Zwangsmittel: Vollstreckung der Schulpflicht gegen Eltern eines zehnjährigen Schülers

Die Schulpflicht kann notfalls auch mit Zwangsmitteln gegen die Eltern durchgesetzt werden. Zu dieser Entscheidung ist das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht (VG) im Rahmen eines Eilverfahrens gekommen.

Die Eltern eines zehnjährigen Schülers hatten das Gericht um einstweiligen Rechtsschutz ersucht, weil sie Menschenrechte, die Verfassung und Europarecht verletzt sehen. Sie weigern sich trotz der Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 800 Euro, ihren Sohn zur Schule zu schicken. Ihr Kind soll zu Hause beschult werden, weil es in der Schule schädigenden Corona-Maßnahmen ausgesetzt gewesen sei. Ihr Sohn habe Angst vor Lehrkräften und sei vom großen Klassenverband belastet.

Den Eilantrag lehnte das VG postwendend ab: Der Antrag war bereits unzulässig, weil die Rechtsanwältin sich nicht der vorgeschriebenen elektronischen Form bedient hatte. Darüber hinaus verstießen die Eltern gegen die Schulpflicht. Ihr Sohn hatte seit vier Monaten die Schule nicht mehr besucht. Das Schulamt war berechtigt, gegen diese Pflichtverletzung mittels Zwangsgelds gegen die Eltern vorzugehen.

Die Schulpflicht ist weder verfassungswidrig noch verstößt sie gegen Europarecht oder grundlegende Menschenrechte. Wenn Probleme mit einer konkreten Schule nicht anders gelöst werden können, steht es den Eltern frei, eine andere staatliche oder private Schule für ihren Sohn zu wählen. Keine Schule zu wählen, ist keine rechtlich zu duldende Option.

Quelle: VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 2.12.2022, 9 B 30/22, PM vom 2.12.2022

Waldorfschule: Privatschulkündigung: Wenn Eltern wegen Corona-Maßnahmen drohen

Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat jetzt eine Privatschulkündigung nach Drohungen von Eltern wegen Corona-Schutzmaßnahmen bestätigt.

Die Eltern hatten gegenüber Lehrkräften und der Geschäftsleitung einer Freien Waldorfschule Drohungen, Unterstellungen und Vorwürfe im Hinblick auf die schulische Umsetzung der staatlichen Corona-Maßnahmen ausgesprochen. Daraufhin kündigte der beklagte Schulverein die Schulverträge für die Töchter. Der Eilantrag sowie die Beschwerde der Eltern dagegen blieben erfolglos.

Das OLG sagt: Die Eltern könnten sich nicht auf das Schulgesetz des Landes Baden-Württemberg (hier: § 90 Abs. 6 Schulgesetz BW) berufen. Dieser sieht einen Schulausschluss nur beim Fehlverhalten der Schüler. Diese Regelung gilt nicht für Schulen in freier Trägerschaft, da diese sich im Rahmen des grundgesetzlichen Rechts zur freien Schülerwahl von Schülern auch wieder trennen können müssten.

Nach dem OLG war hier zwischen den Interessen der Töchter daran, den Schulvertrag fortzusetzen und den Interessen der Privatschule daran, ihre Bildungsziele effektiv zu verwirklichen, abzuwägen: Beruhe das Konzept auf einer individuellen Betreuung der Schüler, müssten sich Schüler wie Eltern einordnen. Andernfalls bestehe ein billigenswertes Interesse der Schule daran, sich vom Vertrag lösen zu können. Die Kündigungen seien nicht rechtsmissbräuchlich.

Die Eltern könnten sich angesichts ihres unangemessenen Verhaltens, das verschwörungstheoretische Anleihen nehme und sich auf konkrete Drohungen und Unterstellungen erstrecke, nicht auf das grundgesetzliche Recht der Meinungsäußerung berufen. Ziel sei nicht gewesen, einen kritischen Diskurs zu unterbinden.

Quelle: OLG Stuttgart, Beschluss vom 7.9.2022, 4 W 75/22

Testament: Was darf der Erblasser im Hinblick auf Auflagen regeln?

Der Spielraum des Erblassers für Auflagen ist sehr groß. Sie dürfen an objektiven Kriterien gemessen sinnfrei, sogar unsinnig sein, ohne dass dies allein zu einer Unwirksamkeit führt. Der Erblasser kann sich grundsätzlich also bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit Auflagen ausdenken. Sofern sie nicht gegen die guten Sitten verstoßen und den höchstpersönlichen Bereich des durch die Auflagen Beschwerten nicht tangieren, sind sie wirksam. Dem Erblasser muss es im Wege der grundrechtlich geschützten Testierfreiheit möglich sein, die Erbfolge nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten, sodass eine Sittenwidrigkeit nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen angenommen werden kann. Einen solchen schwerwiegenden Ausnahmefall hat das Landgericht (LG) Bochum nun bejaht.

Die spätere Erblasserin setzte ihre Tochter und ihre Enkelin in einem notariellen Testament zu ihren Erben ein. Es störte sie wohl eine außereheliche Beziehung der Tochter. Diese war zwar noch „auf dem Papier“ verheiratet, hatte aber einen neuen Lebenspartner gefunden, mit dem sie teilweise in ihrer Wohnung im Haus der Erblasserin zusammenwohnte. Daher verfügte die Erblasserin in ihrem Testament: „Die Erben haben dafür zu sorgen, dass es Herrn M. (Anm.: der Lebenspartner der Tochter) auf Dauer untersagt wird, das Grundstück … zu betreten. Den Erben ist es darüber hinaus untersagt, das Grundstück oder Teile davon an Herrn M. oder dessen Abkömmlinge zu veräußern, zu verschenken oder auf sonstige Weise zu übertragen.“ Die Auflage sicherte die Erblasserin über eine Testamentsvollstreckung ab. Bei einem Verstoß gegen die Auflage sollte der Testamentsvollstrecker die Immobilie verkaufen und eine Hälfte des Erlöses den Erben und die andere Hälfte einer gemeinnützigen Organisation auskehren.

Die Erben klagten, festzustellen, dass die Auflage nichtig ist. Das LG gab ihnen Recht.

Quelle: LG Bochum, Urteil vom 29.4.2021, 8 O 486/20

Vertragserfüllung: Ehefrau kann vom Ehemann „Abendgabe“ verlangen

Nach dem Grundsatz „Verträge sind zu halten“ muss der Ehemann nach der Scheidung der Ehefrau eine vereinbarte „Abendgabe“ zahlen, also ein Geschenk als Dank für die „erstmalige Hingabe“. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg entschieden.

Das war geschehen

Die Eheleute hatten 2006 in Libyen geheiratet. Dabei hatte sich der Ehemann verpflichtet, der Frau anlässlich der Eheschließung eine goldene englische Münze und im Fall einer Scheidung eine sog. „Abendgabe“ von 50.000 US-Dollar zu zahlen. Nachdem das Ehepaar nach Deutschland übergesiedelt war, wurde die Ehe 2021 geschieden. Die Frau verlangte vom Mann, die übernommene Zahlungspflicht zu erfüllen. Das lehnte der Mann ab. Die Klausel über die Abendgabe sei wegen einer Änderung der Verhältnisse anzupassen. Anders als in Deutschland gebe es in ihrem Heimatland keine staatliche Absicherung. Hier in Deutschland sei die Ehefrau auf die Abendgabe nicht mehr angewiesen. Sie lebe jetzt in einem Pflegeheim und habe daher keinen weiteren Versorgungsbedarf.

„Verträge sind zu halten“

Das Amtsgericht (AG) und das OLG sahen das anders: Es gelte der Grundsatz „Verträge sind zu halten“. Eine Vertragsanpassung sei nicht deswegen geboten, weil die Frau jetzt von Sozialleistungen lebe. Sozialhilfe sei eine nachrangige Leistung, die die Bedürftigkeit als solche nicht entfallen lasse. Der Anspruch eines Hilfsbedürftigen, der staatliche Unterstützung erhalte, gegen einen Dritten gehe auf den Staat über. Auch die Tatsache, dass der Mann kein Erwerbseinkommen hat, führe nicht zu einer Vertragsanpassung. Es liege im Risikobereich desjenigen, der eine vertragliche Verpflichtung eingehe, diese später auch erfüllen zu können.

Quelle: OLG Oldenburg, Urteil vom 1.6.2022, 13 UF 82/21, PM vom 21.7.2022

Erbschaftsteuerbefreiung: Kein Wegfall bei unzumutbarer Selbstnutzung des Familienheims

Zieht der überlebende Ehepartner aus dem geerbten Familienheim aus, weil ihm dessen weitere Nutzung aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist, entfällt die ihm beim Erwerb des Hauses gewährte Erbschaftsteuerbefreiung nicht rückwirkend. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) nun entschieden.

Die Klägerin hatte mit ihrem Ehemann ein Einfamilienhaus bewohnt und wurde nach dessen Tod aufgrund Testaments Alleineigentümerin. Nach knapp zwei Jahren veräußerte sie das Haus und zog in eine Eigentumswohnung. Die Klägerin berief sich gegenüber dem Finanzamt und dem Finanzgericht (FG) erfolglos darauf, sie habe wegen einer depressiven Erkrankung, die sich nach dem Tod ihres Ehemanns gerade durch die Umgebung des ehemals gemeinsam bewohnten Hauses verschlechtert habe, dieses auf ärztlichen Rat verlassen. Das FG war der Ansicht, es habe keine zwingenden Gründe für den Auszug gegeben, da der Klägerin nicht die Führung eines Haushalts schlechthin unmöglich gewesen sei.

Der BFH hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Grundsätzlich setzt die Steuerbefreiung (hier: gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b Erbschaftsteuergesetz ErbStG) voraus, dass der Erbe für zehn Jahre das geerbte Familienheim selbst nutzt, es sei denn, er ist aus „zwingenden Gründen“ daran gehindert. „Zwingend“, so der BFH, erfasse nicht nur den Fall der Unmöglichkeit, sondern auch die Unzumutbarkeit der Selbstnutzung des Familienheims. Diese könne auch gegeben sein, wenn der Gesundheitszustand des Erben durch den Verbleib im Familienheim erheblich beeinträchtigt wird.

Das FG muss deshalb im zweiten Rechtsgang, ggf. mit Hilfe ärztlicher Begutachtung, die geltend gemachte Erkrankung einschließlich Schwere und Verlauf prüfen.

Quelle: BFH, Urteil vom 1.12.2021, II R 1/21, PM 030/22

Homosexuelle nichteheliche Beziehung: Künstliche Befruchtung: Neues zum Umgangsrecht

Zeugen die Partner einer homosexuellen nichtehelichen Beziehung aufgrund eines gemeinsamen Entschlusses mittels künstlicher Befruchtung Kinder, bestimmt sich das Umgangsrecht des nicht rechtlichen Elternteils nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1685 BGB). So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe entschieden und erläutert, welche Konsequenzen das hat.

Was war geschehen?

Die Partner einer gleichgeschlechtlichen nichtehelichen Lebensgemeinschaft hatten einen gemeinsamen Kinderwunsch. Daher trug die eine Partnerin (P1) zwei im Wege der künstlichen Befruchtung gezeugte Kinder aus. Eine Stiefkindadoption erfolgte nicht. Bis zur Trennung versorgte, betreute und erzog die andere Partnerin (P2) die Kinder. Danach verweigerte P1 der P2 jeglichen Umgang mit den Kindern.

So entschied das Oberlandesgericht

Das OLG erkannte zwar, dass P2 eine enge Bezugsperson im Sinne der o. g. Vorschrift war. Denn es habe eine soziale-familiäre Beziehung bestanden. Es wäre darüber hinaus aber auch festzustellen gewesen, dass der Umgang von P2 mit den Kindern dem Kindeswohl dient. Zum Wohl des Kindes gehört der Umgang mit anderen Personen, zu denen es Bindungen besitzt. Dies gilt aber nur, wenn die Aufrechterhaltung der Bindungen für die Entwicklung der Kinder förderlich ist.

Kinder in Loyalitätskonflikten

Hierzu stelle das OLG fest: Angesichts der nicht aufgearbeiteten Trennung, der Konflikte auf der Paarebene, der strikten Ablehnung jeglichen Umgangs der P2 und des für die Kinder daraus resultierenden Loyalitätskonfliktes können keine Umgangskontakte stattfinden, die die Kinder nicht erheblich beeinträchtigen würden. Es ist zu erwarten, dass der Loyalitätskonflikt im Fall der Anordnung von Umgangskontakten durch die Kinder nicht aufgearbeitet, sondern sich durch die tatsächliche Umsetzung erzwungener Umgangskontakte weiter verschärfen würde.

Quelle: OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.6.2022, 18 UF 22/22

Testament: Alleinerbe – auch wenn andere ebenfalls etwas erben

Auch wenn nach dem Wortlaut eines Testaments mehrere Personen etwas „erben“ sollen, kann die Auslegung ergeben, dass nur eine Person Alleinerbe werden sollte und die übrigen Begünstigten mit Vermächtnissen bedacht werden sollten. Hierfür spricht, wenn die einer Person zugewandten Vermögenswerte aus Sicht des Erblassers den wesentlichen Teil seines Nachlasses darstellen und diese Person nach dem Testament auch für die „Beerdigung und Folgekosten“ verantwortlich zeichnen sollte. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken entschieden.

Was war geschehen?

Der Erblasser hatte ein privatschriftliches Testament errichtet. Darin bezeichnete er seine Lebensgefährtin als „Erbe“ für sein Haus. Nach dem weiteren Wortlaut „erbte“ diese auch das Barvermögen. Seine Grundstücke und Anteile daran „vererbe“ der Erblasser seinen Nichten und einem Neffen. Für die Beerdigung und Folgekosten zeichne seine Lebensgefährtin verantwortlich, heißt es in dem Testament weiter.

Testament nicht eindeutig: Auslegung erforderlich

Der Wortlaut des Testaments sei nicht eindeutig, was zur Auslegung nötige, so das OLG. Dafür, dass der Erblasser die Lebensgefährtin zu seiner Alleinerbin einsetzen wollte, spreche vor allem, dass die ihr ausdrücklich zugewandten Gegenstände das übrige Vermögen in ihrem Wert ganz erheblich übertreffen und vom Erblasser erkennbar als sein wesentlicher Nachlass angesehen wurden. Zudem komme es bei der Entscheidung, ob eine Person als Erbe eingesetzt ist, wesentlich darauf an, wer nach dem Willen des Erblassers den Nachlass regeln und die Nachlassschulden, zu denen auch die Bestattungskosten gehören, tilgen muss. Außerdem komme es darauf an, ob der Bedachte unmittelbar Rechte am Nachlass oder nur Ansprüche gegen andere Bedachte erwerben soll.

Quelle: OLG Saarbrücken, Beschluss vom 30.3.2022, 5 W 15/22

Meldepflicht: Termin bei der Agentur für Arbeit versäumt? Kein automatischer Wegfall des Kindergeldes!

Mit (rechtskräftigem) Urteil hat das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz jetzt entschieden, dass ein als arbeitsuchend gemeldetes Kind, das keine Leistungen von der Agentur für Arbeit bezieht und lediglich seiner allgemeinen Meldepflicht nicht nachkommt, keine Pflichtverletzung begeht, die zum Wegfall des Kindergeldes führt.

Das war geschehen

Der Kläger erhielt für seine Tochter Kindergeld, die zum 1.1.2016 eine Ausbildung zur Altenpflegerin aufgenommen hatte. Bereits im November 2016 kündigte sie ihr Arbeitsverhältnis wegen einer problematischen Schwangerschaft und meldete sich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend. Ende Dezember 2016 meldete die Agentur für Arbeit die Tochter aus der Arbeitsvermittlung ab, weil sie ohne Angabe von Gründen nicht zu einem Termin erschienen und daher nicht verfügbar gewesen sei. Die Einstellung der Arbeitsvermittlung wurde der Tochter des Klägers, die zu diesem Zeitpunkt keine Leistungen von der Arbeitsagentur erhielt, nicht bekannt gegeben. In der Zeit von Januar 2017 bis Juni 2017 befand sich die Tochter des Klägers wegen Komplikationen in der Schwangerschaft und einer Darmerkrankung mehrfach in stationärer Behandlung. Ihr Sohn kam im April 2017 als Frühgeburt zur Welt.

Familienkasse wurde tätig

Im Januar 2020 erfuhr die beklagte Familienkasse vom Abbruch der Ausbildung im November 2016. Sie forderte das für die Zeit ab Januar 2017 gezahlte Kindergeld vom Kläger zurück, weil seine Tochter die Berufsausbildung abgebrochen habe und bei der Arbeitsvermittlung nicht bzw. nicht mehr als arbeitsuchendes Kind geführt worden sei.

Finanzgericht: Meldepflicht zwar verletzt…

Dagegen legte der Kläger erfolglos Einspruch ein und erhob dann Klage. Das FG gab der Klage für die Monate Januar 2017 bis Juni 2017 statt, weil der Kläger für diese Monate einen Anspruch auf Kindergeld für seine Tochter als arbeitsuchend gemeldetes Kind habe. Die Tochter sei zwar durch die Agentur für Arbeit zum 29.12.2016 aus der Arbeitsvermittlung abgemeldet worden, weil sie ohne Angabe von Gründen nicht zu einem Termin erschienen und daher nicht verfügbar gewesen sei. Die Einstellung der Arbeitsvermittlung sei der Tochter des Klägers allerdings nicht bekannt gegeben worden.

… aber Einstellung der Arbeitsvermittlung nicht bekannt gegeben

Daher sei die Arbeitsagentur nur dann zur Einstellung der Vermittlung berechtigt gewesen, wenn das arbeitsuchende Kind eine Pflichtverletzung begangen hätte. Denn die Pflicht der Arbeitsagentur zur Vermittlung des Arbeitsuchenden bestehe grundsätzlich unbefristet. Bei einem Arbeitsuchenden, der wie die Tochter des Klägers keine Leistungen beziehe, dürfe die Arbeitsagentur die Vermittlung erst dann einstellen, wenn die dem Arbeitsuchenden z.B. in einer Eingliederungsvereinbarung oder in einem förmlichen Bescheid auferlegten Pflichten ohne wichtigen Grund nicht erfüllt worden seien. Eine solche Pflichtverletzung liege hier jedoch nicht vor, weil die Tochter des Klägers lediglich ihrer allgemeinen Meldepflicht im Sinne des Sozialgesetzbuchs (§ 309 SGB III) nicht nachgekommen sei.

Kein Kindergeld nach Vollendung des 21. Lebensjahrs

Für die Monate ab Juli 2017 wurde die Klage abgewiesen, weil die Tochter des Klägers im Juni 2017 ihr 21. Lebensjahr vollendet hatte und ein als arbeitsuchend gemeldetes Kind kraft Gesetzes nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres berücksichtigt werden kann.

Quelle: FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13.7.2022, 2 K 2067/20, PM vom 13.7.2022

Bundessozialgericht: Kinderzuschlag grundsätzlich nur für erwerbsfähige Eltern

Kann kein Familienmitglied hilfebedürftig im Sinne des Sozialgesetzbuchs (SGB II) sein, besteht kein Anspruch auf Kinderzuschlag. Dies gilt auch, wenn Grund für die fehlende Hilfebedürftigkeit die mangelnde Erwerbsfähigkeit der Eltern ist. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) nun entschieden.

Die Klägerin Mutter dreier unter 15 Jahre alter Kinder und ihr Ehemann waren beide schon dem Grunde nach nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II. Sie waren anders als in der Grundsicherung für Arbeitsuchende vorausgesetzt nicht erwerbsfähig. Ihr Leistungsvermögen war zeitlich auf unter drei Stunden täglich begrenzt. Hieraus folgt, dass sie auch nicht hilfebedürftig im Sinne der Grundsicherung für Arbeitsuchende sein konnten. Damit konnte durch den Kinderzuschlag aber auch Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II weder vermieden noch deren Bestehen ausgeschlossen werden. Dies ist jedoch Anspruchsvoraussetzung für den Kinderzuschlag.

Der Kinderzuschlag hat einen sozialpolitischen Zweck: Es sollen Familien unterstützt werden, bei denen der SGB II-Leistungsbezug sich allein aus dem Bedarf der Kinder ergibt, während die Eltern ihren Bedarf zumindest zum überwiegenden Teil durch Erwerbseinkommen selbst decken können. Da in diesem Fall auch kein anderes Familienmitglied die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II erfüllte, hat das BSG die ablehnenden Entscheidungen der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit und der Vorinstanzen bestätigt.

Quelle: BSG, Urteil vom 13.7.2022, B 7/14 KG 1/21 R, PM 28/22 vom 13.7.2022

Bundesfinanzhof: Kein Kindergeld für Finanzbeamtin im gehobenen Dienst bei nebenberuflichem Studium der Rechtswissenschaften

Wie der Bundesfinanzhof (BFH) jetzt entschieden hat, ist eine Kindergeldgewährung wegen eines Jurastudiums des Kindes nicht mehr möglich, wenn das Kind nach Abschluss der Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin ein längerfristiges Dienstverhältnis in der Finanzverwaltung aufnimmt, das deutlich über 20 Wochenarbeitsstunden umfasst, und das Studium nur in den danach verbleibenden arbeitsfreien Zeiten durchführt.

Das war geschehen

Die Klägerin ist die Mutter einer 1999 geborenen Tochter, die im August 2020 ein duales Studium zur Diplom-Finanzwirtin erfolgreich abgeschlossen hatte. Anschließend nahm die Tochter eine Tätigkeit im gehobenen Dienst der Finanzverwaltung auf, die zunächst 40 Wochenstunden und ab Dezember 2020 28 Wochenstunden umfasste. Im Oktober 2020 begann die Tochter ein Studium der Rechtswissenschaften.

Die Familienkasse lehnte eine Kindergeldgewährung wegen des Universitätsstudiums ab September 2020 ab, da sie der Auffassung war, dass die Tochter ihre Erstausbildung bereits mit dem dualen Studium zur Diplom-Finanzwirtin abgeschlossen habe. Das Studium der Rechtswissenschaften sei eine Zweitausbildung, die wegen der zu umfangreichen Erwerbstätigkeit der Tochter kindergeldrechtlich nicht mehr berücksichtigt werden könne.

Das sagen die gerichtlichen Instanzen

Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage ab. Der BFH hielt die Revision der Klägerin für unbegründet. Er folgte dem FG im Ergebnis, aber nur teilweise in der Begründung. Volljährige Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, werden nach Abschluss einer Erstausbildung während einer Zweitausbildung kindergeldrechtlich nur berücksichtigt, wenn sie keiner Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden nachgehen. Ob mehrere Ausbildungen zu einer einheitlichen Erstausbildung zusammengefasst werden können oder es sich um eine Erst- und eine Zweitausbildung handelt, hängt von mehreren Faktoren ab. Zunächst setzt eine einheitliche Erstausbildung einen engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten voraus. Diesen hatte das FG im Hinblick auf den kurzen zeitlichen Abstand und die inhaltliche Nähe der beiden Studiengänge zu Recht bejaht. Zudem muss die Ausbildung im zweiten Abschnitt noch die Haupttätigkeit des Kindes darstellen und nicht hinter die Erwerbstätigkeit zurücktreten. Insofern ist eine Gesamtbetrachtung durchzuführen.

Keine Erstausbildung und Umfang von 20 Wochenstunden überschritten

Da das FG festgestellt hat, dass die Tochter bereits ein längerfristiges Beschäftigungsverhältnis aufgenommen hatte, für das der Ausbildungsberuf „Diplom-Finanzwirtin“ Voraussetzung war, allenfalls gleichviel Zeit in die Ausbildung und in die Erwerbstätigkeit investierte und sich die Ausbildungszeiten nach den arbeitsfreien Zeiten richteten, sprach die Gesamtbetrachtung für eine berufsbegleitend durchgeführte Weiterbildung (Zweitausbildung). Daher kam es auf den Umfang der Erwerbstätigkeit an, der über der Grenze von 20 Wochenstunden lag.

Quelle: BFH, Urteil vom 7.4.2022, III R 22/21, PM 29/22 vom 28.7.2022