Vereinsrecht: Teilnahme an Mitgliederversammlung tatsächlich unmöglich? Beschlüsse anfechtbar!

Wird die Mitgliederversammlung eines Vereins in einem Raum abgehalten, der nicht für alle Mitglieder Platz bietet, führt das noch nicht zur Anfechtbarkeit der Beschlüsse. Es kommt einzig darauf an, ob der Platz für die tatsächlich erschienenen Mitglieder ausgereicht hat. Das hat das Kammergericht (KG) Berlin klargestellt.

Zunächst gilt der Grundsatz: Ein Verein darf mit Rücksicht auf die bisherigen Erfahrungen einen angemessen großen Versammlungsraum wählen. Er muss nicht davon ausgehen, dass alle Mitglieder erscheinen.

Nichtig, weil dann ein Ladungsmangel vorliegt, sind die Beschlüsse der Mitgliederversammlung aber dann, wenn erschienene Mitglieder tatsächlich abgewiesen werden müssen. Das ist auch in Hinsicht auf den größeren Raumbedarf zur Einhaltung der Hygienevorgaben unter den Bedingungen der Corona-Pandemie von Bedeutung. Zwar können Ihre Mitglieder um Voranmeldung gebeten werden, um den Raumbedarf besser planen zu können. Abgewiesen werden dürfen Mitglieder, die unangemeldet erscheinen, aber nicht. Ausnahme: Die Vereinssatzung liefert dafür eine Grundlage.

Quelle: KG Berlin, Beschluss vom 12.2.2021, 22 W 1047/20

Verbraucherschutz: Verbesserte Rechte bei Kauf von Treppenliften

Viele Senioren lassen in ihre Wohnungen oder Häuser angepasste Kurventreppenlifte einbauen. Solche Verträge sind als Werkverträge einzustufen. Das hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Der individuelle Charakter eines Lifts für ein spezielles Wohnumfeld sei entscheidend für die Einstufung. Daher gilt auch ein Widerrufsrecht, wenn die Verträge außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden.

Das war geschehen

Die Beklagte im Fall des BGH verkauft Kurventreppenlifte. Diese werden mit individuell geformten und an die Gegebenheiten vor Ort angepassten Laufschienen für zu befahrende Kurven angefertigt. Es handelt sich daher um passgenaue Konstruktionen speziell für die eigenen Wohnräume. Dabei erklärt die Beklagte als Herstellerin den Verbrauchern, dass sie bezüglich der Lifte außer für ein bestimmtes Modell kein gesetzliches Widerrufsrecht haben.

Die Klägerin (Bundesverband Verbraucherzentrale) pocht auf ein Widerrufsrecht und meint, dass die Beklagte mit ihrer Praxis gegen das Wettbewerbsrecht verstoße. Sie klagte daher auf Unterlassung bezüglich des bei Käufen abgelehnten Widerrufsrechts. Nachdem die Klägerin sowohl erstinstanzlich als auch zweitinstanzlich scheiterte, bestätigte der BGH nun den Unterlassungsanspruch. Das Widerrufsrecht für Verbraucher sei hier nicht ausgeschlossen.

So begründet der BGH seine Entscheidung

Berücksichtige man die europäische Verbraucherrechtrichtlinie, würden unter den Begriff der „Verträge zur Lieferung von Waren“ die Kaufverträge und Werklieferungsverträge fallen. Nicht dazu zählen würden Dienstverträge und auch im Regelfall Werkverträge. Wenn, wie hier, individuelle Treppenlifte bestellt würden, liege ein solcher Werkvertrag vor. Das herzustellende Werk bestehe zu einem wesentlichen Teil darin, dass individuelle Laufschienen hergestellt und an das gewünschte Treppenhaus angepasst werden. Auch der entsprechende Aufwand hierfür spreche für einen Werkvertrag.

Zwar seien auch Einzelteile notwendig, die aber nur einen untergeordneten Zwischenschritt darstellen. Daher hätten Verbraucher auch ein vierzehntägiges Widerrufsrecht.

Bisher hatten Gerichte den Vertragstyp unterschiedlich beurteilt; dem hat der BGH nun ein Ende gemacht.

Quelle: BGH, Urteil vom 20.10.2021, I ZR 96/20

WEG-Miteigentümer: Kein Anspruch auf Schlüssel für fremde Haustüren

Auch wenn die Hauseingangstüren in einer Mehrhausanlage zum Gemeinschaftseigentum gehören, hat nicht jeder Eigentümer Anspruch auf Zugang zu allen Schlüsseln, sagt das Landgericht (LG) Karlsruhe.

Ein Miteigentümer einer WEG-Mehrhausanlage verlangte von einem anderen Miteigentümer im Zusammenhang mit von diesem vorgenommenen baulichen Veränderungen am Gemeinschaftseigentum die Übergabe von drei Schlüsseln zur Hauseingangstür eines anderen Hauses. Hintergrund: Er wollte über diese Tür schneller zu seinem neuen Keller gelangen, den er aber auch über einen Innenhof erreichen konnte. Der Mitgebrauch am Gemeinschaftseigentum sei zwar unabhängig vom Umfang der Miteigentumsanteile in gleichem Umfang möglich, sofern keine besondere Benutzungsbeschränkung vorliege. Jedoch dürfe das Gemeinschaftseigentum ohne gesonderte Gebrauchsregelung nur zweckentsprechend benutzt werden.

Quelle: LG Karlsruhe 20.8.2021, 11 S 88/19

Mietvertrag: Bindung des Mieters an einen vom Vermieter bereitgestellten Kabelanschluss

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt entschieden: In Mietverträgen über Wohnraum darf vereinbart werden, dass der Mieter für die gesamte Dauer des Mietverhältnisses an einen vom Vermieter zur Verfügung gestellten kostenpflichtigen Breitbandkabelanschluss gebunden ist.

Sachverhalt

Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte ist Vermieterin von mehr als 120.000 Mietwohnungen, von denen etwa 108.000 an ein Kabelfernsehnetz angeschlossen sind, über das Fernseh- und Hörfunkprogramme übertragen werden und das auch für andere Dienste, wie Telefonate und Internet, genutzt werden kann. Das Entgelt, das die Beklagte für die Versorgung der Wohnungen mit Fernseh- und Hörfunkprogrammen über das Kabelnetz zahlt, legt sie nach den Mietverträgen als Betriebskosten auf ihre Mieter um. Für die Mieter besteht nach den Mietverträgen keine Möglichkeit, während der Dauer des Mietverhältnisses die Versorgung ihrer Wohnungen mit Fernseh- und Hörfunksignalen zu kündigen.

Die Klägerin sieht einen wettbewerbswidrigen Verstoß darin, dass die Mietverträge keine Regelung enthalten, nach der die kostenpflichtige Bereitstellung eines Kabelanschlusses wenigstens zum Ablauf einer Laufzeit von 24 Monaten kündbar ist, und die Beklagte nicht den Abschluss von Mietverträgen anbietet, nach denen die Bereitstellung solcher Anschlüsse auf eine Laufzeit von höchstens 12 Monaten begrenzt ist. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.

Prozessverlauf

Das Landgericht (LG) hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht (OLG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Es hat angenommen, der Klägerin stehe kein Unterlassungsanspruch zu. Insbesondere sei das Telekommunikationsgesetz (TKG) und hier § 43b TKG im Verhältnis der Beklagten zu ihren Mietern nicht anwendbar, weil das Angebot der Beklagten nicht im Sinne dieser Vorschrift öffentlich zugänglich sei.

Entscheidung des BGH

Der BGH hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Die Beklagte hat durch die Bindung ihrer Mieter an den von ihr zur Verfügung gestellten kostenpflichtigen Kabel-TV-Anschluss nicht gegen § 43b TKG verstoßen.

Mit der Bereitstellung der Kabel-TV-Anschlüsse erbringt die Beklagte allerdings einen Telekommunikationsdienst im Sinne des TKG. Sie stellt ihren Mietern damit einen Dienst zur Verfügung, der ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen besteht. Der von der Beklagten angebotene Telekommunikationsdienst ist angesichts der großen Anzahl der von der Beklagten vermieteten und mit einem Kabel-TV-Anschluss ausgestatteten Wohnungen entgegen der Ansicht des OLG öffentlich zugänglich.

In den von der Beklagten mit ihren Mietern geschlossenen Mietverträgen ist jedoch keine 24 Monate überschreitende Mindestlaufzeit vereinbart. Die Beklagte verwehrt ihren Mietern auch nicht den Abschluss von Mietverträgen mit einer Höchstlaufzeit von zwölf Monaten. Die Mietverträge werden von der Beklagten vielmehr auf unbestimmte Zeit geschlossen und können von den Mietern bis zum dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf des übernächsten Kalendermonats gekündigt werden. Eine unmittelbare Anwendung des § 43b TKG auf die von der Beklagten geschlossenen Mietverträge scheidet daher aus.

Eine entsprechende Anwendung von § 43b TKG im Verhältnis der Beklagten zu ihren Mietern kommt nicht in Betracht. Der Gesetzgeber wollte große Wohnungsbaugesellschaften, die mit Kabel-TV-Anschlüssen ausgestattete Wohnungen vermieten und die Kosten des Kabelanschlusses als Betriebskosten auf die Mieter umlegen, nicht in den Geltungsbereich der Vorschrift einbeziehen. Das ergibt sich auch aus der bevorstehenden Änderung des TKG.

Quelle: BGH, Urteil vom 18.11.2021, I ZR 106/20, PM 215/2021 vom 18.11.2021

Corona-Pandemie: WEG-Eigentümerversammlung auf dem Spielplatz

Eine Eigentümerversammlung auf dem Spielplatz der Eigentumsanlage widerspricht zumindest zu Pandemiezeiten nicht ordnungsmäßiger Verwaltung. Sie stellt keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Versammlung dar. Das entschied jetzt das Amtsgericht (AG) Wedding.

Der Verwalter lud zunächst zu einer Eigentümerversammlung ein, sagte diese wegen der Beschränkungen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie aber wieder ab. Mit der Beschlussfassung im Umlaufverfahren waren zwei der 36 Wohnungseigentümer nicht einverstanden. Daraufhin lud der Verwalter zu einer Eigentümerversammlung unter freiem Himmel auf dem Spielplatz des Grundstücks der Eigentümergemeinschaft ein. Ein Eigentümer wollte dies im Wege der einstweiligen Verfügung untersagen lassen, weil der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Versammlung dadurch verletzt werde, dass der Versammlungsort für jedermann zugänglich sei und jeder zuhören könne. Der Verwalter verwies darauf, dass der Spielplatz nicht zur Nutzung für die Öffentlichkeit gedacht, durch hohe Bäume blickdicht und ein Belauschen durch Dritte von umliegenden Grundstücken aus nicht möglich sei.

Nach Ansicht des AG widerspricht die Versammlung auf dem Spielplatz nicht den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Verwaltung. Wegen der Pandemie sei der Aufenthalt einer größeren Anzahl von Menschen in Räumen zur Vermeidung von Infektionen eingeschränkt. Die Versammlung hätte verlegt werden können bei Fortdauer der Kontaktbeschränkung mit deutlicher Verzögerung. Auch hätte der Beschluss im schriftlichen Verfahren gefasst werden können.

Quelle: AG Wedding, Urteil vom 13.7.2020, 9 C 214/20

Erbrecht: Ein adoptiertes Kind kann mehrfach erben

Ein von seiner Tante adoptiertes Kind kann bei gesetzlicher Erbfolge im Fall des Versterbens einer weiteren Schwester seiner Mutter sowohl den Erbteil seiner Adoptivmutter als auch den Erbteil seiner leiblichen Mutter, ebenfalls einer Schwester der Erblasserin, erben. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. hat entschieden, dass der Adoptivsohn hier zwei gesetzliche Erbteile erhält.

Fallkonstellation

Die Beteiligten sind ebenso wie der Antragsteller Nichten und Neffen der Erblasserin. Diese verstarb kinderlos. Die Erblasserin hatte zwei Schwestern. Der Antragsteller ist das leibliche Kind einer dieser Schwestern. Er wurde später von der anderen Schwester der Erblasserin adoptiert. Sowohl seine leibliche Mutter als auch die Adoptivmutter waren zum Zeitpunkt des Versterbens der Erblasserin bereits verstorben. Vorverstorben waren auch der Ehemann der Erblasserin sowie ihre Eltern. Die Erblasserin hinterließ kein Testament.

Erbschein nach dem Tod der Tante

Nach dem Tod der Erblasserin beantragte der Antragsteller einen Erbschein nach gesetzlicher Erbfolge, der ihn neben den anderen Nichten und Neffen als Erben zu ½ (¼ nach der Adoptivmutter, ¼ nach der leiblichen Mutter) ausweist. Das Amtsgericht (AG) hat dem Antrag entsprochen.

OLG: Mehrere Erbteile sind möglich

Die hiergegen von den übrigen Nichten und Neffen der Erblasserin eingelegte Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Zu Recht sei das Nachlassgericht davon ausgegangen, dass ein adoptiertes Kind in die gesetzliche Erbfolge sowohl nach seiner leiblichen Mutter als auch nach der Adoptionsmutter eintrete, entschied das OLG. Im konkreten Fall erhalte der Antragsteller daher einen Erbteil von zwei Vierteln. Dem stehe nicht entgegen, dass nach der Adoption die Verwandtschaftsverhältnisse zu den bisherigen Verwandten erlöschen sind. Hiervon sehe das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1756 Abs. 1 BGB) nämlich eine Ausnahme vor, sofern die Annehmenden im zweiten oder dritten Grad mit dem Kind verwandt seien. Diese Ausnahme sei im Erbrecht zu berücksichtigen und führe zu dem Erhalt mehrerer Erbteile aufgrund der über die Adoptionsmutter und die leibliche Mutter vermittelten Verwandtschaft zur verstorbenen Erblasserin.

Der Beschluss ist nicht rechtskräftig. Er kann mit der vom OLG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Rechtsbeschwerde angefochten werden.

Quelle: OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 15.12.2021, 21 W 170/21, PM 3/22 vom 12.1.2022

Gleichgeschlechtliche Paare: Krankenkassen müssen keine Kosten für eine Kinderwunschbehandlung übernehmen

Gleichgeschlechtliche Paare haben keinen Anspruch gegen die gesetzlichen Krankenkassen auf eine Kinderwunschbehandlung. So sieht es das Bundessozialgericht (BSG).

Medizinische Maßnahmen, die dazu dienen, eine Schwangerschaft herbeizuführen, sind nur der Krankenbehandlung und damit den Leistungen der Krankenversicherung zuzurechnen, wenn ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden (sog. homologe Insemination). Der Gesetzgeber muss aus Verfassungsgründen nicht auch eine Kinderwunschbehandlung vorsehen, bei der Spendersamen verwendet wird (sog. heterologe Insemination).

Der Gesetzgeber hat eine weitreichende Einschätzungsprärogative bezüglich der Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Gesetz geht gemäß Sozialgesetzbuch (§ 27a SGB V) von einer grundsätzlichen Zeugungsfähigkeit des Ehepaars aus, die durch die Leistungen nach dieser Vorschrift unterstützt werden soll.

Zwar erkennt die Vorschrift als soziale Komponente an, den Kinderwunsch innerhalb einer bestehenden Ehe als Behandlungsziel zu erfüllen. Sie knüpft darüber hinaus aber den Leistungsanspruch an das krankheitsähnliche Unvermögen bei eingeschränkter, aber nicht aufgehobener Zeugungsfähigkeit , Kinder auf natürlichem Weg zu zeugen. Die Entscheidung, diese individuelle krankheitsähnliche Komponente durch die Förderung der künstlichen Befruchtung nur mit eigenen Ei- und Samenzellen der Eheleute nicht vor der sozialen Komponente zurücktreten zu lassen, ist vor dem Hintergrund der im Wesentlichen auf die Krankenbehandlung ausgerichteten gesetzlichen Krankenversicherung gerechtfertigt. Die Klägerin begehrt dagegen, dass die in dieser Eheform nicht bestehende Zeugungsfähigkeit mittels heterologer Insemination kompensiert wird, statt bloß eine krankheitsähnliche Situation zu überwinden.

Zu einer anderen Bewertung zwingt auch nicht, dass die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt worden ist. Der Gesetzgeber wollte diese zwar an die gemischtgeschlechtliche Ehe angleichen. Aus diesem Anliegen folgt aber nach Auffassung des BSG nicht die Pflicht, die zeugungsbiologischen Grenzen einer solchen Ehe mit Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung auszugleichen.

Quelle: BSG, Urteil vom 10.11.2021, B 1 KR 7/21 R, PM vom 4. und 11.11.2021

Sorgerecht: Strafbarkeit möglich: Wenn die Mutter die minderjährige Tochter tätowiert …

Tätowieren des eigenen minderjährigen Kindes kann eine gefährliche Körperverletzung sein. So hat es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Hamm entschieden.

Die Eltern der minderjährigen Tochter waren gemeinsam sorgeberechtigt. Das Jugendamt war aber für die Bereiche Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmungsrecht als Ergänzungspfleger bestellt.

Die Mutter tätowierte ihre 14-jährige Tochter am rechten Unterarm ohne wirksame Einwilligung des Jugendamts. Das Landgericht (LG) Detmold sah darin eine gefährliche Körperverletzung. Es verurteilte die Mutter entsprechend, allerdings in einem minder schweren Fall. Deren Revision war teilweise erfolgreich.

Ein Tätowiergerät kann ein gefährliches Werkzeug im Sinne des Strafrechts sein (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB)). Allerdings kann eine Tätowierung heute nicht per se als erhebliche Beeinträchtigung des Erscheinungsbilds angesehen werden, was für eine Strafbarkeit Voraussetzung wäre. Es verursacht auch kein erhebliches Leiden. Aber, so das OLG: Es ist geeignet, erhebliche Verletzungen hervorzurufen, wenn das Gerät nicht steril war und es deswegen zu schwerwiegenden Entzündungen kommt oder wenn ein Ungeübter damit gravierendere Verletzungen hervorruft.

Das OLG hob die Entscheidung des LG folglich auf und verwies die Sache zurück. Denn die bisherigen Feststellungen ergaben nicht hinreichend, ob der konkrete Einsatz des Tätowiergeräts geeignet war, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Es reicht insoweit nicht die bloße Eignung, überhaupt Verletzungen hervorzurufen, sondern diese müssen auch erheblich sein. Es muss also nach der konkreten Art der Verwendung die Eignung bestehen, die Funktionen oder das Erscheinungsbild des Körpers so einschneidend zu beeinträchtigen, dass der Verletzte schwer getroffen ist und beträchtlich darunter leiden muss. Dies muss nun das LG herausfinden.

Quelle: OLG Hamm, Beschluss vom 2.9.2021, 4 RVs 84/21

Elterngeld: Kein Zuschlag bei Mehrfachadoptionen

Die Regelung über den Anspruch eines Zuschlags bei Mehrlingsgeburten ist nicht auf Mehrfachadoptionen übertragbar. Dies hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nun entschieden.

Die Ehefrau des Klägers brachte vier Kinder mit in die Ehe ein, die er zum gleichen Zeitpunkt adoptierte. Der Beklagte gewährte ihm für die Betreuung Elterngeld für den 6. bis 14. Monat ab Inobhutnahme. Der Kläger machte geltend, ihm stünden Mehrlingszuschläge à 300 Euro zu. Der Fall einer Mehrfachadoption sei mit einer Mehrlingsgeburt vergleichbar. Der Beklagte, die Elterngeld bewilligende Stelle, lehnte die Gewährung des Zuschlags ab. Hiergegen wehrte sich der Kläger vergeblich vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund.

Seine Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat bestätigt, dass dem Kläger ein Mehrlingszuschlag für keines der Kinder zusteht. Die Anspruchsgrundlage für den Mehrlingszuschlag sei nach dem Wortlaut und dem Regelungszusammenhang nicht auf den Fall einer Mehrfachadoption anwendbar. Eine analoge Anwendung sei nicht geboten. Hätte der Gesetzgeber den Mehrlingszuschlag auch bei Mehrfachadoptionen vorsehen wollen, hätte für eine entsprechende Regelung ausreichend Gelegenheit bestanden. Es liege zudem kein vergleichbarer Sachverhalt vor.

Nach der Gesetzesbegründung berücksichtige der Mehrlingszuschlag die bei Mehrlingsgeburten bestehende besondere Belastung der Eltern. Der Beginn des Zusammenlebens mit adoptierten Kindern sei zwar ebenfalls regelmäßig mit besonderen Anforderungen an die fürsorglichen Leistungen der Eltern verbunden. Ein erheblicher Unterschied liege aber darin, dass adoptierte Kinder ein mitunter deutlich höheres Alter als Neugeborene aufwiesen und der Zeitpunkt der Adoption anders planbar sei. So habe der Kläger mit den zwischen drei und zehn Jahre alten Kindern bereits über zwei Jahre in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Zudem verfüge der Gesetzgeber im Sozialleistungsrecht über einen weiten Gestaltungsspielraum. Es verletze daher nicht den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz, nur für die besonderen Belastungen einer Mehrlingsgeburt einen Zuschlag vorzusehen.

Gegen das Urteil ist jetzt Revision beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt worden ist.

Quelle: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.4.2021, L 13 EG 15/18, PM des LSG

Stadt Koblenz: Nachbarklage gegen Swingerclub erfolglos

Die Nachbarn eines Swingerclubs und einer angrenzenden Gaststätte haben keinen Anspruch auf ein gaststätten- bzw. immissionsschutzrechtliches Einschreiten der Stadt Koblenz gegen deren Betrieb. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz.

Die Kläger, die ein Wohngebäude außerhalb der Ortslage eines Koblenzer Stadtteils bewohnen, sind Nachbarn der o. g. Betriebe, die sich in einem aus zwei Häusern bestehenden Gebäudekomplex befinden. Für den Betrieb des Swinger-Clubs erteilte die Stadt Koblenz im Jahr 2002 eine zunächst gaststättenrechtliche Erlaubnis als „Schank- und Speisewirtschaft ohne besondere Betriebseigentümlichkeit“. Nach Erteilung einer entsprechenden Baugenehmigung für die Nutzungsänderung wird dieser spätestens seit Mai 2006 in erster Linie als Swingerclub betrieben. Die gaststättenrechtliche Erlaubnis blieb jedoch zunächst unverändert. Im Jahr 2014 erteilte die Stadt Koblenz eine Gaststättenerlaubnis zur Weiterführung eines anderen Etablissements unter neuem Namen für den Betrieb einer „Schankwirtschaft mit Musikdarbietungen“. Beide gaststättenrechtlichen Erlaubnisse wurden mit der Auflage versehen, dass der vom Betrieb ausgehende Lärmpegel nicht zu einer Überschreitung des Immissionsrichtwertes von tags 55 dB(A) und nachts 40 dB(A) führen dürfe und zwar gemessen 0,5 Meter vor dem vom Lärm am stärksten betroffenen Fenster des nächstgelegenen Wohnhauses.

Insbesondere seit dem Jahr 2015 beschwerten sich die Kläger wiederholt bei der Stadt Koblenz über Lärm und sonstige Belästigungen, die von den Betrieben ausgehen würden. Ihren Antrag vom Februar 2019 auf Einschreiten gegen die beiden Betriebe lehnte die Stadt ab, da unzumutbare Einwirkungen durch den Betrieb nicht feststellbar seien. Dies belegten die zahlreichen von ihr durchgeführten Kontrollen. Gegen die bereits erteilten Auflagen hätten die Betreiber nicht verstoßen.

Nach Zurückweisung ihres Widerspruchs verfolgten die Kläger ihr Begehren auf Einschreiten gegen den Betrieb. Das Verwaltungsgericht (VG) gab den Klagen statt und verpflichtete die beklagte Stadt, geeignete gaststättenrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Kläger vor den Immissionen zu ergreifen, die von dem Gaststättenbetrieb ausgingen. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der tatsächliche Betrieb der o. g. Häuser sei von den bestehenden gaststättenrechtlichen Erlaubnissen nicht gedeckt. Den Klägern stehe aufgrund festzustellender Lärm- und sonstiger Belästigungen auch ein subjektiver Rechtsanspruch auf ein gaststättenrechtliches Einschreiten zu.

Nach Erlass der Urteile erteilte die Beklagte eine Änderungserlaubnis zum Betrieb einer „Schank- und Speisewirtschaft im Rahmen eines Swinger-Clubs“. Auf die Berufung der Beklagten hob das Oberverwaltungsgericht (OVG) die erstinstanzlichen Urteile auf und wies die Klagen ab.

Der tatsächliche Betrieb der beiden Gaststätten sei von der derzeit bestehenden gaststättenrechtlichen Erlaubnislage zwar nicht gedeckt, in Ermangelung eines Verstoßes gegen nachbarschützende Normen könnten die Kläger jedoch keinen Anspruch auf behördliches Tätigwerden herleiten.

Allein auf die formelle Illegalität des Gaststättenbetriebs könne ein Anspruch der Kläger auf gaststätten- oder immissionsbehördliches Einschreiten nicht gestützt werden. Vielmehr bedürfe es eines Verstoßes gegen materielle nachbarschützende Normen, um hieraus einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Einschreiten ableiten zu können. Ein solcher Verstoß sei hier nicht feststellbar.

Der Hinweis auf „naturgemäß subjektive“ Nachbarbeschwerden vermöge objektiv nachvollziehbare Feststellungen nicht zu ersetzen. Für weitergehende Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung habe aufgrund der fehlenden konkreten Anknüpfungstatsachen kein Bedarf bestanden. Durchgreifende Anhaltspunkte für sonstige erhebliche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen lägen ebenfalls nicht vor.

Quelle: OVG Rheinland-Pfalz, Urteile vom 23.11.2021, 6 A 10687/21.OVG und 6 A 10689/21.OVG, PM 26/2021