Kapitalanleger: Weitere Folgen des VW-Abgasskandals: Musterverfahren gegen Porsche SE
Der für das Kapitalmarktrecht zuständige II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat entschieden, dass das beim Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig anhängige Kapitalanleger-Musterverfahren gegen die Volkswagen AG zur Verletzung von Publizitätspflichten im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal einem weiteren Kapitalanleger-Musterverfahren beim Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart gegen die Porsche SE nicht entgegen steht.
Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf: Die Porsche Automobil Holding SE („Porsche SE“) ist als Holdinggesellschaft mit rund 52 % der Stimmrechte an der Volkswagen AG beteiligt. Im Jahr 2007 stellte die Volkswagen AG eine neue Baureihe von Dieselmotoren unter der Bezeichnung EA 189 vor, die sie ab dem Jahr 2008 baute und auch in den USA vermarktete. Am 22.9.2015 veröffentlichte die Volkswagen AG eine Ad-hoc-Meldung, der zufolge nach bisherigen internen Prüfungen weltweit rund 11 Mio. Fahrzeuge mit Dieselmotoren des Typs EA 189 Auffälligkeiten bezüglich ihres Stickoxidausstoßes aufwiesen, weshalb sie beabsichtige, im dritten Quartal des laufenden Geschäftsjahres rund 6,5 Mrd. Euro ergebniswirksam zurückzustellen. Am selben Tag informierte die Porsche SE in einer Ad-hoc-Meldung hierüber und teilte mit, dass bei ihr infolge der Kapitalbeteiligung an der Volkswagen AG ein entsprechender ergebnisbelastender Effekt zu erwarten sei. In der Zeit ab Mitte September 2015 brachen die Aktienkurse der Stamm- und Vorzugsaktien der Volkswagen AG und der Porsche SE ein.
Mit einem Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem OLG Braunschweig soll nun geklärt werden, ob die Volkswagen AG im Zusammenhang mit dem als VW-Abgasskandal bezeichneten Sachverhalt ihre Publizitätspflichten verletzt hat.
Das Landgericht (LG) Stuttgart hat dem OLG Stuttgart zur Herbeiführung eines Musterentscheids Feststellungsziele vorgelegt, mit denen die unmittelbare Betroffenheit der Porsche SE von Vorgängen aus dem Bereich der Volkswagen AG, hieraus folgende Ad-hoc-Mitteilungspflichten und Fragen der Wissenszurechnung geklärt werden sollen. Das OLG Stuttgart hat zunächst ein weiteres Kapitalanleger-Musterverfahren im Hinblick auf das vor dem OLG Braunschweig anhängige Kapitalanleger-Musterverfahren für unzulässig erklärt. Die Entscheidung in einem weiteren Kapitalanleger-Musterverfahren sei von der Entscheidung des OLG Braunschweig über die Feststellungsziele des dortigen Kapitalanleger-Musterverfahrens abhängig und beide Verfahren beträfen mit den Vorgängen bei der Volkswagen AG denselben Lebenssachverhalt. Gegen diese Entscheidung haben sich Kapitalanleger mit ihren vom OLG Stuttgart zugelassenen Rechtsbeschwerden gewandt.
Der BGH hat die Entscheidung des OLG aufgehoben und die Sache zur Entscheidung über die Bestimmung eines Musterklägers an das OLG zurückverwiesen. Ein weiteres Kapitalanleger-Musterverfahren ist wegen der Sperrwirkung des Vorlagebeschlusses nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) ausgeschlossen, soweit die Entscheidung über die Feststellungsziele in einem bereits eingeleiteten Musterverfahren die Prozessgerichte in den Verfahren bindet, die im Hinblick auf die Feststellungsziele des weiteren Musterverfahrens auszusetzen wären. Bei Schadenersatzansprüchen, die auf das Unterlassen einer öffentlichen Kapitalmarktinformation gestützt werden, hat eine Entscheidung über die Feststellungsziele eines bereits eingeleiteten Musterverfahrens nur dann bindende Wirkung für andere Prozesse, wenn diese dieselbe öffentliche Kapitalmarktinformation betreffen.
Das Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem OLG Braunschweig sperrt danach das Verfahren vor dem OLG Stuttgart nicht, weil Gegenstand der Feststellungsziele des vor dem OLG Braunschweig eingeleiteten Musterverfahrens Schadenersatzansprüche wegen öffentlicher Kapitalmarktinformationen der Volkswagen AG sind, während das Verfahren vor dem OLG Stuttgart öffentliche Kapitalmarktinformationen der Porsche SE betreffen soll. Dass Vorgänge bei der Volkswagen AG jedenfalls mittelbar in beiden Verfahren von Bedeutung sind, ist nicht entscheidend. (BGH, Beschluss vom 16.6.2020, II ZB 10/19)