Gesetzentwurf: Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

Das Bundeskabinett hat am 23.9.20 den von der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegten Entwurf für ein Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts beschlossen. Der Entwurf sieht umfassende Änderungen vor, die die Rechte und Position betreuter Personen stärken. Der Entwurf geht nun in den Bundestag.

Unter anderem finden sich im Entwurf zahlreiche Verbesserungen für betreute Personen:

  • Es soll klarer geregelt sein, dass die Betreuung zunächst der Unterstützung des Betreuten dient, seine Angelegenheiten stets selbstbestimmt zu erledigen. Eine Stellvertretung soll nur eingesetzt werden, wenn es notwendig ist.
  • Zudem sollen Betreute in allen Abschnitten des Betreuungsverfahrens intensiver eingebunden werden.
  • Ferner soll ein Registrierungsverfahren mit persönlichen und fachlichen Mindesteignungsvoraussetzungen für berufliche Betreuer eingeführt werden.

Die einzelnen Punkte des Reformpakets werden vom Bundesjustizministerium zusammengefasst und sind hier abrufbar: www.iww.de/s4098.

Der Sozialverband VdK Deutschland fordert angesichts des Gesetzentwurfs weitere Verbesserungen, zum Beispiel eine niederschwellige, barrierefreie und für die Betreuten gut erreichbare Beschwerdestelle, und hat zum Entwurf umfassend Stellung genommen.

Nachbarschaftsstreit: Nachbar pocht auf Einhalten von Abstandsflächen, verstößt aber seinerseits dagegen: So geht es nicht

Ein Grundstückseigentümer hatte sich auf einen tatsächlich vorliegenden abstandsrechtlichen Verstoß des Nachbarn berufen. Seine Klage hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen jedoch abgewiesen. Grund: Er hatte seinerseits gegen das Abstandsflächenverbot verstoßen.

In einem solchen Fall stellt das Geltendmachen von Abwehrmaßnahmen eine sog. „unzulässige Rechtsausübung“ dar. Maßgeblich ist nach dem OVG, ob der Nachbar fordert, was er selbst nicht einhält. Das allgemeine Rechtsverständnis billigt es einem Grundstückseigentümer nicht zu, rechtliche Abwehrmaßnahmen gegen eine durch einen Nachbarn hervorgerufene Beeinträchtigung zu ergreifen und zugleich diesem Nachbarn quasi spiegelbildlich dieselbe Beeinträchtigung zuzumuten. Denn der öffentlich-rechtliche Nachbarschutz, so das OVG, beruht auf einem Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit, das maßgeblich durch die objektiven Grundstücksverhältnisse geprägt ist. Erst aus der Störung des nachbarlichen Gleichgewichts und nicht schon aus der Abweichung von öffentlich-rechtlichen Normen ergibt sich deshalb der Abwehranspruch des Nachbarn. (OVG Nordrhein-Westfalen, 18.6.2020, 7 A 1510/18)

Weiterfresserschaden: Wann beginnt die Verjährung?

Das Landgericht (LG) Flensburg hat jetzt entschieden: Beim Entstehen eines Schadens kommt es für den Beginn der Verjährung auf die Abnahme der Werkleistung an. Das gilt auch bei einem sog. Weiterfresserschaden.

Das Ziel beim weiterfressenden Schaden (hier: behaupteter mangelhafter Aufbau der Ölheizungsanlage mit späterem Ölschaden) sei es nämlich, die Verjährungsfrist zu verlängern. Daraus darf aber nicht der Schluss gezogen werden, dass für den Beginn der Verjährungsfrist bei mangelhafter Werkleistung auf den Eintritt des Folgeschadens abzustellen ist. Vielmehr ist auf die Werkleistung an sich abzustellen. (LG Flensburg, Urteil vom 28.8.2020, 2 O 148/19)

Brandschutz: Anforderungen können nachträglich durchgesetzt werden

Erfüllt ein Gebäude nachbarschützende Brandschutzvorschriften nicht, muss dessen Eigentümer die vom Nachbarn beanstandete, fehlende Brandwand nachträglich einziehen. Er darf dies nicht mit dem Hinweis verweigern, der dafür erforderliche finanzielle Aufwand stehe in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Nachbarn. So hat es jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.

Was war geschehen? Der Beklagte betrieb eine Diskothek. Die auf der Grundstücksgrenze stehende Wand der Diskothek erfüllte die Anforderungen an eine Brandwand nicht. Folglich verlangte der Nachbar von dem Diskothekenbetreiber, diesen bauordnungsrechtlich unzulässigen Zustand zu beseitigen. Der BGH hat dem zugestimmt.

Er hat klargestellt: Der Schutz von Leib und Leben geht vor. Die Nachrüstpflicht bestehe auch, wenn sich das Gebäude nicht in einem gefahrenträchtigen Zustand befinde.

Der BGH hat sich auch dazu geäußert, wann ein solches grobes Missverhältnis zwischen Aufwand und Nutzen vorliegt, das eine Leistungsverweigerung rechtfertigt. Dies bemisst sich „nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und dem, was diesem unter Würdigung anderer öffentlicher oder privater Belange zuzumuten ist“.

Wichtig: Beim Bauen im Bestand wirkt sich dieses Urteil für alle Planungsbüros aus. Denn im Zweifel muss sich ein Planer grundlegende Kenntnis darüber verschaffen, ob er eine Brandwand auf dem Grundstück seines Auftraggebers bauen muss oder ob der bauordnungswidrige Zustand im Einvernehmen mit dem Nachbarn geklärt werden kann. (BGH, Urteil vom 13.12.2019, V ZR 152/18)

Corona-Pandemie: Baukindergeld: Förderzeitraum soll bis 31.3.2021 verlängert werden

Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat sieht vor, den Förderzeitraum für die Gewährung des Baukindergelds um drei Monate zu verlängern.

Hintergrund der angedachten Verlängerung ist die Corona-Pandemie, weshalb viele Antragsteller die Fristen nicht einhalten können.

Dies bedeutet für die Baugenehmigung bzw. den notariellen Kaufvertrag:

  • Neubauten sind begünstigt, wenn die Baugenehmigung zwischen dem 1.1.2018 und dem 31.3.2021 (bisher: 31.12.2020) erteilt wurde.
  • Beim Erwerb von Neu- oder Bestandsbauten muss der notarielle Kaufvertrag zwischen dem 1.1.2018 und dem 31.3.2021 (bisher: 31.12.2020) unterzeichnet worden sein.

Verbeamtete Lehrerin: Spirituelle Lebensberaterin ohne Nebentätigkeitsgenehmigung

Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin hat entschieden: Eine Lehrerin darf ohne Nebentätigkeitsgenehmigung nicht entgeltlich als spirituelle Lebensberaterin tätig sein. Eine Genehmigung für die Vergangenheit muss sie hierfür allerdings nachträglich nicht mehr beantragen. Sie hat ihrem Dienstherrn auch Auskunft über Art und Umfang ihrer schriftstellerischen Tätigkeiten zu geben. |

Im vorliegenden Fall ist die Klägerin verbeamtete Lehrerin eines Berliner Gymnasiums. Gegen sie wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet wegen des Verdachts, dass sie ohne Nebentätigkeitsgenehmigung auf verschiedenen Internetplattformen, die unter anderem eine „seriöse und professionelle Zukunftsdeutung“ anbieten, entgeltlich spirituelle Beratungen offerierte. Die Senatsverwaltung forderte die Klägerin mit zwei Bescheiden auf, diese Beratertätigkeit einzustellen und für die Vergangenheit noch eine Genehmigung zu beantragen sowie Auskunft über Art und Umfang ihrer schriftstellerischen Tätigkeiten zu erteilen.

Dies wollte die Klägerin nicht hinnehmen. Sie bestritt die ihr vorgeworfene Beratungstätigkeit. Allenfalls zeitweilig habe sie als Beraterin gewirkt, aktuell jedoch nicht mehr. Sie bestätigte, zwei Bücher publizieren zu wollen, was sie jedoch nicht als Nebentätigkeit ansah, sondern als eine bloße Tätigkeit im Rahmen allgemeiner Kommunikation „teilweise außerhalb des logischen Systems“.

Die Weisungen seien im Wesentlichen nicht zu beanstanden, so das VG Berlin. Es gebe keine ernsthaften Zweifel daran, dass die Klägerin Beratungsleistungen im Internet gegen Entgelt auch heute noch erbringt. Eine solche Tätigkeit sei genehmigungspflichtig. Ohne eine Genehmigung dürfe der Dienstherr der Klägerin die Tätigkeit untersagen. Auch die Weisung, Art und Umfang ihrer schriftstellerischen Tätigkeiten offenzulegen, sei rechtmäßig. Schriftstellerische Tätigkeiten seien zwar nicht genehmigungs-, aber anzeigepflichtig, falls hierfür ein Entgelt oder geldwerter Vorteil geleistet werde. Vorliegend habe es für die Senatsverwaltung einen begründeten Anlass gegeben, die Anzeigepflicht dieser Tätigkeit zu prüfen. Lediglich die Weisung, für die Vergangenheit eine Genehmigung zu beantragen, sei rechtswidrig.

Gegen das Urteil ist bereits Antrag auf Zulassung der Berufung zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg gestellt worden. (VG Berlin, Urteil vom 22.7.2020, VG 5 K 95.17)

Beweispflicht: Arbeitnehmer: Entschädigungsanspruch bei Mobbing

Ein Anspruch auf eine „billige Entschädigung in Geld“ wegen einer Gesundheitsbeschädigung aufgrund von Mobbing setzt voraus, dass der betroffene Arbeitnehmer konkret darlegt, wann welcher Arzt welche Erkrankung bei ihm diagnostiziert haben will. Allein der Umstand, dass sich der Kläger in ärztlicher Behandlung befindet, genügt nicht. Das hat jetzt das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln entschieden.

Die Richter machten deutlich: Der betroffene Arbeitnehmer muss zudem beweisen, aufgrund welcher Umstände gesundheitlich neutrale Maßnahmen (z. B. Abmahnung, Kündigung oder arbeitsrechtliche Weisungen) konkret geeignet sein sollen, eine Gesundheitsbeschädigung hervorzurufen.

Im vorliegenden Fall standen 14 Abmahnungen in acht Jahren, eine verhaltensbedingte Kündigung, zwei erfolglose Anhörungsverfahren beim Integrationsamt wegen des mittlerweile einem Schwerbehinderten gleichgestellten Klägers, ein Entgeltrechtsstreit und mehr im Raum. Nach Ansicht des LAG stelle dies aber weder einzeln noch in der Gesamtschau eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung dar, wenn es jeweils wie vorliegend einen konkreten sachlichen Anlass für die Maßnahmen des Arbeitgebers gab. Hier kam hinzu, dass der Kläger gegen nahezu sämtliche Handlungen des Arbeitgebers gerichtlich vorgegangen war und hierbei überwiegend obsiegt hatte. (LAG Köln, Urteil vom 10.7.2020, 4 Sa 118/20)

Krankengeld: Ein-Wochen-Frist bei der Krankmeldung: Das ist zu beachten

Regelmäßig zahlt die Krankenkasse kein Krankengeld, wenn ihr die Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung (AU) nicht rechtzeitig vorlag. Der Arbeitnehmer trägt aber keine Schuld, wenn sein Arzt kurzfristig einen Termin verschiebt und die Bescheinigung deshalb verspätet zugeht. Das hat das Sozialgericht (SG) München entschieden.

Der Arbeitnehmer (Kläger) war arbeitsunfähig geschrieben und erhielt Krankengeld. Er suchte seinen behandelnden Klinikarzt auf, um eine weitere AU-Bescheinigung zu erhalten. Dessen Termine hatten sich jedoch an diesem Tag verschoben, sodass der Kläger erst um 17 Uhr statt wie vorgesehen um 16 Uhr mit dem Arzt sprechen konnte. Zu diesem Zeitpunkt waren die Schreibkräfte nicht mehr anwesend. Daher stellte der Arzt die AU-Bescheinigung nicht am selben Tag aus. Der Kläger erhielt die Bescheinigung vielmehr erst fünf Tage später per Post zugeschickt. Er leitete die Bescheinigung sofort an seine Krankenkasse (Beklagte) weiter. Diese zahlte kein Krankengeld, da die Bescheinigung nicht innerhalb einer Woche bei ihr eingegangen sei. Das SG hat den Anspruch auf Krankengeld bestätigt. Der Kläger habe die Frist eingehalten.

Eine Krankenkasse kann sich nicht auf einen verspäteten Zugang der AU-Bescheinigung berufen, wenn dieser auf von ihr zu vertretenden Organisationsmängeln beruht und der Versicherte hiervon weder wusste noch wissen musste. Hier hatte die Beklagte diese Bescheinigung nicht am Tag der Untersuchung, sondern erst mit fünftägiger Verspätung erhalten. Dies könne jedoch nicht dem Kläger angelastet werden. Krankenkassen müssten sicherstellen, dass Ärzte als Leistungserbringer AU-Bescheinigungen unverzüglich aushändigen, so das SG.

Gegenüber dem Leistungserbringer habe die Krankenkasse zudem Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten, die ein Versicherter nicht habe. Keinesfalls darf die Krankenkasse die Ein-Wochen-Frist „kürzen“, indem sie auf den Tag der Untersuchung abstellt und nicht auf den Tag, an dem die AU-Bescheinigung dem Versicherten auch ausgehändigt wird bzw. zugeht. (SG München, Urteil vom 17.6.2020, S 7 KR 1719/19)

Ungleichbehandlung: Aufforderung zur Angabe der Konfession in Stellenanzeige

Wird der Bewerber in einer Stellenanzeige dazu aufgefordert, seine Konfession anzugeben, kann dies ein ausreichendes Indiz für einen Verstoß (unterschiedliche Behandlung wegen der Religion) nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sein. So hat es nun das Arbeitsgericht (ArbG) Karlsruhe entschieden.

Es ging um die Stellenanzeige in Bezug auf eine Sekretariatsstelle im Büro einer geschäftsleitenden Oberkirchenrätin. Die Klägerin hatte angegeben, konfessionslos zu sein. Sie war bei der Besetzung der Stelle nicht berücksichtigt worden.

Die Klägerin wurde, so das ArbG, wegen ihrer Religion benachteiligt. Eine berufliche Anforderung hier: Angehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft wäre nur gerechtfertigt gewesen, wenn sie angesichts des Ethos der Kirche und der Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Erbringung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Die Beweislast hierfür trägt der Arbeitgeber.

Hier ging es jedoch (lediglich) um eine Mitarbeit im Sekretariat. Die Klägerin hätte die Beklagte also nicht in ihren Glaubensgrundsätzen und in Fragen der Verkündigung oder des Selbstverständnisses der Kirche vertreten (sog. verkündungsferne Tätigkeit). Am Ende musste die Beklagte der Klägerin über 5.000 EUR als Entschädigung zahlen. (ArbG Karlsruhe, Urteil vom 18.9.2020, 1 Ca 171/19)

Pflichtverletzung: Rechnungen besser genau prüfen

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hat jetzt verdeutlicht: Ein Arbeitnehmer, der eine Rechnung als sachlich und rechnerisch richtig zeichnet, ohne dies geprüft zu haben bzw. in dem Wissen, dass dieses nicht zutrifft, haftet für einen Schaden, der durch die Begleichung der Rechnungssumme entsteht.

Im Streitfall ging es um eine aufaddierte Rechnungssumme von über 260.000 Euro im Baugewerbe, die trotz eines sog. Vier-Augen-Prinzips im betrieblichen Ablauf beglichen wurde, ohne dass entsprechende Leistungen erbracht wurden. Das Arbeitsgericht (AG) Stralsund als Vorinstanz erkannte eine Schadenersatzsumme von rund 170.000 Euro an.

Im vorliegenden Fall erfülle das Verhalten des Arbeitnehmers zumindest die Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit, die regelmäßig eine volle Haftung bewirke, so das LAG Mecklenburg-Vorpommern. (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 12.5.2020, 2 Sa 180/19)