Bundesgerichtshof: Ersterrichtungsanspruch eines Eigentümers bei „steckengebliebenem“ Bau
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass ein Wohnungseigentümer im Fall eines sog. steckengebliebenen Baus zwar grundsätzlich einen Anspruch auf erstmalige plangerechte Errichtung des Gemeinschaftseigentums gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer hat. Der Anspruch scheidet aber aus, wenn die erstmalige Errichtung des gemeinschaftlichen Eigentums den übrigen Wohnungseigentümern nicht zuzumuten ist.
Bauvorhaben kam zu Stillstand: Was ist mit den Ansprüchen der Eigentümer?
Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Das Grundstück war mit einer Abbruchimmobilie bebaut. Diese sollte durch eine inzwischen insolvente Generalbauunternehmerin abgerissen und ein neues Gebäude errichtet werden. Das Bauvorhaben kam bereits während der Abrissarbeiten zum Stillstand. Die Beschlussanträge der Klägerin, die Verwalterin zu beauftragen, Angebote für die restlichen Abrissarbeiten, die Abdichtung der Nachbargiebel und die Erstellung der Ausführungspläne für das Objekt einzuholen, die Aufträge zu vergeben und die Arbeiten durchführen zu lassen sowie eine Sonderumlage zu erheben, wurden in einer Eigentümerversammlung vom 16.9.2021 abgelehnt.
Mit der Klage verlangt die Klägerin u.a. die gerichtliche Ersetzung der beantragten Beschlüsse. Das Amtsgericht (AG) hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht (LG) den Beschluss ersetzt, dass ein Sachverständigengutachten zu den voraussichtlichen Kosten für den Abriss des Bestandsgebäudes und die Errichtung des Gemeinschaftseigentums eingeholt, die Verwalterin mit der Einholung von Angeboten für das Gutachten beauftragt und die Beklagte zur Beschlussfassung über die Vergabe des Auftrags und dessen Finanzierung verpflichtet wird. Mit der von dem LG zugelassenen Revision wollte die Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen.
So sieht es der Bundesgerichtshof
Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen. Der BGH: Im Ausgangspunkt steht der Klägerin ein Anspruch auf erstmalige Errichtung des Gemeinschaftseigentums zu. Dabei liegt der Fall hier insofern besonders, als einem Erwerber, wie der Klägerin, schon in diesem frühen Stadium Ansprüche aus dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG) zustehen können. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht nämlich eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und die Erwerber sind bereits Wohnungseigentümer, obwohl das nicht von dem teilenden Eigentümer, sondern von einer Generalbauunternehmerin auf der Grundlage mit den Erwerbern geschlossener Werkverträge zu errichtende Gebäude nicht einmal ansatzweise fertiggestellt ist.
Ist wie hier das Binnenverhältnis zwischen den Erwerbern und der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer entstanden, kann der Eigentümer im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung verlangen, dass das Gemeinschaftseigentum erstmals in einen der Teilungserklärung entsprechenden mithin plangerechten Zustand versetzt wird. Das entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung und gilt auch für die erstmalige Errichtung bzw. Fertigstellung des Gemeinschaftseigentums bei einem steckengebliebenen Bau.
Der Anspruch auf erstmalige Errichtung des Gemeinschaftseigentums besteht unabhängig vom Fertigstellungsgrad des Gebäudes. Begrenzt wird dieser Anspruch im Fall des steckengebliebenen Baus durch den Grundsatz von Treu und Glauben. Danach entfällt dieser, wenn seine Erfüllung den übrigen Eigentümern nach den Umständen des Einzelfalls nicht zuzumuten ist. Die Entscheidung darüber durfte das LG nicht durch die Beschlussersetzung der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer überantworten. Denn es ist Sache des Tatgerichts, unter umfassender Würdigung der Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtabwägung über die Unzumutbarkeit der erstmaligen Errichtung zu entscheiden. Dies wird das LG nun gemäß Ausführungen des BGH zu möglichen Kriterien nachholen müssen. U. a. werden der Fertigstellungsgrad der zu errichtenden Anlage und der Umfang der in Angriff zu nehmenden Arbeiten sowie die Höhe der noch zu tätigenden Investitionen von erheblicher Bedeutung sein. So wird es regelmäßig für eine Unzumutbarkeit der Ersterrichtung sprechen, wenn es zu Kostensteigerungen von über 50 % des ursprünglich Kalkulierten kommt. Hierin liegt indes keine starre Grenze. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls können schon geringere Kostensteigerungen zur Unzumutbarkeit führen. Auch wirtschaftlich sinnvolle Alternativen werden zu betrachten sein. Findet sich etwa ein Investor, der bereit ist, alle Einheiten im derzeitigen „unfertigen“ Zustand zu einem den Umständen nach angemessenen Preis abzukaufen, mag den Interessen einzelner Bauwilliger im Vergleich zu den Interessen einer verkaufswilligen Mehrheit weniger Gewicht beizumessen sein.
Quelle: BGH, Urteil vom 20.12.2024, V ZR 243/23, PM 241/24