder der Überlebende wegen zeitnahen Nachversterbens zu einer letztwilligen Verfügung nicht mehr in der Lage ist.

Quelle: OLG München, Urteil vom 1.12.2021, 31 Wx 314/19

Ausländische Ehescheidung: Scheidung per WhatsApp nicht möglich

Die Anerkennung einer ausländischen Ehescheidung setzt die ordnungsgemäße und fristgerechte Zustellung des Scheidungsantrags voraus. Auslandszustellungen können in Deutschland nicht per WhatsApp erfolgen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main wies deshalb jetzt den Antrag auf Anerkennung eines kanadischen Scheidungsurteils zurück.

Der Antragsteller begehrte, ein kanadisches Scheidungsurteil anzuerkennen. Die Antragsgegnerin ist Deutsche, der Antragsteller Kanadier. Die Beteiligten hatten in Kanada geheiratet; dort lag auch ihr letzter gemeinsamer Aufenthaltsort, bevor die Antragsgegnerin nach der Trennung nach Deutschland zurückkehrte.

Der Antragsteller trug vor, er habe bei dem zuständigen kanadischen Gericht die Ehescheidung beantragt. Die Zustellung dieses Scheidungsantrags an die Antragsgegnerin sei mit Genehmigung des zuständigen kanadischen Gerichts über seine kanadische Bevollmächtigte über den Nachrichtendienst WhatsApp erfolgt. Seine Frau habe daraufhin auch geantwortet, sich aber nicht zur Sache eingelassen. Die Scheidung sei dann ausgesprochen worden und nun rechtskräftig.

Das OLG wies den Antrag auf Anerkennung des kanadischen Scheidungsurteils zurück. Es liege ein Anerkennungshindernis vor. Der Scheidungsantrag sei der Antragsgegnerin nicht ordnungsgemäß mitgeteilt worden. Auslandszustellungen könnten in Deutschland nicht per WhatsApp erfolgen. Etwaigen erweiternden Regelungen im Haager Übereinkommen über die Zustellung von Schriftstücken im Ausland habe Deutschland widersprochen.

Unerheblich sei, dass die Antragsgegnerin tatsächlich von dem Schriftstück Kenntnis erlangt habe und sie rechtzeitig ihre Rechte hätte wahrnehmen können. Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung setze sowohl die rechtzeitige als auch die ordnungsgemäße Zustellung voraus. Unschädlich sei zudem, dass die Antragsgegnerin kein Rechtsmittel gegen das kanadische Scheidungsurteil eingelegt habe. Die Möglichkeit eines Rechtsmittels sei nicht mit der Verteidigung gegen die wirksame Zustellung gleichwertig. Die Antragsgegnerin würde andernfalls eine Tatsacheninstanz verlieren.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 22.11.2021, 28 VA 1/21, PM 80/21

Erbrecht: Ein adoptiertes Kind kann mehrfach erben

Ein von seiner Tante adoptiertes Kind kann bei gesetzlicher Erbfolge im Fall des Versterbens einer weiteren Schwester seiner Mutter sowohl den Erbteil seiner Adoptivmutter als auch den Erbteil seiner leiblichen Mutter, ebenfalls einer Schwester der Erblasserin, erben. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. hat entschieden, dass der Adoptivsohn hier zwei gesetzliche Erbteile erhält.

Fallkonstellation

Die Beteiligten sind ebenso wie der Antragsteller Nichten und Neffen der Erblasserin. Diese verstarb kinderlos. Die Erblasserin hatte zwei Schwestern. Der Antragsteller ist das leibliche Kind einer dieser Schwestern. Er wurde später von der anderen Schwester der Erblasserin adoptiert. Sowohl seine leibliche Mutter als auch die Adoptivmutter waren zum Zeitpunkt des Versterbens der Erblasserin bereits verstorben. Vorverstorben waren auch der Ehemann der Erblasserin sowie ihre Eltern. Die Erblasserin hinterließ kein Testament.

Erbschein nach dem Tod der Tante

Nach dem Tod der Erblasserin beantragte der Antragsteller einen Erbschein nach gesetzlicher Erbfolge, der ihn neben den anderen Nichten und Neffen als Erben zu ½ (¼ nach der Adoptivmutter, ¼ nach der leiblichen Mutter) ausweist. Das Amtsgericht (AG) hat dem Antrag entsprochen.

OLG: Mehrere Erbteile sind möglich

Die hiergegen von den übrigen Nichten und Neffen der Erblasserin eingelegte Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Zu Recht sei das Nachlassgericht davon ausgegangen, dass ein adoptiertes Kind in die gesetzliche Erbfolge sowohl nach seiner leiblichen Mutter als auch nach der Adoptionsmutter eintrete, entschied das OLG. Im konkreten Fall erhalte der Antragsteller daher einen Erbteil von zwei Vierteln. Dem stehe nicht entgegen, dass nach der Adoption die Verwandtschaftsverhältnisse zu den bisherigen Verwandten erlöschen sind. Hiervon sehe das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1756 Abs. 1 BGB) nämlich eine Ausnahme vor, sofern die Annehmenden im zweiten oder dritten Grad mit dem Kind verwandt seien. Diese Ausnahme sei im Erbrecht zu berücksichtigen und führe zu dem Erhalt mehrerer Erbteile aufgrund der über die Adoptionsmutter und die leibliche Mutter vermittelten Verwandtschaft zur verstorbenen Erblasserin.

Der Beschluss ist nicht rechtskräftig. Er kann mit der vom OLG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Rechtsbeschwerde angefochten werden.

Quelle: OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 15.12.2021, 21 W 170/21, PM 3/22 vom 12.1.2022

Gleichgeschlechtliche Paare: Krankenkassen müssen keine Kosten für eine Kinderwunschbehandlung übernehmen

Gleichgeschlechtliche Paare haben keinen Anspruch gegen die gesetzlichen Krankenkassen auf eine Kinderwunschbehandlung. So sieht es das Bundessozialgericht (BSG).

Medizinische Maßnahmen, die dazu dienen, eine Schwangerschaft herbeizuführen, sind nur der Krankenbehandlung und damit den Leistungen der Krankenversicherung zuzurechnen, wenn ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden (sog. homologe Insemination). Der Gesetzgeber muss aus Verfassungsgründen nicht auch eine Kinderwunschbehandlung vorsehen, bei der Spendersamen verwendet wird (sog. heterologe Insemination).

Der Gesetzgeber hat eine weitreichende Einschätzungsprärogative bezüglich der Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Gesetz geht gemäß Sozialgesetzbuch (§ 27a SGB V) von einer grundsätzlichen Zeugungsfähigkeit des Ehepaars aus, die durch die Leistungen nach dieser Vorschrift unterstützt werden soll.

Zwar erkennt die Vorschrift als soziale Komponente an, den Kinderwunsch innerhalb einer bestehenden Ehe als Behandlungsziel zu erfüllen. Sie knüpft darüber hinaus aber den Leistungsanspruch an das krankheitsähnliche Unvermögen bei eingeschränkter, aber nicht aufgehobener Zeugungsfähigkeit , Kinder auf natürlichem Weg zu zeugen. Die Entscheidung, diese individuelle krankheitsähnliche Komponente durch die Förderung der künstlichen Befruchtung nur mit eigenen Ei- und Samenzellen der Eheleute nicht vor der sozialen Komponente zurücktreten zu lassen, ist vor dem Hintergrund der im Wesentlichen auf die Krankenbehandlung ausgerichteten gesetzlichen Krankenversicherung gerechtfertigt. Die Klägerin begehrt dagegen, dass die in dieser Eheform nicht bestehende Zeugungsfähigkeit mittels heterologer Insemination kompensiert wird, statt bloß eine krankheitsähnliche Situation zu überwinden.

Zu einer anderen Bewertung zwingt auch nicht, dass die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt worden ist. Der Gesetzgeber wollte diese zwar an die gemischtgeschlechtliche Ehe angleichen. Aus diesem Anliegen folgt aber nach Auffassung des BSG nicht die Pflicht, die zeugungsbiologischen Grenzen einer solchen Ehe mit Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung auszugleichen.

Quelle: BSG, Urteil vom 10.11.2021, B 1 KR 7/21 R, PM vom 4. und 11.11.2021

Sorgerecht: Strafbarkeit möglich: Wenn die Mutter die minderjährige Tochter tätowiert …

Tätowieren des eigenen minderjährigen Kindes kann eine gefährliche Körperverletzung sein. So hat es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Hamm entschieden.

Die Eltern der minderjährigen Tochter waren gemeinsam sorgeberechtigt. Das Jugendamt war aber für die Bereiche Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmungsrecht als Ergänzungspfleger bestellt.

Die Mutter tätowierte ihre 14-jährige Tochter am rechten Unterarm ohne wirksame Einwilligung des Jugendamts. Das Landgericht (LG) Detmold sah darin eine gefährliche Körperverletzung. Es verurteilte die Mutter entsprechend, allerdings in einem minder schweren Fall. Deren Revision war teilweise erfolgreich.

Ein Tätowiergerät kann ein gefährliches Werkzeug im Sinne des Strafrechts sein (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB)). Allerdings kann eine Tätowierung heute nicht per se als erhebliche Beeinträchtigung des Erscheinungsbilds angesehen werden, was für eine Strafbarkeit Voraussetzung wäre. Es verursacht auch kein erhebliches Leiden. Aber, so das OLG: Es ist geeignet, erhebliche Verletzungen hervorzurufen, wenn das Gerät nicht steril war und es deswegen zu schwerwiegenden Entzündungen kommt oder wenn ein Ungeübter damit gravierendere Verletzungen hervorruft.

Das OLG hob die Entscheidung des LG folglich auf und verwies die Sache zurück. Denn die bisherigen Feststellungen ergaben nicht hinreichend, ob der konkrete Einsatz des Tätowiergeräts geeignet war, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Es reicht insoweit nicht die bloße Eignung, überhaupt Verletzungen hervorzurufen, sondern diese müssen auch erheblich sein. Es muss also nach der konkreten Art der Verwendung die Eignung bestehen, die Funktionen oder das Erscheinungsbild des Körpers so einschneidend zu beeinträchtigen, dass der Verletzte schwer getroffen ist und beträchtlich darunter leiden muss. Dies muss nun das LG herausfinden.

Quelle: OLG Hamm, Beschluss vom 2.9.2021, 4 RVs 84/21

Elterngeld: Kein Zuschlag bei Mehrfachadoptionen

Die Regelung über den Anspruch eines Zuschlags bei Mehrlingsgeburten ist nicht auf Mehrfachadoptionen übertragbar. Dies hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nun entschieden.

Die Ehefrau des Klägers brachte vier Kinder mit in die Ehe ein, die er zum gleichen Zeitpunkt adoptierte. Der Beklagte gewährte ihm für die Betreuung Elterngeld für den 6. bis 14. Monat ab Inobhutnahme. Der Kläger machte geltend, ihm stünden Mehrlingszuschläge à 300 Euro zu. Der Fall einer Mehrfachadoption sei mit einer Mehrlingsgeburt vergleichbar. Der Beklagte, die Elterngeld bewilligende Stelle, lehnte die Gewährung des Zuschlags ab. Hiergegen wehrte sich der Kläger vergeblich vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund.

Seine Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat bestätigt, dass dem Kläger ein Mehrlingszuschlag für keines der Kinder zusteht. Die Anspruchsgrundlage für den Mehrlingszuschlag sei nach dem Wortlaut und dem Regelungszusammenhang nicht auf den Fall einer Mehrfachadoption anwendbar. Eine analoge Anwendung sei nicht geboten. Hätte der Gesetzgeber den Mehrlingszuschlag auch bei Mehrfachadoptionen vorsehen wollen, hätte für eine entsprechende Regelung ausreichend Gelegenheit bestanden. Es liege zudem kein vergleichbarer Sachverhalt vor.

Nach der Gesetzesbegründung berücksichtige der Mehrlingszuschlag die bei Mehrlingsgeburten bestehende besondere Belastung der Eltern. Der Beginn des Zusammenlebens mit adoptierten Kindern sei zwar ebenfalls regelmäßig mit besonderen Anforderungen an die fürsorglichen Leistungen der Eltern verbunden. Ein erheblicher Unterschied liege aber darin, dass adoptierte Kinder ein mitunter deutlich höheres Alter als Neugeborene aufwiesen und der Zeitpunkt der Adoption anders planbar sei. So habe der Kläger mit den zwischen drei und zehn Jahre alten Kindern bereits über zwei Jahre in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Zudem verfüge der Gesetzgeber im Sozialleistungsrecht über einen weiten Gestaltungsspielraum. Es verletze daher nicht den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz, nur für die besonderen Belastungen einer Mehrlingsgeburt einen Zuschlag vorzusehen.

Gegen das Urteil ist jetzt Revision beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt worden ist.

Quelle: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.4.2021, L 13 EG 15/18, PM des LSG