Vertragsrecht: Kein Vertrag mit dem Stromgrundversorger bei Verwechslung der Zählernummer?

Das Amtsgericht (AG) Frankfurt am Main hat entschieden: Trotz tatsächlicher Entnahme von Strom kommt ausnahmsweise kein Vertrag mit dem Grundversorger zustande, wenn der Verbraucher irrtümlich einen Stromlieferungsvertrag mit einem Wahlversorger für eine fremde Zählernummer abschließt.

Der Grundversorger begehrte von der beklagten Verbraucherin, zwei Schlussrechnungen aus einem vermeintlich geschlossenen Stromlieferungsvertrag für die Jahre 2018 und 2019 zu zahlen. Die Beklagte war Mitte 2018 in eine Mietwohnung eingezogen. Bei der Wohnungsübergabe kam es durch die Immobilienverwaltung zu einer Verwechslung zwischen den im selben Obergeschoss gelegenen Wohneinheiten und den dazugehörigen Zählernummern. In der Folge schloss die Beklagte Stromlieferungsverträge für die ihr mitgeteilte (falsche) Zählernummer mit anderen Stromversorgern ihrer Wahl ab und zahlte an diese. Nachdem die Verwechslung Mitte 2019 aufgefallen war, teilte die Beklagte dies ihrem letzten Wahlversorger mit. Daraufhin korrigierte dieser seine Abrechnungen gegenüber der Beklagten entsprechend. Die Klägerin stellte ihrerseits der Beklagten den auf der richtigen Zählernummer erfolgten Verbrauch in Rechnung.

Die Klage des Grundversorgers hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des Gerichts war zwischen den Parteien kein Stromlieferungsvertrag zustande gekommen. Zwar könne ein Stromlieferungsvertrag auch dadurch zustande kommen, dass der vom Grundversorger angebotene Strom tatsächlich durch den Verbraucher entnommen wird. Dies gelte allerdings dann nicht, wenn wie hier der Verbraucher im gleichen Zeitraum einen Vertrag mit einem Wahlversorger abgeschlossen hat. In diesem Fall wolle der Verbraucher lediglich die vertragsgemäße Leistung seines Wahlversorgers und nicht die des Grundversorgers entgegennehmen. Ein Zahlungsanspruch der Klägerin ergebe sich wegen des Vorrangs des mit dem Wahlversorger geschlossenen Vertrags dann auch nicht aus sonstigen gesetzlichen Bestimmungen.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle: AG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.4.2022, 29 C 903/21 (19), PM vom 31.10.2022

Lebensversicherung: Fristbeginn des Widerspruchs „ab Erhalt der Unterlagen“

Eine Widerspruchsbelehrung zu einem Lebensversicherungsvertrag, die für den Beginn des Fristenlaufs für den Widerspruch auf „den Erhalt“ der Unterlagen abstellt, ist ausreichend. So entschied es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Dresden.

Die Begründung des OLG: Ohne dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen kennen muss, wird er nach seinem maßgeblichen Empfängerhorizont die Belehrung so verstehen, dass die Frist durch den Zugang der genannten Unterlagen in Gang gesetzt wird und 14 Tage später am gleichen Wochentag abläuft. Die Belehrung vermittelt insbesondere nicht den falschen Eindruck, der Tag des Zugangs des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen zähle mit.

Quelle: OLG Dresden, Beschluss vom 6.1.2022, 4 U 2394/21

Falsche Versprechungen: „Idyllisches Wohnen“ entpuppt sich als Täuschung: Maklerin muss Courtage zurückzahlen

Der Käufer eines Grundstücks kann den Kaufvertrag wegen Täuschung anfechten, wenn ihm der Verkäufer in wesentlichen Punkten falsche Versprechungen gemacht hat. In diesem Fall verliert auch die Immobilienmaklerin ihren Anspruch auf die Maklercourtage, und zwar auch dann, wenn sie nichts von der Täuschung wusste. Die bereits gezahlte Maklercourtage muss sie wieder zurückzahlen. Das entschied das Landgericht (LG) Frankenthal in einem aktuellen Verfahren.

Das war geschehen

Ein Ehepaar aus Baden erwarb Ende 2016 eine Immobilie im Außenbereich einer kleinen Gemeinde im Landkreis Germersheim. Im Exposé der Maklerin wurde das Objekt beworben mit: „Idyllisches Wohnen in ruhiger sonniger Alleinlage“. Allerdings hatte der Verkäufer noch vor dem Verkauf von der Baubehörde erfahren, dass das Außenbereichsgelände nur in Kombination mit einem landwirtschaftlichen Betrieb zu Wohnzwecken genutzt werden dürfe. Den Käufern, die somit dort nicht wohnen durften, teilte er dies jedoch nicht mit. Auch die Maklerin hatte davon keine Kenntnis.

Anfechtung des Kaufvertrags

Als das Ehepaar im Laufe des Jahres 2017 erfuhr, dass die erworbene Immobilie für sie nicht als Wohnhaus nutzbar war, erklärten sie die Anfechtung des Kaufvertrags, mit der Folge, dass dieser rückwirkend unwirksam wurde. Damit war auch dem Anspruch der Maklerin auf die Vermittlungsprovision der Rechtsgrund entzogen, so das LG. Der Anspruch bestehe nur bei wirksamem Abschluss eines Kaufvertrags. Das Risiko, dass diese Wirksamkeit wieder wegfalle, trage die Maklerin.

Keine Verjährung

Der Anspruch auf Rückzahlung der Maklerprovision sei auch noch nicht verjährt. Die Verjährungsfrist betrage in diesen Fällen drei Jahre ab Kenntnis der Gründe für die Rückforderung. Diese Kenntnis erlangten die Käufer zwar bereits im Jahr 2017, als sie von der arglistigen Täuschung durch den Verkäufer erfuhren. Folglich wären in diesem Zusammenhang stehende Ansprüche normalerweise mit Ablauf des Jahres 2020 verjährt. Jedoch hatten die Eheleute bereits im Dezember 2020 einen Mahnbescheid beantragt, sodass der Lauf der Verjährung ab diesem Zeitpunkt gehemmt war. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle: LG Frankenthal, Urteil vom 6.4.2022, 4 O 208/21, PM vom 31.5.2022

Flugverspätung: Ausgleichsanspruch für Fluggäste bei verspäteten Anschlussflügen unterschiedlicher Airlines

Der Ausgleichsanspruch für Fluggäste wegen großer Verspätung gilt auch bei einem Flug mit direkten Anschlussflügen, bei dem die Flüge von unterschiedlichen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden. Wurden die Flüge von einem Reisebüro kombiniert, das einen Gesamtpreis in Rechnung gestellt und einen einheitlichen Flugschein ausgegeben hat, ist unerheblich, dass zwischen den Luftfahrtunternehmen keine rechtliche Beziehung besteht. So hat es der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden.

Das war geschehen

Ein Fluggast erwarb über ein Reisebüro einen elektronischen Flugschein über drei Flüge für die Strecke von Stuttgart nach Kansas City. Der erste Flug, von Stuttgart nach Zürich, wurde von Swiss International Air Lines durchgeführt, während die beiden Flüge von Zürich nach Philadelphia und von Philadelphia nach Kansas City von American Airlines durchgeführt wurden. Auf den Bordkarten für diese Flüge war die Nummer des elektronischen Flugscheins verzeichnet. Außerdem war auf dem Flugschein American Airlines als Dienstleistungserbringerin angegeben, und der Flugschein war mit einer einheitlichen Buchungsnummer für die gesamte Strecke versehen. Darüber hinaus stellte das Reisebüro eine Rechnung aus, die einen Gesamtpreis für die gesamte Strecke sowie für den Rückflug auswies.

Die Flüge von Stuttgart nach Zürich und von Zürich nach Philadelphia fanden planmäßig statt. Der Flug von Philadelphia nach Kansas City dagegen war bei der Ankunft um mehr als vier Stunden verspätet. Vor den deutschen Gerichten klagte flightright, eine Gesellschaft für Rechtshilfe für Fluggäste, an die die durch diese Verspätung entstandenen Ansprüche abgetreten worden waren, gegen American Airlines auf eine Ausgleichszahlung von 600 Euro nach der Verordnung Nr. 261/2004 über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen. Der mit der Sache befasste Bundesgerichtshof (BGH) hat dem EuGH Fragen zur Auslegung dieser Verordnung vorgelegt.

So sieht es der Europäische Gerichtshof

Der EuGH entschied: Der Begriff „direkte Anschlussflüge“ erfasst einen Beförderungsvorgang mit Ausgangspunkt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union,

  • der aus mehreren Flügen besteht,
  • die von unterschiedlichen, nicht durch eine rechtliche Beziehung miteinander verbundenen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden,
  • wenn diese Flüge von einem Reisebüro zusammengefasst wurden,
  • das für diesen Vorgang einen Gesamtpreis in Rechnung gestellt und
  • einen einheitlichen Flugschein ausgegeben hat.

Der EuGH weist darauf hin, dass der Begriff „direkte Anschlussflüge“ so zu verstehen ist, dass er zwei oder mehr Flüge bezeichnet, die für die Zwecke des in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruchs von Fluggästen eine Gesamtheit darstellen. Eine solche Gesamtheit liegt vor, wenn die Flüge Gegenstand einer einzigen Buchung waren.

Beförderungsvorgang beruhte auf einer einzigen Buchung

Hier verfügte der Fluggast über einen Flugschein, der einen Beleg dafür darstellte, dass die Buchung der gesamten Reise von Stuttgart nach Kansas City von einem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert worden war. Bei einem solchen Beförderungsvorgang ist davon auszugehen, dass er auf einer einzigen Buchung beruht, sodass es sich um „direkte Anschlussflüge“ handelt. Die Flüge, um die es hier ging, wurden von unterschiedlichen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt, zwischen denen keine rechtliche Beziehung bestand. Der EuGH stellte fest, dass die Verordnung über Ausgleichsleistungen für Fluggäste keine Bestimmung enthält, wonach die Einstufung als Flug mit direkten Anschlussflügen davon abhängt, dass eine besondere rechtliche Beziehung zwischen den ausführenden Luftfahrtunternehmen besteht, die die einzelnen Flüge, aus denen sich der Flug zusammensetzt, durchführen. Eine solche zusätzliche Bedingung würde dem Ziel der Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus für Fluggäste zuwiderlaufen, da dadurch namentlich deren Ausgleichsanspruch bei großer Verspätung ihres Flugs beschränkt werden könnte.

Quelle: EuGH, Urteil vom 6.10.2022, C-436/21

Hassrede: Nachholung im Prozess: unterlassene Anhörung vor Löschung eines Posts bei Facebook

Hassrede oder freie Meinungsäußerung? Das beschäftigt häufig die Gerichte. Nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) sind die Regelungen in den Nutzungsbedingungen unwirksam, die Facebook in einem Fall der Hassrede eine Befugnis zur Löschung dieses Posts einräumen. Sie sehen kein Verfahren vor, aufgrund dessen der betroffene Nutzer über die Entfernung umgehend informiert, ihm der Grund dafür mitgeteilt und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt wird, woran sich eine neue Entscheidung mit der Möglichkeit der Wiederfreischaltung des Posts anschließt. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat nun entschieden, dass die fehlende Anhörung seitens der Beklagten im Verfahren nachgeholt werden kann. Außerdem hat es entschieden: Wenn die Anhörung zu keiner anderen Bewertung führt, kann der betroffene Nutzer dann nicht die Wiederfreischaltung des Posts beanspruchen. Das Löschungsrecht ergebe sich in diesem Fall bei einem vertragswidrigen Post aus dem Nutzungsvertrag.

Das war geschehen

Die Beklagte ist in Deutschland Vertragspartnerin der Nutzer von Facebook. Der Kläger stimmte den im April 2018 geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten zu. Im November 2018 postete er im Zusammenhang mit einem Artikel über die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Afghanen in einer Flüchtlingsunterkunft, in deren Verlauf diese untereinander Messer eingesetzt hatten, u.a.: „Solange diese sich gegenseitig abstechen ist es doch o. k. Ist jemand anderer Meinung? Messer-Emoji“. Die Beklagte löschte diesen Beitrag und sperrte außerdem vorübergehend Teilfunktionen des klägerischen Kontos. Der Kläger begehrte daraufhin vor dem Landgericht (LG) unter anderem die Freischaltung des gelöschten Beitrags. Das LG hat die Klage abgewiesen.

Berufungsinstanz: Kein Anspruch auf Wiederfreischaltung

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Wiederfreischaltung des gelöschten Posts. Der Post sei zwar eine Meinungsäußerung. Er verstoße aber gegen die über die Nutzungsbedingungen einbezogenen Bestimmungen in den Gemeinschaftsstandards zur Hassrede. Der Begriff der Hassrede sei hinreichend transparent und in den Regelungen selbst definiert worden. Erfasst würden u.a. „Angriffe durch eine gewalttätige und entmenschlichende Sprache, durch Aussagen über Minderwertigkeit und durch Aufrufe, Personen auszuschließen und zu isolieren“. Die Beklagte sei auch berechtigt, ein Verbot von Hassrede vorzusehen, „durch das auch nicht strafbare oder rechtsverletzende Meinungsäußerungen erfasst werden“. Sie dürfe den Nutzern ihres Netzwerks bestimmte Kommunikationsstandards vorgeben, die über die strafrechtlichen Vorgaben hinausgingen. Die Verhaltensregeln sollten einen Kodex für „einen respektvollen Umgang miteinander“ enthalten.

Post entspricht den Merkmalen von Hassrede

Hier verstehe der flüchtige Leser die Äußerung so, dass es dem Kläger „gleichgültig ist bzw. er es in Ordnung finde, wenn afghanische Flüchtlinge sich gegenseitig abstechen“. Dies unterfalle dem Bereich der Hassrede.

Bundesgerichtshof: Regelungen zum Löschen von Posts unwirksam

Soweit die Löschung des Posts erfolgte, ohne den Kläger umgehend zu informieren und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme mit anschließender Neuentscheidung zu gegeben, könne die Beklagte sich zwar nicht auf ihre Regelungen zum Entfernungs- und Sperrvorbehalt berufen. Diese seien gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) unwirksam.

Anhörung erfolgte nachträglich im Prozess

Die Beklagte sei aber zur Löschung unmittelbar aus dem Nutzungsvertrag berechtigt. Die Verfahrensanforderungen zur Information des Betroffenen über die Löschung ergäben sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Durch die Unwirksamkeit der Klausel über den Entfernungs- und Sperrvorbehalt sei im vertraglichen Gefüge eine Lücke entstanden, die im Wege der Auslegung zu schließen sei. Über diese ergänzende Vertragsauslegung sei die Beklagte verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung eines Beitrags zu informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme und Neuentscheidung zu geben. Dies sei im Rahmen des hiesigen Prozesses nachgeholt worden. Der anfängliche Anhörungsfehler sei damit nachträglich geheilt worden.

Grundsätzliche Bedeutung: BGH muss klären

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das OLG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BGH u.a. hinsichtlich des dargestellten Antrags auf Wiederherstellung des gelöschten Artikels zugelassen.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 30.6.2022, 16 U 229/20, PM 54/22

Steuerregeln: Steuerguide für Influencer

Influencer können häufig von ihren Einnahmen ihren Lebensunterhalt bestreiten und erzielen mitunter hohe Einkommen. Damit werden sie unter Umständen steuerpflichtig. Das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg hat in einem Steuerguide mit zielgruppengerechter Ansprache die wichtigsten Steuerregeln für Influencer zusammengestellt. Der Steuerguide, der unter www.iww.de/s6972 heruntergeladen werden kann, gibt einen kurzen Überblick darüber, welche Steuerarten für Influencer infrage kommen können und ob Betroffene ihre Tätigkeit beim Finanzamt anzeigen müssen.

Tetanusimpfung: Impfreaktion ist kein Impfschaden

Die Anerkennung eines Impfschadens setzt voraus, dass eine Impfreaktion grundsätzlich ärztlich dokumentiert wird, diese über eine bloße übliche Nebenwirkung des verwendeten Impfstoffes hinausgeht und es letztlich zu einer Funktionsstörung kommt. So entschied es jetzt das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg.

Das war geschehen

Die Klägerin stürzte im Dezember 2015 und zog sich dabei eine Wunde an der rechten Hand und eine Prellung am Knie zu. Noch am selben Tag wurde sie mit einem Kombinationswirkstoff gegen Tetanus und Diphtherie geimpft. In der Folge bildete sich an der Einstichstelle auf der linken Schulter ein Granolom (körnchenförmige Gewebeneubildung).

Heilbehandlung wurde gewährt

Mit Bescheid vom Juni 2017 erkannte das Land Baden-Württemberg als Folge einer Impfschädigung eine etwa 7×6 cm große, leicht verhärtete druckschmerzhafte Fläche im Bereich des Schultermuskels und innerhalb dieser eine etwa 1,5 cm große rot-bläulich verfärbte Verhärtung an. Die Gewährung einer Beschädigtengrundrente wurde abgelehnt, da der Grad der Schädigung nur 10 betrage. Heilbehandlung werde aufgrund der anerkannten Schädigungsfolgen gewährt.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) machte die Klägerin geltend, sie leide an attackenartigem, schmerzhaftem Stechen und Brennen im linken Arm bis zum Unterarm. Sie könne sich nicht länger auf ihren linken Arm stützen oder den Arm hängen lassen. Ihre frühere Tätigkeit als Reinigungskraft könne sie aufgrund dessen nicht mehr ausüben. Ihr sei daher eine Beschädigtengrundrente zu gewähren.

Sozialgericht: Land muss Impfschaden anerkennen

Mit Gerichtsbescheid vom Dezember 2020 hat das SG das beklagte Land verpflichtet, als weitere Folge des bereits festgestellten Impfschadens eine Reizsymptomatik von Hautästen des linken Speichennervs anzuerkennen.

Landessozialgericht: Urteil aufgehoben

Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zu Unrecht habe der Beklagte einen Impfschaden festgestellt, sodass die Klägerin schon deshalb die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen nicht beanspruchen könne. Aufgrund der Impfung sei nur eine typische Nebenwirkung eingetreten, hier das bei der Klägerin aufgetretene Impfgranulom. Der erforderliche Nachweis einer gesundheitlichen Schädigung sei nicht erbracht, weil keine über die übliche Impfreaktion hinausgehende Impfkomplikation vorliege.

Ärztliche Dokumentation lag nicht vor

Die von der Klägerin darüber hinaus beschriebenen, angeblich nach der Impfung eingetretenen gesundheitlichen Veränderungen seien in keiner Weise ärztlich dokumentiert. Vielmehr habe bei der Klägerin bereits vor der streitigen Impfung eine ängstlich-depressive Symptomatik mit Ausbildung von Konversionssymptomen bestanden. Wesentliche Ursache dafür seien die erheblichen familiären und sozialen Probleme der Klägerin mit langjähriger psychosozialer Belastung und chronischer Überforderung bei Alkoholkrankheit des Ehemanns der Klägerin. Die Schmerzsymptomatik könne ebenfalls nicht auf die Impfung zurückgeführt werden, nachdem ein halbes Jahr nach der Impfung noch keine dauerhafte Schmerzmedikation erforderlich gewesen sei.

Im Übrigen seien bereits in der Vergangenheit orthopädisch Kopf- und Nackenschmerzen mit Ausstrahlungen in beide Schultergürtel beschrieben worden.

Quelle: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.4.2022, L 6 VJ 254/21, PM vom 20.6.2022

Nachbarrecht: Schuldrechtliches Wegerecht ist nicht kündbar

Bei einem zugunsten von Bewohnern eines Nachbargrundstücks schuldrechtlich begründeten Wegerecht darf dieses nicht gekündigt und ohne Zustimmung der Nachbarn nicht aufgehoben werden. So entschied es nun das Landgericht (LG) Aachen.

Wegerecht vereinbart

Immobilienkäufer vereinbarten mit den Verkäufern ein Wegerecht zugunsten der Nachbarn. Die Käufer verpflichteten sich, einen neben dem Haus und über den Hof verlaufenden Weg weiter zu dulden, offenzuhalten, zu unterhalten und die Benutzung durch die jeweiligen Bewohner der benachbarten Mittelwohnung zu gestatten und diese Pflicht an Rechtsnachfolger zu übergeben. Eine einseitige Beendigung durch die Käufer war ausgeschlossen. Die Käufer kündigten später das Wegerecht und verlangten Herausgabe des Gartentorschlüssels sowie festzustellen, dass sie nicht verpflichtet sind, den Zugang zu ihrem Grundstück für die Nachbarn zu erhalten.

Amtsgericht: Kündigung unwirksam

Vor dem Amtsgericht (AG) hatten die Käufer keinen Erfolg. Auch die Berufung blieb erfolglos. Das Wegerecht ist durch den Kaufvertrag als echter Vertrag zugunsten der Nachbarn wirksam eingeräumt worden. Dass ein eigenes Leistungsrecht und somit ein echter Vertrag zugunsten Dritter vorliegt, war dem Vertragszweck zu entnehmen. Der Zustand, dass die beklagten Nachbarn ihren Garten auch über das Grundstück der Käufer verlassen konnten, sollte aufrechterhalten und auch an Rechtsnachfolger weitergegeben werden. Damit sollten die Nachbarn begünstigt und berechtigt werden, das schuldrechtlich begründete Wegerecht durchzusetzen.

Der o. g. Kündigungsausschluss sei auch wirksam, so das LG. Denn § 544 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist nicht anwendbar. Vorliegend sei nämlich kein Mietvertrag über 30 Jahre gegeben, sondern ein Leihvertrag. Dieser kennt keine Bindungsgrenze. Selbst, wenn § 544 BGB mittelbar anzuwenden sei, wäre der Bindungszeitraum (30 Jahre) hier noch nicht abgelaufen.

Quelle: LG Aachen, Urteil vom 5.8.2021, 3 S 2/21

Unfallversicherungsschutz: Psychische Folgen eines Unfalls

Nach den Allgemeinen Bedingungen der Unfallversicherung (AUB 2008) sind krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen vom Versicherungsschutz ausgenommen, auch wenn sie Unfallfolgen sind. Für diesen Leistungsausschluss ist es unerheblich, ob sich die psychischen Reaktionen als medizinisch nicht nachvollziehbare Fehlverarbeitung darstellen, hat nun das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main entschieden und Ansprüche wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung nach einer Armverletzung zurückgewiesen.

Der Kläger ist bei der Beklagten unfallversichert (Invaliditätsgrundsumme: 25.000 Euro). Einbezogen wurden die AUB 2008. Vom Versicherungsschutz ausgenommen sind „krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, auch wenn diese durch den Unfall verursacht wurden“.

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Leistungen wegen unfallbedingter Invalidität geltend. Er beruft sich auf einen Unfall, bei dem er seinen rechten Ellenbogen an einem Heizkörper angestoßen habe mit einer anschließenden großflächigen Infektion des betroffenen Arms. Durch die Armverletzung sei es zu einer posttraumatischen Belastungsstörung gekommen. Die Beklagte verweist auf ihren Leistungsausschluss für psychische Reaktionen.

Das Landgericht (LG) hatte die Beklagte wegen festgestellter Dauerfolgen am Arm zur Zahlung von 12.500 Euro verurteilt und Ansprüche wegen krankhafter Veränderungen der Psyche zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Dem Kläger stünde wegen des vereinbarten Leistungsausschlusses für psychische Reaktionen keine weitere Invaliditätsleistung zu. Auch nach den Behauptungen des Klägers habe nicht der Anstoß an den Heizkörper selbst oder die daraus resultierende Entzündungsreaktion unmittelbar zu einer Veränderung der Hirnstruktur geführt. Er berufe sich vielmehr selbst auf eine posttraumatische Belastungsstörung als Folge der Funktionseinschränkungen am Arm.

Ob diese psychische Reaktion auf das körperliche Geschehen nachvollziehbar sei, könne offenbleiben. Der Ausschlusstatbestand erfasse nicht nur „Fehlverarbeitungen“. Es bestehe vielmehr schon dann kein Versicherungsschutz, wenn die Störung des Körpers „rein psychisch-reaktiver Natur ist“, wie hier. Der Ausschluss knüpfe an objektiv fassbare Vorgänge an. Es sei mit dem Wortlaut der Klausel kaum vereinbar, auf das Kriterium der „medizinischen Nachvollziehbarkeit“ abzustellen, da dieses auf eine Ursachenbetrachtung abziele, ob der Unfall mehr oder weniger zwangsläufig bzw. regelmäßig und unvermeidbar psychische Beschwerden der aufgetretenen Art hervorrufen konnte. Nach der Klausel seien jedoch psychische Reaktionen auch dann ausgeschlossen, „wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden“.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das Nichtzulassungsverfahren läuft vor dem Bundesgerichtshof (BGH) unter dem Aktenzeichen IV ZR 302/22.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 13.7.2022, 7 U 88/21, PM 74/22

Geschlechtszugehörigkeit: Deutsche Bahn: Keine Diskriminierung nicht-binärer Personen

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat die Vertriebstochter des größten deutschen Bahnkonzerns verpflichtet, es ab dem 1.1.2023 zu unterlassen, die klagende Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit zu diskriminieren, indem diese bei der Nutzung von Angeboten des Unternehmens zwingend eine Anrede als „Herr“ oder „Frau“ angeben muss.

Das war geschehen

Die Beklagte ist Vertriebstochter der Deutschen Bahn. Die klagende Person besitzt eine nicht-binäre Geschlechtsidentität. Die Person ist Inhaberin einer BahnCard und wird in diesbezüglichen Schreiben sowie Newslettern der Beklagten mit der unzutreffenden Bezeichnung „Herr“ adressiert. Auch beim Online-Fahrkartenverkauf der Beklagten ist es zwingend erforderlich, zwischen einer Anrede als „Frau“ oder „Herr“ auszuwählen. Die klagende Person ist der Ansicht, ihr stünden Unterlassungsansprüche sowie ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 5.000 Euro gegen die Beklagte zu, da deren Verhalten diskriminierend sei.

Landgericht: Unterlassungsanspruch ja, Entschädigung nein

Das Landgericht (LG) hatte den Unterlassungsansprüchen der klagenden Person stattgegeben, Entschädigungsansprüche allerdings abgewiesen.

Oberlandesgericht: Unterlassungsanspruch ja, Entschädigungsanspruch ja

Nun hat das OLG die Unterlassungsansprüche der klagenden Person bestätigt, dabei allerdings der Beklagten hinsichtlich des Unterlassungsgebots bezüglich der Nutzung von Angeboten der Beklagten eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende eingeräumt. Zudem hat es eine Entschädigung von 1.000 Euro zugesprochen. Die klagende Person könne wegen einer unmittelbaren Benachteiligung aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität bei der Begründung und Durchführung von zivilrechtlichen Schuldverhältnissen im Massenverkehr Unterlassung verlangen. Das Merkmal der Begründung eines Schuldverhältnisses sei dabei weit auszulegen und nicht nur auf konkrete Vertragsanbahnungen zu beziehen. Es umfasse auch die Verhinderung geschäftlicher Kontakte, wenn nicht-binäre Personen gezwungen würden, für einen Online-Vertragsschluss zwingend die Anrede „Herr“ oder „Frau“ auszuwählen.

Allerdings hat das OLG der Beklagten eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende von gut sechs Monaten eingeräumt. Dies bezieht sich vor allem auf die Nutzung des von der Beklagten zur Verfügung gestellten allgemeinen Buchungssystems für Online-Fahrkarten, das sich nicht nur an die klagende Person richtet. Das OLG hat die Frist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit im Hinblick auf den für die Anpassung nötigen Aufwand bemessen.

Umstellung ohne Übergangsfrist technisch möglich

Keine Umstellungsfrist hat das OLG gewährt, soweit sich der Unterlassungsanspruch der klagenden Person auf das Ausstellen von Fahrkarten, Schreiben des Kundenservice, Werbung und gespeicherte personenbezogene Daten bezieht. In der diesbezüglichen individuellen Kommunikation sei es für die Beklagte technisch realisierbar und auch im Hinblick auf den Aufwand zumutbar, dem Unterlassungsanspruch ohne Übergangsfrist zu entsprechen.

Benachteiligungsverbot: 1.000 Euro Entschädigung

Das OLG hat der klagenden Person zudem wegen der Verletzung des Benachteiligungsverbots eine Geldentschädigung in Höhe von 1.000 Euro zugesprochen. Denn die klagende Person habe infolge der Verletzung des Benachteiligungsverbots einen immateriellen Schaden erlitten. Sie erlebe „die Zuschreibung von Männlichkeit“ seitens der Beklagten als Angriff auf die eigene Person, die zu deutlichen psychischen Belastungen führe. Die Entschädigung sei angemessen, da sie der klagenden Person Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung und Zurücksetzung verschaffe. Abzuwägen seien dabei die Bedeutung und Tragweite der Benachteiligung für die klagende Person einerseits und die Beweggründe der Beklagten andererseits. Die Benachteiligungen für die klagende Person sei hier als so massiv zu bewerten, dass sie nicht auf andere Weise als durch Geldzahlung befriedigend ausgeglichen werden könnten. Zugunsten der Bahn sei aber zu berücksichtigen, dass keine individuellen Benachteiligungshandlungen erfolgt seien.

IT-Systeme sind umzustellen

Zudem handele es sich bei der Frage der Anerkennung der Persönlichkeitsrechte von Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität um eine neuere gesellschaftliche Entwicklung, die selbst in der Gleichbehandlungsrichtlinie aus dem Jahr 2004 (RL 2004/11/EG) noch keinen Niederschlag gefunden habe. So sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei Einführung ihrer Software in Bezug auf den Online-Ticketkauf bewusst oder absichtlich zur Benachteiligung nicht-binärer Personen eine geschlechtsneutrale Erwerbsoption ausgespart habe. Allerdings habe die Beklagte ihre IT-Systeme im Unterschied zu anderen großen Unternehmen bislang nicht angepasst. Zudem sei ihr vorzuhalten, dass sie gerade in der individuellen Kommunikation mit der klagenden Person so etwa hinsichtlich der BahnCard nach wie vor eine unzutreffende männliche Anrede verwende. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 21.6.2022, 9 U 92/20, PM 50/22 vom 21.6.2022