Reiserücktrittsversicherung: Anspruch auf Ersatz der Stornokosten bei geplatzter Urlaubsreise

Im Streit um Leistungen aus einem Reiserücktrittsversicherungsvertrag verurteilte das Amtsgericht (AG) München eine Versicherung, die für die Stornierung einer Pauschalreise angefallenen Kosten von 1.128 Euro zu zahlen.

Das war geschehen

Die Freundin der Klägerin hatte für sich und die Klägerin eine fünftägige Pauschalreise nach Ibiza für September 2021 zu einem Gesamtpreis von 1.410 Euro gebucht und bei der Beklagten für beide eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen.

Die Versicherungsbedingungen der Beklagten enthielten folgende Bestimmungen: „Ihr Service-Plus in der Stornokosten-Versicherung: Ist Ihre Reise aufgrund von Krankheit, Unfall oder aus anderen Gründen gefährdet? Sind Sie sich unsicher, ob Sie Ihre Reise antreten können oder doch stornieren müssen? Unsere telefonische Stornoberatung gibt Ihnen hier die richtige Empfehlung. (…) 2.2 Wir unterstützen Sie bei der Entscheidung, ob und wann Sie ihre Reise stornieren sollten. (…) 14.3 Haben Sie die medizinische Stornoberatung eingeschaltet und A) empfiehlt diese, die Reise zu stornieren? Dann sind Sie verpflichtet, ihre Reise unverzüglich zu stornieren. …“

Bei der seit dem Jahr 2017 an Morbus Basedow leidenden Klägerin wurde kurz vor Reisebeginn ein Knoten im Bereich der Schilddrüse festgestellt und als frühester Termin für die weitere medizinische Abklärung der Tag vor der geplanten Abreise angeboten. Die Ärztin der von der Klägerin daraufhin in Anspruch genommenen Medizinischen Stornoberatung der Beklagten riet telefonisch zur Stornierung der Reise, was beide umgehend taten.

Die Versicherung verweigerte den von der Klägerin geltend gemachten Ersatz der Stornokosten und vertrat die Auffassung, die von ihr angebotene Medizinische Stornoberatung würde nur in Bezug auf den Zeitpunkt der Stornierung beraten. Über die grundsätzliche Frage, ob überhaupt ein versichertes Ereignis vorläge, würde jedoch erst im Rahmen der Schadenbearbeitung befunden und entschieden.

So sah es das Amtsgericht

Das Gericht gab der Klage vollumfänglich statt und begründete dies wie folgt: Die Klägerin hat gegen die Versicherung einen Anspruch auf Erstattung der Stornierungskosten gemäß der zwischen den Parteien geschlossenen Reiserücktritts-Versicherung in Verbindung mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 242 BGB). Die Versicherung muss sich an dem festhalten lassen, was die Ärztin der Medizinischen Stornoberatung der Klägerin in dem Telefongespräch am 13.9.2021 geraten hat.

Widersprüchliches Verhalten war hier missbräuchlich

Zwar darf eine Partei ihre Rechtsansicht durchaus ändern, missbräuchlich ist widersprüchliches Verhalten aber, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Es muss objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens vorliegen, weil das frühere Verhalten mit dem späteren unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig sind. Ein Verschulden ist nicht erforderlich. Die Versicherung hat mit ihrer Beratung gegenüber der Klägerin einen Vertrauenstatbestand geschaffen, dass die Stornierung der Reise den vertraglichen Voraussetzungen der Reiserücktrittsversicherung entspricht.

Versicherung hielt sich selbst nicht an die eigenen Empfehlungen

Aus Sicht des Gerichts ist höchst fraglich, warum die Beklagte den Versicherungsnehmern ihre Medizinische Stornoberatung als Entscheidungsgrundlage empfiehlt, wenn sie selbst meint, sich an die Empfehlungen ihrer eigenen Beratung nicht halten zu müssen. Die Empfehlung der Medizinischen Stornoberatung zur unverzüglichen Stornierung der Reise ist mithin unvereinbar mit der späteren Verweigerung der Kostenübernahme durch die Versicherung mit der Begründung, es habe keine schwere unerwartete Erkrankung zum Stornierungszeitpunkt vorgelegen.

Vertrauen gegenüber der Medizinischen Stornoberatung

Das Vertrauen der Klägerin in die Empfehlung der Medizinischen Stornoberatung ist auch schutzwürdig. Die Klägerin konnte und durfte darauf vertrauen, dass die Ärztin der Medizinischen Stornoberatung sie richtig sowohl im Hinblick auf den Zeitpunkt der Stornierung als auch im Hinblick darauf, ob ein Stornierungsgrund vorliegt, berät.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle: AG München, Urteil vom 16.2.2023, 122 C 7243/22, PM 25/23