Gerichtsverfahren: Zeugen dürfen nicht telefonisch vernommen werden

Es ist auch im Bußgeldverfahren unzulässig, einen Zeugen telefonisch zu vernehmen.

Das ist das Fazit aus einem Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Brandenburg. Die Richter weisen zutreffend darauf hin, dass die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit der vereinfachten Beweisaufnahme durch fernmündliche Befragung nur gilt, um behördliche Erklärungen einzuholen. Für die Vernehmung von Zeugen gilt dies jedoch nicht. Es hat auch nicht „geholfen“, dass der Betroffene der telefonischen Vernehmung zugstimmt hatte und einverstanden war, dass die dabei gewonnenen Aussagen verwertet werden.

Eine Zustimmung des Betroffenen legalisiert nämlich nur die im Gesetz geregelten Ausnahmen vom Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Sie führt weder dazu, dass eine Erleichterung der Beweisaufnahme, die gesetzlich nicht vorgesehen ist, zulässig wird, noch dazu, dass später die Rüge eines solchen Verstoßes gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz ausgeschlossen ist. (OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.6.2019, [2 B] 53 Ss-OWi 252/19 [111/19])

Schutzhelmpflicht: Turban statt Sturzhelm – keine Ausnahme bei Sikh

In einem bis zum BVerwG „getriebenen“ Verfahren hatte ein gläubiger Sikh um eine Ausnahmegenehmigung von der Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms beim Motorradfahren gekämpft. Begründung: Die Schutzhelmpflicht verletze ihn als gläubigen Sikh in seiner Religionsfreiheit. Er sei aus religiösen Gründen verpflichtet, einen Turban zu tragen.

Die Klage hatte beim VG zunächst keinen Erfolg. Der VGH Baden-Württemberg hatte in der Berufung die Verwaltungsbehörde verpflichtet, über den Antrag noch einmal zu entscheiden. Sie habe verkannt, dass eine Ausnahme auch aus religiösen Gründen in Betracht komme. Es bestehe aber keine unmittelbare Pflicht der Behörde, die beantragte Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Dagegen richtete sich die Revision des Klägers, mit der er über die Verpflichtung zur erneuten Entscheidung hinaus erreichen wollte, dass ihm eine Ausnahmegenehmigung erteilt wird. Damit hatte er beim Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) keinen Erfolg.

Das BVerwG sieht zwar in der Pflicht, beim Motorradfahren einen geeigneten Schutzhelm zu tragen, für den Kläger als gläubigen Sikh eine mittelbare Beeinträchtigung seiner Religionsausübungsfreiheit. Er werde hierdurch zwar nicht daran gehindert, seinen Glauben auszuüben. Allerdings müsse er auf das Motorradfahren verzichten, wenn er die von ihm aus religiösen Gründen als verbindlich empfundene Pflicht zum Tragen eines Turbans befolge. Diese Einschränkung sei aber auch mit Blick auf die durch das Grundgesetz geschützte Religionsfreiheit grundsätzlich gerechtfertigt und vom Kläger hinzunehmen. Sie diene nämlich anderen, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern Dritter. Die Helmpflicht solle nämlich nicht nur den Motorradfahrer selbst, sondern auch die körperliche und psychische Unversehrtheit anderer Unfallbeteiligter und der Rettungskräfte schützen. (BVerwG, Urteil vom 4.7.2019, 3 C 24.17)

Autokauf: Nach Beseitigung eines Hagelschadens ist ein Fahrzeug nicht mehr fabrikneu

Die Eigenschaft „fabrikneu“ geht verloren, wenn ein Neuwagen einen Hagelschaden erleidet. Durch eine Instandsetzung kann sie nicht gerettet werden. Das geht aus einem Urteil des höchsten Gerichts in Österreich (OGH) hervor, das aber auch für Deutschland relevant ist.

Beim Transport hatte der Pkw einen massiven Hagelschaden mit jeweils ca. 150 bis 200 Dellen an Motorhaube und Dach erlitten. Das Autohaus ließ die Dellen herausdrücken und die Dachzierleisten ersetzen (Kosten: 1.080 EUR). Von den Dellen war nichts mehr zu sehen. Eine beschädigte Zierleiste bei einer Tür wurde jedoch nicht getauscht. Der Kunde verweigerte die Abnahme des Fahrzeugs und trat vom Kauf zurück. Das Autohaus hielt den Schaden für eine Bagatelle, die zu keiner Wertminderung geführt habe und klagte auf Schadenersatz.

Die Klage blieb in drei Instanzen erfolglos. Kein „Neufahrzeug“ mehr bzw. nicht mehr „fabrikneu“ lautete auch die Entscheidung des OGH. Der Käufer habe ein Recht gehabt, vom Vertrag zurückzutreten. Er habe vorher keine Nachfrist setzen müssen, nachdem das Autohaus die Lieferung eines Ersatzautos abgelehnt habe. (OGH Österreich, Urteil vom 23.10.2018, 4 Ob 183/18t)

Unfallschadensregulierung: Entsorgungskosten sind erstattungspflichtig

Berechnet die Reparaturwerkstatt Entsorgungskosten an den Unfallgeschädigten, muss der eintrittspflichtige Haftpflichtversicherer diese erstatten.

So entschied es das Amtsgericht Stuttgart. Nach Ansicht des Gerichts sind die Kosten für die Entsorgung nicht mehr verwendbarer Altteile erstattungsfähig. Unabhängig davon, dass die hierfür in Rechnung gestellten Kosten von 20 EUR netto als angemessen erscheinen, ist das Gericht der Ansicht, dass eine Reparaturwerkstatt eventuell anfallende Entsorgungskosten nicht selbst tragen muss. Sie kann die angefallenen Kosten dem Kunden in Rechnung stellen. (Amtsgericht Stuttgart, Urteil vom 25.7.2019, 42 C 2435/19)

Haftungsrecht: Fußgänger haben Vorrang vor Segways

Auf einem kombinierten Fuß- und Radweg haben Fußgänger gegenüber Elektrokleinstfahrzeugen (hier: Segway) absoluten Vorrang.

So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz im Fall einer Segway-Fahrerin, die als Teil einer Gruppe von Segway-Fahrern einen kombinierten Geh-/Radweg befahren hatte. Der Beklagte war dort als Fußgänger unterwegs und gerade damit beschäftigt, Fotos zu fertigen. Als er rückwärtsging, stieß er mit der Segway-Fahrerin zusammen. Diese stürzte und verletzte sich dabei erheblich. Sie verlangte Schadenersatz. Das Landgericht wies die Klage bereits mit der Begründung ab, dass die Frau den Unfall verschuldet habe, weil sie auf den Fußgänger nicht hinreichend Rücksicht genommen habe. Damit habe sie ihre Pflichten als Fahrzeugführerin erheblich verletzt. Eine Haftung des Beklagten scheide daher aus.

Das OLG hat diese Entscheidung nun bestätigt. Maßgebend war hierbei, dass nach der Gesetzeslage der Beklagte als Fußgänger auf dem kombinierten Fuß- und Radweg absoluten Vorrang gegenüber der Segway-Fahrerin gehabt habe. Ein Fußgänger müsse deshalb dort nicht fortwährend nach Fahrzeugen Ausschau halten, um ihnen ausweichen zu können. Der Beklagte habe vielmehr darauf vertrauen dürfen, dass die den Weg befahrenden Verkehrsteilnehmer auf ihn Acht geben, also ihre Fahrweise und -geschwindigkeit anpassen, durch Warnsignale rechtzeitig auf sich aufmerksam machen und sicherstellen, dass diese Warnsignale auch rechtzeitig von ihm wahrgenommen und verstanden werden. Hierzu sei, wenn erforderlich, Blickkontakt herzustellen oder auf andere Weise eine Verständigung zu suchen gewesen. Achte oder reagiere ein Fußgänger nicht auf Warnsignale, müsse das Fahrzeug angehalten werden, wenn nur so vermieden werden kann, dass der Fußgänger behindert oder gefährdet wird. Diese erhöhten Sorgfaltspflichten habe die Segway-Fahrerin nicht beachtet. Sie war auch nach ihrem eigenen Vortrag nicht sicher, dass der Beklagte sie wahrgenommen hatte. Sie treffe aufgrund dieses Versäumnisses ein so hohes Verschulden an dem Unfall, dass ein etwaiges Mitverschulden des Beklagten (unachtsames Rückwärtsgehen) zurücktrete. (OLG Koblenz, Beschluss vom 16.4.2019, vorgehend Hinweisbeschluss vom 6.3.2019, 12 U 692/18)

Geschwindigkeitsüberschreitung: Auf einen Tempomat darf man sich nicht verlassen

Der Fahrzeugführer muss trotz eingeschaltetem Tempomat die gefahrene Geschwindigkeit kontrollieren und darauf achten, dass er Beschränkungen einhält. Das gilt auch, wenn das Fahrsystem an eine Verkehrszeichenerkennung gekoppelt ist.

Hierauf wies das Oberlandesgericht (OLG) Köln hin. Die Richter machten deutlich, dass derartige Systeme lediglich Hilfsmittel sind. Sie stellen den Fahrer nicht von seiner Kontroll- und Überwachungspflicht in Bezug auf die Höchstgeschwindigkeit frei. (OLG Köln, Beschluss vom 7.6.2019, III-1 RBs 213/19)

Straßenverkehrsgefährdung: Überholen bei sichtbarem Gegenverkehr ist kein falsches Überholen

Allein ein Überholen bei sichtbarem Gegenverkehr ist noch kein Verstoß gegen § 5 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung (StVO). Ein falsches Überholen liegt nur vor, wenn das Überholen unter Berücksichtigung des Gegenverkehrs für einen durchschnittlichen Fahrer nicht gefahr- und behinderungslos möglich ist.

So hat sich das Oberlandesgericht (OLG) Jena geäußert. Für den Angeklagten hatte diese Ansicht des OLG erhebliche Auswirkungen. Denn er war ursprünglich wegen Straßenverkehrsgefährdung verurteilt worden. Diese Verurteilung hat das OLG aufgehoben und an das Amtsgericht zurückverwiesen. Dort müssen weitere Feststellungen getroffen werden. (OLG Jena, Urteil vom 18.3.2019, 1 OLG 151 Ss 22/19)

Unfallschadensregulierung: Diese Bestandteile sind in der Kleinteilepauschale enthalten

Das Amtsgericht München hat eine Kleinteilepauschale in Höhe von zwei Prozent aus dem Betrag der sonstigen Ersatzteile zugesprochen und dabei deren Bestandteile erläutert.

Das Gericht schreibt: „Zu der sog. Kleinersatzteilpauschale ist im Übrigen auszuführen, dass aus zahlreichen Gutachten aus anderen Fällen gerichtsbekannt ist, dass eine sog. Kleinteilepauschale von zwei Prozent üblicherweise im Rahmen einer Fahrzeuginstandsetzung berechnet wird. Es handelt sich hierbei um eine Pauschale zur Abgeltung von Positionen, welche in kleinsten Teileinheiten im Rahmen der Reparaturmaßnahmen verbraucht werden (Kleinstmengen von Schmierfetten, Wartungssprays, Korrosionsschutzmitteln, Rostlösern o. Ä.). Hintergrund dieser Praxis ist, dass die entsprechenden Kleinstteile und Verbrauchsmaterialien aus wirtschaftlichen Gründen nicht sinnvoll erfasst werden können.“ Diese Beschreibung ist hilfreich, wenn ein Versicherer Doppelberechnung behauptet, weil ein paar Schrauben, Muttern und Clips in der Rechnung aufgeführt sind. (Amtsgericht München, Urteil vom 30.7.2019, 344 C 663/19)

Haftungsrecht: Haftung des Fahrzeughalters kann beim Fußgängerunfall im Einzelfall vollständig entfallen

Die von einem Kraftfahrzeug ausgehende Betriebsgefahr kann bei grob verkehrswidrigem Verhalten eines Fußgängers vollständig entfallen. Ob dies im Einzelfall so ist, muss durch eine Abwägung geklärt werden.

Hierauf wies das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hin. Geklagt hatte die Krankenkasse einer Frau, die bei einem Unfall schwer verletzt wurde. Die Frau hatte ihren Pick-up zunächst neben einer siebenspurigen Fahrbahn im Stadtgebiet geparkt. Dann hatte sie ein mannshohes Plakat ausgeladen. Dieses Plakat wollte sie auf einem Grünstreifen aufstellen, der sich in der Mitte der Fahrspuren befand. Nur wenige Meter von dem geparkten Pick-up entfernt hätte die Frau an einer Ampelanlage gefahrlos die Straße überqueren und zu dem Grünstreifen gelangen können. Sie wollte jedoch unmittelbar am Ausladeort mit dem großen Plakat in Händen über die Straße gehen. Dabei hätte sie insgesamt vier Spuren überqueren müssen. Beim Überqueren der Straße wurde sie vom Fahrzeug des Beklagten erfasst und dabei schwer verletzt. Der Mann war mit seinem Pkw auf dem zweiten Fahrstreifen unterwegs.

Die Krankenkasse der Frau verlangt vom Beklagten Schadenersatz für aufgewendete Heilbehandlungskosten. Außerdem will sie festgestellt wissen, dass der Beklagte den künftig noch entstehenden Schaden ersetzen muss. Dabei geht die Krankenkasse von einer Haftungsquote von 50 Prozent aus. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat der Klage mit einer Haftungsquote von 1/3 zulasten des Beklagten stattgegeben.

Gegen dieses Urteil legten beide Parteien Berufung ein. Das OLG hat die Berufung der Krankenkasse zurückgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat es die Klage komplett abgewiesen. Die Richter gehen von einer Alleinhaftung der geschädigten Frau aus. Der Beklagte habe nicht damit rechnen müssen, dass diese plötzlich die Straße überqueren werde. Der Pick-up sei neben der Fahrbahn geparkt gewesen. Er habe kein Verkehrshindernis dargestellt. Es habe für den Beklagten ferngelegen, damit zu rechnen, dass jemand mit einer mannshohen Plakatwand nicht den 15 m entfernten ampelgeregelten Fußgängerüberweg nehmen würde, sondern versuchen könnte, die vier Fahrbahnen zu dem bewachsenen Trennstreifen in einem Zug zu überqueren.

Der Beklagte habe deshalb auch nicht schon beim ersten Schritt der Geschädigten auf die Fahrbahn mit einer Vollbremsung reagieren müssen. Zwar hätte er bremsen müssen, als die Frau weiter auf die Fahrbahn lief. Allerdings sei da der Unfall aber selbst mit einer Vollbremsung nicht mehr vermeidbar gewesen. Die Geschädigte habe sich grob verkehrswidrig verhalten. Sie hätte die mehrspurige Straße nur an der Ampel überqueren dürfen. Zudem habe sie sich auch beim Überqueren der Straße nicht richtig verhalten. Das sich annähernde Fahrzeug des Beklagten sei für sie erkennbar gewesen. Sie hätte deshalb stehen bleiben müssen. Das galt besonders, da sie ein sperriges Plakat mit sich führte. (Urteil des OLG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 31.1.2018, 4 U 1386/17)

Kraftfahrzeugrennen: „Autoposen“ ist kein Kraftfahrzeugrennen

Eine sog. „Poserfahrt“ ist kein verbotenes Kraftfahrzeugrennen im Sinne des Strafgesetzbuchs.

Das folgt aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamburg im Falle eines Autofahrers, der wegen eines illegalen Kraftfahrzeugrennens angeklagt war. Die Polizei hatte ihn beobachtet, als er mit seinem Audi R8 an einer roten Ampel neben einem Lotus Sport 135R stand. Beide Fahrzeuge ließen die Motoren aufheulen. Als die Ampel Grün zeigte, fuhren beide mit hoher Drehzahl los. Dies wiederholten beide Fahrzeugführer an mehreren Ampeln hintereinander. Das Amtsgericht hat darin die Teilnahme an einem illegalen Straßenrennen gesehen.

Das OLG hat das Urteil aufgehoben. Das Amtsgericht habe nicht berücksichtigt, dass es sich nicht zwingend um ein Straßenrennen, sondern insbesondere auch um eine Schaufahrt ohne wettbewerblichen Hintergrund gehandelt haben könnte. Dabei komme es den Beteiligten nicht auf ein Kräftemessen mit ihren Fahrzeugen im eigentlichen Sinne an. Sie würden alleine durch ihre Fahrweise die Aufmerksamkeit von Passanten zu erheischen versuchen. Ziel sei es, ihre Fahrzeuge optisch und akustisch in Szene zu setzen und sich zu profilieren. Auch habe das Amtsgericht nicht dargelegt, dass der Betroffene das „Rennen“ mit dem anderen Kraftfahrzeugführer zumindest durch kurzen kommunikativen Akt abgesprochen habe. (OLG Hamburg, Urteil vom 5.7.2019, 2 RB 9/19 – 3 Ss-OWi 91/18)