Bundesarbeitsgericht: Einführung elektronischer Zeiterfassung: Müssen alle nun „zurück zur Stechuhr“?
Der Arbeitgeber ist nach dem Arbeitsschutzgesetz (hier: § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist. Das hat jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden.
Das war geschehen
Der antragstellende Betriebsrat und die Arbeitgeberinnen, die eine vollstationäre Wohneinrichtung als gemeinsamen Betrieb unterhalten, schlossen im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Zeitgleich verhandelten sie über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Eine Einigung hierüber kam nicht zustande. Auf Antrag des Betriebsrats setzte das Arbeitsgericht (ArbG) eine Einigungsstelle zum Thema „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung“ ein. Nachdem die Arbeitgeberinnen deren Zuständigkeit gerügt hatten, leitete der Betriebsrat dieses Beschlussverfahren ein. Er hat die Feststellung begehrt, dass ihm ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht.
So entschieden die Instanzen
Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen hatte vor dem BAG Erfolg. Der Betriebsrat muss in sozialen Angelegenheiten nur mitbestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Bei unionsrechtskonformer Auslegung des Arbeitsschutzgesetzes (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Dies schließt ein ggf. mithilfe der Einigungsstelle durchsetzbares Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus.
Weitreichende Folgen
Und nun? Müssen alle Arbeitnehmer „zurück zur Stechuhr“? Da das BAG keine Gesetzgebungskompetenz hat, ergibt sich daraus zunächst kein sofortiger Handlungsbedarf der Arbeitgeber. Hier muss auf eine gesetzliche Vorgabe gewartet werden. Bisher hat der deutsche Gesetzgeber auf die Vorgabe des EuGH noch nicht reagiert. Dies wird er aber tun müssen. Fraglich ist dabei, wie dies umgesetzt werden kann. So sollen auch künftig flexible Arbeitszeitmodelle (z.B. Vertrauensarbeitszeit) möglich sein. Auch darf der bürokratische Aufwand nicht zu hoch werden, um die Produktivität der Arbeitnehmer nicht einzuschränken. Fragen von Homeoffice, Überstunden, etc. sind zu beantworten. Das Bundesarbeitsministerium teilte dazu mit, dass die weitere Vorgehensweise geprüft werde. Mit schnellen Ergebnissen ist wohl vorerst nicht zu rechnen. Gleichwohl sollte sich jeder Arbeitgeber bereits jetzt Gedanken darüber machen, wie er eine entsprechende Dokumentation vornehmen könnte.
Quelle: BAG, Beschluss vom 13.9.2022, 1 ABR 22/21, PM 35/2